Blu-ray Review
OT: ’71
Falls Road
Im Politthriller von Yann Demange gerät ein junger Soldat zwischen alle Fronten des Nordirlandkonflikts.
Inhalt
Großbritannien 1971: Der jnge Rekrut Gary Hook hat gerade die Ausbildung zum Soldaten abgeschlossen, als man ihn gemeinsam mit weiteren Kollegen nach Belfast schickt. Dort landet er mitten im gerade eskalierenden Konflikt zwischen Protestanten und Katholiken, der die Stadt praktisch in zwei Hälften teilt. Dass die Sache ernst ist, merkt Gary schon am nächsten Tag, als er mit seinen Kameraden eine Razzia der nordirischen Polizei flankieren soll. Währenddessen schaukelt sich die Gewalt hoch und inmitten des Chaos entwendet ein Junge ein Sturmgewehr der Soldaten. Beim Versuch, die Waffe wiederzubesorgen, eskaliert die Situation vollends. Garys Kollege wird von zwei radikalen Katholiken auf offener Straße erschossen und Gary selbst kann nur mit Mühe und Not vor den Tätern fliehen. Im Laufe der Nacht wird er von einer ausweglosen Situation in die nächste geraten – unabhängig von vermeintlichen Freunden oder Feinden …
Der Nordirland-Konflikt beherrschte knapp 30 Jahre das Leben der beiden unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen im Norden Irlands. Die weitgehend katholische und usprüngliche Landbevölkerung stand der protestantischen Gruppe schottischer und englischer Herkunft gegenüber. Zwar unterschied man (und tut das auch heute noch gerne) vornehmlich aufgrund der Geisteshaltung beide Konfltikparteien, doch der Glaube war und ist letztlich nur ein peripherer Teil der Differenz zwischen den Konfliktparteien. Vielmehr waren es soziale, politische und wirtschaftliche Aspekte, die den Hass auf beiden Seiten schürten – und zwar soweit schürten, dass es ab 1971 in offene Gewalt eskalierte, der bis heute mehr als 3.500 Menschen zum Opfer fielen. Regisseur Yann Demange, der zuvor mit der grandiosen Zombieserie Dead Set aufgefallen war, wirft den Zuschauer nach einer kurzen Ausbildungssequenz und einem schon sehr bewegenden zwischenmenschlichem Moment mitten hinein in den Bürgerkrieg, den zwar niemand so nennen wollte, der faktisch aber alle Anzeichen eines solchen hatte. Wir folgen in ’71 – Hinter feindlichen Linien dem jungen britischen Soldaten Gary, dessen erster Einsatz bereits offenbart, dass das hier keine Übung ist. Dem Zuschauer, der noch die TV-Bilder aus der Zeit kennt, wird es eiskalt über den Rücken laufen, denn schon die erste Razzia, der erste offene Schlagabtausch ist derart intensiv gefilmt, dass einem der Atem stockt. Demange macht keine Gefangenen und beschreibt die Gewalt vollkommen schonungslos und ohne sich auf eine Positionierung einzulassen. Eins ist in ’71 deshalb von Beginn an klar: Hier geht’s nicht darum eine der Gruppen zu glorifizieren, sondern darum, dass keiner in diesem Konflikt ohne Schuld war. Dass er den bisher eher ziellosen und unbedarften Hook als Hauptfigur erklärt, ist dann auch der einzige Anker für den Zuschauer. Denn während der Betrachter sich angesichts des Konflikts aus heutiger Sicht schockiert die Augen reibt, bleibt nur die Identifikation mit Gary, der selbst nicht weiß, wie er sich in diesen Verhältnissen zurechtfinden soll. Wenn dann der erste tödliche Schuss auf einen britischen Soldaten abgegeben wird und die Gewalt in der Folge eine neue Stufe erreicht, hält Demange die Kamera drauf und ist im Anschluss hautnahe mit der Kamera dabei, wenn die jungen IRA-Mitglieder Jagd auf Gary machen.
Dabei ist man als Zuseher bald selbst genauso atemlos wie der Verfolgte und freut sich beinahe über die „Entspannung“, die diesen Szenen folgt. Allerdings nicht lange, denn schon die Explosion des Pubs hält weitere, äußerst intensive Bilder bereit. Es mag sein, dass der gesamte Film nur über den begrenzten Schauplatz einiger Straßenzüge verfügt, doch dieses reduzierte Setting nutzt Demange dermaßen effektiv, dass man glaubt, man wäre mittendrin. ’71 – Hinter feindlichen Linien erschafft dabei eine absolut authentische Atmosphäre. Die Straßenzüge mit verbrannten Autokarossen und abgeblätterten Häuserfassen wirken, als wohne man einem Dokumentarfilm bei und die exquisite Ausstattung in Sachen Kleidung tut ihr Übriges zum Gelingen bei. Wer ein Höchstmaß an Authentizität erreichen möchte, der wählt den grandiosen Originalton, der die irisch-britischen Dialekte zelebriert. Neben der äußerst spannenden Inszenierung und der tollen Austattung sind es natürlich auch die Darsteller, die einen bleibenden Eindruck hinterlassen: Jack O‘ Connell, der zuletzt in Angelina Jolies Unbroken überzeugte und in Harry Brown sowie in Mauern der Gewalt grandiose Darbietungen ablieferte, ist auch in der Rolle des Gary Hook idealbesetzt. Man leidet und fühlt mit ihm, wenn er von einer krassen Situation in die nächste gerät. Auf der Seite der Bad Guys überzeugt Sean Harris als Captain Sandy Browning, der seine Befehlsgewalt missbraucht, um eigene politische Interessen mit Gewalt durchzusetzen. Harris charakterstarkes Äußeres hatte zuletzt schon in (Erlöse uns von dem Bösen) für Gänsehautmomente gesorgt und hier passen seine schroffen Gesichtszüge perfekt zum dominanten Auftreten. Neben den Beiden sind sämtliche Figuren bis in die kleinste (oder jüngste) Nebenrolle perfekt besetzt und wenn das Ende dann mit bitterem Beigeschmack über die Leinwand geflimmert ist, wirken die Bilder noch lange nach.
Bild- und Tonqualität
Erdig-braun, schmuddelig und grobkörnig mit schwach ausgeprägtem Kontrast – das ist das Bild von ’71 – Hinter feindlichen Linien. Damit passt es perfekt zum Thema und zur Zeit, in der ’71 spielt. Die Randunschärfen (vornehmlich im oberen Bereich) passen allerdings nicht so Recht und stören bisweilen.
Absolut auf der Höhe der heutigen Zeit ist der Sound von ’71 – Hinter den Feindlichen Linien, der den Aufstand während der Razzia praktisch ins Heimkino verlegt und die Schusswechsel sowie die Explosion des Pubs mit unglaublichem Druck zum Sofa pustet. Noch besser, fast gespenstisch ist es kurz nach der Detonation, wenn der Zuschauer ebenso das dumpfe Rauschen zu hören bekommt, das auf Garys Ohren einwirkt.
Bonusmaterial
Neben sechs Interviews mit dem Regisseur und den Darstellern gibt’s im Bonusmaterial von ’71 – Hinter feindlichen Linien eine viertelstündige und unkommentierte B’Roll, die ausnahmsweise wirklich hautnah dabei ist, wenn sich die Filmbeteiligten auch schon mal vor einem Take diskutierend etwas in die Wolle kriegen.
Fazit
’71 – Hinter feindlichen Linien ist ein herausragend gespielter, äußerst intensiver und brutal spannender Politthriller, der ganz nebenbei ein dunkles Kapitel der Irisch-Britischen-Geschichte aufwühlt. Ein Kapitel, dessen Auswirkungen auch heute noch zu spüren sind und das zeigt, wie schnell sich die eigene Gesellschaft aufgrund verbohrter Ideologien an die Köpfe kriegt – zu Recht auf der Berlinale 2014 in der Kategorie „Best First Feature Award“ für den Goldenen Bären nominiert
Timo Wolters
Bewertung
Bildqualität: 60%
Tonqualität (dt. Fassung): 75%
Tonqualität (Originalversion): 80%
Bonusmaterial: 30%
Film: 90%
Anbieter: Ascot Elite
Land/Jahr: GB 2014
Regie: Yann Demange
Darsteller: Jack O’Connell, Sean Harris, Paul Anderson, Sam Hazeldin, Charlie Murphy
Tonformate: dts HD-Master 5.1: de, en
Bildformat: 2,35:1
Laufzeit: 100
Codec: AVC
FSK: 16