Platz 5: Snatch – Schweine und Diamanten

Platz 5: Snatch – Schweine und Diamanten (Blu-ray Review)

Blu-ray im Vertrieb von Sony Pictures
Blu-ray im Vertrieb von Sony Pictures

OT: Snatch

 


Traue keinem Gypsie!

Das Kinodebüt der Clipregisseure Jonathan Dyston und Valerie Faris ist nichts anderes als einer der schönsten Filme über Verlierer überhaupt.

Story

London Anfang des neuen Jahrtausends: Tommy, der Assistent vom kleinen Ganoven Turkish (Jason Statham), hat sich gerade vom nuschelnden Pavee One Punch Mikey (Pavees: in Gruppen herumreisende Iren) beim Wohnwagenkauf übers Ohr hauen lassen. Mit Mühe und Not, und um das Geld für den Anhänger zurückzubekommen, kann Turkish Mikey zu einem Bare-Knuckle-Fight erwärmen, den er für gewonnen hält, da er mit Georgeous George einen brutalen Sieger in den Ring stellen kann. Doch auch hier ist Mickey am Ende der Schlauere, denn er heißt nicht umsonst „One Punch“. Als Georgeous George schwer verletzt ins Krankenhaus geliefert wird, ist Unterweltboss Brick Top darüber gar nicht entzückt, denn der wiederum wollte George in einem seiner nächsten Kämpfe einsetzen. Da Brick Top in Ungnade gefallene Geschäftspartner gerne den Schweinen zum Fraß vorwirft, muss sich Turkish etwas einfallen lassen …
Parallel an anderer Stelle: Franky Four Fingers erbeutet in Antwerpen mit Komplizen der russischen Mafia, als jüdische Geschäftsmänner verkleidet, einen fetten Klunker. Der soll an den New Yorker Juwelier Abraham Denovitz gehen. Doch der Boss der Russen, Boris „The Blade“ Yurinov, hätte das Steinchen gerne selbst. Also heuert er die zwei schwarzen Kleinkriminellen Sol und Vince an, Franky Four Fingers in einem Wettbüro von Brick Top abzufangen und den Diamanten zu erbeuten. Der Einsatz schlägt kolossal fehl und am Ende stehen Sol und Vince, ergänzt um den unbeweglichen Fluchtautofahrer Tyrone, mit einem Pitbull da, der einen Quietscheball verschluckt hat. Dem noch nicht genug, kommt nun Abraham „Cousin Avi“ direkt aus New York angereist, um den Verbleib „seines“ Edelsteins zu klären. Im Schlepptau hat er den brutalen Schläger Bullet-Tooth-Tony, der sich nach einem fehlgeschlagenen Anschlag auf sein Leben zwei der sechs Kugeln, die ihn trafen, als Zähne hat einsetzen lassen. Als Turkish und Tommy per Zufall an den quietschenden Pitbull geraten, nimmt Tommy ihn mit und lässt ihn beim Tierarzt von dem Ball befreien. Der findet jedoch nicht nur den Ball, sondern auch einen 86-Karäter …

Warum gerade „Snatch“?

Bereits zwei Jahre vor Snatch kam ich durch Zufall auf den Film Bube, Dame, König, grAS, der sich in seiner Art der Inszenierung so dermaßen von allem unterschied, was bis dato aus England kam, dass man mit staunendem Mund vor der Leinwand saß. Der Film integrierte eine unglaubliche Vielzahl grandioser Ideen mit einem bis ins letzte Detail ausgeklügelten Drehbuch und ließ dies von der talentiertesten Riege verdienter und junger neuer britischer Darsteller vortragen. Nicht nur wurde einem fast schwindelig, wenn man der Schnitttechnik und der rasanten Geschichte mit all ihren Figuren folgen wollte, bekam man es auch noch mit dem vielleicht grandiosesten Filmende aller Zeiten zu tun. Die Art und Weise, wie Bube, Dame, König, grAS seine Geschichte bis auf den Höhepunkt hin steuert und die Spannung und Dramatik intensiviert, ist auch heute noch eine Messlatte für jeden britischen Gangsterfilm, der im Anschluss gedreht wurde.
Ähm… Worum ging’s noch gleich?
Ach ja: Snatch!
Snatch war nun der Folgefilm des gleichen Regisseurs und bereits seine Besetzung ließ Großes erahnen. Zum einen war eine erstaunliche Anzahl derselben Schauspieler wieder mit an Bord, zum anderen wurde es mit Brad Pitt sogar um Hollywood-Prominenz ergänzt. Da der Film ebenfalls im Gaunermillieu angesetzt war, konnten zwei Dinge eintreten:
Entweder Snatch würde als billiges Imitat des Erstlings als „zuviel gewollt und nichts gekonnt“ untergehen, oder es würde ihm gelingen, an Bube, Dame, König, grAS anzuknüpfen, ja vielleicht sogar noch einen draufzusetzen. Entsprechend aufgeregt und mit großer Vorfreude, aber auch -bange saß ich vor der Leinwand. Die Bange jedoch wich mit den ersten zwei sarkastischen Off-Kommentar-Sätzen von Jason Statham. Selten schaffte es ein Film, mich von den ersten gesprochenen Worten an gefangen zu nehmen und bis zum grandiosen Schluss nicht mehr loszulassen. Erst Recht, als die fast in einem Schnitt editierte zweite Szene des Films den Juwelenraub beschrieb und der sensationelle Monolog von Benicio Del Toro für erste Lachkrämpfe sorgte. Ohnehin ist es der sensationell sarkastische bis zynische Humor, der die beiden Ganovenfilme ausmacht. Dazu die beinahe eruptiven und hektisch-innovativ geschnittenen Action- und Gewaltszenen, die erstmals Gebrauch machten von Zeitraffern und Stakkato-Stop-Sequenzen. Es schien einfach alles erlaubt.
Dies mögen ein paar der Gründe für den Erfolg und meine Leidenschaft für Snatch sein. Doch vor allem lag und liegt es an Regisseur Guy Ritchie.

Keinem britischen Regisseur vor ihm gelang eine so perfekte Verquickung von ultra-rasant geschnittenen Szenen, einer wahren Anhäufung großartiger Schauspieler und Überblick über eine komplexe Story mit scheinbar beiläufigen und doch perfekt geplanten Verstrickungen zahlreichster Filmfiguren. Wie er alleine den Vorspann des Films schneiden ließ, um seine Figuren und deren grobe Eigenschaftsskizzierung darzustellen – dafür bräuchten andere Filmemacher minutenlange und unter Umständen langweilige Sequenzen. In Snatch weiß man sofort, mit welchem Charakter man es zu tun hat und behält trotz insgesamt 13 bis 15 wichtigen Figuren (je nachem, wie man „wichtig“ bewerten möchte) die Übersicht. Dies alles mit Dialogen und Monologen zu untermalen, die pointierter und treffsicherer kaum sein könnten und Situationen heraufzubeschwören, die an Irrwitz kaum zu überbieten sind – das ist bis heute keinem anderen (leider auch Guy Ritchie nicht mehr) gelungen. Und, gar nicht hoch genug zu bewerten: Ein Weltstar wie Brad Pitt stellte sich ohne jede Arroganz ganz in den Dienst der Geschichte, wälzte sich für deren Gelingen im übelsten Dreck und stellte eine alles andere als charmante Figur dar. Ausnahmslos JEDER der Darsteller füllte seine Rolle mit Leidenschaft und unglaublicher Präsenz aus. Vinnie Jones, beispielsweise, der auch schon in Bube, Dame, König, grAS auf sich aufmerksam machte, beeindruckt noch heute mit seiner Präsenz in beiden Filmen. Und das als ehemaliger Fußballspieler ohne jede schauspielerische Ausbildung.

Snatch ist zudem so reich an denkwürdigen Szenen, dass es den Platz hier sprengen würde, würde man jede von ihnen nennen. Zu den großartigsten Momenten aber dürften alle „Verhandlungen“ mit den nuschelnden Iren zählen, die man weder im englischen, noch im deutschen je verstanden hat oder auch die bildliche Darstellung von „Cousin Avis“ Reisen von New York nach „fish, chips, cup of tea, bad food, worse weather, Marry-fucking-Poppins“-London gehören. Wenn man dann auch noch berücksichtigt, dass Ritchie praktisch zwei Jahre nach Bube, Dame, König, grAS erneut einen Film inszenierte, der vor dem gleichen thematischen Hintergrund spielt und mit der Hälfte der Schauspieler aus dem Vorgänger (teils sogar in gleichen Rollen) besetzt ist, ist es schon unfassbar, dass daraus kein müder Abklatsch resultierte. Im Gegenteil: Snatch ist für mich auch 13 Jahre nach Erscheinen immer noch das Maß aller Dinge, wenn es um britische oder Gangsterfilme im Allgemeinen geht. Schade, dass Ritchie sich danach auf seinen Lorbeeren ausruhte und man ihn kurz darauf „In bed with Madonna“ wiederfand – aber das ist eine andere Geschichte.

Fazit

Die Finger beider Hände reichen nicht aus, um die zahlreichen Imitatoren der ersten beiden Filme des Guy Ritchie zu nennen. Snatch ist für mich der Höhepunkt der Gangsterkomödie und das Maß, an dem sich alle Filmemacher innerhalb des Genres seitdem messen lassen müssen. Noch heute lache ich mich beim Gefasel von Brad Pitts „One Punch Mickey“ kaputt und liege brüllend am Boden, sobald der „brutale“ Pitbull niedlich vor sich hinquiekt. Eine weitere Eigenschaft und das Tolle an Snatch: Er ist wie ein Album von Tool – es gibt immer wieder etwas Neues zu entdecken.
Timo Wolters


Bewertung

Bildqualität: 55%
Tonqualität (dt. Fassung): 70%
Tonqualität (Originalversion): 75%
Bonusmaterial: 60%
Film: 100% 

Anbieter: Sony Pictures HE
Land/Jahr: GB 2000
Regie: Guy Ritchie
Darsteller: Jason Statham, Benicio Del Toro, Dennis Farina, Brad Pitt, Vinnie Jones, Ewen Bremner, Jason Flemyng, Rade Serbedzija
Tonformate: dts HD-Master 5.1: de, en, fr
Bildformat: 1,85:1
Laufzeit: 103
Codec: AVC
FSK: 16

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