Bis zum Untergang [Netflix]

Film-Review

Netflix, 27.03.2020

OT: Jusqu’au déclin

 


Um zu Leben, muss man überleben

Packender Survival-Thriller aus Kanada.

Inhalt

Man übt für den Ernstfall   Photo Credit: Netflix / Bertrand Calmeau

Es sind schwere gesellschaftliche Zeiten, in denen Familienvater Antoine lebt. Dass er aber einen Probealarm zur Bereitschaft des Katastrophenschutzes für nukleare Unfälle zum Anlass nimmt, seine Familie ins Auto zu verfrachten und aus der Stadt zu fliehen, könnte man für übertrieben halten. Andererseits könnten Epidemien oder Krieg ja vielleicht doch schneller kommen als einem lieb ist. Das ist auch der Grund dafür, dass er schon lange einem YouTube-Influencer folgt, der ini seinen Videos auf die Zeit nach einer – wie auch immer gearteten Katastrophe – vorbereitet und Tipps für das Einschweißen von Lebensmitteln ect. publiziert. Eben jener Alain ist ist, dessen Ruf Antoine mitten in dieser Nacht folgt. Denn er hat noch einen frei gewordenen Platz in seinem Survival-Camp für den Familienvater freischaufeln können. Dort findet sich Antoine also bald ein und trifft auf ein halbes Dutzend weiterer Mitstreiter. Man übt fleißig, die eigenen Fähigkeiten im Überleben zu schärfen, trainiert sich an der Schusswaffe und am Töten von Tieren und könnte eigentlich ganz gut mit der Situation leben. Wenn nicht eine unvorhergesehene Katastrophe tatsächlich eintritt und offenbart: So weit her ist es mit dem Survivaltraining nicht, wenn soziale Strukturen nicht funktionieren …

Alain (Mitte) leitet die Geschicke der Truppe Photo Credit: Netflix / Bertrand Calmeau

Willkommen bei der ersten Netflix-Produktion aus der eigenständigen nationalen Gemeinschaft Québec im Osten Kanadas. Willkommen bei einem Survival-Thriller, der in Zeiten von Corona-Krise mitunter fast prophetische Ausmaße annimmt.
Netflix hatte 2018 gemeinsam mit der kanadischen Regierung eine Vereinbarung auf den Weg gebracht, nach der der Streaming-Anbieter in den kommenden Jahren rund 500 Mio. Dollar für kanadische Produktionen aufwenden wird. Eine Vereinbarung, die mittlerweile erweitert wurde (Quelle).
Dass nun ausgerechnet Québec die erste Netflix-Kooperation auf die Plattform bringt, ist nicht ohne eine gewisse Brisanz. Waren es doch reale TV-Bilder eines Zugunglücks in Lac-Mégantic/Québec, die Netflix vor zwei Jahren für Bird Box nutzte, was die kanadische Regierung zu einer Forderung von Entschädigungsgeldern für die Bewohner der betroffenen Stadt aufbrachte.
Dieser Disput scheint allerdings beigelegt zu sein, sodass man sich auf die Kooperation konzentrieren konnte. Ende Mai 2018 gab man grünes Licht für Bis zum Untergang, dessen Drehbuch von Nicolas Krief, Patrice Laliberté und Charles Dionne geschrieben wurde. Als Regisseur fungiert der noch relativ unerfahrene Patrice Laliberté, der zuvor vor allem Kurzfilme und Serienepisoden gedreht hatte.

Noch herrscht Lagerfeuer-Stimmung   Photo Credit: Netflix / Bertrand Calmeau

Seinen ersten Langfilm legt er als Mix aus Katastrophen-/Survival-Thriller und Sozialexperiment aus. Ein Hauch des jüngst auf Netflix erschienenen Der Schacht weht durch Bis zum Untergang, wenn ein unvorhergesehenes Ereignis auch hier dafür sorgt, dass die Menschen vor allem sich selbst überleben müssen.
Das ist es, worauf es hier am Ende hinausläuft: Ganz viel Das Experiment plus ein wenig diffusem Bedrohungsszenario und kühler Kulisse im Schnee.
Dass die Story so ganz weit hergeholt nicht ist, zeigt sich möglicherweise tatsächlich innerhalb der Corona-Krise. Denn wenn in einem Staat Hamsterkäufe (auch) verstärkt bei den Waffenhändlern zu verzeichnen sind und die Bevölkerungsgruppe der Asiaten im gleichen Atemzug verstärkt Ziel von Rassismus und physischen Attacken wird, weil man ihnen die Verbreitung des COVID-19 unterstellt, dann liefert Bis zum Untergang mehr soziale Relevanz als man sich wünsche würde.
Allerdings bleibt diese Gesellschaftskritik verhältnismäßig oberflächlich. Die Figuren sind dann doch zu klischeehaft und mit der scharfen Schere geschnitten. Vom besorgten Familienvater über die Ex-Militäroffizierin bis hin zum psychotisch angehauchten David. Der Aluhut umweht sämtliche Figuren – manche mehr, manche weniger stark.
Allerdings verabschiedet sich der Film nach besagtem Ereignis nach einer guten halben Stunde ohnehin von der ursprünglichen Prämisse diffuser Bedrohungen von außen, sodass der Aluhut abgesetzt wird und es ums schiere Überleben geht.

Antoine und Rachel liegen auf einer Wellenlänge  Photo Credit: Netflix / Bertrand Calmeau

Nun sind es die angesprochenen innergesellschaftlichen Dynamiken, die für Spannungen und Spannung sorgen. Schon Alains ausgesprochenen, offen misanthropischen Einstellungen machen klar, dass Humanität mehr und mehr über Bord geworfen wird. Klimaflüchtlinge sind hier das Ziel der Anfeindungen. Und diese Ressentiments machen im fiktiven Drehbuch auch nicht Halt vor einer der offensten Gesellschaften der Welt. Allerdings werden auch diese politischen Konnotationen bald zugunsten eines Überlebensthrillers über Bord geworfen, wenn es nur noch darum geht, wer dieses Fleckchen unberührter Erde lebend verlassen darf. Die Schnee-Landschaft dient dabei recht eindringlich als Symbol für die Unberührtheit, die ihre weiße Weste verliert. Wie das Blut der Getöteten auf die gefrorene Oberfläche tropft, so verlieren auch die Protagonisten nach und nach alle ihre Unschuld.
Auch wenn Bis zum Untergang dann seine spannenden soziokulturellen Motive vernachlässigt, bleibt immerhin ein fesselnder Survival-Film, der das einerseits offene Naturszenario genauso zu nutzen weiß, wie enge und düstere Holzhütten. Zumal er immerhin konsequent in seiner Ausgestaltung der Opfer und jener, die übrig bleiben bleibt. Und er ist dabei überraschend brutal. Zwar bleiben die Auswirkungen der Gewalt meist von der Kamera ausgeblendet, aber zur Selbstverteidigung braucht man ja nicht zwingend 22 Waffengriffschläge auf den Kopf des bereits Wehrlosen. Zimperlich geht’s hier also nicht zu.

Bild- und Tonqualität

Man lauscht den gegenseitigen Lieblingsessen   Photo Credit: Netflix / Sebastien Raymond

Aktuelle Netflix-Produktionen werden – vom Anbieter gefordert – in den allermeisten Fällen in 4K abgeliefert. Im Falle von Filmen, die mit Dolby-Vision-Logo werben (wie es bei Bis zum Untergang der Fall ist), ist das sogar mit ziemlicher Sicherheit der Fall. Welche Kameras hier zum Einsatz kamen, konnte allerdings nicht in Erfahrung gebracht werden. Aufgrund der aktuellen freiwilligen Datenbeschränkung zu Corona-Zeiten läuft der Stream mit 7.62 Mbps anstelle der sonst üblichen 15.25 Mbps. Ein wenig sollten folgende Beschreibungen als mit Vorbehalt betrachtet werden, da sich vereinzelte Dinge wie Hintergrundartefakte/Banding oder softere Details durchaus wieder ändern könnten, wenn die volle Datenrate zur Verfügung steht.
Im laufenden Bild zeigt sich vom dynamischen HDR-Format allerdings nicht allzu viel. Die Bilder sind größtenteils wirklich sehr dunkel, solange sie nicht vor dem Hintergrund von gleißendem Schnee stattfinden. Selbst Spitzlichter wie Reflexionen im Weiß der Augen bleiben verhältnismäßig unauffällig. Sehr gut gelingt indes die Bildruhe, die in keiner Situation nachlässt – auch nicht in den dunklen Nachtszenen. Die Farben bleiben relativ dezent. Egal, ob in der verschneiten Landschaft oder zu Beginn in der Wohnung von Antoine und seiner Familie. Gedeckte Töne wie Grün, Braun und Ocker nehmen die meiste Zeit in Anspruch. Wie gut das Bild aussehen kann (trotz der reduzierten Farben) zeigt die Ansprache von Alain bei 12’30. Hier steht der Leiter des Boot Camps kontrastreich und dreidimensional vor dem verschneiten Hintergrund und blauen Himmel. Die Schärfe ist gut und in Close-ups bisweilen sogar hervorragend. Man sieht die Muster in den Pullovern Alains sehr gut und auch die Struktur in Gesichtern kommt plastisch zur Geltung. Es fehlt allerdings etwas an Kontrastumfang in den dunklen Szenen. Schwarz ist nie richtig satt und kann nicht die Kraft entfalten, um für beeindruckende HDR-Dynamik zu sorgen.

Eine Explosion später wird sich alles ändern   Photo Credit: Netflix / Bertrand Calmeau

Bis zum Untergang liegt, wie üblich bei Netflix, für die deutsche Sprachausgabe in Dolby Digital Plus vor. Punkten kann der Codec mit sauberer Darstellung der Atmosphäre und authentischem Knarzen des Schnees unter den Schuhen. Die Dialoge der hochwertigen Synchronisation sind hervorragend verständlich und wenn die Damen und Herren sich sportlich betätigen, hört man ihren Atem fast physisch spürbar im Nacken.
Druck wird auch erzeugt. Zwar nicht vehement, aber durchaus spürbar. Beispielsweise, wenn nach 22 Minuten die Waffen für Übungen sprechen und der Tieftöner dies mit kurzen Punches begleiten darf. Hier wird auch erstmals richtig fetzige Räumlichkeit geboten, wenn Projektile rund um den Zuschauer einschlagen und direktional im Raum verteilt werden, während Alain aus dem Hintergrund Kommandos gibt. Sehr atmosphärisch gestaltet sich dann auch der filmische Höhepunkt auf der Eisfläche, der effektvoll und sehr realistisch gestaltet wurde.
Das französische Original (wohlgemerkt nicht die englische Fassung) liefert eine Dolby Atmos Fassung. Wer also des Französischen mächtig ist oder aber gerne mit Untertiteln schaut, der darf sich auch über ein paar 3D-Sounds zur atmosphärischen Ergänzung freuen. Beginnen tut’s dort oben mit einem Garagentor, das hochgezogen wird (2’32). In der Folge gesellt sich dann während der sprach- und geräuschlosen Szenen auch die Filmmusik auf die Höhen-Kanäle. Nach einer halben Stunde gibt’s dann eine Explosion, die sich bis auf die Heights ausweitet (32’30) und nach ein bisschen Vogelgezwitscher taucht die Kamera für den Zuschauer nach etwas über fünfzig Minuten unter Wasser, was mit zahlreichen Glucks- und dumpfen Klopfgeräuschen verbunden wird (ab 53’32). Sechs Minuten später sitzt die Kamera in einem Fahrzeug, dessen Abdeckung hörbar über das Dach gezogen wird. In der Folge gibt es einen Schusswechsel, der innerhalb von einigen Minuten zahlreiche Querschläger auf den Höhen-Speakern platziert. Richtig klasse ist der 3D-Soundeffekt beim Bersten und sich Zusammenziehen des brennenden Gewächshauses. Hier wähnt man sich inmitten des Geschehens und duckt sich unwillkürlich (67’52). Nur eine Minute später hört man dann wieder effektvoll den Hall von Schüssen, die innerhalb eines Schuppens abgegeben werden.

Fazit

Bis zum Untergang beginnt stark, reflektiert auf fast schon gruselig prophetische Art und Weise die derzeitige Corona-Pandemie und provoziert mit unterliegenden Verschwörungs-Motiven und Ressentiments gegenüber einer diffusen Bedrohung durch fremde Menschen. Da der Film in diesem Bereich aber irgendwann die Substanz fehlt, konzentriert er sich lieber auf das Survival-Thema. Das wiederum macht er relativ überraschungsfrei und geradlinig, allerdings fesselnd und unerbittlich – schon alleine aufgrund zweier ziemlich unvermittelter Todesfälle.
Timo Wolters


Bewertung

Bildqualität: 75%

Tonqualität (dt. Fassung): 75%

Tonqualität 2D-Soundebene (Originalversion): 75%
Tonqualität 3D-Soundebene Quantität (Originalversion): 40%
Tonqualität 3D-Soundebene Qualität (Originalversion): 70%

Film: 70%

Anbieter: Netflix
Land/Jahr: Kanada 2020
Regie: Patrice Laliberté
Darsteller: Marc Beaupré, Réal Bossé, Marilyn Castonguay, Guillaume Cyr, Isabelle Giroux, Marc-André Grondin, Guillaume Laurin, Marie-Evelyne Lessard
Tonformate: Dolby Atmos (DD+-Kern): fr // Dolby Digital Plus: de, en
Bildformat: 2,39:1
Laufzeit: 83
Real 4K: Ja
Datenrate: 15.25 Mbps – derzeit reduziert auf 7.62 Mbps
Altersfreigabe: 16

(Copyright der Cover und Szenenbilder liegt bei Anbieter Netflix)

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