Mein Engel

Blu-ray Review

Mein Engel Blu-ray Review Cover
Capelight Pictures, 26.01.2018

OT: Mon ange

 


Träume in Farbe

Ebenso poetischer wie berührender Film über die Liebe zwischen einer Blinden und einem Unsichtbaren.

Inhalt

Keiner darf von ihm erfahren. Denn „Mein Engel“, wie Louise ihren Sohn nennt, ist unsichtbar. Bekommen hat sie ihn in einer psychiatrischen Einrichtung, in der sie eingeliefert worden war, nachdem ihr Partner, ein Magier, sich während eines Auftritts selbst hatte verschwinden lassen. Langsam zieht sie ihn auf, lässt ihn heranwachsen und will ihn vor allem vor der Außenwelt beschützen. Sie hätten Angst vor ihm, redet sie ihm ein. Doch dann lernt der zum jungen Mann herangewachsene Sohn die gleichaltrige Madeleine kennen. Die Beziehung der beiden zueinander funktioniert auch deshalb, weil Madeleine blind ist und deshalb gar nicht mitbekommt, dass ihr Gegenüber von niemandem gesehen wird. Sie verlieben sich inniglich und sind wie füreinander geschaffen. Doch dann bekommt Madeleine eine Augenoperation. Mit der großen Hoffnung, endlich ihren „Engel“ sehen zu können, reist sie ins ferne New York, während der Daheimgebliebene voller Angst zurückbleibt und nicht weiß, was passieren wird, wenn Madeleine sieht, was sie nicht sehen kann …

Einen ganz besonderen Film hat der Belgier Harry Cleven mit Mein Engel geschaffen. Wer Angst vor Poesie, Romantik und den ganz großen Gefühl hat, sei aber gewarnt. Denn das teils surreal wirkende Werk scheut sich nicht davor, von Einsamkeit, Verlangen, Trauer und Verlustangst zu sprechen und das Ganze in weichgezeichnete, künstlerische Bilder zu packen. Manchmal in Zeitlupe filmend, oft nur Ausschnitte seiner Figuren oder sie in Ausschnittsvergrößerung zeigend kommt er den Hauptcharakteren so nahe, dass es emotional schon mal unbequem wird. Fast ausschließlich flüsternd unterhalten sich „Mein Engel“ und seine Mutter und später auch Madeleine miteinander, was den Zärtlichkeits- und Verletzlichkeitsaspekt von Mein Engel unterstreicht. Während der Film voranschreitet, vermittelt er eindrücklich, was Einsamkeit bedeuten kann und wie sehr der Mensch sich nach Zuneigung und Gemeinsamkeit sehnt. Besonders die Zeit, in der der Unsichtbare auf seine Madeleine wartet, wird schmerzvoll inszeniert, dann aber von ebenso poetischen Momenten abgelöst, wenn er sie nach seiner Rückkehr beobachtet. Dass Cleven dafür visuelle Effekte nutzen muss, um die Unsichtbarkeit seiner Hauptfigur darzustellen, mutet noch etwas bizarr an, wenn Louise ihr Baby stillt, wird dann jedoch immer fließender und harmonischer eingefügt. Da entfaltet sich ein Brief wie von Geisterhand und im Bett neben der Mutter sieht man die Umrisse, welche die Matratze eindrücken.

Einen ganz einfachen Kniff nutzt der Filmemacher aber, um die Welt aus den Augen seines Protagonisten zu erzählen, indem er schlicht per Handkamera aus dessen Position filmt. Kommt er seiner Madeleine nahe, um sie zu küssen oder zu riechen, lässt Cleven sogar die Optik verschwimmen – wohl wissend, dass auch das menschliche Auge aus dieser Nähe nicht mehr scharf sehen kann. Wirklich überraschend an Mein Engel ist die Tatsache, dass er sogar die erotischen Momente im Erwachsenen-Alter seiner Figuren hinbekommt. Wenn Madeleine Nachts von ihrem Engel besucht wird und er ihr zärtlich die Decke etwas herunterzieht, hat das nicht den Hauch eines Anrüchigen. Im Traum merkt die rothaarige Frau, dass ihr Liebhaber anwesend ist und beginnt ihre Gefühle für ihn in den Traum einzubinden. Man hört, wie sie schwerer atmet und ihr Körper darauf reagiert. Das ist ganz großes Erzähl- und Schauspielkino, das mit sanftmütigen Dialogen noch intensiviert wird, wenn die beiden dann wieder offen miteinander reden und ihre Körper erfahren. Plötzlich ist es auch nicht mehr bizarr, wenn man sieht, wie sich die unsichtbaren Berührungen auf Madeleines nacktem Körper widerspiegeln – es ist einfach nur noch wunderschön.

Bild- und Tonqualität

Mein Engel liegt im ungewöhnlichen Bildformat von 1,66:1 vor und weist in den dunkleren Szenen ein deutliches Farbrauschen auf. Wenn mehr Licht im Spiel ist, sieht man die leichte Farbverfälschung auf schwarzen Untergründen zwar immer noch, doch hier ist ohnehin der etwas schwache Kontrastumfang dominanter. Die Auflösung und Schärfe geht soweit in Ordnung, ohne allerdings Bäume auszureißen. Farben sind bewusst etwas reduziert worden, was dem Film in Verbindung mit dem dezenten Weichzeichner-Effekt eine geheimnisvolle Aura verpasst. Die Unterwasser-Aufnahmen und Close-ups leiden schon mal etwas unter leichten Banding-Effekten
In Sachen (Raum)Akustik bleibt Mein Engel sehr auf die Front beschränkt, was vor allem daran liegt, dass zunächst fast ausnahmslos geflüstert wird. Ein paar Vögel zwitschern nach etwas über zehn Minuten, doch auch die hört man nur über die Frontlautsprecher. Das Gleiche gilt für die zarte Streichermusik, die den Raum ebenfalls nicht öffnet. Das ist natürlich ganz bewusst so gewählt, um die Poesie des Films zu unterstreichen und die Dialoge stets im Mittelpunkt stehen zu lassen.

Bonusmaterial

Im Bonusmaterial von Mein Engel findet sich der Trailer zum Film sowie vier weitere Programmtipps des Anbieters.

Fazit

Mein Engel ist ebenso besonders wie speziell und mit Worten oft nicht zu beschreiben. Man muss es, wie Madeleine selbst, gesehen haben.
Timo Wolters


Bewertung

Bildqualität: 60%
Tonqualität (dt. Fassung): 60%
Tonqualität (Originalversion): 60%
Bonusmaterial: 10%
Film: 90%

Anbieter: Capelight Pictures
Land/Jahr: Belgien 2016
Regie: Harry Cleven
Darsteller: Elina Löwensohn, Fleur Geffrier, François Vincentelli
Tonformate: dts HD-Master 5.1: de, fr
Bildformat: 1,66:1
Laufzeit: 79
Codec: AVC
FSK: 12

Trailer zu Mein Engel

Trailer MEIN ENGEL (Deutsch)

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1 Kommentar
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Frank

Das klingt ungewöhnlich, aber gut. Vielen Dank für das Review zu einem Film, von dem ich bisher gar nichts wusste.