The Hateful 8

Blu-ray Review

The Hateful 8 Hateful Eight Blu-ray Review Cover
Universum Film, seit 30.06.2016

OT: The Hateful Eight

 


Vertrauensprobleme

Acht Männer und eine Frau in einer verschneiten Hütte – ein perfektes Tarantino-Szenario.

Inhalt

John Ruth, seines Zeichens Kopfgeldjäger, hat mit Daisy Domergue eine gesuchte Verbrecherin an der Kette und hätte gerne die 10.000 Dollar Kopfgeld für sie einkassiert. Dafür muss er sie nur nach Red Rock bringen, um sie dem Henker vorzuführen. Auf dem Weg dorthin treffen sie zunächst auf einen Kollegen, der ebenfalls als Bounty Hunter arbeitet, es allerdings vorzieht, seine gefassten Verbrecher tot abzuliefern – weniger Scherereien. Alle drei sowie der noch dazugestoßene, angeblich zukünftige Sheriff von Red Rock werden jedoch von einem Schneesturm gezwungen, in Minnies Kurzwarenladen, einer eingeschneiten Hütte einzukehren. Dort treffen sie auf vier weitere Gestalten. Unter ihnen ein alter General, ein Mexikaner, ein Cowboy und der distinguierte Brite Mobray, der wohl Daisys Henker sein wird. Ruth traut natürlich niemandem – gerade nicht, wenn es um die Unversertheit seiner Gefangenen geht. Da sich aber auch die anderen keineswegs grün sind – schon alleine weil ein Schwarzer auf einen unverbesserlichen Südstaaten-Rassisten trifft, wird die Situation in der engen Hütte immer angespannter – bis sich die Konflikte gewaltsam ihren Weg bahnen …

Quentin Tarantino hat ein angespanntes Verhältnis zu seinem achten Spielfilm, den er nicht ganz zufällig „Hateful 8“ genannt hat. Zunächst als eigenständiges Werk geplant, dann für einen Moment als Sequel zu Django Unchained im Entwurf, wollte der Kultregisseur sein Skript schon vollständig verwerfen, als es im Januar 2014 im Internet geleakt wurde. Erst nach einer offiziell inszenierten Lesung im April darauf setzte sich Tarantion wieder hin und vollendete es mit der Absicht, doch einen (eigenständigen) Western daraus zu machen. Während sich Django Unchained jedoch an den Spaghettiwestern orientierte, ist sein Hateful 8 viel klarer von den klassichen US-Genrevorbildern geprägt. Nicht umsonst drehte der Regisseur die größten Teile in Telluride, Colorado. Eben dort, wo auch der 1969er John-Wayne-Klassiker Der Marshal entstand. Dass Hateful 8 dann auch nach seinem Kinostart noch einen holprigen Weg verfolgte, liegt daran, dass Quentin Tarantino für seine Überzeugungen auch gerne mal konsequent einsteht. Nachdem er an einer Demonstration teilnahm (die sich gegen die in den Augen der Organisation „Black Lives Matter“ überproportionale Polizeigewalt gegen Afroamerikaner richtete) und dort sagte, dass man „Mord auch Mord“ sowie die „Mörder auch Mörder“ nennen muss, riefen Polizeigewerkschaften und -verbände zum Boykott des Films auf. Das hatte am Ende aber wohl weniger Auswirkungen auf das Einspielergebnis als vielmehr der unglücklich parallel angesetzte Kinostart zu Star Wars: Das Erwachen der Macht. Mit knapp 54 Mio. Dollar Umsatz in den US-Kinos blieb Hateful 8 ein wenig hinter den Erwartungen zurück. Aber genug zu den Irrungen und Wirrungen sowie zu den technischen Aspekten des Films. Wie gut ist denn nun Tarantinos jüngstes Werk? Zunächst einmal seien alle jene Fans der Filme des Regisseurs gewarnt, die etwas ähnliches erwarten wie in dessen erfolgreichstem Film, Django Unchained. Weder gibt’s hier häufige Action, noch die sarkastischen Sprüche eines Christoph Waltz. Doch all jene, die sich auch auf dialoglastige und (über)lange Filme einlassen können, dürfen sich freuen. Denn das, was hier mit bedrohlich-bedeutungsschwangerer Filmmusik beginnt (Tarantino erfüllte sich einen Traum und konnte seinen Helden Ennio Morricone dafür gewinnen, erstmals einen echten eigenen Score für einen Film des Regisseurs abzuliefern), klingt zwar eher nach Horrorschocker denn nach Western, ist aber sicher Tarantinos bisher intimstes und ausgefeiltestes Werk. Nur eben ein ziemlich redseliges. Besetzt mit zahlreichen Darstellern, die man aus seinen Filmen schon kennt und die gerade für ihn immer wieder abliefern, wo sie unter anderen Regisseuren völlig abschmieren (vgl. Michael Madsen), liefert Hateful 8 nämlich nicht nur herausragend agiertes Kammerspielkino, sondern ist vor allem eine Abrechnung mit dem Rassismus und dem Hass der wilden Zeit. Genüsslich seziert der Film die gegenseitigen Ressentiments, die noch aus der Zeit des Sezessionskriegs übriggeblieben sind und schon der lange Dialog zwischen Warren, Ruth und Mannix in der Kutsche liefert mehr Politik als so mancher Politthriller. Dass Quentin dabei kaum in romantische Verklärung abdriftet, lässt sich schon daran absehen, dass sein moderatester Charakter als einer der ersten die Bühne verlässt – zivil-moderne Ansichten? Nicht in dieser ruchlosen Runde.

Aber Hateful 8 ist nicht nur ein politischer, sondern natürlich auch wieder ein popkultureller Film. Denn selbstverständlich kommt Tarantino, der König der selbstreferenziellen Querverweise, auch hier nicht ohne Zitate seiner bisherigen Werke aus. Schon alleine die (hier titelgebende) Zahl „8“ findet sich immer wieder in seinen Filmen. Acht „Hunde“ in Reservoir Dogs, acht „Chicks“ in Death Proof oder die „Crazy 88“ in Kill Bill Vol. 1. Dem nicht genug, forderte Aldo Raine in Inglourious Basterds ebenfalls „acht jüdische, amerikanische Soldaten“. Ohnehin könnte man Hateful 8 auch als Langversion der Basterds-Szene interpretieren, in der die Dialogszene in einer Kellerkneipe in Gewalt ausbricht. Und ähnlich wie in Django Unchained nimmt der zunächst geradlinig verlaufende Film schlagartig eine brutale Wendung – eine ultrabrutale, denn was hier an Innereien auf dem Holzboden landet, stünde jedem Splatterfilm gut zu Gesicht. Selbst in diesen Szenen (und zuvor ohnehin) zelebriert Tarantino in seinem jüngsten Film die Theatralik, die schon in den vorherigen Werken manches mal aufblitzte. Praktisch der ganze Film gleicht einem Theaterstück, das noch dazu in einzelne Kapitel (Akte) unterteilt ist. Und um das auch optisch zu unterstreichen, ließ er seinen Kameramann Robert Richardson auf 65mm-Material filmen. Richardson ließ es aber nicht einmal dabei bewenden, sondern beauftragte Panavision damit, anamorphe Objektive aus dem Archiv zu holen, die seit den späten 60ern nicht mehr verwendet wurden. Mit diesen konnte er ein 2,76:1-Breitbildformat realisieren (als erst elftem Film überhaupt), das man aus Mammut-Klassikern wie Ben Hur oder Meuterei auf Bounty kennt, das aber schon ewig nicht mehr zu sehen war. Um diesem Prozess die Krone aufzusetzen, wurde in der Nachproduktion auf digitale Zwischenschritte komplett verzichtet. Jetzt könnte man sich fragen, was das Ultra-Panavision-Format bei einem Film bringen soll, der zum ganz großen Teil in einem einzigen Raum spielt. Tatsächlich unterstützt dies aber den Theater-Charakter nochmals und lässt aus der Enge eines extrem begrenzten Szenarios großes Kino entstehen. Großes Kino, das mit großen Schauspiel-Leistungen aufwartet. Wie oben schon erwähnt, kann sogar Michael Madsen mal wieder glänzen. Kurt Russell als knorriger aber liberaler Kopfgeldjäger ist eine Bank, Samuel L. Jackson variiert zwar „nur“ schon von ihm bekannte Figuren, ist dafür aber einfach perfekt. Erneut eine Entdeckung ist Walter Goggins, der als Rassist Mannix weniger widerwärtig als sonst (American Ultra), dafür aber umso irrer/überdrehter agiert. Bruce Dern (Cut Bank), der verdiente Charakterkopf ist ein vortrefflicher General mit tief verwurzeltem Hass auf Schwarze. Doch neben all diesen bekannten Gesichtern und tollen Akteuren stiehlt eine ihre Kollegen die Show: Jennifer Jason Leigh als Daisy Domergue rotzt, flucht und blutet sich durch Hateful 8, dass es eine wahre Freude ist. Das brachte ihr nicht nur eine Oscarnominierung als beste Nebendarstellerin ein, sondern bestätigt erneut, dass viele, scheinbar in die Bedeutungslosigkeit abgerutschte Schauspieler, unter Tarantino ihre zweite Blüte erleben. Es scheint eine Art Symbiose zwischen dem Regisseur und seinen Akteuren zu geben, die nicht alleine dadurch erklärbar ist, dass sich mit Sicherheit fast jeder Akteur gerne mal unter seiner Ägide vor die Kamera begeben würde.

Schauspielerisch ist also alles auf hohem Niveau, wie aber stehts um die Inszenierung? Die hält trotz aller Dialoglastigkeit und den ausgedehnten Verdächtigungsdiskussionen mehr Überraschungen bereit, als man während der ersten anderthalb Stunden vermuten würde. Denn wenn man nach etwas über 90 Minuten denkt, Hateful 8 ginge so langsam die Puste aus, wird man Zeuge des ersten Toten und einem darauffolgenden Bruch im Storykonstrukt. Plötzlich schaltet sich ein Erzähler ein (im Original vom Regisseur selbst gesprochen), der kommentiert, was während der letzten 15 Minuten des Films „hinter der Kamera“ geschehen ist. Auch beginnt Abschnitt fünf mit einem Rückblick und zeigt, was vor dem Schneesturm passierte. Was andere Regisseure kolossal verbocken könnten, fügt sich durch Tarantinos unnachahmliches Talent, eben genau solche plötzlichen Veränderungen in der Erzählstruktur zu zelebrieren, zu einem unterhaltsamen Ganzen zusammen. Zu diesem Wechsel gesellen sich dann auch die über der Szenerie schwebenden Gewaltausbrüche, die – typisch Tarantino – eruptiv und heftig ausfallen. Da speit einer der Protagonisten mehrfach sein Blut durch das Innere der Hütte und der nächste verliert nach zwei unbarmherzigen Schüssen aus dem Revolver sein komplettes Gesicht. Die Blutfontänen spritzen teilweise meterhoch und stünden auch einem Splatterfilm gut zu Gesicht – kein Wunder, zeichneten doch Howard Berger und Greg Nicotero (The Walking Dead) für die Masken- und Make-up-Effekte verantwortlich. Jetzt könnte man Tarantino aufgrund der stetigen und äußerst blutrünstigen Gewalt sowie der inflationären Nutzung des Wortes „Nigger“ durchaus Selbstzweck vorwerfen. Vielleicht übertreibt er es dieses Mal tatsächlich mit seinem beißend-zynischen Kommentar auf die Gesellschaftszustände der USA. Das zu beurteilen obliegt am Ende aber dem subjektiven Geschmack des Zuschauers und wäre eine spannende Diskussion unter Filmfans allemal wert. Eine Diskussion wird vermutlich auch über die Tatsache entflammen, dass zunächst einmal nur die reguläre Kinoversion auf die Blu-ray gelangte und nicht der 20 Minuten längere Roadshow-Cut.

 

Bild- und Tonqualität

Das Bild im gigantischen 2,76:1-Format (sorry an alle Heimkinofans, die über eine 21:9-Leinwand verfügen, denn hier gibt’s leider trotzdem Balken am oberen und unteren Ende) ist natürlich von Beginn an ein absoluter Blickfang. Was hier alles an Details und Informationsfülle auf Bildschirm und/oder Leinwandtuch gelangt, ward lange nicht mehr gesehen. Das typische Korn des analogen Filmmaterials, das man für Hateful 8 bleibt beständig vorhanden, stört aber zu keiner Zeit. Es wirkt, im Gegenteil, höchst atmosphärisch und unterstützt den Look des Films. Die kühlen Außenaufnahmen zu Beginn zeigen nicht nur ein verschneites Land, sondern wurden zusätzlich mit bläulichen Filtern eingefärbt. Das untergräbt zwar den Schwarzwert etwas, sorgt aber für ein authentisches Frösteln beim Zuschauer. Die Nahaufnahmen von Sam Jackson sind von derartiger Strahlkraft und Tiefe (immerhin sorgt die 65mm/70mm-Produktion für eine theoretische Auflösung bis zu 16k – also einer Qualität, von der wir mit unseren lächerlichen 1080p-Blu-rays oder den kommenden 4k-UHDs nur träumen können), dass es einem schon Angst und Bange werden kann. Was hier an Schärfe und Plastizität erreicht wird, ist trotz des Downscalings auf 1080p mustergültig. Auch der Farbreichtum ist expemplarisch hoch. Blut wirkt noch eine Spur kräftiger als sonst und das typische Westernflair gelangt authentisch ins Heimkino.
Akustisch fällt in Hateful 8 natürlich zunächst der anschwellende und aufbrandende Filmscore Morricones (oscarprämiert) auf, der sich voluminös aber auch ein wenig schrill über die Speaker legt. Auf dem Höhepunkt des Intros galoppieren die Kutschpferde dann äußerst dynamisch und effektvoll an der rechten Flanke des Zuhörers vorbei – klasse. Ähnlich atmosphärisch gelingen dann auch die Momente im Inneren des Fuhrwerks, wenn das Pferdegetrampel gedämpfter ans Ohr gelangt. Wenn Mannix und der Kutscher draußen ein Seil zwischen Donnerbalken und Hütte spannen wollen, pfeift der Wind dermaßen heftig von allen Lautsprechern, dass man schon selbst die Schneeflocken auf dem Gesicht zu spüren glaubt (46’30). Im Inneren von Minnies Kurzwarenladen bleibt das Geschehen dann zwar atmosphärisch aber aufgrund mangelnder direktionaler Effekte (sowie solcher Anlässe) meist frontlastig. Dennoch klingt’s toll, wenn der Eintopf auf dem Feuer umgerührt wird oder die Protagonisten gut ortbar links und rechts durch den Raum laufen. Die Stimmen kommen gut verständlich aus dem Center, könnten vielleicht ein bisschen weniger dumpf sein – gerade Engelbert von Nordhausen, Samuel L. Jacksons Synchronsprecher, klingt ab und an etwas muffig. Da der dem englischen Original zugetane Filmfan aber ohnehin die US-Spur wählt, kann man auf diesem Weg dieses Problem umgehen. Das empfiehlt sich aufgrund der großartigen Dialekte ohnehin. Wenn dann im letzten Drittel Revolver und Gewehre das Kommando übernehmen, reißen die vereinzelten Schüsse den Betrachter ebenso aus dem Sessel wie es die Opfer aus den Socken haut. Mit kurzem, knackigem Nachhall donnern die Geschosse und mit einem leisen „Pling“ fallen die Hülsen zu Boden. Besonders beeindruckend wird das immer dann, wenn die Shoot-outs in Zeitlupe gefilmt und mit entsprechend plastischen direktionalen Effekten unterlegt wurden.

Bonusmaterial

Im Bonusmaterial von Hateful 8 finden sich lediglich zwei Featurettes neben den beiden deutschen Kinotrailern. „Beyond the 8: Ein Blick hinter die Kulissen“ läuft gerade mal knapp fünf Minuten und lässt die Darsteller ein wenig erklären, in welchem Film und warum sie mitgemacht haben. „Der Zauber von 70mm“, ein siebeneinhalbminütiges Feature, ist da schon deutlich interessanter. Es erklärt die Hintergründe der Roadshow-Events und des Drehs auf 65mm-Filmmaterial, das dann in 100 ausgewählten Kinos in 70mm projiziert wurde. Für diese Vorführungen fertigte Tarantino extra eine 20 Minuten längere Fassung an und atmete damit den Geist der 60er-Jahre-Roadshow Events auf denen die Mammutwerke und -musicals dieser Zeit vorgeführt wurden. Großartig ist Sam Jackson, der sich beim Erklären der 70mm-Version stimmlich fast überschlägt. Auch Bob Harvey von Panavision kommt zu Wort und gibt ein paar vergnügliche Anekdoten preis. Um letztlich realisieren zu können, den Film in Ultra-Panavision zu drehen, mussten sogar die Kameras komplett umgebaut werden. Nur so konnten die alten Anamorphoten eingesetzt werden. Tim Roth bringt es letztlich auf den Punkt: Er und seine Schauspielkollegen wurden wirklich auf Film gebannt, nicht auf irgendeine Festplatte.

Fazit

Hateful 8 ist deutlich sperriger als der Vorgänger Django Unchained und damit weit weniger massentauglich. Die langen, bisweilen gedehnten und nicht immer pointierten Dialoge fordern etwas Sitzfleisch, bis es im Finale dann ultrablutig wird. Auch das ist zweifelsohne nicht jedermanns Sache und erfordert einen starken Magen. Davon ab richtet sich Tarantinos jüngster Film an seine Hardcorefans genauso wie an die Freunde der brutaleren Western der 60er Jahre und Liebhaber von zitatenreichem Genrekino.
Timo Wolters


Bewertung

Bildqualität: 80%
Tonqualität (dt. Fassung): 80%
Tonqualität (Originalversion): 85%
Bonusmaterial: 40%
Film: 75%

Anbieter: Universum Film
Land/Jahr: USA 2015
Regie: Quentin Tarantino
Darsteller: Samuel L. Jackson, Kurt Russell, Jennifer Jason Leigh, Walton Goggins, Demián Bichir, Tim Roth, Michael Madsen, Bruce Dern, Channing Tatum
Tonformate: dts HD-Master 5.1: de, en
Bildformat: 2,76:1
Laufzeit: 168
Codec: AVC
FSK: 16

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