Blu-ray Review

OT: Accused

Vor(schnelle) Urteile
Gesellschaftspolitisch brisanter, aber wichtiger Film.
Inhalt

So hatte sich Harri Bhavsar das mit den sozialen Netzwerken nicht vorgestellt, als er eines Abends auf der Couch seiner Eltern sitzt und die Freundesanfragen gleich dutzendfach eintrudeln. Er, der Sohn indischer Einwanderer nach England, hatte schon oft latenten Alltagsrassismus erlebt. Auf Wartebänken an der Bahn-Station setzen sich andere schon mal weg, sobald er sich niederlässt. Und sein Äußeres mit dunkler Hautfarbe und Bart lässt in vielen Menschen Vorurteile aufkeimen. Als er dann eines Morgens in die Bahn steigt, um Mutter und Vater auf dem Land zu besuchen, ist diese kaum losgefahren, als die Nachricht von einem Bombenanschlag auf die Londoner Central Station die Runde macht. Nur wenige Minuten zuvor war Harri dort noch durchgefahren. Wenige Minuten, die ihn von Leben und möglichem Tod trennten. Nun sitzt er da, auf dem Sofa, schaut mit einem Auge einen Gruselklassiker und mit dem anderen verfolgt er, wie sich in den sozialen Netzwerken die Wut über den Attentäter Luft verschafft. In Windeseile werden Informationen weitergereicht, Mutmaßungen kundgetan und Bilder einer Überwachungskamera, auf denen ein bärtiger südländischer Typ mit Baseballcap zu sehen ist, könnten vom Täter stammen. Dass Harri (und jeder andere Bartträger mit dunklen Haaren) diesem ähnlich sieht, fällt ihm zunächst nicht auf. Doch es kommt eins zum anderen und plötzlich fällt sein Name, wird ein Bild aus seinen Accounts gepostet. Plötzlich ist für das Internet klar: Harri war der Täter. Und der virtuelle Lynchmob zählt so schnell 1 und 1 zusammen, dass es völlig unerheblich ist, dass das Ergebnis 3 ist …

Regisseur Philip Barantini hatte bis 2020 vornehmlich Kurzfilme gedreht, hinterließ dann aber 2021 mit Yes, Chef (Original: Boiling Point) eine echte Duftmarke. Der Ex-Koch hatte den Film als Plansequenz entworfen und letztlich wurde die Story dreimal am Stück! gedreht, bis er zufrieden war. Eine 90-minütige One-Shot-Sequenz, die in der Enge einer Restaurantküche spielt – faszinierend. Nun knöpft sich Barantini in Accused – Tödliche Ähnlichkeit die sozialen Medien und deren Gefahren vor. Und das mit einem Thema, das brisanter kaum sein könnte. Der Film befasst sich in der ersten Hälfte intensiv mit Motiven wie der fragilen Natur der Identität, der Macht der sozialen Netzwerke und der sozialen Wahrnehmung. Er folgt ziemlich exakt den Mechanismen, die soziale Netzwerke heute ausmachen – hier speziell im Falle eines Verbrechens: Informationen über den Tathergang (egal, ob verifiziert oder nicht) verbreiten sich schneller als Ermittler “rührt am Tatort nichts an” sagen können. Wacklige Handyvideos mit kaum erkennbaren Vorgängen machen die Runde und der Schuldige ist in Nullkommanix ausgemacht. Mischen sich falsche Informationen unter diese wellenartige Flut von Mutmaßungen, interessiert das auch nach Korrektur niemanden. Das Internet ermittelt schneller als jeder Kriminalbeamte und ruckzuck kochen die Emotionen auf eine Temperatur hoch, die noch dem ärgsten Verfechter der Sachlichkeit schnell schmerzhafte Verbrühungen zufügen. Wo eigentlich Sachlichkeit die Oberhand haben sollte, werden Meinungen zu Mutmaßungen und Mutmaßungen zu “Fakten”. Die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit verzerrt sich mehr und mehr. Die Menschen, die sich in dieser Situation befinden, werden Opfer von Vorverurteilungen, die ihre Leben und ihren Ruf massiv schädigen können, noch bevor die Wahrheit ans Licht kommt. Accused – Tödliche Ähnlichkeit wirft wichtige Fragen auf, wie verantwortlich wir mit Informationen umgehen und wie leicht sich Menschen durch falsche Darstellungen in den sozialen Netzwerken beeinflussen lassen. Es zeigt die Macht und die Gefahren der sozialen Medien und der schnellen Urteilsbildung, die Menschen zu Tätern oder Opfern machen kann, bevor die Wahrheit vollständig geklärt ist.

Harri dabei zuzusehen, wie er vollkommen hilflos vor dem PC-Bildschirm all die falschen Anschuldigungen, den Hass, der sich auf ihm entlädt und die Morddrohungen liest; wie er im Anschluss über eine Suchmaschine überall seinen Namen findet und nicht im Ansatz weiß, was er tun oder wie er sich gegen diesen großen Shit-Haufen wehren soll, der sich gerade virtuell über ihn ergießt, ist schmerzhaft und emotional aufwühlend. Die innere Unruhe, seine Angst und Verzweiflung überträgt sich unmittelbar auf den Zuschauer. Nicht zuletzt, weil Chaneil Kular das sensationell nachvollziehbar spielt und Schnitt und Kamera packende Einstellungen für diese Szenen finden. Kompliment an den erst 26-jährigen Kameramann Matthew Lewis, der gerade 23 Jahre alt war, als mit Barantini auch den One-Take-Shoot zu Yes, Chef realisierte. Erschreckend ist auch, wie durchsichtig ein Mensch im Netz geworden ist, wenn nur genügend aufgebrachte Menschen nach Informationen zu seinen privaten Verhältnissen und seinem Wohnort suchen – selbst dann, wenn jemand wie Harri im Netz nicht mal komplett alles offen zur Schau trug. Die Tatsache, dass wir Harri an einem so einsamen und verlassenen Ort beobachten, während er zunächst noch ungläubig, dann erschreckt und schließlich panisch auf die Geschehnisse reagiert, lässt Accused auch atmosphärisch unglaublich dicht werden. Immer wieder werden Bilder eingestreut, die anonyme Internettrolle zeigen, welche ihre Meinungen und Drohungen ins Netz raunen – alles im Namen eines “make Great Britain great again”. Die aktuelle Relevanz des Themas muss man nicht näher erläutern, sie wirkt beängstigend und unglaublich real. Harri muss sich nicht nur gegen die äußeren Bedrohungen wehren, sondern auch gegen die Schatten seiner eigenen Herkunft und die Frage, wie viel Kontrolle er über sein eigenes Leben hat.

Während die kurze Laufzeit von Accused dem Film nur gut tut, weil er sich aufs Wesentliche konzentriert, ändert sich zur Hälfte die Stimmung und wandelt sich von einem intensiven sozialkritischen Drama zum waschechten Home-Invasion-Thriller. Diesen Wechsel muss man als Zuschauer mitgehen, denn er überspitzt die Thematik natürlich maximal. Regisseur Barantini zeigt, was eventuell möglich wäre, wenn die Emotionen mehr als üblich hochkochen und es nicht beim Internet-Maulhelden bleibt. Das ist dann zwar extrem spannend umgesetzt, weil das Szenario nach wie vor beängstigend eng ist, verlässt aber den beklemmenden Pfad der ersten Filmhälfte. Man könnte Accused auch noch ein weiteres Mal verfilmen und den zweiten Teil in einen Gesellschaftsthriller verwandeln, der die Behörden und deren Fallstricke integriert; der noch einmal tiefer in das Gefüge aus (Vor)Verurteilungen, Schuld und falsch verstandene Moral eintaucht. Und trotzdem: Wer bereit ist, den Wechsel zum Thriller mitzugehen, der wird hier spannende Unterhaltung erleben. Er muss aber auch über ein oder ein/zwei logische Ungereimtheiten hinwegsehen und darüber, dass der Film mit seinen Thrillerelementen im zweiten Teil etwas fahrlässig umgeht. Dennoch verfehlt er seine Wirkung nicht. Und wer bisher dachte, dass ihm die relative Datenoffenheit im Netz nichts anhaben kann, der denkt nach diesem Film vielleicht doch noch ein zweites Mal nach.

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Bild- und Tonqualität

Accused wurde mit ARRI-Kameras digital gedreht, auch wenn schon von Beginn an ein leichtes Rauschen zu erkennen ist. Das gilt für die abgefilmten Aufnahmen vom Computer-Bildschirm genauso wie für Einstellungen aus Halbotalen und Totalen. Auf Hintergründen ist es entsprechend nie wirklich digital-glatt. Es wuselt beständig ein wenig, ohne hier aber bewusst schmuddelig gestimmte Kaliber wie The Holdovers zu erreichen. Das vorhandene Digitalrauschen wird vom Encoding zwar meist sehr fein eingefangen, was auch an einer hohen Durchschnittdatenrate liegt, die oft über 30 Mbps liegt. Allerdings gibt es rund um feine Details (Bäume und Äste bei 9’13) schon mal dezente Probleme in Bewegungen und der Encode kommt ein wenig aus dem Tritt. Wer die Blockartefakte bei 20’16 sieht, der darf durchatmen – die sind auf dem TV-Display in Harris Elternhaus. Die Schärfe liegt nicht auf dem allerhöchsten Niveau, kann während der Close-ups aber durchaus überzeugen. So sieht man im Gesicht von Harris Vater zahlreiche Details, Hautfältchen und Poren. Sobald das Geschehen ins Haus der Eltern wechselt, bleibt jedoch nur wenig Möglichkeit, Detailtiefe zu demonstrieren. Dort geht es dann eher um die Bilddynamik. Der Kontrastumfang ist allerdings nur okay und könnte in den vielen dunkleren Momenten dynamischer sein – speziell, wenn mit leichten Zoomobjektiven gearbeitet wurde (7’39). Während der halbdunklen Aufnahmen tendiert Schwarz zudem ein wenig ins Bräunliche und die Durchzeichnung ist nur noch mittelprächtig. Geschuldet ist das vermutlich der Tatsache, dass hier unter schwierigsten Beleuchtungsbedingungen gearbeitet wurde, um das Geschehen möglichst authentisch einzufangen. Allerdings bleibt auch in den düsteren Momenten die Bilddatenrate im hohen Bereich, was für eine gute Auflösung von Helligkeitsübergängen sorgt. Die Taschenlampen, die später zu sehen sind, weisen keine Bandingprobleme auf. Farblich bleibt das Geschehen auf meist erdige Töne reduziert, besonders herausstechende Farben gibt’s hier nicht zu sehen.
Der Ton von Accused – Tödliche Ähnlichkeit liegt für beide Sprachen in DTS-HD-Master mit 5.1-Spuren vor. Thematisch bedingt sollte man hier allerdings kein Actionfeuerwerk erwarten. Allerdings wurden die Dialoge sehr gut verständlich und in den entsprechend dramatischen Szenen auch dynamisch umgesetzt. Hierfür stehen die Anrufe bei der Polizei, während derer Harri emotional aus sich rausgeht. Schaut man sich die Räumlichkeit an, so greifen die Surroundspeaker zum ersten Mal rund um die Szenen am Bahnhof ins Geschehen ein. Atmosphärische Geräusche, die auf realistische Art und Weise verhallen, raunende Stimmfetzen und Zuggeräusche – hier wird es durchaus lebhaft. Setzt dann später immer mal wieder Filmmusik ein, wird auch diese dezent mit auf die Rears gemischt. Wenn Harri dann die sich überschlagenden Posts im Internet entdeckt, gesellt sich von den Rearspeakern ein mahlendes Geräusch hinzu, das eine unterschwellig-unangenehme Atmosphäre erzeugt. Ganz nett ist auch die Stereo-Räumlichkeit auf den Rears nach etwas über 35 Minuten, wenn das Telefon klingelt. Knapp vier Minuten später setzt es dann den bis dato räumlichsten Effekt, als eine Autoalarmanlage losgeht. Ansonsten herrscht durchaus auch viel Stille, was der Atmosphäre aber zuträglich ist.

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Bonusmaterial
Entgegen vieler kleinerer Filme, für die es auf Blu-ray keinerlei Bonusmaterial gibt, kommt Accused mit einem neunminütigen Featurette, das sehr nahe bei den Machern bleibt, die beiden Drehbuchautoren, den Regisseur und auch die Darsteller zu Wort kommen lässt. Wir dürfen einen Blick in die Maske werfen, hören von den Autoren, was sie zu der Story rund um die Gefahr der sozialen Netzwerke inspirierte und bekommen ein wenig Einblick in die Stuntarbeiten.
Fazit
Auch wenn in der zweiten Hälfte der zuvor eingeschlagene Pfad etwas verlassen wird, nicht mehr alle Entscheidungen logisch erscheinen und der Film konventioneller endet, als er angefangen hat – Accused legt den Finger tief in eine Wunde, die soziale Medien reißen können. Und wenn er eins schafft, dann, dass man sein eigenes Verhalten auf entsprechenden Plattformen eventuell mal grundlegend hinterfragt.
Timo Wolters
Bewertung
Bildqualität: 65%
Tonqualität BD (dt. Fassung): 75%
Tonqualität BD (Originalversion): 75%
Bonusmaterial: 30%
Film: 70%
Anbieter: Ascot Elite Home Entertainment
Land/Jahr: GB 2023
Regie: Philip Barantini
Darsteller: Chaneil Kular, Lauryn Ajufo, Nitin Ganatra, Frances Tomelty
Tonformate BD: dts-HD-Master 5.1: de, en
Untertitel: de
Bildformat: 2,00:1
Laufzeit: 88
Codec: AVC
FSK: 16
(Copyright der Cover und Szenenbilder liegt bei Anbieter Ascot Elite)
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So testet Blu-ray-rezensionen.net
Die Grundlage für die Bild- und Tonbewertung von Blu-rays und Ultra-HD-Blu-rays bildet sich aus der jahrelangen Expertise im Bereich von Rezensionen zu DVDs, Blu-rays und Ultra-HD-Blu-rays sowie Tests im Bereich der Hardware von Unterhaltungselektronik-Komponenten. Gut zehn Jahre lang beschäftigte ich mich professionell mit den technischen Aspekten von Heimkino-Projektoren, Blu-ray-Playern und TVs als Redakteur für die Magazine HEIMKINO, HIFI TEST TV VIDEO, PLAYER oder BLU-RAY-WELT. Während dieser Zeit partizipierte ich an Lehrgängen zum Thema professioneller Bildkalibrierung mit Color Facts und erlangte ein Zertifikat in ISF-Kalibrierung. Wer mehr über meinen Werdegang lesen möchte, kann dies hier tun —> Klick.
Die technische Expertise ist aber lediglich eine Seite der Medaille. Um stets auf der Basis von aktuellem technischem Wiedergabegerät zu bleiben, wird das Testequipment regelmäßig auf dem aktuellen Stand gehalten – sowohl in puncto Hardware (also der Neuanschaffung von TV-Displays, Playern oder ähnlichem, wenn es der technische Fortschritt verlangt) als auch in puncto Firmware-Updates. Dazu werden die Tests stets im komplett verdunkelbaren, dedizierten Heimkino angefertigt. Den Aufbau des Heimkinos könnt ihr hier nachlesen —> Klick.
Dort findet ihr auch das aktuelle Referenz-Gerät für die Bewertung der Tonqualität, das aus folgenden Geräten besteht:
- Mainspeaker: 2 x Canton Reference 5.2 DC
- Center: Canton Vento 858.2
- Surroundspeaker: 2 x Canton Vento 890.2 DC
- Subwoofer: 2 x Canton Sub 12 R
- Heights: 4 x Canton Plus X.3
- AV-Receiver: Denon AVR-X4500H
- AV-Receiver: Pioneer SC-LX59
- Mini-DSP 2x4HD Boxed
Das Referenz-Equipment fürs Bild findet ihr wiederum hier aufgelistet. Dort steht auch, wie die Bildgeräte auf Norm kalibriert wurden. Denn selbstverständlich finden die Bildbewertungen ausschließlich mit möglichst perfekt kalibriertem Gerät statt, um den Eindruck nicht durch falsche Farbtemperaturen, -intensitäten oder irrigerweise aktivierten Bild„verbesserern“ zu verfälschen.
Im neuen Fazemag war Accused als Tipp gelistet. Muss ich mir noch ansehen. Ich komme gerade aus When Evil Lurks im Kino. War gar nicht mal schlecht, die Filmperle aus Argentinien. Kommt demnächst von Indeed Film.