Blu-ray Review
OT: –
Geschlossener Zyklus
In Hans Weingartners Roadmovie überleben die Bizarrsten.
Inhalt
Jule ist gerade mit Pauken und Trompeten durch ihre Prüfung gefallen. Warum aber schlägt sie den Dozenten auch vor, dass sie später – als Biologin – einfach die Suchmaschine befragt, wenn ihr mal wieder eine Säure nicht einfällt.
Jan hat man gerade mitgeteilt, dass er sein Stipendium nicht erhalten wird, weil seine Abschlussarbeit dem Institut zu „radikal“ war.
Während Jule den Sommer daraufhin bei ihrem Freund in Portugal verbringen will (auch um ihm etwas Wichtiges mitzuteilen), möchte Jan nach Spanien, um dort zum ersten Mal seinen Vater zu sehen. Auf einer Raststätte treffen die Zwei aufeinander und Jule nimmt Jan in ihrem Wohnmobil mit. Eigentlich nur bis Köln. Und nach einem Streit setzt sie ihn sogar früher ab. Doch per Zufall kommen sie doch noch mal zusammen. Denn nachdem Jan Jule vor einem zudringlichen Typen rettet, ist das der Anfang einer langen gemeinsamen Fahrt voller Wahrheiten – mal schmerzhaft, mal zärtlich, aber immer lehrreich …
Was wäre wenn?
Was wäre, wenn ein deutsches Roadmovie, das sich mit dem Thema Liebe, Beziehung, Bindungsangst und Freiheitswillen beschäftigt, so richtig frei wäre von bedeutungsschwangerer Schwere und pseudophilosophischem Geschwurbel? Wenn man, anstatt sich über jeden Satz aufgrund seiner völligen Realitätsferne zu ärgern, jedes gesprochene Wort als wahrhaftig und authentisch empfinden würde?
Geht nicht? Stimmt. Also bisher zumindest – und das meistens. Doch dann kam Hans Weingartner (Die fetten Jahre sind vorbei), schnappte sich zwei natürliche Jungdarsteller, ein kultiges Wohnmobil und beweist praktisch von der ersten Sekunde an: Es geht auch anders.
Sein 303 (der Titel bezieht sich eben auf jenes WoMo vom Typ Mercedes-Hymer-303) läuft erstaunliche 144 Minuten – nicht eben wenig. Doch was fast noch überraschender ist als die Tatsache, dass er gängige Vorurteile schlicht nicht bedient, ist die Kurzweiligkeit, die in den fast zweieinhalb Stunden entsteht.
Weingartner begleitet seine beiden Figuren auf Schritt und Tritt. Quasi-Dokumentarisch sind seine Bilder, die er mal in ruhigen, mal in etwas dynamischeren Einstellungen einfängt. Er beobachtet das Spiel von Mala Emde (Wir töten Stella) und Anton Spieker (Von jetzt an kein Zurück), deren Dialoge zu keiner Zeit auswendig gelernt erscheinen (zumal es Jule mit dem Auswendiglernen ja eh nicht so hat). Vielmehr hat man stets das Gefühl, mittendrin zu sein. Mitten in wahrhaftigen und (scheinbar improvisierten) Gesprächen
Zugegeben: Für diese Gespräche, die den Film ausmachen, ja dominieren, braucht man Aufmerksamkeit und den Willen, den Argumentationsketten der beiden Charaktere zu folgen. Denn gesprochen wird viel und geschehen tut oft gar nicht so viel. Aber wenn zwei so junge Menschen über die großen Prinzipien hinter der Funktionsweise von menschlicher Gesellschaft philosophieren, sind die Ansichten vielleicht ein bisschen 90er (wie Jule selbst entwaffnend sagt), doch die unpolitischen 2020er Jahre haben durchaus etwas Diskurs verdient. Und so darf man sich auch mal wieder mit Kapitalismus, Kommunismus und Darwinismus auseinandersetzen. In 303 sind das natürlich Stellvertreter-Diskussionen. Stellvertretend für die (in einigen Ansichten) diametral auseinander gehenden Ansichten von Jule und Jan. Die Eine eine idealistische Optimistin, die das Heil aller Weltprobleme in der Kooperation sieht, der Andere eher ein pragmatischer Pessimist, der in den Menschen vor allem den Konkurrenzkampf ausmacht. Doch allmählich merken die Beiden, dass sie sich in ihren Differenzen ziemlich befruchten und merken, wie anziehend Gegensätze sein können.
Begleitet von wunderschöner und passend ausgewählter Filmmusik sowie den großartigen Landschaftsaufnahmen werden selbst die schweren Themen locker und vor allem echt abgehandelt. Und das wiederum liegt dann auch an den beiden Darstellern. Wenn sich Jule und Jan zoffen; wenn sie sich mal einig sind oder mit sarkastischen Kommentaren („… kann ich losfahren oder soll ich noch …“) gegenseitig necken – Mala Emde und Anton Spieker bewegen sich zielsicher abseits aller Klischees. Und wenn sie (natürlich heimlich) am Tshirt des Anderen schnüffeln, hat man tatsächlich das Gefühl, ihre Figuren zu kennen. Oder aber sich in ihnen wieder zu finden. Und ein größeres Kompliment könnte man einem Film und seinen Darstellern kaum machen.
Bild- und Tonqualität
Das Bild von 303 ist vor allem eins: Hell. Sehr hell. Dazu sind Farben bewusst ein wenig reduziert, was auch durch die Töne der Kleidung unterstützt wird, die von den beiden getragen wird. Die Schärfe ist auf einem guten, aber nicht herausragenden Niveau. Während sie zwar konstant bleibt, könnte sie Details besser herausarbeiten und das Geschehen etwas plastischer wirken lassen. Dazu sind die Einstellungen in guter Ausleuchtung etwas – bei dunkleren Szenen dann doch stärker verrauscht. Das liegt allerdings vornehmlich daran, dass bei verfügbarem Licht gedreht wurde und die ISO der verwendeten Kameras entsprechend hochgeht (26’40).
Akustisch setzt die dts-HD-Master-Spur vor allem auf die gut verständlichen Dialoge. Mit sattem Timbre wird Jans Stimme wiedergegeben und auch Jules Organ ist sehr gut verständlich. Umgebungsgeräusche gelangen recht authentisch und sogar etwas räumlich zum Ohr. So wird ein Waldspaziergang zu einem durchaus immersiven Erlebnis (40’00).
Bonusmaterial
Im Bonusmaterial von 303 gibt’s gut 13 Minuten an Outtakes, fast eine halbe Stunde an entfernten Szenen sowie ein ebenfalls 13 Minuten andauerndes Behind the Scenes und Interviews mit den beiden Hauptdarstellern.
Das Behind the Scenes gibt zum Teil charmante Einblicke in die (beengten) Dreharbeiten im Hymer WoMo.
Fazit
Wenn zweieinhalb Stunden auf gefühlt 60 Minuten zusammen schmelzen. Selten genug, dass man einen derart dialoglastigen Film als so kurzweilige empfinden kann. Noch seltener, wenn einen die Figuren so sehr berühren und mitnehmen, dass man sie nach dem Abspann fast schon vermisst.
An alle Mittzwanziger da draußen: Schnappt euch einen Hymer 303, setzt euch ans Steuer und seht, wohin die Reise geht …
Timo Wolters
Bewertung
Bildqualität: 65%
Tonqualität (dt. Fassung): 70%
Bonusmaterial: 60%
Film: 90%
Anbieter: Alamode Film
Land/Jahr: Deutschland 2018
Regie: Hans Weingartner
Darsteller: Mala Emde, Anton Spieker, Arndt Schwering-Sohnrey, Thomas Schmuckert, Jörg Bundschuh, Steven Lange
Tonformate: dts HD-Master 5.1: de, en
Bildformat: 2,35:1
Laufzeit: 144
Codec: AVC
FSK: 12
(Copyright der Cover und Szenenbilder liegt bei Anbieter Alamode Film)