11.22.63 – Der Anschlag

Blu-ray Review

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Warner, 17.11.2016

OT: 11.22.63

 


Sie haben hier nichts zu suchen …!

Spannende Kurzserie nach Stephen Kings „Der Anschlag“.

Inhalt

Jake Epping ist Lehrer an einer Hochschule, hat aber irgendwie das Gefühl, nichts bewirken zu können. Dazu passt, dass seine Frau sich gerade von ihm scheiden lässt. Vielleicht ist auch das ein Grund, warum Al Templeton, der Betreiber eines lokalen Diners ausgerechnet ihn auswählt und ihm ein Geheimnis mitteilt. Um das zu ergründen, schickt Templeton Epping in seine Speisekammer und trägt ihm auf, ganz tief hineinzugehen. Ehe Jake sichs versieht, ist er auf einmal nicht mehr im dunklen Schrank, sondern findet sich im kunterbunten Treiben vor dem Diner wieder – allerdings im Jahre 1960. Tatsächlich geht der gute Al schon seit Jahren immer wieder in der Zeit zurück, weil er es sich zur Aufgabe gemacht hat, den Tod von JFK zu verhindern. Täte er dies, so glaubt er, könne mindestens der Vietnam-Krieg verhindert – wenn nicht noch mehr Positives bewirkt werden. Die Tatsache, dass in der Gegenwart nur zwei Minuten vergehen, selbst wenn in der Vergangenheit Jahre verstreichen, half ihm bei seinem Vorhaben. Doch Al bekam Lungenkrebs und kann sein Ziel nicht mehr erreichen. Mit Mühe überredet er Jake, seine Aufgabe für ihn zu übernehmen und brieft ihn ausgiebig, wie er sich zu verhalten habe. Denn die Vergangenheit mag es nicht, verändert zu werden. Tut man es doch, wehrt sie sich – und das nicht zu knapp …

Die Frage nach dem „was wäre wenn …?“ ist auch im Film nicht ganz neu. Auch wenn man sie selten so direkt angeht, wie in dieser Kurzserie, die auf Stephen Kings gleichnamigem Roman 11.22.63 (hierzulande: Der Anschlag) basiert. Schon die zahlreichen Filme, die das Leben Georg Elsers porträtierten, spielen mit dem Gedanken, wie es wohl geworden wäre, wenn dessen Attentat auf Hitler nicht gescheitert wäre. King geht nun der Frage nach, wie man den Anschlag auf J.F.K. verhindern kann und wie sich die Welt vielleicht ändern würde, bliebe er am Leben. Dabei fiebert der Zuschauer von dem Moment an mit, in dem Jake das erste Mal in die Vergangenheit tritt. Zeitreisen sind ein beliebtes und immer wieder gerne genutztes Thema, kranken allerdings meist am selben Paradoxon-Problem – und zwar dem, dass die Zeitreise eventuell gar nicht angetreten werden kann, wenn die Vergangenheit verändert wird. Dennoch ist die Überlegung stets spannend und weil King nicht irgendein Schriftsteller ist, füttert er uns noch mit ein paar weiteren netten Details. So vergehen in der Gegenwart stets nur zwei Minuten – ganz egal, wie viel Zeit Jake in der Vergangenheit zubringt. „Mal eben“ zurück in die Zukunft gehen, um im Internet ein paar Infos einzuholen scheidet also aus, wenn er nicht monatelange Arbeit erneut machen möchte. Denn der Eintritt in die Vergangenheit passiert stets an derselben Stelle zur selben Zeit. 11.22.63 fordert den Zuschauer zu diesen und anderen Gedankengängen heraus, was einen Großteil der Faszination dieser achtteiligen Miniserie ausmacht. Man stellt sich vor, was man wohl selbst machen würde und wie viel man dafür opfern würde, wie oft man die Zeitreise erneut antreten würde, um selbst gemachte Fehler zu bereinigen und dem eigentlichen Ziel näher zu kommen. Und das in einer Zeit, in der liberale Einstellungen noch fremd sind. So nutzt King den Zeitsprung, um auch dem Rassismus der damaligen Zeit den Spiegel vorzuhalten. Und dann ist da noch die über allem stehende Frage: Was, wenn die Ereignisse, so schrecklich sie in der Vergangenheit auch waren, so sein mussten, damit nicht andere (vielleicht noch schrecklichere) Dinge an deren Stelle treten? Und seien es „nur“ individuelle Schicksale und nicht weltverändernde.

Geschickt spielt die Serie ebenso wie Kings Vorlage mit den vielen Gedankengängen und fügt noch die Möglichkeit hinzu, dass vielleicht gerade Jakes Besuch zu dem geführt hat, was in der Gegenwart Fakt ist. 11.22.63 integriert auch die typischen Figuren, die man aus dem king’schen Universum kennt. So ist Jakes erste Begegnung mit einem Menschen der Vergangenheit eine dieser typischen Figuren, die der Autor stets in seine Bücher integriert. Der Mann mit dem Penner-Outfit und der gelben Spielkarte am Hutband, der Jake immer wieder sagt, dass er „hier nichts zu suchen habe“, ist so ein Charakter. Denn je länger die Geschichte fortläuft, desto mehr mischen sich fantastische Elemente hinzu. Die Tatsache beispielsweise, dass die Vergangenheit sich nicht zu ändern gedenkt, ohne sich zu wehren, sorgt immer wieder für überraschende und heftige Momente. Da macht es auch nichts, dass die zweite Episode nach dem großartigen 80-minütigen Auftakt ein wenig verflacht. Allerdings hält sie ein eindrückliches Gespräch zwischen Jake und Vermieter Arliss bereit, das auch zeigt, wie sehr 11.22.63 davon profitiert, dass immer mehr hochkarätige Schauspieler sich für (Kurz)Serien engagieren lassen. Denn Michael O’Neill (den man als Attentäter aus Grey’s Anatomy kennt) ist verdienter Nebendarsteller in Hollywood und beeindruckt schon in dieser einen Episode. James Franco, der gerade noch in True Story bewies, dass er zu den besten Akteuren seiner Generation gehört (und sich deshalb auch mal albernen Nonsens mit seinem Kumpel Seth Rogen erlauben darf), ist als Jake perfekt besetzt. Man nimmt ihm die anfängliche Unsicherheit ob seines Vorhabens genauso ab, wie die zunehmende Entschlossenheit im Verlaufe der Geschichte.

Herausragend gut ist Chris Cooper (der interessanterweise Norman Osborne in The Amazing Spider-Man 2: Rise of Electro spielte – immerhin der Vater der Figur, mit der James Franco im Vorläufer-Franchise bekannt wurde). Cooper lässt als Al Templeton keinen Zweifel daran, dass seine Idee, den Mord an Kennedy zu verhindern aus tiefstem Herzen kommt. Hinzu gesellen sich Josh Duhamel (Transformers) als Harrys Vater Frank, Gil Bellows (Ally McBeal) als FBI-Agent oder T.R. Knight (George aus Grey’s Anatomy) als psychopathischer Johnny Clayton. Abgesehen von der spannenden Story und den guten Darstellern kann 11.22.63 noch mit einem weiteren Aspekt punkten: Die stimmungsvolle 70er-Jahre-Atmosphäre wird durch eine herausragende Ausstattung gewährleistet, die sich nicht nur auf einen einzigen Straßenzug und fünf Autos beschränkt, sondern ganze Städte und Infrastrukturen zeitgenössisch umsetzt – klasse. Zwar wirkt das von der Stimmung her etwas wie die guten alten Studiofilme Hollywoods, das macht aber nichts, sondern hat sogar ein gewisses nostalgisches Flair. Manko der Serie ist sicherlich die zeitweise zu starke Konzentration auf die Liebesgeschichte zwischen Sadie und Jake sowie die im Roman überhaupt nicht vorkommende Figur des Bill. Zwar sorgt der für ein Mehr an Dynamik und auch für einen interessanten Gedanken (Episode 6), dennoch wirkt vor allem Jakes Schulterschluss mit ihm unglaubwürdig und wenig nachvollziehbar. Schade ist auch, dass die Serie nicht, wie es das Buch tut, in der Zeit noch einmal vorwärts springt, nachdem Jake dafür gesorgt hat, dass Harrys Familie nicht ermordet wird. Die sorgsam aufgebaute Spannung entlädt sich hier relativ brutal, wird dann aber komplett fallen gelassen.

Bild- und Tonqualität

Technisch gibt’s erst einmal Tadel für Anbieter Warner, denn die Angaben auf dem Cover von 11.22.63 stimmen gleich in zweifacher Hinsicht nicht. Zum einen hält man für den deutschen Ton (leider) keine 5.1-Variante, sondern nur einen mageren Dolby-Digital-Stereoton bereit. Zum anderen sieht man schon vom ersten Moment an, dass das Bildformat sehr ungewöhnlich ist. Es liegt nicht in 1,78:1 vor, wie auf dem Umschlag angegeben, sondern in 2,00:1 – ein tatsächlich ungewohntes Zwitterformat zwischen 16:9 und 21:9. Die Bildqualität selbst variiert teilweise sehr stark. Manche Naheinstellungen wie das Gesprächen zwischen Jake und Arliss Price sind von hoher Schärfe, gutem Kontrastumfang und wirken sehr ruhig. Wenn Jake allerdings in dem rot ausgeleuchteten Maschinenraum ist (erste Episode), kann man vor lauter Grieseln kaum noch etwas erkennen. Auch Farbrauschen auf Jackets zeigt sich immer wieder und die unteren Randbereiche sind bisweilen ziemlich unscharf. Die teils starke Grüneinfärbung auf dunklen Elementen ist ebenfalls nicht sonderlich hübsch.
Beim deutschen Ton muss der hiesige Zuschauer (wie oben erwähnt) leider Abstriche machen: Während das Original von 11.22.63 mit 5.1-Sound in dts-HD-Master punktet, gibt’s für uns nur einen unzeitgemäßen 2.0-Stereoton in Dolby Digital. Das ist umso ärgerlicher, da die Originalfassung bisweilen äußerst räumlich und dynamisch wird – so zum Beispiel als Jake in Folge sechs erwacht, nachdem man ihn halbtot geprügelt hat. Warum man der hiesigen Fassung hier nicht mal einen Mehrkanalton spendiert hat, kann nur etwas mit Kosteneinsparung zu tun haben.

Bonusmaterial

Im 15-minütigen Featurette „Wenn die Zukunft zurückschlägt“ wird mit Archivaufnahmen ein wenig aufgearbeitet, was damals geschah. Zusätzlich gibt King zu Protokoll, dass es für ihn als Schriftsteller vor allem interessant ist, zu erzählen, was sich sonst noch verändert, wenn man die Vergangenheit beeinflusst – nicht so sehr, ob es wirklich Oswald war oder nicht.

Fazit

11.22.63 beginnt stark, verzettelt sich dann aber bisweilen etwas in Nebenplots und weniger wichtigen Ereignissen. Die letzten drei Episoden entwickeln dann jedoch wieder die ursprüngliche Stärke der ersten Folge und machen die Serie zu einem ziemlich außergewöhnlichen Ereignis.
Timo Wolters


Bewertung

Bildqualität: 65%
Tonqualität (dt. Fassung): 60%
Tonqualität (Originalversion): 70%
Bonusmaterial: 40%
Serie: 75%

Anbieter: Warner Home
Land/Jahr: USA 2015
Regie: Kevin Macdonald, Fred Toye, James Kent, James Strong
Darsteller: James Franco, George MacKay, Leon Rippy, T.R. Knight, Josh Duhamel, Chris Cooper, Sarah Gadon, Lucy Fry, Daniel Webber
Tonformate: dts HD-Master 5.1: en // DD 2.0: de
Bildformat: 2,20:1
Laufzeit: 440
Codec: AVC
FSK: 16

Trailer zu 11.22.63

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