Roger Waters The Wall – Special Edition

Blu-ray Review

Rogers Waters The Wall Special Edition Blu-ray Review Cover
Universal Pictures, seit 19.11.2015

OT: –


Mauer im Kopf

Das neben The Who’s „Tommy“ legendärste Konzeptalbum aller Zeiten kommt mit unglaublich spektakulären Bildern auf Blu-ray.

Inhalt

Roger Waters‘ „The Wall Tour“ versammelte von 2010 bis 2013 über vier Millionen Fans in den Arenen und Stadien. Natürlich, denn Waters ist ein guter Geschäftsmann, wurden viele der Shows mit einem Tross an Kameras begleitet, damit man das Ganze später als Konzertfilm vermarkten kann. Der lief im September 2015 in den Kinos und erscheint nun am 19. November auf Blu-ray. Schon 1990 hatte Waters in Berlin eine Mauer aus Styropor um seine Mitmusiker und sich herum aufbauen lassen, um sie im letzten Song wieder niederzureißen. Wer damals vor dem Fernseher saß oder gar live vor Ort war, weiß, wie viel Gänsehaut die Live-Inszenierungen des Pink-Floyd-Konzeptalbums erzeugen. Der Autor dieser Zeilen war lange Zeit im Besitz eines Brockens der besagten Styroporwand Berlins, war gleichwohl aber noch zu jung, um das Event vor Ort zu erleben. Das Mitbringsel einer lieben Bekannnten blieb dennoch lange im Besitz und die Erinnerung an die TV-Übertragung (auf einem 40cm-Röhrenfernseher) ebenso. Legt man mit den Gedanken an dieses Event nun die Blu-ray von Roger Waters – The Wall ein, ist die Gänsehaut sofort wieder da. Schon vor 25 Jahren war die Show gigantisch, heute ist sie noch ein bisschen gigantischer. Wenn der Charakterkopf, der in The Wall auch viel autobiografische und innerfamiliäre Schicksale verarbeitete, mit seinen Bandkollegen vor und innerhalb der (noch nicht fertig gebauten) Mauer auftaucht, die ersten Töne von In the Flesh zu einem gigantischen Feuerwerk erklingen und Statisten mit martialischen Uniformen riesige Fahnen mit den bekannten gekreuzten Hämmern schwenken, dann ist das optisch wirklich beeindruckend. Die in The Wall angeprangerten totalitären Regime bekommen nicht nur hier ihr Fett weg und wenn das mit der ausnahmslos genialen Musik eines der legendärsten Alben der Rockgeschichte untermalt ist, dann darf die Kinnlade ob der Opulenz durchaus mal runterklappen.

Unterbrochen werden die Konzertsituationen in The Wall jedoch (gerade zu Beginn) von Szenen, die Waters in sehr privaten Situationen zeigen. So besucht er unter anderem die Gräber seines Vaters und Großvaters, die beide im Kampf gegen die Deutschen fielen. Waters Opa natürlich im Ersten Weltkrieg, der Vater dann im Zweiten. Viele, die auf die Videoveröffentlichung des Films warteten, fühlten sich durch diese eindringlichen Szenen schon vorab gestört. Man wolle doch lieber nur das Konzert sehen und nicht irgendeinen privaten Quatsch von „Selbstdarsteller“ Waters. Berechtigte Kritik oder nicht, die Blu-ray wurde so einkapitelt, dass man über die Skip-Taste die vermeindlich ungewünschten Sequenzen überspringen kann. Also, liebe Kritiker und Miesepeter: Ball flach halten!
Dabei sind auch diese Realszenen sehens- und vor allem hörenswert, denn der 72-jährige Künstler hat eine Menge erlebt und ebensoviel zu sagen. Gerade die militärischen Konflikte der Welt, deren Opfer und die Verantwortlichen dahinter sind immer wieder Angriffspunkt für den Atheisten und flammenden Kriegsgegner. Aber zurück zum Konzert. Dessen visuelle Ideen sind dermaßen vielfältig, dass man mitunter zweimal hinsehen muss, um alles aufnehmen zu können. Die Mauer, deren letztes Stück in „Goodbye Cruel World“ gesetzt wird, wird über die Dauer der Show als überdimensionale Leinwand genutzt und gibt Projektionen wieder, die von beeindruckend und überwältigend bis zu bedrückend und schwermütig gehen. Natürlich werden auch die legendären Cartoons aus Alan Parkers Film genutzt und wenn Waters am Ende von „Comfortably Numb“ mit Wucht gegen die Wand hämmert (94’50), wird das durch den Aufbruch einer grauen Fläche durch ultrabunte Farbbausteine unterstützt – Wahnsinn. Was ebenfalls für runtergeklappte Kinnladen sorgen dürfte, sind die zahlreichen dreidimensionalen Effekte von Figuren und Mauerwerk, welche die Wand fast wie einen eigenen Organismus wirken lassen. Ist Roger Waters The Wall schon auf Blu-ray ein Erlebnis sondergleichen, muss es live noch viel unfassbarer gewesen sein – gut zu deuten an den zahlreichen Fans, die ob der überwältigenden Optik scharenweise in Tränen der Ergriffenheit ausbrechen.

Bild- und Tonqualität

Geht es um die technische Qualität der Blu-ray, gibt’s eigentlich keine Kritikpunkte. Mal abgesehen von den dokumentarischen Subsequenzen, die etwas flau daherkommen, liefern die Konzertausschnitte ein ebenso plastisches, wie ruhiges und extrem scharfes Bild, das mit kräftigen Farben nur so protzt. Waters‘ Konterfei ist in Close-ups dermaßen griffig, dass man ihm das Alter dann trotz der jugendlichen Attitüde doch ansehen kann (88’50). Herausragend ist, wie gut die Disk trotz der vielen Szenen, die im Dunkel oder Halbdunkel spielen, entsprechend heller ausgeleuchtete Bestandteile wiedergibt. Das führt mitunter fast zu einer dreidimensionalen Optik. Gerade auch die sensationellen Projektionen auf der künstlichen Wand bescheren dem Zuschauer immer wieder ein auch durch die Optik hervorgerufenes Gänsehautfeeling …
… das durch den geradezu fantastischen Sound der Blu-ray von The Wall noch verstärkt wird. Man kann viel sagen über Konzertabmischungen in Surroundsound und es gab schon viele sehr gute. Was Waters‘ und seine Tontüftler hier aber gemastert haben, sucht seinesgleichen – und wir reden hier explizit noch NICHT von der Dolby-Atmos-Spur. Denn, wie die Heimkinofans mit Affinität zur Technik wissen, wird die Atmos-Spur auf einem regulären Mehrkanalsystem einfach auf ebenso reguläres 5.1 (oder 7.1) runtergemischt. In diesem Fall liegt es dann hochauflösend in Dolby True HD vor, was schon von Nicht-Atmos-Receivern mit einem großartigen Klang abgebildet wird. Waters nutzt die rückwärtigen Kanäle ausgiebig, um die optischen Effekte der Wandprojektion auch akustisch zu untermauern (sorry für den Kalauer). Dazu steht die Band auf einer tonal sehr breiten Bühne und schafft es in den leisen Nummern dennoch, sich sehr intim mittig vor dem Zuschauer zu platzieren. Der Subwoofer übertreibt es nicht mit Information, gibt aber ordentlich Druck, wenn das volle Instrumentarium einen der vielen Höhepunkte der Show intoniert. Dass Rogers Stimme nie die kräftigste war, ist allgemein bekannt, doch der mittlerweile 72-jährige! Sänger muss sich nicht vor seiner Performance vor 25 Jahren in Berlin verstecken. Dem Zuhörer fällt’s dadurch auf, dass sein Organ präsent ist und seine typischen Kieksgeräusche im Sprechgesang auf dem Punkt sind. Immer wieder wandert seine Stimme dabei durch den Raum, beispielsweise, wenn er bei „In the Flesh“ aufzählt, wen er am liebsten alles erschossen sähe. Und dann ist da ja noch die Dolby-Atmos-Spur, die dem ganzen noch eine weitere Ebene hinzufügt und das mit einer unglaublich guten Ortbarkeit. Selbst wenn man The Wall nicht mag (was eigentlich kaum vorstellbar ist), muss man die Blu-ray definitiv besitzen, wenn man bereits ein Dolby-Atmos-System besitzt. Denn mit diesen Konzertaufnahmen beeindruckt man jeden Zuschauer im Heimkino.

Bonusmaterial

Roger Waters The Wall – Special Edition erscheint als Doppel-Blu-ray und zeigt auf der eigentlichen Konzertdisk drei Featurettes. In „Ein Besuch bei Frank Thompson“ begibt sich Waters nach einer Show in Bulgarien zum Kriegsgrab des gleichnamigen Soldaten. „Zeitabläufe“ zeigen hingegen, wie technisch aufwändig die Show war und führen dies anhand zweier Zeitraffer für den Aufbau in Athen und Buenos Aires vor. Gerade die Installation für das Open-Air-Konzert in der argentinischen Hauptstadt musste zwischendurch für König Fußball unterbrochen werden und dauerte so ingesamt acht! Tage. Auf der Bonusdiks warten dann diverse Facebook-Filme, die insgesamt 57 Minuten laufen und Waters‘ Gedanken zu vielen Teilbereichen seiner Gegenwart und Vergangenheit mitteilen. So erzählt er, was er von der amerikanischen Gesellschaft oder auch von Alan Parkers „The Wall“ hält. Hinzu gesellt sich noch eine etwas erweiterte Autofahrt mit Waters, die schon im Film selbst zu sehen ist. Obendrauf gibt’s dann noch die Reunion-Light-Auftritte mit David Gilmour („Comfortably Numb“) und Nick Mason („Outside the Wall“) in der O2-Arena in London. Gerade der zweite Song, in dem dann auch wieder Gilmour mit dabei ist, sorgt durchaus für Gänsehaut, wenn die lange zerstrittenen Ex-Kollegen sich in die Arme fallen.

Fazit

Man mag von den eingespielten Realsequenzen halten was man will – Roger Waters The Wall nimmt eine absolute Top-Platzierung der gigantischsten Shows aller Zeiten ein. Die Blu-ray jedenfalls gehört in jeden Demonstrationskoffer und bietet allerfeinste Bild- und Tonqualität.
Timo Wolters


Bewertung

Bildqualität: 90%
Tonqualität (PCM 2.0): 80%
Tonqualität (Dolby Atmos): 95%
Bonusmaterial: 60%
Film/Musik: 90%

Anbieter: Universal Pictures
Land/Jahr: USA 2015
Regie: Sean Evans, Roger Waters
Künstler: Roger Waters, Dave Kilminster, Snowy White, G.E. Smith, Jon Carin, Harry Waters, Pat, Mark & Kipp Lennon
Tonformate: PCM 2.0: en / Dolby Atmos: en
Bildformat: 2,35:1
Laufzeit: 133
Codec: AVC
FSK: 6

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