Jessica Jones – Season 1

Blu-ray Review

©2016 Marvel & ABC Studios, 8.12.2016

OT: Jessica Jones

 


Bad Hero

Neues Futter für Marvel-Fans – allerdings für die aufgeschlossenen unter ihnen.

Inhalt

Jessica Jones war mal eine Superheldin, die im lila Kostüm den Weltretter spielte, bis sie von den Avengers vor die Tür gesetzt wurde. Ein traumatisches Ereignis vor knapp einem Jahr hat sie sich zusätzlich zurückziehen lassen. Seither verdingt sie sich als Privatermittlerin und versteckt ihre kaputte Psyche hinter einer Mauer aus Alkohol und Sarkasmus. Lieber verletzt sie diejenigen Menschen, die ihr nahe stehen, als sie an sich herankommen zu lassen. Und das zu Recht, wie sie erfahren muss, als ein älteres Ehepaar an sie herantritt, um nach der verschwundenen Tochter zu fahnden. Wie sich herausstellt, ist die in die Fänge des gleichen Typen geraten, der an Jessicas Trauma die Schuld trägt. Kilgrave, so heißt der Kerl, beherrscht Gedankenkontrolle und ist sogar in der Lage, jemanden dazu zu bringen, die eigenen Eltern zu töten. Eine wahrlich beängstigende Macht, die Jessica nun endlich stoppen will …

Jessica Jones ist so etwas wie der Anti-Superhelden-Entwurf, eine Antithese zu Supergirl aus dem DC-Kosmos. Wo Kara aka Kara Zor-El in einer hellen und bunten Welt lebt, zeigt Jessica Jones das schmuddelige New York. Das New York der trist eingerichteten und hellhörigen Bruchbuden und spelunkigen Eckkneipen. Mittendrin ist unsere Superheldin wider Willen als Privatdetektivin unterwegs und kümmert sich hauptsächlich um fremdgehende Ehepartner. Mit zahlreichen Film-Noir-Elementen und noch mehr Pokultur-Zitaten gespickt (was nicht mal dann albern wird, wenn Jessica in geblümter Nachwuchs-Krankenschwester-Bekleidung die Serienkollegen aus Grey’s Anatomy auf die Schüppe nimmt) ist Jessica Jones so etwas wie die zynische Schwester von Daredevil – und der ist weißgott schon keine Ausgeburt an Fröhlichkeit. Nein, die Netflix-Serie von Showrunnerin Melissa Rosenberg will so gar nichts mit den vergnüglichen Marvel-Kinofilmen zu tun haben und grenzt sich schon von der Aussage her ab. So wird Jessica des Öfteren auf „die Ereignisse“ angesprochen, die die Stadt in Schutt und Asche gelegt haben und meist antwortet sie genervt, dass man sich doch an den „grünen Kerl“ wenden solle, nicht an sie. Von Differenzierung den Avengers gegenüber mal abgesehen, ist Jessica Jones aber auch eine sehr moderne Serie, die eine homosexuelle Partnerschaft ganz ungezwungen präsentiert. Weder macht die Show das Thema zum Happening, noch schlachtet sie es despektierlich aus. Selbst wenn die Dreieckskiste zwischen Rechtsanwältin Jeri Hogarth ihrer Mitarbeiterin und der zukünftigen Ex-Partnerin Hogarths nur ein kleiner Subplot ist, so fügt er sich doch tonal perfekt in die Serie ein.

Eine Serie, in der es so realistisch zugeht, wie nur eben möglich (sieht man mal davon ab, dass ein paar Charaktere mit Superkräften ausgestattet sind). Diese Verankerung im authentischen New York ist es, die selbst Superhelden-Hasser zum Freund der Show werden lassen. Denn hier fliegen Menschen nicht dauernd durch die Gegend oder mutieren durch Superhelden-Anzüge zu unzerstörbaren Rächern der Armen. Hier wird geschwitzt, gesoffen und gef… Liebe gemacht wie es sich für die Working-Class gehört: Hart, gefühlsecht und mit dem Hinweis, dass man sich gegenseitig nicht „kaputt“ machen möchte. Auf ihrer Mission gegen Kilgrave stolpert Jessica nämlich (nicht ganz zufällig) über Luke Cage. Der hat eine unzerstörbare Haut, gehört also auch zu den „Besonderen“ und äußert der Privatdetektivin in der ersten gemeinsamen Nacht gegenüber, dass er sie ungerne „zerbrechen“ würde. Natürlich bleibt aber auch die Beziehung zu dem ebenfalls durch ein privates Trauma schwer verletzten Luke von der gleichen Unnahbarkeit wie alle Verbindungen, die unsere Titelheldin hat. Am ehesten als herzlich kann man da noch das Verhältnis zwischen ihr und Adoptivschwester Trish Walker. Der hatte Jessica ebenfalls lange den Kontakt verweigert, doch im Verlaufe der Suche nach Kilgrave stoßen die beiden schon ganz ungewollt wieder aufeinander. Trish ist eine erfolgreiche Radiomoderatorin und versucht die eigenen Schwächen gerade durch massives Training in Selbstverteidigung zu kompensieren. Die Beziehung zwischen den beiden gerät innerhalb der ersten Staffel zur einzigen festen Konstante, die immer wieder für etwas Erholung sorgt, während ansonsten weitgehend Kälte und Düsternis herrschen – jedenfalls tun die Straßen in Hell’s Kitchen zu dieser Jahreszeit genau das, was man von ihnen annimmt: sie dampfen vor sich hin.

Vielerorts liest man das Lob darüber, dass Jessica Jones eine feministische Serie sei – schon alleine aufgrund ihrer Hauptfigur. Ob nun intendiert oder nicht, so kann man der Show tatsächlich zuschreiben, dass sie ihre vornehmlich weiblichen Rollen allesamt ernst nimmt, sie aber gleichzeitig ohne große Aufgeregtheit schildert. Die Titelheldin ist nun mal weiblich, ihre Auftraggeberin aus der Kanzlei ist lesbisch und die Männer sind entweder im permanenten Volldelirium (Malcolm), soziopathisch (Kilgrave) oder vollkommen versoftet (Luke). Das Schöne aber ist, dass einem dieser Feminismus, wenn man ihn den so nennen mag, nicht mit der Faust ins Gesicht geprügelt wird – es ist einfach so und es funktioniert. Und wenn man den Machern nun vorwirft (wie das diejenigen Kritiker aus dem Feuilleton tun, die – wie immer – anderer Meinung sind oder sein müssen), dass dieser Feminismus aufgesetzt und in sich reaktionär sei, dann kann es im Umkehrschluss in entprechenden Serien/Filmen gar keinen Feminismus geben, denn er würde vermutlich stets unter der gleichen Kritik leiden. Dabei ist es so erfrischend, dass mal nicht dogmatisierend mit dem Zeigefinger rumgewedelt wird, sondern die Figuren einfach so authentisch wie möglich geschildert werden. Und da darf dann auch mal eine Jessica Jones weinen, ohne direkt als „Lindenstraßen“-Progatonistin degradiert zu werden (vgl. zeit.de). Das darf die Jones vor allem, weil sie mit Krysten Ritter (Breaking BadGossip Girl) idealbesetzt ist. Mit einer Mischung aus hemdsärmeligem Krawalltypen (ohne Abziehbild einer männlichen Klischeefigur zu sein) und verletzlicher weiblicher Seele schafft sie es perfekt, die ambivalenten Eigenschaften ihrer Figur rüberzubringen.

Das gleiche gilt auch für die in Nebenrollen glänzend gecastete Show. So besitzt Carrie-Ann Moss (Trinity aus Matrix) als taffe Rechtsanwältin genau die richtige Kühle für ihren Serienjob und den Umgang mit ihrer zukünftigen Ex-Frau. Auch Rachael Taylor (bekannt aus The Loft oder 666 Park Avenue oder eben auch Grey’s Anatomy) als Trish erfüllt ihre abwechslungsreiche und intensive (vielleicht die neben der Protagonistin interessanteste) Rolle herausragend gut. Sie überzeugt als erfolgreiche und begehrenswerte Radiomoderatorin ebenso wie in den körperlichen Auseinandersetzungen mit ihrem Trainer oder denjenigen, die sie angreifen. David Tennant (der zehnte Doktor aus Doctor Who) mag zunächst eine ungewöhnliche Besetzung und optisch vielleicht für einen Moment enttäuschend sein, doch wehe, wenn man seinen Kilgrave etwas näher kennen lernt (was man real lieber nicht tun sollte). Dann ist Tennant plötzlich eiskalt und ein ultimativer Fiesling. Aber (und das zeigt eine andere Stelle der ersten Staffel) einer, der auch selbst verletzlich ist. So gibt er beinahe philosophisch zu bedenken, dass es ganz schön furchtbar sei, wenn man zu keiner Zeit wisse, ob einen wirklich jemand mag, wenn es doch möglicherweise nur daran liegt, dass die Gedankenkontrolle Menschen nette Dinge sagen lässt. Der ab und an vorhandene melancholische Unterton, der von einem schwarzhumorigen Witz abgewechselt wird, täuscht indes nicht darüber hinweg, dass Jessica Jones keine Serie der Happy Ends ist – und dafür muss man keine Details spoilern.

Bild- und Tonqualität

Die Blu-ray(s) von Jessica Jones passen sich dem Schmuddellook der Serie selbst auch optisch an. Ein jederzeit sichtbares Korn wird im dunkleren Bereichen noch etwas intensiver. Es erzeugt zwar stets eher einen Film- denn einen Serienlook, doch Bildruhe ist anders. Ab Einstellungen aus der Halbtotalen lässt die Schärfe sichtbar nach und in hellen Einstellungen fehlt’s oft an Kontrastumfang. Eine leichte und kühle Filterung lässt Jessicas schwarze Haare ein wenig bläulich erscheinen, was zwar gut zur Stimmung und der kalten Winter-Atmosphäre passt, aber eben Technikfetischisten im Verbund mit den anderen Stilmitteln nicht sonderlich gefallen wird. In schnelleren Bewegungen zeigen sich zudem ab und an leichte Farb-Wischspuren. Sehr anständig gelingen die Close-ups, die viele Details zeigen. Außerdem sind auch die Randbereiche des Bilds homogen scharf und gleichmäßig ausgeleuchtet.
Der Ton von Jessica Jones konzentriert sich zwar vornehmlich auf die Front und die saubere, sehr gut verständliche Dialogwiedergabe. Wenn es gefordert wird, können die beiden dts-HD-Spuren (Master fürs Origina und Hi-Resolution für die Synchronfassung) aber ordentlich zupacken und gefallen mit druckvollen Sounds, wenn Officer Simpson in Folge vier mit dem Rammbock bei Trish einzudringen versucht. Auch die New Yorker Straßenatmosphäre gelingt authentisch und stellt das typische Rauschen im Verbund mit Autohupen, Sirenen und Windgeräuschen realistisch dar. Da echte, langanhaltende Actionszenen meist fehlen, setzten die Tonspuren eher auf kurze prägnante Effekte, die immer wieder Spaß machen, allerdings nicht zwingend Dynamikwurzeln ausreißen.

Bonusmaterial

Für das Bonusmaterial von Jessica Jones haben sich die Macher und der Verleih etwas ganz besonderes einfallen lassen: Sie haben schlicht keins integriert. Nicht mal der Trailer ist mit an Bord.

Fazit

Jessica Jones ist vielschichtig, tiefgründig, düster, psychologisch gut ausgeklügelt und feministisch – viel mehr kann man von einer Serie aus dem Marvel-Universum kaum verlangen, die sich sicht- und fühlbar von den Kinofilmen aus der eigenen Schmiede abgrenzen möchte. Sicher nichts für Heile-Welt-Gucker, aber todsicher etwas für Freunde von Substanz und außergewöhnlichen Figuren.
Timo Wolters


Bewertung

Bildqualität: 70%
Tonqualität (dt. Fassung): 70%
Tonqualität (Originalversion): 70%
Bonusmaterial: 0%
Film: 90%

Anbieter: Walt Disney
Land/Jahr: USA 2016
Regie: Diverse
Darsteller: Krysten Ritter, David Tennant, Rachael Taylor, Carrie-Anne Moss, Mike Colter, Will Traval, Eka Darville
Tonformate: dts HD-Master 5.1: en // dts HD High Resolution
Bildformat: 1,78:1
Laufzeit: 667
Codec: AVC
FSK: 16

Trailer zu Jessica Jones – Season 1

Marvel's Jessica Jones | Official Trailer [HD] | Netflix

Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest
0 Kommentare
Inline Feedbacks
Alle Kommentare anschauen!