Abgeschnitten

Blu-ray Review

abgeschnitten blu-ray review cover
Warner Home Video, 29.05.2019

OT: –

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Schnitzeljagd

Höchst spannende Adaption eines Fitzek-Thrillers.

Inhalt

Paul Herzfeld kommt direkt aus einem eher unangenehmen Gerichtsverhandlung, als der Rechtsmediziner eine übel deformierte Leiche auf den Seziertisch begutachten muss. Bei der näheren Untersuchung findet er einen Fremdkörper in deren Schädel. Eine Kapsel mit einem kleinen Zettel. Auf dem steht die Telefonnummer seiner Tochter Hannah. Die hatte er zuletzt vor einigen Tagen gesehen, bevor sie spurlos verschwand. Als er die Nummer wählt, nimmt am anderen Ende eine junge Frau namens Linda ab. Die steht auf Helgoland neben dem Toten, der das Handy bei sich hatte: Erik. Herzfeld vermutet, das an oder in Erik weitere Hinweise auf den Verbleib seiner Tochter zu finden sind. Doch weil die Hochseeinsel derzeit von einem Orkan heimgesucht wird, kann er nicht anreisen. Der einzige Ausweg: Linda muss für ihn die Leiche Eriks obduzieren …

Thriller-Autor Sebastian Fitzek und Rechtsmediziner/Autor Michael Tsokos haben sich 2012 zusammengetan, um ihren ersten gemeinsamen Roman zu verfassen. In Abgeschnitten übernahm Fitzek den Thrill und das Story-Konstrukt, während Tsokos für die gerichtsmedizinischen Details verantwortlich war. Sechs Jahre nach dem Roman hat sich Christian Alvart diese Geschichte nun vorgeknöpft und daraus einen prominent besetzten Genrefilm gemacht. Für deutsche Produktionsverhältnisse garniert er den Film nicht nur mit sukzessive ansteigender Spannung, sondern vor allem mit ungewohnt offensiven Bildern von Leichen-Obduktionen. Da die Masken recht gelungen sind, hat das auch eine etwas andere und durchaus mangenunfreundlichere Komponente als bspw. eine Folge Bones. Abgesehen davon funktioniert die Adaption ebenso wie die Vorlage durch ihre strukturelle Zweiteilung. Während die junge Linda auf der Insel mit dem Witzbold Ender die Obuktion und Ermittlung übernimmt, folgen wir Herzfeld dauerhaft im Auto fahrend und die Situation per Telefon kontrollierend. Atmosphärisch wirkt Abgeschnitten deshalb wie eine Mischung aus No Turning Back und The Autopsy of Jane Doe, macht daraus aber etwas ganz Eigenes.

So lebt der Film vor allem von der Dynamik zwischen dem in Angst um seine Tochter lebenden Professor und der rebellischen Linda, die als Vegetarierin so ziemlich gar nichts damit zu tun hat, an Leichen rum zu schnippeln. Jeder Schritt, den sie weiter gehen muss als ihr lieb ist, sorgt für eine gewisse Komik zwischen den beiden. Er verlangt etwas, sie lehnt ab – tut es aber dennoch. Jasna Fritzi Bauer nimmt dabei die Position des Zuschauers ein, der sich (so er nicht selbst mit Medizin zu tun hat) mit ihr (und vor allem mit Ender Müller) gemeinsam ekelt.
Ekel ist ein gutes Stichwort. Denn was für den einen Zuseher mehr und mehr faszinieren wird, wird den anderen vermutlich abstoßen. Vielleicht setzt Alvart ein wenig zu sehr auf diesen Faktor. Vielleicht macht er es sich mit seinem Bildern von durch Fleisch schneidenden Skalpells etwas zu leicht. Doch die Bilder offener Leichen sind nicht das, was wirklich für Terror sorgt. Vielmehr gelingen Alvart für hiesige Verhältnisse extrem eindrückliche Szenen, in denen der Entführer Hannah übel zusetzt. Zwar spart Abgeschnitten glücklicherweise die allzu drastischen Szenen aus, doch das von Flackerlicht dominierte Szenario in irgendeinem Keller nimmt beinahe SAW-artige Züge an und vermittelt äußerst packend, was Hannah durchleben muss.

Bleibtreu als Professor mag die sichere Wahl fürs Kinopublikum gewesen sein. Wirklich treffend besetzt sind indes aber Jasna Fritzi Bauer, Lars Eidinger und tatsächlich auch Fahri Yardim. Gerade Letzterer ist nicht für den Film bewusst auf Zotengeber getrimmt worden, sondern übernimmt diese Rolle auch in der Buchvorlage. Linda wird von Bauer mit der ganzen Schnoddrigkeit und gleichzeitig schroffen Ängstlichkeit einer jungen Frau gegeben, die ihrerseits mit einem dramatischen persönlichen Ereignis zu kämpfen hat und deshalb auf der Flucht ist. Lars Eidinger wiederum schafft es, von einem Film auf den nächsten eine 180°-Charakterwandlung zu absolvieren. War er in 25 km/h der erfolgreiche Geschäftsmann, der mit Witz und Abenteuerlust einen Roadtrip mit seinem Bruder machte, ist er hier der schmierige Triebtäter mit Seitenscheitel und geiferndem Speichelfluss. Erinnerungen an Russlands berühmtesten Serientäter werden offenbar, wenn man ihn in einem Glaskasten vor Gericht seiner (zu milden) Strafe entgegen sieht. Dass Abgeschnitten mit 130 Minuten ziemlich lang geraten ist, merkt man indes überhaupt nicht. Das Tempo und die Dynamik zwischen den beiden Erzählebenen ist konstant hoch, die Spannungsschraube wird kontinuierlich angezogen und bietet eine Atmosphäre auf internationalem Thriller-Niveau. Da hätte es das etwas gehetzte Ende mit den plötzlichen Wendungen und das  aufgesetzt wirkende Finale gar nicht gebraucht – zumal dieses dann erstmalig deutlich vom Buch abweicht.

Bild- und Tonqualität

Das Bild von Abgeschnitten ist grundsätzlich sehr ruhig und glatt. Selbst in den dunkleren Szenen gesellt sich keinerlei Rauschen hinzu. Die Close-ups sind von unglaublich guter Schärfe und offenbaren jedes einzelne Barthaar in Bleibtreus Gesicht. Manchmal gesellen sich Randunschärfen hinzu, die zu Beginn aber auch als Stilelement eingesetzt werden (05’08). Später indes nicht mehr – und dann ist es leider das einzige Manko eines ansonsten makellosen Bildes. (22’04)
Der Look ist bisweilen eher kühl-klinisch gehalten, was gut zum Thema des Films passt und möglichst weit entfernt ist vom Sepia-Look der bekannten deutschen Komödien. Famos ist der Kontrastumfang in den Szenen in der Berliner Gerichtsmedizin. Schwarz ist absolut satt und die blauen Kittel stechen brillant hervor.
Extrem räumlich und effektvoll beginnt Abgeschnitten, der seinen verlustfreien dts-HD-Mastersound hervorragend einzusetzen weiß. Die windigen Szenen zu Beginn bringen das Unwetter auf der Insel tosend zum Zuschauer. Es fröstelt einen regelrecht, wenn man die Wellen an die Felsen der Hochseeinsel schlagen. Aber auch der perfekt ausgewählte Score bietet akustische Finesse. Die glockenartigen Geräusche nach 36 Minuten scheinen fast schwerelos im Raum zu schweben. Dialoge sind stets präsent und deutlich – wenn man nicht gerade am anderen Ende der Leitung das Telefonat mithört.

Bonusmaterial

Im Bonusmaterial gibt es drei Featurettes. Das Erste beschäftigt sich mit den „Leichen am Set“, zeigt ein wenig die Arbeit an den Silikonpuppen und die durchaus vorhandenen Ekelreaktionen der Darsteller. Hinter den Kulissen zeigt dann auch mal die Arbeit an den Locations und in „Vom Buch zum Film“ kommt auch Fitzek zu Wort. Leider beschränken sich alle drei Featurettes auf gerade mal jeweils drei Minuten.

Fazit

Abgeschnitten beginnt immens stark und hält das Niveau über 100 Minuten scheinbar mühelos. Mit herausragender Spannungskurve, drastischen Masken-Effekten und hervorragenden Darstellern packt Regisseur Alvart den Zuschauer. Schade, dass er am Ende allzu plakativ und bemüht wird und die detailtreue Adaption der Romanvorlage verlässt.
Timo Wolters


Bewertung

Bildqualität: 85%
Tonqualität (dt. Fassung): 80%
Bonusmaterial: 40%
Film: 75%

Anbieter: Warner Home Video
Land/Jahr: Deutschland 2018
Regie: Christian Alvart
Darsteller: Moritz Bleibtreu, Jasna Fritzi Bauer, Lars Eidinger, Fahri Yardim, Enno Hesse, Christian Kuchenbuch, Urs Jucker
Tonformate: dts HD-Master 5.1: de
Bildformat: 2,35:1
Laufzeit: 131
Codec: AVC
FSK: 16

(Copyright der Cover und Szenenbilder liegt bei Anbieter Warner Home Video)

Trailer zu Abgeschnitten

ABGESCHNITTEN - Trailer #2 Deutsch HD German (2018)

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2 Kommentare
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Patrick Bach

Ich muss hier leider widersprechen. 😀 Zitat: „Manchmal gesellen sich Randunschärfen hinzu, die zu Beginn aber auch als Stilelement eingesetzt werden (05’08). Später indes nicht mehr – und dann ist es leider das einzige Manko eines ansonsten makellosen Bildes. (22’04)“ Später nicht mehr?! Den ganzen Film über nervt dieses penetrante Stilmittel… ich habe das allerdings auch über einen 4K-Upscale geschaut, evtl. sieht man das dann eher. Auch ist der Schwarzwert eher Richtung grünlich verschoben. Sehr schade! Generell ist das Bild auch sehr weich… vom Inhalt des Filmes stimme ich Dir aber zu! 🙂 Dennoch tolle Schauspieler.

Rüdiger Petersen

Das liest sich doch ganz anständig. Da ich den Film im Kino nicht gesehen habe freue ich mich nun auf die Heimkinoauswertung. Moritz Bleibtreu liefert eigentlich immer gut ab. Auch die Geschichte hört sich wirklich gut an . Auch den Trailer zum Film sieht gut aus.