Das kalte Herz

Blu-ray Review

Das kalte Herz Blu-ray Review Cover
Weltkino, 31.03.2017

OT: –

 


Schwarzwaldmärchen

In einer Neuverfilmung eines Märchenklassikers muss ein einfacher Mann am eigenen Leib spüren, dass Wohlstand nicht alles ist.

Inhalt

Peter ist ein herzensguter Kerl und unsterblich in die schöne Lisbeth verliebt. Da er aber ein Köhler ist und damit noch unter den Holzfällern steht, ist Lisbeth, Mädchen aus gutem Händlerhause, praktisch unerreichbar für Peter. Dessen größter Wunsch ist es, auch ein anerkannter und wohlhabender Mann wie zum Beispiel der Holzverkäufer Etzel zu sein. Nur so (meint er) könne er Lisbeth etwas bieten. Als er eines Tages erneut von Etzels Sohn Bastian gedemütigt wird und im Wald einen Pfeifgesang wahrnimmt, betritt er die Welt vom Holländer-Michel. Der hatte einst sein Herz gegen einen Stein getauscht, um nichts mehr zu fühlen. Doch irgendwie kommt ihm der Michel seltsam vor, weshalb Peter ihn wieder verlässt. Kurze Zeit darauf begegnet er dem Glasmännchen, das jedem drei Wünsche erfüllt, der an einem Sonntag geboren wurde. Peter, nicht ganz so clever, wünscht sich, dass er so gut tanzen kann wie Bastian, immer so viel Geld in der Tasche hat wie Etzel und dazu eine Glashütte, weil er gerne Glaser wäre. Doch anstatt sich Talent zu wünschen, scheitert Peter an der Arbeit, die er nicht gelernt hat. Und dann verliert er auch noch all sein Geld, weil er ausnahmsweise Glück im Spiel gegen Etzel hat und ihm die Taschen komplett leert. Dem Wunsch entsprechend hat er nun ebenso viel Geld in der Tasche wie sein Widersacher: Keins. Vor lauter Verzweiflung geht Peter in den Wald und besucht wieder den Holländer-Michel. Der ist großzügig und gibt ihm eine Menge Goldstücke. Allerdings nimmt er sich dafür, wie bei vielen anderen vor ihm auch, Peters Herz und setzt einen Stein an die leere Stelle in der Brust. Peter macht daraufhin eine lange Reise und kehrt als wohlhabender Geschäftsmann zurück. Allerdings ist aus dem einst so sanften Mann ein mitleidloser Grobian geworden. Er stößt Bettler weg, kauft Etzels Holzwirtschaft für einen Spottpreis und fordert von dessen Arbeitern nun nach dem Leistungsprinzip ein. Auch Lisbeth bekommt das zu spüren, weshalb sie ihm die Hochzeit verwehrt, was wiederum in einer Tragödie endet …

Der Hauff’sche Märchenklassiker „Das kalte Herz“, das in den späten 20ern des 19. Jhh erschien, diente schon des Öfteren als Inspiration für Filme. Auch James Krüss‘ Timm Thaler weist eine erstaunliche Nähe zu Hauffs Geschichte auf. Johannes Naber entstaubte die Vorlage, packte (scheinbar) sämtliche deutschen Darsteller von Rang und Namen in seine Adaption und konzentriert sich in seiner Version von Das kalte Herz auf die Liebesgeschichte zwischen Peter und Lisbeth. Die ist im Original erst recht spät Inhalt der Story und nimmt dort auch deutlich drastischere Formen an als hier. Nabers Verfilmung konzentriert sich neben der offenkundigen Kapitlismuskritik vor allem auf die Läuterungsgeschichte des Köhlers Peter und hält sie in schaurig-schönen, oft surrealen Bildern fest. Fürs deutsche Kino ist Das kalte Herz so ungewöhnlich, dass man ihn eigentlich nur aufrund seiner Darsteller als hiesige Produktion verorten würde. Und das, obwohl die Risiken so groß waren. Der Schwarzwald hätte kitschig wirken können wie in einem 50er-Jahre-Heimatfilm. Außerdem hätte der Versuch, einen deutschen Fantasyfilm zu inszenieren, furchtbar schnell ins absurd Alberne abdriften können. Nichts davon ist der Fall. Naber gelingt es, durch seine audiovisuellen Einfälle (Gesichtstattoos bei den Frauen, schmeichelnder weiblicher Gesang über die Tonspuren, die „Frisuren“ der Holzfäller und traditionelle Rituale) eine faszinierende Atmosphäre zu erschaffen, die von Beginn an fesselt. Ausgestattet mit großartigen Kostümen und gedreht in höchst authentisch wirkenden Kulissen taucht man in eine Parallelwelt ein, in der Geister eine Rolle spielen und die ebenso märchenhaft wie fantastisch – und bisweilen blutig – ist. In der Tat gibt’s einige Szenen, die nur bedingt 12-jährigentauglich sind.

Selbst die eingestreuten Martial-Arts- oder vielmehr Bo-Jutso-Stockkampf-Einlagen funktionieren prächtig. Denn zum einen sind sie sauber auschoreografiert und zum anderen macht es einfach Sinn, dass sich die Figuren in einer Zeit lange vor der unseren mit Bauernwaffen duellierten. Frederick Lau scheint jedenfalls einige Stunden Übung in die Kämpfe investiert zu haben, denn er schlägt sich wirklich gut – im wahrsten Sinne des Wortes. Allerdings nicht nur während der Kampfszenen, sondern auch grundsätzlich in seiner Rolle. Und damit steht er in einer Reihe mit höchst außergewöhnlichen Darbietungen von Schauspielern, die man normalerweise völlig anders kennt. Herausragend sind vor allem Moritz Bleibtreu als Holländer-Michel und Milan Peschel als Glasmännchen. Peschel agiert physisch wie nie und wirkt in seinem einer indigenen Kultur entsprungenem Outfit nicht mal albern. Bleibtreu, den man in seiner Maskerade schon beinahe nicht wiedererkennt, steigert die Verblüffung noch, indem er in Sachen Gestik und Artikulation völlig anders ist als sonst in seinen Filmen. Selbst seine Stimme erkennt man nur bei genauem Hinhören und der sonst übliche Habitus des Darstellers wird durch echte Schauspielkunst ersetzt. Wie es Das kalte Herz schafft, solche Figuren zu etablieren, ohne beim Zuschauer ein „Ja nee, is klar“ auszulösen, ist das große Verdienst des Films und seiner Darsteller. Das lässt auch darüber hinwegsehen, dass sich der Film nicht haarklein an die Vorlage hält, zeitliche Abfolgen verändert und die drei Wünsche beim Glasmännchen ebenfalls nicht korrekt wiedergibt (zumindest was Wunsch #3 angeht). Im Sinne einer filmischen Dramaturgie ist dies zwar durchaus nachvollziehbar, dass Lisbeths Schicksal allerdings ein komplett anderes Ende nimmt, ist dann doch sehr schade. Hier geht dem Film einiges an der Dramatik verloren, die der Vorlage innewohnt. Vielleicht wollte Naber die Brutalität des Märchens seinem Publikum dann aber doch ersparen. Die finale Kritik am Verhalten der Menschen wirkt im Übrigen ein wenig aufgesetzt, selbst wenn sie in der Einleitung schon angekündigt wird.

Bild- und Tonqualität

Das Bild von Das kalte Herz passt sich stilistisch an die Geschichte an und ist sichtbar gefiltert. Während der Nachtszenen wirkt sich die Filterung so aus, dass Grün leicht bräunlich wirkt und Braun nochmals verstärkt ist. Dazu gesellt sich ein sichtbares, aber sehr filmisch wirkendes Korn, das nur solche Zuschauer stören wird, die stets ein blitzsauberes Bild haben möchten. Der Kontrastumfang ist dauerhaft eher gering, weil das Bild sehr hell ist. Schwarz ist eher gräulich und Zeichnung auf den hell ausgeleuchteten Gesichtern geht oft komplett verloren.
Wie der Film selbst, so spielt auch seine akustische Darbietung in einer andere Liga. Mit einer für deutsche Filme herausragenden Räumlichkeit und tollen Donner-Effekten beginnt Das kalte Herz äußerst dynamisch und sehr effektvoll. Die Stimme des Glasmännchens kommt extrem greifbar aus dem Center und ist hübsch rotzig. Wenn die Tannen zu Boden gehen und dabei bersten, setzt sich nach gut 20 Minuten der Trend einer sehr räumlichen Tonspur fort. Während der leise(re)n Szenen zwitschern Vögel aus allen Richtungen und die Grillen zirpen von den Rearspeakern. Dialoge bleiben dabei stets sehr gut verständlich. Richtig klasse und weiträumig wird’s, wenn Peter dem Glasmännchen und dessem Gefolge begegnet. Das klackernde Geräusch, das der urwüchsige Kerl verursacht, das Rascheln des Laubes und die vielen Tiergeräusche legen sich rund um den Zuschauer. Mit voluminösem Tamtam hat man außerdem das Tanzduell zwischen Peter und Bastian vertont, das richtig Gaudi macht und eine breite akustische Bühne aufbaut. Richtiggehend brutal geht der dramatische Streicher-Score zu Werke, wenn Peter vom Holländer-Michel sein Herz zurückfordert (98’00).

Bonusmaterial

Im Bonusmaterial von Das kalte Herz gibt es acht entfallene und drei erweiterte Szenen. Dazu kommt ein Feature über die Entstehung der visuellen Effekte sowie fünf Interviews, ein B’Roll-artiges Hinter-den-Kulissen-Featurette und das Musikvideo „Bis ans Ende der Hölle“ von Philipp Poisel. Witzig an den Interviews: Sie sind komplett ungeschönt und schneiden nicht weg, wenn mal eine komische oder unsichere Aussage kommt – gerade jenes mit Bleibtreu ist hier zu nennen, der lange nach dem Namen des Schauspielers grübeln muss, der bei der 1950er-DEFA-Verfilmung den Part des Holländer-Michels übernommen hatte. Milan Peschel indes weiß ihn aus dem Effeff.

Fazit

Das kalte Herz ist einer der besten deutschen Filme seit langer Zeit, einer der außergewöhnlichsten noch dazu. Sicher nicht für Jedermans Mainstream-Geschmack, sehr wohl aber für alle, die über den Tellerrand schauen können.
Timo Wolters


Bewertung

Bildqualität: 60%
Tonqualität: 85%
Bonusmaterial: 50%
Film: 85%

Anbieter: Weltkino
Land/Jahr: USA 2015
Regie: Johannes Naber
Darsteller: Frederick Lau, Henriette Confurius, David Schütter, Moritz Bleibtreu, Sebastian Blomberg, André M. Hennicke, Milan Peschel, Roeland Wiesnekker, Jule Böwe
Tonformate: dts HD-Master 5.1: de, en
Bildformat: 2,35:1
Laufzeit: 119
Codec: AVC
FSK: 12

Trailer zu Das kalte Herz

Das kalte Herz | Auf Blu-ray, DVD und digital | Offizieller Trailer Deutsch HD

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filmfragmente

Der Film ist sehenswert! Vor allem das Szenebild kann sehr überzeugen. Allerdings wirken manche Rollen etwas fehlbesetzt, da einige Schauspieler/innen vorher bereits in derben Klamauk-Filmen (Schweighöfer usw.) mitgespielt haben.