Alles steht Kopf 3D

Blu-ray Review

Alles steht Kopf 3D Blu-ray Review Cover
Disney©, seit 11.02.2106

OT: Inside Out

 


Kummer und Freude

Warum Pixar einfach immer noch das beste aller Animationsstudios ist, zeigt Alles steht Kopf eindrucksvoll.

Inhalt

Alles steht Kopf 3D Blu-ray Review Szene 9
Rileys Kindheit ist glücklich und geborgen … © 2015 Walt Disney Studios / Pixar

Riley hatte bisher eine wunderbare Kindheit bei ihren Eltern in Minnesota. Das ist vor allem deshalb so, weil Freude (neben Kummer, Angst, Zorn und Abscheu eins ihrer Hauptgefühle) bisher vorherrschte. Doch mit elf Jahren zieht die Kleinfamilie in ein wenig hübsches neues Heim im sonnigen San Francisco. Das ist Anlass genug dafür, dass die aktiven Emotionen in ihrem Geist ein bisschen durcheinandergeraten. Hatte bisher Freude das Kommando, herrscht nun nicht mehr nur Eitel Sonnenschein in Rileys Schaltzentrale. Besonders Kummer macht ihrem Namen seit Kurzem alle Ehre, hat sie doch schon ein paar der schönsten Erinnerungen angefasst und unrettbar in Trostlosigkeit verwandelt. Mehr und mehr von diesen positiven Speicherungen erleiden dieses Schicksal, bis Freude nach einem erneuten Erinnerungsunfall mitsamt Kummer im Langzeitgedächtnis landet. Dort will sie dafür sorgen, dass die schönen Kernerinnerungen wieder aktiv werden und Riley trotz neuer Umgebung und verwirrenden Gefühlen wieder Spaß am Leben bekommt. Währenddessen sind allerdings Angst, Abscheu und Zorn alleine in der Zentrale, was für zahlreiche Missstimmungen mit Rileys Umfeld sorgt. Schlimmer aber ist, dass die wichtigen Persönlichkeitsinseln des Mädchens langsam in sich zusammenbrechen. Also muss Freude mit der nicht gerade produktiven Kummer dafür sorgen, dass nicht alles vor die Hunde geht. Da kommt Rileys imaginärer Kindheitsfreund Bing Bong gerade richtig. Denn der weiß ziemlich gut Bescheid und kennt sich in Rileys Geist genauso gut aus wie in seinem erfundenen Zauberbeutel …

Alles steht Kopf 3D Blu-ray Review Szene 1
… sehr zur Freude von ….. ähm ….. Freude © 2015 Walt Disney Studios / Pixar

Zwischen 2006 und 2013 konnte man die Uhr danach stellen: Jedes Jahr gab’s einen neuen Animationsfilm aus dem Hause Pixar. Nach Die Monster Uni gönnte man sich dann allerdings mal ein Jahr Pause, um sich kreativ zu erden. Mit Alles steht Kopf gab es dafür dann nach drei Fortsetzungen in vier Filmen endlich mal wieder eine Originalgeschichte – und die gehört sicherlich zu den originellern ihrer Art. Nicht die menschlichen Figuren spielen hier die Hauptrolle, sondern die Gefühle eines jungen Mädchens, die in deren Kopf schon mal auf Konfrontationskurs gehen. Reduziert auf Freude, Angst, Zorn, Abscheu und Kummer werden weder die kleinsten Zuschauer über- noch die Eltern unterfordert, denn diese fünf Gefühle sind für jeden Betrachter nachvollziehbar. Noch mehr als in bisherigen Filmen bietet Alles steht Kopf dabei eine anschauliche Lehrstunde für die jungen Filmfans, denn schon in den ersten Minuten erklärt Freude auf verständliche Art und Weise, wie die Dinge im Kopf/Geist so funktionieren. Ähnlich der animierten Serie Es war einmal … der Mensch gibt es für komplizierte biochemische Vorgänge im Gehirn des Menschen gegenständliche Entsprechungen – ob das nun Erinnerungen, Wünsche oder Vorstellungen sind. Außerdem unternimmt der Film eine Reise durch die verschiedenen Bereich des menschlichen Geistes – vom Traumzentrum über das Langzeitgedächtnis bis hin zum Unterbewusstsein. Regisseur Pete Docter, der zuvor schon Monster AG und Oben! inszeniert hatte und für weitere Hits des Hauses die Drehbücher mitschrieb, ist aber nicht nur ein kleiner Lehrfilm für Kids gelungen, sondern ein fantasievoller, rührender, witziger und durchweg unterhaltsamer Animationsstreifen.

Alles steht Kopf 3D Blu-ray Review Szene 8
Und das, obwohl sie schon mal mit Angst oder Abscheu zu kämpfen hat © 2015 Walt Disney Studios / Pixar

Das Schöne an Alles steht Kopf ist, dass sich jeder mit den Gefühlen identifizieren kann, die der Film porträtiert. Und wer sich bei „Alarm, Gehirnfrost!“ nicht vor Lachen den Bauch hält, weil er genau dieses Gefühl kennt, hat vermutlich noch nie in seinem Leben Eis gegessen. Während für die Kids sicherlich die quietschbunten Szenen im Fantasieland Spaß machen, ist es für die erwachsenen Zuschauer vor allem das starke Zusammenspiel von Kummer und Freude. Gerade die traurige blaue Dame mit ihrer andauernden Niedergeschlagenheit sorgt für die großen Momente und dient als Gegenpol zur überdrehten Art der Freude. Außerdem ist sie der Anker während der etwas überdrehten Szenen in der Abstraktionshalle oder der Traumfabrik, in denen Docter der Film ein wenig zu entgleiten droht. Den kleinsten unter den Zuschauern hingegen dürfte der riesige Clown aus dem Unterbewusstsein wiederum etwas zu gruselig sein – es sollte mich jedenfalls nicht wundern, wenn ein paar Kids nach Alles steht Kopf die Pappnasen-Komiker mit anderen Augen sehen. Doch am Ende sind diese Punkte die einzigen Mankos eines gelungenen Pixarfilms. Und diesen kleinen Ausrutschern steht ja auch noch eine Fülle an liebenswerten Details sowie das anrührende Finale entgegen. Letzteres wartet dann mit einer versöhnlichen Botschaft auf und spannt ganz zum Schluss den Bogen zum turbulent-witzigen Einstieg. Und wer weiß: Vielleicht schlummert aufgrund der Bekanntschaft vor dem Eishockeyspiel ja noch eine Fortsetzung in der Animationsschmiede. Ich würde mich jedenfalls jetzt schon darauf freuen zu sehen, wie Riley sich in einen Jungen verknallt, dessen Kontrollzentrum ein einziges Chaos aus verwirrten und unaufgeräumten Gefühlen ist. Wie das aussehen könnte, darauf stimmt der Kurzfilm „Rileys erstes Date?“ im Bonusmaterial schon mal ein. Und welcher Zuschauer möchte nicht, dass die fünf Emotionen endlich den Pubertätsbutton drücken?

Bild- und Tonqualität

Alles steht Kopf 3D Blu-ray Review Szene 2
Vorsicht ist nur angesagt, wenn Wut mal die Kontrolle übernimmt © 2015 Walt Disney Studios / Pixar

Es wäre schon verwunderlich, wenn ein Pixar-Film in Sachen Bildqualität Federn lassen würde. Und weil das Animationsstudio eben zur Perfektion neigt, ist auch bei Alles steht Kopf das Bild schlicht atemberaubend perfekt. Natürlich sind es erneut die Farben und Kontraste, die für einen dreidimensional-plastischen Look sorgen, obwohl man die 2D-Variante im Player hat. Die unterschiedlichen Farben der Gefühle kommen dermaßen kräftig rüber, dass es einem den Atem raubt. Dennoch können vor allem die Detailtreue und der Sinn für die Feinheiten noch mehr überzeugen: Schon bevor Zorn seinen ersten Wutanfall bekommt, kann man diesen anhand des beginnenden Flimmerns über seinem Kopf vorhersagen – unglaublich, wie realistisch das umgesetzt wurde. Auch die Tatsache, dass die Figuren/Emotionen nicht hart konturiert sind, sondern eher ein plüschig-weiche Haut/Fell haben, lässt sich anhand jedes einzeln erkennbaren Härchens ausmachen. Ganz zu schweigen von dem feinen Goldstaub, den Freude auslöst, sobald sie in Bewegung ist – ein richtig tolles Bild, das keinerlei Fehler macht.
Lief Alles steht Kopf in ausgewählten Kinos noch in Dolby Atmos, muss man bei der Blu-ray leider auf die multidimensionale Soundkodierung verzichten. Das ist für Besitzer von entsprechender Technik zwar schade, aus akustischer Sicht aber verschmerzbar, denn die enthaltenen Tonspuren sind schlicht großartig. Während die englische Fassung in unkomprimiertem dts-HD-Master noch ein wenig mehr Bums hat, ist schon die deutsche 7.1-Spur in Dolby Digital Plus wirklich außergewöhnlich gut gelungen. Die ständigen Aktionen in Rileys Geist gelangen mit derart vielen direktionalen Effekten ans Ohr, dass es eine wahre Wonne ist. Schon alleine die hereinrollenden Erinnerungskugeln sind ein akustisches Ereignis. Wenn Freude und Kummer durch den Kanal ins Langzeitgedächtnis gesaugt werden, fühlt man sich selbst in der Röhre, weil die coolen Sounds von überall kommen. Allerdings dürftes es durchaus noch ein bisschen mehr Druck machen, wenn die Quatschmach-Insel in sich zusammenbricht. Die hier fehlende Dynamik holt der Ton dann nach, wenn Freude mit Bing Bong auf der Rakete wieder aus dem Erinnerungsmüll zu entkommen versucht. Schön, dass die Fans der 3D-Fassung auch in den Genuss der hochauflösenden 7.1-Spur in Deutsch kommen, denn dort wurden exakt die gleichen Tonkodierungen abgelegt.

3D-Effekt

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Freude erklärt Kummer eindringlich, dass die Kernerinnerungen nicht verloren gehen dürfen © 2015 Walt Disney Studios / Pixar

Alles andere als ein Top-3D-Bild wäre eine Überraschung gewesen. Alles steht Kopf ist seiner digitalen Herkunft entsprechend ebenso harmonisch und herausragend ins Dreidimensionale gerendert worden wie er schon bei seiner 2D-Bildqualität zu überzeugen wusste. Ob das nun der Blick aus dem „Kontrollraum“ auf die großen Themen in Rileys Geist ist, der mit wunderbaren Tiefenstaffelungen auf drei und mehr Ebenen überzeugt (7’13) oder Joy/Freude, die mit ihrem sanften Lichtschein und den etwas ausgefransten Umrissen greifbar im Raum steht. Glücklicherweise hat man es auch mit den Schwebepartikeln in der Zentrale nicht übertrieben. Hier und da wuselt ein bisschen feenartiger Staub herum, wenn sich Freude bewegt, doch das ist weit davon entfernt für eine Schieloptik zu sorgen, die man schon mal bei entsprechenden 3D-Filmen mit viel Wüsten- oder anderem Partikeleinsatz bemängeln muss. Wer auf zahlreiche Pop-out-Effekte hofft, könnte etwas enttäuscht sein, denn Alles steht Kopf nutzt die 3D-Technik eher für einen flüssigen und homogenen Gesamteindruck, nicht für oberflächliches Effektgehabe mit aus dem Bildschirm herausspringenden Stangen oder anderen Gegenständen. Das macht den Genuss des Films in drei Dimensionen allerdings umso entspannter und angenehmer. Einzig für Besitzer von 3D-TVs mit Polfiltertechnik kann’s schon mal etwas schwieriger werden, da die Detailfülle bisweilen die Darstellung an ihre Grenzen bringt und per Polfilter nicht die volle HD-Auflösung zur Verfügung steht. Gut zu erkennen ist das beispielsweise in Bewegungen von „Furcht“. Dessen gekringeltes Haar am Hinterkopf scheint schon mal komplett zu verschwinden. Doch das ist (wie gesagt) kein Problem der Disk, sondern der Technik des Polfilter-3D-TV geschuldet.

Bonusmaterial

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Im Langzeitgedächtnis treffen Freude und Kummer auf einen alten Freund Rileys © 2015 Walt Disney Studios / Pixar

Das Bonusmaterial von Alles steht Kopf teilt sich bei der 3-Disk-Fassung auf die 2D-Filmscheibe und die Bonusdisk auf. Erstere bietet neben dem Audiokommentar von Regisseur und Produzent noch die beiden Kurzfilme „Lava“ und „Rileys erstes Date?“. „Lava“ ist der offizielle Short-Movie, der auch im Kino vor dem eigentlich Film lief. Allerdings gehört er bisher zu den schwächsten des Studios, nervt er doch mit schwachem deutschen Sing-Sang und einer nur bedingt originellen Geschichte. Hinzu kommen die zwei Featurettes „Die Frauen von Alles steht Kopf“ und „Gemischte Gefühle“. In Ersterem geht’s tatsächlich um einige der am Film beteiligten Damen der Schöpfung – von der Synchronsprecherin über die Story Managerin bis zur Produktionsleiterin. Was alle beeindruckenderweise sagen, ist, dass sie lernen mussten, es sei okay, Fehler zu machen. In einer sehr männerdominierten Atmosphäre wie dem Filmbusiness haben/hatte die Frauen noch größere Ansprüche an sich als ohnehin schon. „Gemischte Gefühle“ wiederum kümmert sich um das Erforschen der für den Film benötigten Emotionen – inklusive der Konsultation diverser Psychologen. Auf dem Bonus-Blauling warten dann ein paar zusätzliche und von Pete Docter ausführlich erklärte und kommentierte zusätzliche Szenen sowie ein Hinter den Kulissen-Featurette, das sich in sechs Teile aufgliedert: „Die Geschichte der Geschichte“ erzählt davon, wie Docter auf die Idee zum Film kam aber auch davon, wie oft ganze Teile wieder umgeschrieben wurden. In „Reise nach Innen“ geht es um das Set-Design und um die Entwürfe für die riesige Landschaft, die im Film den menschlichen Geist repräsentiert. „Unsere Väter, die Filmemacher“ holt die Töchter des Regisseurs und des Filmkomponisten von Alles steht Kopf vor die Kamera, die gemeinsam eine Art kleine Doku über ihre Dads am Set drehen durften. In „Der Sound von Alles steht Kopf“ wird’s ein bisschen nerdiger, denn man darf die Geräuschmacher bei ihrer Arbeit bewundern und ihnen zuhören. Das ist bei einem fantasievollen Film wie diesem, in dem es ständig neuartige optische Gags gibt, die akustisch untermalt werden müssen, besonders interessant. „Die verkannte Kunst des Animationsfilm-Schnitts“ kümmert sich um die, offenbar von vielen unterschätzten, Arbeit des Cutters. „Montage: Emotionen“ ist praktisch eine Art „Casting“ für die Hauptdarsteller.

Fazit

Alles steht Kopf ist der bisher ungewöhnlichste und gleichzeitig anspruchsvollste weil abstrakteste aller Pixar-Filme. Hin und wieder hat man für einen kurzen Moment auch das Gefühl, dass Pete Docter die Story etwas aus den Fingern zu gleiten scheint, doch die nicht ganz stimmigen Momente in der Mitte des Films wird durch die letzten 25 Minuten wieder wettgemacht. Dann nämlich, wenn die Botschaft des Films ebenso plausibel wie unaufdringlich rüberkommt: Jedes Gefühl des menschlichen Wesens hat seinen Platz und ist wichtig.
Ach ja: Katzenfans werden Pete Docter nach dem Abspann wahrscheinlich hassen.
Timo Wolters


Bewertung

Bildqualität: 100%
Tonqualität (dt. Fassung): 85%
Tonqualität (Originalversion): 85%
Bonusmaterial: 75%
Film: 85%
3D-Effekt: 90%

Anbieter: Walt Disney © (Pixar)
Land/Jahr: USA 2015
Regie: Pete Docter
Sprecher: Nana Spier, Philine Peters-Arnolds, Olaf Schubert, Hans-Joachim Heist, Tanya Kahana, Kai Wiesinger, Hans Hohlbein, Michael Pan, Dietmar Bär, Klaus J. Behrendt, Hans-Eckart Eckhardt
Tonformate 2D/3D: dts HD-Master 7.1: en // Dolby Digital Plus 7.1: de
Bildformat: 1,78:1
Laufzeit: 95
Codec: AVC
Real 3D: Ja
FSK: 0

(Copyright der Cover, Szenenbilder: © 2015 Walt Disney Studios / Pixar)