Assassination Nation – Ihr habt es so gewollt

Blu-ray Review

assassination nation blu-ray review cover
Universum Film, 29.03.2019

OT: Assassination Nation

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0% alternative Fakten

Wenn Leaks in Verbindung mit sozialen Netzwerken zu Hass, Chaos und Mord führen, dann brennen sie wieder, die Hexen aus Salem.

Inhalt

Salem, Massachusetts irgendwann in der Gegenwart: Die drei Schulkameradinnen Lily, Sarah und Em sowie ihre Transgender-Freundin Bex sind beste Kumpel. Und wie die Jugendlichen heute so sind, vertreiben sie sich ihre Zeit gerne in den sozialen Netzwerken und mit ihrem intelligenten Mobiltelefon. Es werden Selfies geschossen, Filmchen gedreht und Lästern über andere bringt das Salz in der Suppe. Dass der schnelle Sex mit irgendwelchen Typen meist im Frust endet, nimmt man zynisch hin. Die Welt ist halt ein oberflächliches Arschloch.
Und Lily und ihre Freundinnen sind aufgeklärt, abgebrüht und abgeklärt genug, um damit klar zu kommen. Doch dann passiert etwas, womit sie doch nicht gerechnet haben: Weil zunächst der Bürgermeister und dann der Schuldirektor gehackt werden, gerät die Stadt in Aufruhr.
Den Bürgermeister kostet es das Leben und der Rektor wird fortan von den Schüler-Eltern bedroht. Während die Behörden nach dem Verantwortlichen suchen, werden bald Lily und ihre Freundinnen verdächtigt, halb Salem gehackt zu haben. Und weil die Geouteten das gar nicht witzig finden, wollen sie sich am Girlie-Quartett rächen. Die wiederum lassen die Anschuldigungen nicht auf sich sitzen und wehren sich aufs Blutigste …

Ja, der Coolness-Faktor von Assassination Nation könnte von Beginn an kaum höher sein. Da werden erst einmal im schneller Schnittfolge Warnungen wie:  „enthält Rassismus, Homophobie, Drogen, Mord, Vergewaltigung oder Sex ausgesprochen“, als hätte Quentin Tarantino auf eine kurze Episode vorbeigeschaut und Regisseur Sam Levinson (Another Happy Day) kurz den Regiestuhl unter’m Allerwertesten weg gezogen.
Die bemaskten Bewohner der Stadt zu Beginn sehen zudem aus, als wären sie direkt aus The Purge entflohen und das Grundthema erinnert ein wenig an Heathers.
Unvermeidlich sind dazu die im Bild eingeblendeten Textnachrichten oder Tweets, die schon vor einigen Jahren nicht mehr originell waren. So ganz wird man den Eindruck nicht los, dass jemand hier ganz bewusst auf die Kult-Taste gedrückt hat, um auf Teufel komm raus zum neuen Larry Clark zu werden.
Vielleicht wäre es indes etwas besser gewesen, die Story ein bisschen stringenter zu erzählen. Anstatt dessen fügt Levinson sie über fragmentarische Bruchstücke zusammen und reichert sie mit sämtlichen Stilmitteln an, die die Filmhistorie bis heute hervorgebracht hat: Lens-Flares, Split-Screens, Off-Kommentare, Smartphone-Einblendungen, Überkontrastierungen, Slow-Motions – bei all dem visuellen und akustischen Wirrwarr bleiben die Figuren und ihre Emotionen letztlich zu sehr auf der Strecke.
Da sieht man nach einer Viertelstunde beispielsweise, wie Transgender Bex Sex mit einem Typen hat, der es hinterher am liebsten verleugnen würde. Mit Tränen im Gesicht wird Bex bewusst, dass sie (mal wieder) an den Falschen geraten ist. Dem Zuschauer ist das nur leider egal. Abgelenkt durch Split-Screens rechts und links von Bex‘ Erlebnissen hat man nicht mal für einen Moment die Möglichkeit, sich in diese geschundene Seele einzufühlen. Was besonders schade ist, weil Bex als Transgender eben genau im Spannungsfeld zwischen der Gekränktheit männlicher Ehre und vermeintlicher Girl-Power-Reaktion unterwegs ist.

Klar ist Assassination Nation rasant, manchmal richtig „krass“ inszeniert (um es mit den Worten der Teenager zu beschreiben) und ein paar der Kommentare sitzen durchaus. Doch warum die aufgeklärte Lily ausgerechnet einem Fremden namens „Daddy“ Nacktbilder von sich schickt, während in der Stadt ein Hacker unterwegs ist, will der Film logisch nicht schlüssig erklären. Kann er auch nicht.
Immerhin funktioniert aber die offene Kritik an sozialen Medien und der Sensations-Geilheit des Internets. Blutspritzende Bilder des sich selbst erschossenen Bürgermeisters flackern über den hoch aufgelösten Screen und sammeln Likes im Sekundentakt. In Zeiten von Live-Attentats-Videos aus einer neuseeländischen Moschee ist diese Kritik am unbeschränkten WorldWideWeb ebenso böse wie aktuell.
Noch besser gelingen die Kommentare auf die Generation #metoo. Denn wenn über die Nackedei-Badewannen-Bilder diskutiert wird, die man auf dem Handy des Schulrektors von dessen sechsjähriger Tochter entdeckt hat, stößt sich Assassination Nation an der ganzen Übersensibilität und politischen Korrektheit der letzten Jahre.
Was vor 20 Jahren kein Mensch als Gefahr fürs Kind und dessen Umfeld gedeutet hat, ist im Zeitalter der geleakten Daten und elektronischen Verfügbarkeit direkt Kinderpornografie. Da ist der Stempel „pädophil“ nicht weit und wird von den prüden Eltern anderer Kinder nur zu gerne zu Felde geführt. Immer implizierend, dass jeder heutige Vater sich gefälligst in Acht zu nehmen hat, wenn er sein Kind auf den Schoss nimmt (oder es am besten gar nicht erst tut).
Lily sagt dazu, dass Nackheit nicht automatisch Sexualität bedeutet – Recht hat sie. Nur heute will das niemand mehr wissen.

In solchen, eher ruhig diskutierten und bedrückenden Momenten überzeugt der Film und zeigt, wie schnell Unschuldige in die Schusslinie gelangen können. Gleichzeitig postuliert Regisseur Levinson, dass unsere Gesellschaft nur einen Hack/eine Offenbarung entfernt ist vom totalen Chaos – nicht allzu weit hergeholt, wenn man sich den Twitter-Account des US-Präsidenten durchliest.
Dass sich Assassination Nation nach dem furiosen Auftakt etwas lange Zeit nimmt, um die Eskalation auf den Weg zu bringen, verzeiht man von dem Moment an, da sich die Ereignisse eine Woche später vollkommen überschlagen und die Stadt im Purge-Chaos versinkt.
Denn im brutalen Finale wirken die Bilder und Sequenzen, die der arg gewollte Einstieg noch zu oberflächlich präsentiert hat.
Es beginnt mit einer von außen durch die Fenster gefilmten, mordsmäßig spannenden Home-Invasion-Szene, die zeigt, welches Talent in Levinson steckt, wenn er nicht versucht, Tarantino zu kopieren. Kameraführung, Musik-Dramatik und die Art und Weise, wie Eindringlinge und Hausbewohner hier umkommen, sind ebenso effektiv, wie es kurz darauf ultrablutig zu geht. Da hätte es das bemüht überraschende Schlussbild gar nicht gebraucht – wenngleich die tragische Figur, die dort zu sehen ist, Stoff für einen eigenen Film böte.

Bild- und Tonqualität

Assassination Nation lässt sich schwer beurteilen, wenn es um die Bildqualität geht. Die unterschiedlichen Stilmittel verfremden das Bild teils drastisch. Nimmt man die halbwegs homogen gefilmten Sequenzen fehlt’s an sattem Schwarz, das eher bläulich eingefärbt ist (29’08). Dazu gesellen sich Randunschärfen im unteren Bereich und ein durchaus sichtbares Korn. Bisweilen sieht man Doppelbilder an Gesichtskonturen und Farben überstrahlen schon mal.
Absolut satt gerät der Sound von Assassination Nation. Selten waren die Surrounds derart laut aktiv wie hier. Dazu pumpt der Bass während der Musikszenen so wuchtig ins Heimkino, dass es zu einer halben Disko wird. Dialoge sind präsent auf dem Center abgelegt und immer ist irgendwie irgendwo etwas los. Während des Finales setzt es dann eine Menge an Surround-Signalen, die sich gewaschen hat. Und auch hier drückt der Sub immer wieder elektronische Musiksignale direkt in die Magengrube (ab 91’02).

Bonusmaterial

Im Bonusmaterial von Assassination Nation findet sich neben 17 Minuten an entfernten Szenen noch ein Gag-Reel-Featurette, das rund sechseinhalb Minuten läuft und einige witzige Pannen vom Dreh zeigt.

Fazit

Assassination Nation könnte aufgrund der zweiten Hälfte tatsächlich zum Kultfilm einer neuen Generation werden. Was Levinson hier an Ideen, Dramatik, unbequemen Wahrheiten und emotional hervorragend aufgelegten Darstellern auffährt, lässt umso deutlicher fragen, warum er seinen Film so gewollt auf Coolness hat beginnen lassen.
Schade allerdings, dass er bei all den Fragen, die er aufwirft, keine Lösungen und Antworten bietet – beziehungsweise am Ende eine Lösung darstellt, die keiner von uns wirklich haben möchte.
Timo Wolters


Bewertung

Bildqualität: 65%
Tonqualität (dt. Fassung): 90%
Tonqualität (Originalversion): 90%
Bonusmaterial: 30%
Film: 70%

Anbieter: Universum Film
Land/Jahr: USA 2018
Regie: Sam Levinson
Darsteller: Odessa Young, Hari Nef, Suki Waterhouse, Abra, Colman Domingo, Bill Skarsgård, Joel McHale, Anika Noni Rose
Tonformate: dts HD-Master 5.1: de, en
Bildformat: 2,35:1
Laufzeit: 109
Codec: AVC
FSK: 16

(Copyright der Cover und Szenenbilder liegt bei Anbieter Universum Film)

Trailer zu Assassination Nation

Assassination Nation - Trailer (deutsch/german; FSK 12)

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