Austreten – ma sogt ja nix, ma redt ja bloß

Blu-ray Review

Austreten - ma sogt ja nix, ma redt ja bloß Blu-ray Review Cover
EuroVideo, 13.03.2018

OT: –

 


Piseln, Kruzifix!

Bayerische Komödie der Hinterdupfing-Macher.

Inhalt

Hätte er doch bloß nicht zur Toilette gemusst, während der Pressekonferenz. Jetzt hat er den Salat. Weil der bayerische Minister Franz Reitmayer in einem unüberlegten Moment an einer noch ungünstigeren Stelle auf die Frage, was er denn nun mache, mit „Austreten“ antwortete, denkt jetzt das ganze Land, er hätte damit die Abspaltung Bayerns vom Bund gemeint. Angetrieben von der Presse, die sein Zitat wortwörtlich nimmt und sein „Piseln“ als Rückkehr zur Souveränität aufputscht, herrscht Aufruhr in der Bevölkerung. Reitmayer selbst bereut seinen Fauxpas und rudert zurück. Sehr zum Leidwesen seines Vaters, der als Urgestein als erster für eine Abspaltung Bayerns wäre. Das hindert den Ministerpräsidenten allerdings nicht, erst einmal wieder zu Hause einzuziehen. Bis es ihm auch dort durch die Pressebelagerung zu bunt wird und er sich kurzerhand im Auto des lokalen Paketdienstes rausschmuggelt. Weil Frau Elisabeth darunter bald massiv leidet und es so ja auch nicht weitergehen kann, machen sich Tochter Kathi und Sohn Martin auf einen Road-Trip durchs fränkische Hinterland …

Nach Herrschaft Zeit’n und Hinterdupfing schlägt das Familien-Team rund um Tanja, Andreas und Thomas Schmidbauer erneut in Mundart zu. Ihre stets heimatverbundenen Komödien nehmen sich genüsslich bekannte Stereotypen vor und demontieren sie vor laufender Kamera. Das klingt im ersten Moment nach den Eberhofer-Krimis, ist aber weitaus ungeschliffener und authentischer. Manchmal wirkt’s wie eine abgefilmte Studentenparty, wobei das Geschehen zwischen den Politikern durchaus professionell rüberkommt. Da die Macher des Schmidbauer-Teams meist auch selbst vor der Kamera agieren, kommen nicht alle Darstellungen über Amateur-Niveau hinaus, doch gerade das Laienspiel macht Austreten so charmant. Die bayerische Mundart kommt im höchsten Maße authentisch rüber und wenn mal wieder gegen die „Saupreußen“ g’schossen wird, dann ist das ebenso witzig, wie augenzwinkernd. Gut, die Integration einer Kampf-Veganerin hätte es jetzt nicht gebraucht. Sie wirkt wie ein konstruierter Nebenschauplatz, um noch ein weiteres aktuelles Reizthema zu integrieren. Aber es geht ja auch eher um andere Dinge. So kommentieren die Schmidbauers in Austreten zu entsprechenden Folklore-Elementen auch noch zeitpolitisches Geschehen. Immerhin erinnert die Story nicht von ungefähr an den Brexit. Ein bisschen Verschwürungstheorie und Trump-Kritik gibt’s obendrauf, wenn der junge Landwirt vermutet, man habe den Ministerpräsidenten durch einen preußischen Spion ersetzt und kurz darauf mit „Make Bayern Great Again“-Plakaten vor seinem Trekker (ähm, sorry: seinem Bulldog) steht.

Und weil man die 110 Minuten durchaus zu nutzen weiß, gibt’s auch noch einen beißenden Kommentar auf die Konkurrenz zwischen etablierten Medien und oberflächlichen Bloggern. Am Ende geht’s aber um Heimat. Um Familie. Das Thema der bayerischen Separation gerät spätestens dann in den Hintergrund, wenn Franz Reitmayer die Biege macht und sich Austreten in ein bajuvarisches Roadmovie verwandelt. Das funktioniert über weite Strecken deshalb, weil die Schmidbauers ein G’spür für menschliche Zwischentöne haben und Reitmayer-Darsteller Markus Böker einen lässigen Aussteiger gibt. Neben ihm gibt’s ein paar zünftige Nebenrollen wie die des Opa Reitmayer, der mit seinem Güllefass kurzerhand die versammelte Presse „zuascheißt“. Während solche Momente zwar derb sind, driftet es doch manchmal ins Klamaukige oder arg klischeehafte ab. Macht aber nichts, denn man merkt allen versammelten Darstellern an, wie viel Spaß sie bei ihrem Werk hatten – und ein dialoglastiges Drehbuch für 110 Minuten Unterhaltung muss man eben auch erst Mal schreiben. Dass die nur selten mal zäh werden, liegt am durchweg guten Tempo, dem professionellen Schnitt und der kongenial ausgesuchten Filmmusik. Die wandelt zwischen traditionellen Humppa-Ryhtmen, bayerischen Popsongs und Mundart-Rock. Und weil Eisi Gulp (Papa Eberhofer) auch noch einen launigen Gastauftritt hat, gibt’s den Daumen nach oben.

Bild- und Tonqualität

Austreten ist mit 720p/50Hz-Videokameras gedreht worden, was zwar den typischen ruckelfreien Soap-Look erzeugt, aber auch mit extrem guter Tiefen- und Close-up-Schärfe klotzt. Die Kontraste sind ebenfalls sehr dynamisch und liefern sehr kräftige Farben. Da man nicht allzu viel Geld verwenden konnte, um für professionelle Beleuchtung oder auch mal eine Reduktion der Naturverhältnisse zu sorgen, sind Aufnahmen mit starker Sonneneinstrahlung bisweilen stark überstrahlt und lassen so helle Bereiche etwas überkontrastiert zurück. Extrem gut ist allerdings die durchgängige Klarheit der Bilder, die auch darüber hinwegsehen lässt, dass die 720p-Aufnahmen hier und da leichte Kantenartefakte aufweisen, wenn feine Details gezeigt werden (Kameraschwenk über Mais).
Akustisch hat man sich zwar etwas Mühe gegeben, ab und an ein paar Geräusche auf die Rears zu packen, was vor allem in der Presse-Konferenz oder bei den Versammlungen der Medien vor Reitmayers Haus zum Tragen kommt. Ansonsten hört man lediglich die traditionelle Folklore-Musik aus den Rundum-Lautsprechern. Die Stimmen kommen sauber aus dem Center, sind aber nicht allzu gut verständlich – und das liegt NICHT am Dialekt. Vielmehr hätte man sie ein wenig lauter integrieren können. Wer Austreten übrigens nicht versteht, der kann hochdeutsche Untertitel zuschalten.

Bonusmaterial

Outtakes, ein Making-of und ein „Nachfilm“ finden sich im Bonusmaterial von Austreten Das Making-of läuft gut über eine halbe Stunde und zeigt sehr offenherzig die Vorbereitungen von Locations sowie augenzwinkernde Hinter-der-Kamera-Szenen. Der „Aftermovie“ liefert noch ein paar Eindrücke von der Premiere.

Fazit

Mundart-Komödie im Amateurlook, die im Subtext mehr Wahrheiten liefert als man denken mag. Austreten ist durchweg leidenschaftlich gespielt und bisweilen mit irrem Witz befeuert, während teils vorhandene Klischees einfach überspielt werden.
Timo Wolters


Bewertung

Bildqualität: 80%
Tonqualität (dt. Fassung): 65%
Bonusmaterial: 50%
Film: 70%

Anbieter: EuroVideo
Land/Jahr: Deutschland 2017
Regie: Tanja & Andreas Schmidbauer,
Darsteller: Markus Böker, Christine Eixenberger, Peter Rappenglück, Barbara Weinzierl, Tom Kreß, Stephanie Liebl, Hubbi Schlemer, Eisi Gulp, Veronika von Quast, Uli Bauer, Lena Apelroth, Constantin Merk, Robert Ehlis, Roland Hefter, Volker Heißmann, Saskia Vester, Tanja Schmidbauer, Thomas Schmidbauer
Tonformate: dts HD-Master 5.1: de, en
Bildformat: 1:2,35/720p25
Laufzeit: 110
Codec: AVC
FSK: 0

Trailer zu Austreten

Austreten (2017) Trailer

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