Blu-ray Review
OT: Animals
Qual, Pein, Leid
In Animals zeichnet der belgische Regisseur Nabil Ben Yadir den Mord an einem Schwulen nach.
Inhalt
Brahim ist Anfang dreißig. Er ist ein Muslim in Belgien und schwul. Ist es in der Gesamt-Gesellschaft schon nicht einfach, als schwul geoutet zu sein, ist es das innerhalb einer konservativ-muslimischen Familie erst Recht nicht. Entsprechend wissen nur die Allerwenigsten von Brahims Sexualität, auch nicht seine Mutter, die an diesem Tag ihren Geburtstag feiert. Irgendwie muss sich Brahim ständig zwischen den Gesprächsthemen durchschlängeln, um nicht anzuecken. Ständig sieht er sich im Konflikt mit seinem Bruder, dem einzigen, der von seiner Homosexualität weiß und der sich daran stößt, dass er seinen Freund Thomas eingeladen hat. Andauernd muss sich Brahim anpassen und unterordnen – selbst dann, wenn ihn mal wieder aufregt, wie verstockt seine Familie ist und er eigentlich gerne mal mit der Faust auf den Tisch schlagen würde. Kein Wunder, dass er es irgendwann nicht mehr aushält und ins Nachtleben Lüttichs verschwindet, um nach Thomas zu suchen, der von Brahims Bruder unsanft empfangen wurde und daraufhin das Weite suchte. Im Nachtleben kann Brahim untertauchen und unter Gleichgesinnten sein. Dort findet er den Frieden und kann sich und seine aufgestauten Emotionen wieder runterbringen. Als er im Anschluss an einen Diskobesuch in einen Streit zwischen einigen Jungs und einer Frau eingreift, versucht er die Situation zu deeskalieren. Nachdem er verhindern kann, dass die Gruppe der Frau etwas antut. steigt Brahim zu den Männern ins Auto und wird im Laufe der Nacht Opfer einer grausamen Tortur …
Am 22. April 2012 verschwand der Belgier Ihsane Jarfi, nachdem er zuvor in einer Lütticher Schwulenbar gewesen war. Erst 10 Tage später fanden Wanderer seine übel zugerichtete Leiche auf einem Feld. Der Mord erschütterte Belgien vor zehn Jahren und wurde dort zum ersten Fall eines Totschlags aus homophoben Motiven – ein strafverschärfendes Motiv, das erst 2003, also neun Jahre zuvor, eingeführt worden war. Regisseur Nabil Ben Yadir platzt mit seinem aufrüttelnden, erschütternden und fassungslos machenden Werk mitten hinein in eine Zeit, in der queere Themen und LGBT-Charaktere zunehmend auf positive Art in Filme integriert werden. Freilich nicht ohne Kontroversen innerhalb der Gesellschaft. Denn während die eine Seite entsprechende Themen und Figuren willkommen heißt, weil’s Zeit für ein diversifiziertes Kino ist, wähnt die andere Seite das Diktat der übertriebenen political correctness.
Schaut man sich indes alleine den Filmtitel Animals an, weiß man, dass es dem Filmemacher bitterernst ist. Er lässt keinen Zweifel daran, dass die Täter aus niederen Motiven, ja nach tierischen Instinkten gehandelt haben und ihr gemeinschaftlicher Totschlag erinnert auch inszenatorisch an Hyänen, die ihre Beute umkreisen und zuschlagen. Yadir will aufrütteln, bewusst machen, zeigen, dass das „Monster“ nicht der schwule Außenseiter ist, sondern die Täter, die sich und ihre Minderwertigkeitskomplexe durch Gewalt zu kompensieren versuchen. Dass sie sich dabei gegenseitig filmen, bestätigt nur noch das Bild von vermeintlicher Heroisierung im Angesicht von sinnlosen Gewalttaten. Wer möglichst hart zuschlägt, darf sich als Mann fühlen – so simpel wie verabscheuungswürdig ist das Denken der Täter.
Visuell greift Ben Yadir die Geschehnisse, die sich über den Verlauf von knapp 24 Stunden ereignen, ebenso ungefiltert auf wie er sie erzählerisch tief in die Magengrube schiebt. Zum einen ist da das Bildformat von 1:33:1 (also dem klassischen 4:3-Format), mit dem Animals beginnt und im letzten Drittel auch wieder aufhört. Dabei ist die Kamera von Frank van den Eeden so nahe an seiner Hauptfigur, dass man denkt, man könne ihm jederzeit auf die Schulter klopfen. Van den Eeden beobachtet die Szenerie wie ein weiterer Teilnehmer der Festlichkeit und liefert teils lange One-Shot-Sequenzen. Immer wieder verliert die Kamera den Fokus, ganz so als verlöre sie den Überblick über die Situation – Situationen und Geschehnisse in denen nicht das Vordergründige, sondern das Unterschwellige für Unbehagen sorgt. Man hat das Gefühl, jede Sekunde könnte ein Wort die Situation zur Eskalation bringen. Man fühlt sich selbst in dem Moment, fürchtet, dass ein unüberlegter Blick oder ein nicht zu Ende gedachter Satz zur Enthüllung und dazu führt, dass man ertappt wird. In dieser ersten halben Stunde baut Animals eine unglaubliche Sogwirkung auf. Im Mittelteil treten die Filmemacher dann das Festhalten der Bilder an die vier Täter ab. Von nun an regieren Handy-Aufnahmen im Hochkant-Format. Die Einstellungen nehmen etwas mehr Abstand zum Geschehen, werden wackliger, beeinflusst vom Adrenalin des sich immer weiter in einen Gewaltrausch steigernden Quartetts. Dabei ist die Gewalt nicht durch ihre explizite Darstellung so unerträglich, sondern vor allem durch die menschenunwürdigen Kommentare der Täter. Der Zuschauer (so unangenehm es für ihn ist) wird derweil zum Voyeur, ja sogar zum Mittäter. Hier wird mediale Sensationsgeilheit ebenso reflektiert wie das unfassbare Verhalten empathieloser Smartphone-Filmer, die Unglücke/Unfälle auf ihren Handys festhalten und sie sensationslüstern ins Netz pusten.
Erst im letzten Drittel wechselt die Perspektive wieder auf das 4:3-Format, folgt dann aber einem der Täter. Und damit bietet der Film etwas an, mit dem man anfänglich nicht rechnen konnte. Und es ist etwas, das man durchaus kritisieren kann. Nicht wenige werden es verstörend finden, wenn Animals nun visuell die gleiche Haltung einnimmt wie zu Beginn, als er mit seiner Art des Filmens Kontakt zu Brahim aufgebaut hat, damit wir uns mit ihm identifizieren können. Was will Ben Yadir damit bezwecken? Geht es darum, auch den Täter zu verstehen? Geht es darum, seine Handlungen nachvollziehen – ja im schlimmsten Fall sogar rechtfertigen zu können? Oder geht es darum, aufzuzeigen, welche Mechanismen in der Gesellschaft und im Elternhaus wirken, aus denen heraus Täter geboren werden? Die Antwort darauf darf sich jeder nach dem Schauen des Films selbst geben. Eine kritische Auseinandersetzung empfiehlt sich hier aber auf jeden Fall. Denn vor allem das Ende sorgte schon im Vorfeld für Kontroversen und teils emotionale Diskussionen.
Was keiner großen Analyse bedarf, ist die herausragende Leistung und Aufopferung von Hauptdarsteller Soufiane Chilah. Den Mut, sich auf diese Weise filmen und nach Drehbuch erniedrigen zu lassen, muss man erst einmal aufbringen. Das gilt indes auch für die anderen Schauspieler, denn als geifernder und animalischer Killer will sich auch nicht jeder porträtieren lassen.
Bild- und Tonqualität
Kameramann Frank van den Eeden hat gemeinsam mit Regisseur Nabil Ben Yadir einen ganz speziellen Look für Animals gewählt. Nicht nur haben sie sehr lange Kameraeinstellungen gewählt und eine Perspektive, die dem Protagonisten oft folgt wie ein zweiter Mann (und das sehr nahe), sondern framten das Bild im Nachhinein auf ein 4:3-Format. Überdies haben sie es an den Ecken abgerundet wie einen alten Foto-Abzug. Das lässt die Geschichte visuell eng erscheinen, was thematisch sehr gut passt. Eine nachträglich hinzugefügte Körnung bewirkt ein analoges, leicht schmuddeliges Feeling. Zur Körnung gesellt sich ein etwas abgesenkter Kontrast, der allerdings mit kräftigen und gesättigten Farben gekontert wird. Die Tatsache, dass man fast ausschließlich mit verfügbarem (und ohne künstliches) Licht arbeitete, gibt dem ganzen einen zusätzlichen Authentizitäts-Anspruch. Mit der Übernahme durch die iphone-Perspektve geht es dann ins typische Handy-Hochformat. Die Körnung lässt dann etwas nach, die Aufnahmen wirken fast, als seien sie ohne nachträgliche Bearbeitung übernommen worden. Es gesellen sich natürlich gewisse Artefakte hinzu, die über Handykameras kaum zu vermeiden sind. Dafür kann die Blu-ray natürlich nichts, das steckt schon im Ausgangsmaterial. So wird es hier bisweilen etwas weich, man erkennt Nachzieheffekte und die Farben sind eher mittelprächtig.
Akustisch wartet Animals mit zwei DTS-HD-Master-Spuren auf, die sich während der Festivitäten zu Beginn vor allem durch eine überraschend räumliche Aufteilung der Stimmen auszeichnen. Spricht jemand aus der Hinter-der-Kamera-Position, wird das von den Surrounds wiedergeben, wechseln die Redner auf die Seite, kommen die Stereospeaker zum Einsatz. Dabei bleiben die Dialoge gut verständlich und vor allem Brahims sanfte Synchronstimme trägt zum Gelingen des Gesamtgeschehens bei. Dabei kann der Tonsektor auch druckvoll und dynamisch, wie die Szenen nach 29 Minuten in der Disko zeigen. Dort pumpt der Beat ordentlich über die Subs und lässt eine authentische Clubatmosphäre entstehen. Erstaunlich, wie druckvoll es hier zur Sache geht. Die Situation im Auto wird vom dröhnenden Geräusch des Motors bestimmt, was zur unangenehmen Stimmung in diesen extrem intimen Situationen beiträgt.
Bonusmaterial
Im Bonusmaterial gibt’s neben einer Bildergalerie, dem Trailer und dem 24-seitigen Booklet noch zwei Interviews. Eins bestreitet Kameramann Frank van den Eeden, der über die spezielle Art des Filmens berichtet. Das zweite findet mit Regisseur Ben Yadir selbst statt, der über die Hintergründe zu seiner Idee, den Film zu realisieren spricht. Hier gibt’s dann einige Infos, die noch weiterführend schildern, was Yadir aussagen wollte und woher seine ursprüngliche Idee kam.
Fazit
Animals – Wie wilde Tiere schockiert mit seinen an Erniedrigungen kaum zu überbietenden Szenen. Nabil Ben Yadir zeigt ungeschönt auf, wie es um den vermeintlichen Fortschritt gegenüber homosexuellen Menschen bestellt ist – queere Figuren in Hollywoodfilmen hin oder her. Denn Animals bildet nicht das hoffnungsfrohe Hollywoodbild von Inklusion ab, sondern zeigt die Realität. Und das in Szenen, die teilweise kaum zu ertragen sind. Dass Nabil Ben Yadir seinen Film chronologisch enden lässt, ist die größte Schwäche von Animals. Die Wirkung wäre intensiver und dem Opfer gerechter geworden, hätte man die Hintergründe des späteren Täters zu Beginn gegengeschnitten. Die belgische Rechtsprechung hatte im Übrigen kein Mitleid mit den Tätern. Dreimal lebenslänglich und einmal 30 Jahre Gefängnis, begründet in der Tat mit dem Hintergrund der besonderen Schwere des Verbrechens aufgrund des homophoben Motivs.
Timo Wolters
Bewertung
Bildqualität: 60%
Tonqualität (dt. Fassung): 75%
Tonqualität (Originalversion): 75%
Bonusmaterial: 50%
Film: 75%
Anbieter: Meteor Film/EuroVideo
Land/Jahr: Belgien 2021
Regie: Nabil Ben Yadir
Darsteller: Soufiane Chilah, Gianni Guettaf, Camille Freychet, Serkan Sancak, Lionel Maisin
Tonformate: dts HD-Master 5.1: de, fr
Bildformat: 1,33:1 / 9:16
Laufzeit: 92
Codec: AVC
FSK: 18 (ungeschnitten)
(Copyright der Cover und Szenenbilder liegt bei Anbieter EuroVideo)
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Trailer zu Animals
So testet Blu-ray-rezensionen.net
Die Grundlage für die Bild- und Tonbewertung von Blu-rays und Ultra-HD-Blu-rays bildet sich aus der jahrelangen Expertise im Bereich von Rezensionen zu DVDs, Blu-rays und Ultra-HD-Blu-rays sowie Tests im Bereich der Hardware von Unterhaltungselektronik-Komponenten. Gut zehn Jahre lang beschäftigte ich mich professionell mit den technischen Aspekten von Heimkino-Projektoren, Blu-ray-Playern und TVs als Redakteur für die Magazine HEIMKINO, HIFI TEST TV VIDEO, PLAYER oder BLU-RAY-WELT. Während dieser Zeit partizipierte ich an Lehrgängen zum Thema professioneller Bildkalibrierung mit Color Facts und erlangte ein Zertifikat in ISF-Kalibrierung. Wer mehr über meinen Werdegang lesen möchte, kann dies hier tun —> Klick.
Die technische Expertise ist aber lediglich eine Seite der Medaille. Um stets auf der Basis von aktuellem technischen Wiedergabegerät zu bleiben, wird das Testequipment regelmäßig auf dem aktuellen Stand gehalten – sowohl in puncto Hardware (also der Neuanschaffung von TV-Displays, Playern oder ähnlichem, wenn es der technische Fortschritt verlangt) als auch in puncto Firmware-Updates. Dazu werden die Tests stets im komplett verdunkelbaren, dedizierten Heimkino angefertigt. Den Aufbau des Heimkinos könnt ihr hier nachlesen —> Klick.
Dort findet ihr auch das aktuelle Referenz-Gerät für die Bewertung der Tonqualität, das aus folgenden Geräten besteht:
- Mainspeaker: 2 x Canton Reference 5.2 DC
- Center: Canton Vento 858.2
- Surroundspeaker: 2 x Canton Vento 890.2 DC
- Subwoofer: 2 x Canton Sub 12 R
- Heights: 4 x Canton Plus X.3
- AV-Receiver: Denon AVR-X4500H
- AV-Receiver: Pioneer SC-LX59
- Mini-DSP 2x4HD Boxed
Das Referenz-Equipment fürs Bild findet ihr wiederum hier aufgelistet. Dort steht auch, wie die Bildgeräte auf Norm kalibriert wurden. Denn selbstverständlich finden die Bildbewertungen ausschließlich mit möglichst perfekt kalibriertem Gerät statt, um den Eindruck nicht durch falsche Farbtemperaturen, -intensitäten oder irrigerweise aktivierten Bild“verbesserern“ zu verfälschen.
Finde es klasse, dass hier oft auch Filme fernab vom mainstream rezensiert werden. Auch Filme, die einem die Magengrube verdrehen können. Da ist echt immer eine sehr gute Mischung dabei – aber Harry Potter braucht Ich selbst auch auf keinen Fall. 😀
Welche Filme würdest du allgemein wirklich empfehlen von der kontrovers-Reihe? Oder allgemein in die Richtung?
Ich fand beispielsweise Irreversible sehr gut. Auch, wenn ich mittendrin kurz pausieren musste auf Grund der Kameraführung.
Moin David,
die Kontrovers-Reihe ist eigentlich fast durch die Bank empfehlenswert. Richtige Ausreißer nach unten hat sie nicht. IRREVERSIBEL gehört zu den ganz wenigen Filmen, die ich persönlich zwar kein zweites Mal schauen werde, aber wer da besser mit klar kommt, für den ist das natürlich auch eine Empfehlung. Mir persönlich war noch bei keinem anderen Film so schlecht. Und ich habe eine Menge üblen Sche*ß gesehen. Was ich sehr mochte, war DOG BITE DOG, MICHAEL ist auch ein fieser Magengrummler und natürlich WE NEED TO TALK ABOUT KEVIN. Auch Hanekes FUNNY GAMES war, glaube ich, mal Bestandteil der Reihe. Aber den kennst du vermutlich ohnehin.