The Killing of a Sacred Deer

Blu-ray Review

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Alamode Film, 04.05.2018

OT: The Killing of a Sacred Deer

 


Griechische Tragödie

Ein Chirurg wird vor eine Entscheidung gestellt, die unfällbar ist.

Inhalt

Herzchirurg Steven Murphy führt eigentlich ein zufriedenes und sicheres Leben mit seiner ebenfalls erfolgreichen Frau sowie Tochter Kim und dem jüngeren Sohn Bob. Zwei Jahre zuvor unterlief ihm allerdings ein Fehler, der einem anderen Vater das Leben kostete – und das, weil Steven während der OP unter Alkoholeinfluss stand. Seitdem hat er sich etwas um Martin, den damals 14-jährigen Sohn des Verstorbenen gekümmert und stellt ihn nun, zwei Jahre später, der Familie vor. Doch mit diesem Schritt verursacht Steven bei Martin einen Sinnenswandel. Der zuvor zurückhaltende Junge wird immer aufdringlicher und taucht unangemeldet bei den Murphys auf. Gleichzeitig versucht er, Steven mit seiner Mutter zu verkuppeln. Als der Familienvater daraufhin den Kontakt abbrechen will, reagiert Martin wütend. Kurze Zeit später sind Bobs Beine gelähmt. Er kann sie nicht mehr bewegen. Schuld daran ist ein Fluch, den Martin auf die Familie Murphy gelegt hat. Wenn Steven nicht freiwillig ein Mitglied seiner Familie tötet, werden sie alle sterben. Zuerst sind sie gelähmt, dann verweigern sie die Nahrung und zum Schluss, kurz vor dem Tod, werden ihnen die Augen bluten. Es dauert nicht lange, bis Steven das Unglaubliche glaubt und sich mit der Frage befassen muss, ob er tut, was Martin von ihm verlangt …

Der Grieche Yorgos Lanthimos macht (umgangssprachlich gesprochen) ziemlich komische Filme. „The Lobster“, sein letztes (und erstes englischsprachiges) Werk handelte von einigen Hotelbewohnern, die sich innerhalb von 45 Tagen verlieben sollten, um nicht in Tiere verwandelt zu werden. Klingt strange? Ist es auch. Doch mittendrin in diesem Treiben fand man immerhin internationale Darsteller von Format – unter ihnen: Colin Farrell. Der Ire ist auch in Lanthimos zweitem englischsprachigen Film mit von der Partie und spielt den Chirurgen, der vor die grauenvolle Wahl gestellt wird, zwischen seinen beiden Kinder eins auszuwählen, das er töten muss. The Killing of a Sacred Deer ist nicht ganz frei nach, sondern durchaus deutlich inspiriert von der griechischen Tragödie „Iphigenie in Aulis“ von Euripides. In der soll Agamemnon seine Tochter Iphigenie opfern, auf dass eine Windstille aufhöre und das griechische Heer gen Troja weitersegeln könne (ist es Zufall, dass Farrell hier einen fast griechisch anmutenden Vollbart trägt?).
Lanthimos überführt das Drama in einen Thriller, der immer wieder brutale Bilder integriert und beinahe in einen Horrorfilm abdriftet. Wem das SAW-Franchise zu oberflächlich, reaktionär und effektheischend war, der könnte in Killing of a Sacred Deer eine ernsthaft philosophische Variante des ewigen Themas von Schuld und Sühne finden.
In einem später kammerspielartigen Szenario fühlt man sich außerdem nicht ganz zufällig an Michael Hanekes Funny Games erinnert und leidet als Zuschauer ebenso unter dem Gezeigten wie die Figuren selbst auch. Die teils extrem dissonanten Geräusche und die bruchstückhafte Musik intensivieren den Eindruck noch oder verstören und stoßen ab – je nachdem, wie man das als Zuschauer empfindet.

Jetzt könnte man das Ganze als mystischen Mumpitz outen, weil Martin mit irgend so einem Fluch daherkommt, der auch einer Stephen-King-Geschichte entstammen könnte. Aber wie sagt der Junge zwischendurch so treffend? „Es ist nur ein Gleichnis“. Fantasy ist der Story entsprechend fremd. Die Frage von Schuld und Sühne ist tief verwurzelt in der Realität und trifft ausgerechnet Menschen, bei denen alles perfekt zu sein scheint. Die Jobs der Eltern: Perfekt. Die Schulausbildung der Kids: Perfekt. Das Haus der Murphys: Perfekt – ja fast klinisch. Niemand rechnet damit, dass solchen perfekten Familien solch tragische Dinge passieren. Dass die Figuren und Charaktere dabei extrem kühl bleiben und nur wenig Bindung zulassen, kann man The Killing of a Sacred Deer sicher anlasten – allerdings ist es im Sinne der Geschichte nur konsequent. Denn das Grauen findet seinen Weg zu einer Familie, die vor beruflicher und organisatorischer Perfektion die Gefühle abgeschaltet zu haben scheint. Immer darauf bedacht, möglichst genau zu sein und zu funktionieren – Emotionen sind da nur Störfaktoren. Schon die Sprache ist kontrolliert und technisch. Überflüssiges wird ausgespart. Gleichzeitig wird das Geschehen von der Kamera oft in ungewohnten Weitwinkel-Einstellungen eingefangen, die zusätzlich Distanz schaffen. Ja, selbst der Sex zwischen den Eheleuten ist durchgestylt und findet (für sie) unter „Vollnarkose“ also regungslos statt.
Wenn dann dieser Junge in diesen Perfektionismus eindringt und mit grausamer Konsequenz seinen Schmerz in Rache verwandelt, merkt man natürlich schnell, dass auch er keinerlei Mitgefühl mehr hat. Sollte die Intention dahinter aber tatsächlich die angesprochene Metapher auf die heutige Gesellschaft ein, dann ist Lanthimos kein sonderlich optimistischer Filmemacher.

Bild- und Tonqualität

The Killing of a Sacred Deer wurde mit 35mm-Analog-Kameras aufgenommen, was man von der ersten Sekunde an am deutlichen bis drastischen Korn erkennen kann. Allerdings ist das hier definitiv auch noch bewusst intensiviert worden, um das Geschehen noch stärker zu stilisieren. Gerade die klinisch-weißen Hintergründe im Krankenhaus wuseln unglaublich stark vor sich hin. Die wärmer gehaltenen Aufnahmen im Haus der Murphys sind teilweise ruhiger, dann wiederum genauso körnig (8’40). Die Schärfe gerät in Close-ups ansprechend. Da es aber meist Halbdistanz- oder Distanz-Shots sind, mit denen das Geschehen eingefangen wird, bleibt die Auflösung etwas unter ihren Möglichkeiten. Ab und an sind Gesichter sogar etwas arg weich. Während der extremen Weitwinkel-Aufnahmen sieht man zudem Abschattungen in den Randbereichen der Objektive. Beim Kontrastumfang hätte man sich satteres Schwarz gewünscht (15’45). Die Farben variieren etwas – je nachdem, ob das Bild wärmer gefiltert ist wie beim Kongress nach einer Viertelstunde oder kühler wie im Krankenhaus.
Akustisch dominiert vor allem die eingesetzte Filmmusik den Film. Meist sind es klassische Titel oder dissonante Töne/Melodien, die dem Geschehen unterlegt sind und die relativ räumlich erklingen. Stimmen sind jederzeit verständlich und harmonisch ins Gesamtgeschehen eingebettet. Anlass für Dynamiksprünge oder direktionale Effekte gibt es (zunächst) kaum. In der Cafeteria des Krankenhauses gibt es dann aber schon mal räumliche Geräusche von klirrenden Gläsern und Stimmen-Wirrwarr.

Bonusmaterial

Neben einer unkommentierten B’Roll gibt’s noch fünf Interviews mit den Darstellern und dem Regisseur, die zum Teil während der Filmfestspiele in Cannes angefertigt wurden und mit einer Gesamtspielzeit von über einer Stunde wuchern können. Das Längste unter ihnen läuft gut 25 Minuten und gehört dem Regisseur selbst. Lanthimos erzählt von den Themen und Motiven, die der Film behandelt, berichtet von der Arbeit mit dem Drehbuchautor und gibt auch zu Protokoll, dass er Colin Farrell vor allem wegen dessen komplexer Ausstrahlung als ideale Besetzung sah für Steven sah.
Das kürzere Gespräch mit ihm fand in Cannes statt und wiederholt einige seiner Aussagen noch einmal.
Farrell hat man in entspannter Hotel-Atmosphäre interviewt. Gut 20 Minuten lang erzählt er von seiner Figur und der Beziehung der einzelnen Charaktere zueinander. Dessen zweites Interview hat er zusammen mit Martin-Darsteller Barry Keoghan gegeben, wobei es zunächst mal um die perfekt sitzende Frisur geht. Man merkt aber beiden an, dass sie ziemlich gut miteinander können und trotz des ernsten (Film)Themas auch Zeit zum Rumalbern finden. Für Keoghan war die Vorstellung in Cannes das erste Mal, dass er den Film „am Stück“ sah.
Nicole Kidman spricht mehrfach von den Gesprächen und Diskussionen, die sie nach dem Schauen des Films mit ihrem Mann hatte – ihre eigene Filmfigur mag sie aber lieber geheimnisvoll halten und nicht dechiffrieren. Es ist zwar schade, dass keine anderen Extras ihren Weg auf die Disk gefunden haben, aber die Interviews sind durchweg gehaltvoller als jene von vielen anderen Produktionen.
Die schönere Variante von Sacred Deer ist im Übrigen das schicke und limitierte Mediabook, das neben der BD auch noch die DVD sowie ein ausführliches Booklet und ein Plakat zum Film enthält.

Fazit

The Killing of a Sacred Deer ist ebenso kontrovers wie unangenehm und aufwühlend. Präzise gespielt und inszeniert blickt Lanthimos‘ Werk tief in die düstere Seele der Gesellschaft. Was dabei rauskommt, wird nicht jedem gefallen – was im gleichen Maße für den Film gilt, den man wohl nur mögen oder hassen kann. Viel sperriger und bedeutungsschwangerer kann man Film kaum werden lassen, weshalb das Geschehen atmosphärisch auch Erinnerungen an den zweiten, sehr schwer zu konsumierenden Film der letzten Monate weckt: mother!
Bild und Ton passen sich aufgrund ihrer sehr stilisierten Form der Geschichte und Optik an – auch wenn das aus technischer Sicht nicht sonderlich hübsch oder dynamisch ist.
Timo Wolters


Bewertung

Bildqualität: 65%
Tonqualität (dt. Fassung): 65%
Tonqualität (Originalversion): 65%
Bonusmaterial: 55%
Film: 75%

Anbieter: Alamode Film
Land/Jahr: Irland, Großbritannien 2017
Regie: Yorgos Lanthimos
Darsteller: Colin Farrell, Nicole Kidman, Barry Keoghan, Alicia Silverstone, Raffey Cassidy, Bill Camp, Sunny Suljic, Denise Dal Vera, Barry G. Bernson
Tonformate: dts HD-Master 5.1: de, en
Bildformat: 1,85:1
Laufzeit: 121
Codec: AVC
FSK: 16

Trailer zu The Killing of a Sacred Deer

THE KILLING OF A SACRED DEER Trailer German Deutsch (2018)

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