American Honey

Blu-ray Review

American Honey Blu-ray Review Cover
Universal Pictures, 23.02.2017

OT: American Honey

 


Kansas City, Alter

Regisseurin Andrea Arnold beschreibt den Alltag einer im Stich gelassenen Generation.

Inhalt

Star lebt ihr Leben als Teenagerin irgendwo in einem Trailerpark im Mittleren Westen der USA. Um ihre beiden jüngeren Geschwister muss sie sich genauo kümmern wie um ihren allzeit betrunkenen und zudringlich werdenden Dad. Es ist das typische White-Trash-Dasein, aus dem nur die Wenigsten irgendwann rauskommen. Doch dann lernt Star Jake kennen. Der zieht als rechte Hand der Chefin mit einer Drückerkolonne durch die Gegend und verkauft den Menschen an den Haustüren oder auf Parkplätze Zeitschriftenabos. Star schließt sich der Gruppe an und fühlt sich erstmals so etwas wie aufgehoben. Der Hauch von Freiheit, der die Mädels und Jungs umweht, gefällt ihr, doch weil sie zu Jake etwas mehr als nur ein „bisschen“ Zuneigung verspürt, gibt es bald erste Probleme. Star lehnt die krassen Lügen ab, die die Drücker den potenziellen Kunden erzählen und ist ziemlich entsetzt, dass gerade Jake so eine Show abzieht. Und weil der dadurch weniger verdient, ruft das Chefin Krystal auf den Plan. Die ist überhaupt nicht amüsiert über die einbrechenden Umsätze …

Andrea Arnold (Fish Tank), die manche gerne als weibliches Pendant zu Ken Loach bezeichnen, braucht nur fünf Minuten, um mit ihrer Hauptdarstellerin Sasha Lane alle Sympathien auf ihrer Seite zu haben. Kaum zu glauben, dass die 21-jährige hier ihr Schauspieldebüt gibt und während der 163! Minuten Spielzeit dermaßen souverän und liebenswert das charmante, vom Leben kaum begünstigte Mädchen gibt. Man nimmt ihr das Staunen beim Anblick der Drückergang oder jenem der Skyline von Kansas City völlig ab – vielleicht auch, weil sie bisher noch nie vor der Kamera stand. American Honey kümmert sich um die Generation Menschen, die vom American Dream bisher nur aus der Zeitung gelesen oder dem Internet gehört haben. Quasi-Dokumentarisch filmt sie das Geschehen in beengten 4:3-Bildern und bleibt mit ihrer Kamera dermaßen nahe dran, dass der Zuschauer oftmals lieber flüchten würde. So auch, wenn Stars Vater die eigene Tochter begrapscht und sie in seinem betrunkenen Kopf lüstern ableckt. Oftmals sind Vordergründe bewusst unscharf gehalten und man schaut den Figuren über die Schulter, was den dokumentarischen Anstrich ebenso verstärkt wie das ausgiebige Nutzen der wackeligen Handkamera.

Erstaunlich dabei, wie gut die Britin in ihrem ersten in den USA gedrehten Film das soziale Gefüge und das provinzielle White-Trash-Leben der Unterschicht im Mittleren Westen des Landes beschreibt. Vom hygienisch bedenklichen Leben in den Wohnwagenparks über den Westerntanz in der abendlichen Countrybar bis hin zur Einsamkeit in der Gruppe. Die Tatsache, dass mit Ausnahme von Shia LaBoeuf als Jake und Elvis Presleys Enkelin Riley Keogh als Krystal sämtliche Jugenddarsteller praktisch unbekannt sind und wirken, als hätte man sie von der Straße gecastet, lässt eine realistische Atmosphäre entstehen, die mitunter schmerzhaft ist. Wenn sich die Mädels und Jungs nach einer durchzechten und mit Drogen nicht gerade zimperlich umgegangenen Nacht am nächsten Morgen zu einem Rapsong auf den Arbeitstag einstimmen, sieht man ihnen an, dass sie trotz der Gemeinschaft alle für sich alleine sind und mit in ihren noch jungen Leben schon mehr Mist gesehen und erfahren haben als manch anderem zu Lebzeiten widerfahren wird. American Honey will aber kein Mitleid erwecken, sondern liefert vor allem eine Zustandsbeschreibung einer abgehängtenGeneration, die vom amerikanischen Traum so weit weg ist wie Donald Trump von humaner Politik. Drogen und Alkohol, Kippen und dröhnende Musik gehören dazu und werden hier entsprechend dauerhaft inszeniert. Kaum ein Bild oder eine Szene, in der nicht ein Sargnagel glimmt oder eine Wodkaflasche herumkreist.

Was auf der einen Seite ein Vorteil von American Honey ist, bremst ihn auf der anderen Seite aus – seine Laufzeit. 163 Minuten sind eine lange Dauer für einen Film, der aus Autofahren, Zeitschriftenverkaufen, in Hotels schlafen und Gerede besteht. Es dauert beispielsweise gut 50 Minuten, bevor überhaupt das erste Verkaufsgespräch stattfindet. Bis dahin sind es Stimmungen, die der Film vermittelt und auf den Zuschauer überträgt – und das trägt am Ende nicht immer über die volle Laufzeit. Oder, anders gesprochen: Die wichtige Atmosphäre und die notwendigen Informationen hätte man durchaus auch in zwei Stunden unterbringen können und hätte dabei dennoch eine gleichwertige Intimität erreicht. Viele der immer wiederkehrenden Szenen im Van oder vor Motels wirken redundant und machen bisweilen den Eindruck, als wollte man nur den Rap-Soundtrack um weitere Titel anreichern. Gut funktioniert dies dennoch ab und an – beispielsweise, wenn wenn Star und Jake während der Fahrt auf dem Dach des Vans sitzen und sich im Flow des Winds zur Musik bewegen.

Bild- und Tonqualität

Heimkino- und Technikfans, ihr müsst jetzt ganz tapfer sein: American Honey wird uns nicht in 21:9 präsentiert. Auch nicht in 16:9. Nein, Andrea Arnold geht den größtmöglichen Weg der Authentizität, um ihr Werk so unvermittelt und real wirken zu lassen, wie es nur geht. Die Konsequenz: Das Bild liegt in 4:3 vor. Im Zeitalter von Breitbildfilmen und Cinemascope-Leinwänden wirkt das beinahe antiquarisch. Und weil Arnold mit der Kamera oft ganz nahe an ihren Protagonisten ist, ist es auch so eine Sache mit der Schärfe. Obwohl oft bewusst so gesetzt, sind weder Vorder- noch Hintergründe sonderlich scharf. Die Farben kommen dagegen recht kräftig und manchmal etwas übersättigt rüber. Gut gelingen die nächtlichen Aufnahmen, die im Kontrast nicht abfallen und auch nicht mehr Korn offenbaren als solche bei Tageslicht.
Akustisch bleibt das Geschehen in American Honey fast ausschließlich vordergründig rüber. Selbst die Hauptlautsprecher sind meist ruhig und der Center übernimmt das Meiste der Informationen. Während der vielen Musiknummern darf der Subwoofer schon mal eingreifen und die Beats ein bisschen fett(er) ins Heimkino pusten. Aber auch hier bleiben die Effektlautsprecher meist unterfordert.

Bonusmaterial

Das Bonusmaterial von American Honey ist schlicht nicht vorhanden. Nicht mal die Trailer sind mit an Bord.

Fazit

Trotz Überlänge bleibt American Honey ein bewegendes Porträt einer verlorenen Generation, die auf ihre Art und Weise den amerikanischen Traum zu leben versucht. Dem Zuschauer bleibt so manches mal ein dicker Kloß im Hals stecken, wenn man zuschaut, wie die Mädels und Jungs ihren Lebensunterhalt bestreiten müssen und sich dabei beständig selbst etwas vormachen. Herausragend und zurecht in Zukunft in einigen weiteren Filmen zu sehen: Hauptdarstellerin Sasha Lane.
Timo Wolters


Bewertung

Bildqualität: 60%
Tonqualität (dt. Fassung): 60%
Tonqualität (Originalversion): 60%
Bonusmaterial: 0%
Film: 75%

Anbieter: Universal Pictures
Land/Jahr: GB 2016
Regie: Andrea Arnold
Darsteller: Sasha Lane, Shia LaBeouf, Riley Keough, Verronikah Ezell, McCaul Lombardi, Raymond Coalson, Gary Howell, Christhopher David Wright, Shawna Rae Moseley , Will Patton
Tonformate: dts HD-Master 5.1: de, en
Bildformat: 4:3
Laufzeit: 163
Codec: AVC
FSK: 12

Trailer zu American Honey

httpv://www.youtube.com/watch?v=gu–mZpcCAY

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