Die Mitte der Welt

Blu-ray Review

OT: –

Die Mitte der Welt Blu-ray Review Cover
Universum Film, 12.05.2017

 


Türen öffnen …

Sensible und herausragend gespielte Romanverfilmung.

Inhalt

Phil ist ein ganz normales Landei, der mit seiner exzentrischen Mutter Glass und der nicht mehr ganz so geliebten Zwillingsschwester Dianne in einer alten Villa lebt. Vom Vater haben sie nie erfahren, weil Glass ihnen nie erzählt hat, wer es war. Für drei Wochen war Phil jetzt von zuhause weg. Als er wieder heim kommt, ist Dianne noch distanzierter zu ihm als zuvor und ein Sturm hat das Anwesen ziemlich verwüstet. Irgendwie scheint sich alles ein bisschen verändert zu haben. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass er sich langsam zum jungen Mann entwickelt. Gemeinsam mit seiner Busenfreundin Kat, die Phils Mutter Glass bewundert und gerne auch so abgedreht wie sie wäre, lebt er ein bisschen in den Tag hinein, albert rum und genießt das Leben. Als die Schule wieder anfängt, kommt ein neuer Schüler in ihre Klasse: Nicholas. Phil verliebt sich augenblicklich in den hübschen Kerl und erlebt die ersten großen schwulen Gefühle. Kat findet allerdings, dass Nicholas ein „Blender“ ist und ist auch nicht so erfreut, als sie davon erfährt, dass ihr bester Freund mit ihm zusammen ist. Doch Kat bemüht sich und findet Nicholas bad überraschend nett. Gleichzeitig macht sich Phil Sorgen um Dianne, die sich immer seltsamer verhält …

Andreas Steinhöfels Bestseller Die Mitte der Welt wurde ein paar Jahre lang unter den Filmemachern gehandelt, bevor sich Jakob M. Erwa, der Grazer Filmemacher, die Geschichte schnappte und sie mit jungen, unverbrauchten Gesichtern besetzte. Herausgekommen ist ein absolut unverkrampftes Coming-of-Age-Drama, das die humorvollen Aspekte ebenso gekonnt rüberbringt wie die emotionalen und dramatischen Entwicklungen. Gerade die in Rückblenden erzählte Kindheit von Dianne und Phil sorgt bisweilen für einen Kloß im Hals, wenn geschildert wird, dass die beiden Kinder sich immer wieder an einen neuen Partner der Mutter gewöhnen mussten und dieser dann von ihr wieder nach Hause geschickt wurde, sobald sie ihn eigentlich lieb gewonnen hatten. Herausragend sind hier schon die Kinderdarsteller der Zwilllingsgeschwister. Aber auch Simone Timoteo als Glass agiert außergewöhnlich gut – egal, ob es die abgedrehten Momente sind, in denen sie ihre Umgebung darüber aufklärt, wie man „Bitch“ schreibt oder eben die emotionalen, in denen sie dramatische persönliche Dinge erlebt. Wechselt Die Mitte der Welt in die Gegenwart, dominiert zunächst das herrlich natürlich dargestellte Verhältnis zwischen Kat und Phil – so unverkrampft kann eine Freundschaft zwischen jungem Mann und junger Frau sein. Dass es Erwa dann gelingt, schwules Verliebtsein zu inszenieren, ohne in irgendeine Klischeefalle zu tappen und dabei auch vor expliziten Aufnahmen nicht zurückschreckt – das ist ganz großes Gefühlskino ohne Plattitüden.

Ohnehin hat man derart mutige Aufnahmen im deutschen Kino noch nicht gesehen – Respekt dafür. Kongenial unterstützt wird das Geschehen von einem Score, der die Stimmungen des Films perfekt wiedergibt. Gerade die sensiblen Klaviertöne passen sich außergewöhnlich gut an die jeweilige´Atmosphäre an. Ebenso muss Ngo The Chau erwähnt werden. Der Kameramann (Hin und weg) folgt seinen Darstellern manchmal auf Schritt und Tritt und entwickelt so eine fühlbare Nähe zu den Figuren. Gerade die Aufnahmen zwischen Phil und Nicholas geraten gefühlvoll, authentisch und wirklich schön. Aber auch die unbeschwerten Momente, in denen das frisch verliebte Paar mit Kat (großartig: Svenja Jung aus Fucking Berlin) im Trio unterwegs ist, gelingen. Dass sich im zweiten Teil des Films zunehmend Spannung um das geheimnisvolle Verhalten von Dianne entwickelt, schadet dem Film ebenfalls nicht. Im Gegenteil, denn für den Zuschauer entwickelt sich dann noch ein weiterer und fesselnder Aspekt. Dass der Film die mystischen Aspekte (Stichwort: Hexenkinder) weglässt und auch nichts von Kats Familie erwähnt, gegen die das junge Mädchen ständig rebelliert, ist anhand der essentiellen Konzentration auf das Thema Vertrauen, Liebe und Familie durchaus verschmerzbar. Weniger gelungen sind die eingestreuten visuellen Gags wie der whatsapp-Chat zwischen Phil und Kat. Da es bei diesem einen Moment bleibt und nicht konsequent im ganzen Film zu sehen ist, wirkt es irgendwie fremd und gewollt.

Bild- und Tonqualität

Das Bild der Blu-ray von Die Mitte der Welt punktet mit kräftigen, aber jederzeit natürlichen Farben. Der Kontrastumfang geht in Ordnung, wobei hellere Bereiche oft zu sehr überstrahlen. In dunkleren Szenen gehen Details dafür schon mal etwas unter. Schärfewerte sind vor allem während der Close-ups sehr gut. In Halbtotalen bleibt die Auflösung etwas zurück. Das geringe sichtbare Korn lässt den Film analog und nicht nach TV-Soap aussehen, was sehr gut zum Geschehen passt. Die leichte Grünverfärbung auf schwarzen Flächen in dunklen Szenen ist mittlerweile oft zu sehen und auch hier nicht ganz umgangen worden.
Beim Ton ist es vornehmlich der Soundtrack, der mal elektronisch mit pumpenden Beats, mal orchestral und mal als sanfte Klaviermusik im Raum verteilt wird und die Effektlautsprecher stets mit einbezieht. Die Dialoge kommen gut ortbar aus dem Center, allerdings sind sie manchmal arg leise und von der Artikulation her schon mal suboptimal verständlich. Dafür kann der Ton von Die Mitte der Welt aber nichts, das liegt eher an der Aussprache der Darsteller.

Bonusmaterial

Zwei Featurettes sowie 12 Interviews und eine B’Roll finden sich im Bonusmaterial von Die Mitte der Welt. Die Featurettes beschäftigen sich mit dem Gebäude, dass die Villa „Visible“ darstellte. Ein weiterer kleiner Beitrag kümmert sich um die Aspekte Freundschaft und erste Liebe. Trailer und Programmtipps des Anbieters komplettieren das Angebot.

Fazit

Was „Die Mitte der Welt“ ist fragt der kleine Phil irgendwann seine Mutter. Wenn’s nach einer ehemaligen Punkband aus Gelsenkirchen ginge, wäre das wohl immer noch Gelsenkirchen. Für den jungen Protagonisten in Jakob M. Erwas Romanadaptionen ist es am Ende aber wohl doch seine Familie, auf die er trotz aller Geschehnisse immer vertrauen kann und konnte – ein ebenso sensibler wie mutiger und gut gespielter Film für aufgeschlossene Cineasten.
Timo Wolters


Bewertung

Bildqualität: 65%
Tonqualität (dt. Fassung): 65%
Bonusmaterial: 30%
Film: 80%

Anbieter: Universum Film
Land/Jahr: D/A 2016
Regie: Jakob M. Erwa
Darsteller: Louis Hofmann, Sabine Timoteo, Jannik Schümann, Ada Philine Stappenbeck, Inka Friedrich, Nina Proll, Svenja Jung
Tonformate: dts HD-Master 5.1: de
Bildformat: 2,35:1
Laufzeit: 115
Codec: AVC
FSK: 12

Trailer zu Die Mitte der Welt

Die Mitte der Welt - Trailer (deutsch/german)

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