Blu-ray Review
OT: Patriot’s Day
Boston Strong
Peter Berg kann nicht von der Inszenierung wahrer Geschichten lassen. In „Boston“ nimmt er sich die Geschehnisse rund um den Anschlag auf den Marathon in der Stadt vor.
Inhalt
Sergeant Tommy Saunders erwartet eigentlich schon seit Längerem eine Beförderung in den Rang des Captain – zumal ihm seit einiger Zeit das malade Knie zu schaffen macht. Doch weil der Boston-Marathon ansteht, darf auch Saunders mal wieder im „Clownskostüm“ (wie er die auffälligen Warnwesten bezeichnet) auf die Straße und die Menschenmassen der Zuschauer im Zaum halten. Doch was Tommy als nerviges Pflichtding abcancelt, wird ihn überraschenderweise mächtig in Atem halten. Denn während des Laufs explodieren im Abstand von 13 Sekunden zwei Sprengsätze. Die Straßen werden in Staub gehüllt, überall herrscht Panik und blutende Menschen liegen kreuz und quer. Am Ende des Tages zählt man drei Tote und 264 teils schwer verletzte Menschen. Um die Täter möglichst schnell zu finden, versucht man anhand von Handykamera-Bildern so exakt wie möglich zu rekonstruieren, wer sich wo und wie befand und welche Gegenstände eventuell verlassen rumstanden. Je genauer man arbeitet, desto schneller kommt man eventuell den flüchtigen Tätern auf die Spur. Als man herausbekommt, dass es zwei Täter waren und wer sie sind, beginnt eine aufwändige Jagd, die die Stadt vier Tage in Atem hält …
Peter Berg mag die patriotischen Geschichten. Die Storys von (Alltags)Helden und dekorierten Militärs. Nach Lone Survivor und zuletzt Deepwater Horizon nimmt er sich erneut wahre Begebenheiten und stellt sich außerdem zum dritten Mal Mark Wahlberg an die Seite. Bezeichnend, dass dessen Charakter der einzig fiktive in Boston ist, was Wahlberg nicht davon abhält, sein Ego in den Mittelpunkt des Films zu stellen. Denn eigentlich gehört Bergs Rekonstruktion der Geschehnisse vom 15. Apirl 2013 ja den wirklichen Alltagshelden. Jenen Menschen, die ohne Rücksicht auf ihr eigenes Leben und im Angesicht etwaiger weiterer Explosionen allen anderen Menschen zur Hilfe eilten. Das können namenlose Passanten gewesen sein, ebenso wie Einsatzkräfte. Reale Vorbilder haben beispielsweise Commissioner Ed Davis (hier von John Goodman gespielt), FBI-Agent Rick Deslauriers (Kevin Bacon) oder Sergeant Jeffrey Pugliese (J.K. Simmons) sowie Dun Meng, der von den Attentätern für eine kurzen Zeitraum im eigenen Auto als Geisel gehalten wurde. Doch Hollywood wäre nicht Hollywood und Peter Berg nicht Peter Berg, wenn er der an sich schon dramatischen Geschichte nicht noch etwas mehr Pfeffer geben würde. Und so findet sich der von der Arbeit etwas enttäuschte und dem Alkohol gerade nicht abgeneigte Tommy Saunders in der Story wieder und dient dem Publikum als Identifikationsfigur.
Davon ab inszeniert Berg chronologisch, hält sich mitunter fast an eine dokumentarische Erzählweise und streut auch Original-Aufnahmen ein. Seine typische Art der Kameraführung mit zahlreichen Zooms, wackeliger Handhabung und schnellen Schnitten sorgt zwar bei einigen immer noch für Kopfschmerzen, unterstützt die Authentizität hier aber nochmals. Die ab der 23. Minute entstehende Spannung vor den Explosionen ist zum Greifen nahe und durch Bergs Wechsel zwischen unterschiedlichen Aufnahmen und echten Überwachungskamera-Sequenzen fühlt man sich unvermittelt selbst an den Ort des Geschehens versetzt. Man spürt die Wehrlosigkeit der Zuschauer und die Suspense ist extrem, obwohl oder vielleicht gerade WEIL man ja weiß, was geschehen wird. Ist es dann soweit, schaut man nicht nur gefesselt zu, sondern ist auch überwältigt von der Wucht der blutigen Bilder, die Berg nutzt. Geschönt wird hier jedenfalls Nichts und die Gliedmaßen liegen gleich in Massen auf der Straße. Besonders gut fängt Boston den Schockzustand der Opfer ein, die völlig paralysiert irgendwelche Automatismen abspulen, die in dieser Situation eigentlich vollkommen unlogisch sind. Und während es um die Helfer und die Verletzten herum Asche regnet wie bei einem erneuten 9/11, kommentiert Berg mit seiner Kamera nicht, er beobachtet. Das sind zehn Minuten echte Gänsehaut, die von der unterschwelligen Filmmusik noch intensiviert wird.
Dass es zur Verfolgung der beiden Brüder kam, ist wiederum der Mitarbeit der Bevölkerung zu verdanken, die ihre Handyaufnahmen einsandten. Das akribische Durchforsten der Aufnahmen schildert der Film als spannende Puzzle-Suche, die vor dem Bildschirm fesselt. Und die durchaus auch Kritik daran übt, dass sich unterschiedliche Polizeibehörden Kompetenzrangeleien liefern und nicht immer an einem Strang ziehen. Ein bisschen Medienschelte gibt’s noch obendrauf.
Was Boston zudem durchaus gut macht, ist die Charakterisierung der Figuren an sich. Denn Berg gibt auch den Tätern ein Gesicht. Die beiden Brüder werden als Figuren von Beginn an mit einbezogen und sind keinesfalls eine graue Masse. Man führt sogar die Bedenken vor, die einer der Zwei gegenüber der geplanten Tat hat und lässt sie gar als Menschen erscheinen, wenn sie Diskussionen mit der Ehefrau des einen über die Babymilch führen. Auch die Beamten, die im späteren Verlauf in Watertown eine Rolle spiel(t)en, werden frühzeitig eingeführt und bekommen private Hintergründe.
Jetzt könnte man sich natürlich fragen, was man über 135 Minuten Laufzeit macht, wenn nach gut 35 Minuten am Anschlagsort „alles vorbei“ ist. Doch der Regisseur rekonstruiert auch die Ermittlungsarbeiten, die direkt danach unternommen wurden und von FBI-Agent Deslaurier geleitet wurden und integriert außerdem noch eine phänomenale Shoot-Out-Sequenz im letzten Drittel, in der die Beamten auf die Attentäter treffen. Bei der Aktion in der benachbarten Stadt Watertown fielen insgesamt 250 Schüsse und einer der Attentäter kam letztlich zu Tode. Diese Sequenz ist derart intensiv, dass sie sich gleich neben der legendären Schießerei in Michael Manns Heat einreiht. Hier zeigt Berg, was er kann: Unmittelbare Action inszenieren wie kaum ein Zweiter.
Bild- und Tonqualität BD
Boston ist zunächst vor allem eins: Ziemlich düster. Die Stadt wirkt beständig, als würden die Geschehnisse in der Dämmerung stattfinden (61’30). Und das gilt für die Außenaufnahmen genauso wie für die Szenen in Innenräumen. Echter Kontrastumfang, richtige Dynamik will sich nicht einstellen. Herausragend hingegen ist die Freiheit von Korn oder Rauschen. Das Bild ist äußerst ruhig und völlig frei von digitalen Artefakten, Randunschärfen oder Treppenstufen. Herausragend ist auch die Detailtiefe, die vor allem bei den Vogelperspektiven auf die Stadt deutlich wird.
Zwar hat man weder der Blu-ray noch der UHD von Boston den dts:X-Score der US-Disk spendiert, doch die dts-HD-Master-Varianten für beide Sprachen schlagen sich wirklich prächtig. Und das, obwohl der Film zunächst relativ unauffällig und sich auf die Dialoge konzentriert. Sobald das Geschehen aber zur Laufstrecke wechselt, ändert sich das beeindruckend. Die Hubschrauber bei 14’02 und 16’27 sind extrem präsent und trotz nicht vorhandener 3D-Sound-Ebene äußerst raumfüllend. Die Atmosphäre der Zuschauer wird authentisch ins Heimkino transportiert und wenn die Bomben explodieren, wird das Wohnzimmer selbst zum Tatort (ab 26’30). Bevor es dann zum Action-Finale kommt, nimmt sich der Sound in Sachen Informationsvielfalt wieder etwas zurück, legt dann aber umso direktionaler los, wenn die ersten Schüsse in Watertown fallen 84’50). Die Rohrbomben, die parallel geworfen werden und detonieren, liefern dazu einiges an Druck und lassen die einzelnen Splitter fast zählbar über die Surrounds rieseln.
Bild- und Tonqualität UHD
Boston wurde komplett digital gefilmt, wofür Kameras vom Typ Arri Alexa XT Plus zum Einsatz kamen. Die lieferten an der Quelle 3,4K, wurden für das Kino-Digital-Intermediate allerdings auf 2K heruntergerechnet. Die Ultra-HD ist also „nur“ eine hochskalierte Fassung und liefert kein natives 4K. Insgesamt ist es von seiten der Auflösung her extrem schwer, einen Unterschied zwischen beiden Fassungen zu erkennen. Das liegt nicht mal daran, dass man es hier nur mit einem 2K-DI zu tun hat, sondern an Bergs Art und Weise zu filmen. Die Kamera ist praktisch nie still und wackelt beständig hin und her. Berg zoomt rein und raus, schwenkt hoch und runter, ist nahe an seinen Protagonisten, umkreist sie und filmt mit Zoom aus dem Hintergrund. Um hier einen Auflösungsvorsprung zu erkennen, muss man schon auf Standbilder zurückgreifen.
HDR10 und ein erweiterter Farbraum im Rahmen von Rec.2020 wurden ebenfalls spendiert. Beides zeigt im laufenden Film zwar seine Wirkung, allerdings steht sich auch hier der Film, bzw. seine Machart selbst im Weg. Boston ist nicht nur in den Nach-Bomben-Szenen verraucht, sondern grundsätzlich eher von dunkler Stimmung. Der Kontrastumfang ist auf einem mittleren Niveau und HDR ändert daran nur wenig. Insgesamt wirkt das Ultra-HD-Bild eher etwas aufgehellt, was ihm durchaus gut tut. Denn dadurch ist in Schattenbereichen mehr Zeichnung und während der dunkleren Szenen versumpfen Details nicht so schnell. Die UHD liefert hier subjektiv mehr Informationen, weil man mehr sieht. Das wird vor allem bei den wenigen ruhigen Totalen der Stadt aus der Vogelperspektive klar, wenn man die Fensterrahmen der Hochhaus-Fenster klarer erkennen kann und dadurch die Glasscheiben besser umrahmt und damit knackiger erscheinen. Der erweiterte Farbraum ist nur sehr dezent aktiv. Selbst rote Farbtupfer bleiben verhältnismäßig „normal“ und Gesichtstöne erscheinen eher etwas natürlicher. Hervorragend ist die Bildruhe im Sinne eines fehlenden Korns, was in Verbindung mit dem subjektiv klarer definierten 4K-Bild den Dokumentar-Look noch unterstreicht.
Bonusmaterial
Das Bonusmaterial von liegt hauptsächlich auf der Blu-ray des Films. So findet sich hier mit „Boston Strong“ ein dreiteiliges Feature, das anhand dreier echter Beteiligter die Ereignisse aus drei unterschiedlichen Perspektiven schildert. Dazu gibt’s noch ein erweitertes Ende und ein Featurette, das zwei der realen Vorbilder ihrem schauspielerischen Pendant gegenüberstellt. In „Researching the Day“ geht’s dann vornehmlich um Peter Berg und sein Faible dafür, echte Ereignisse möglichst akkurat nacherzählen zu wollen. Drei weitere Featurettes sind auf Blu-ray und UHD enthalten. Da wäre zunächst: „Boston – Die Stadt der Champions“, in der Regisseur und Darsteller vor allem von ihrer Leidenschaft für die Story erzählen. Hier erfährt man auch, warum gerade Mark Wahlberg so unbedingt dabei sein wollte. In „Die Schauspieler erinnern sich“ schildern die Darsteller, wo sie gerade waren, was sie gerade machten, als die Anschläge in Boston passierten. „Die Helden vor Ort“ schließlich nimmt sich Zeit, noch einmal drei der realen Figuren und ihre Darsteller zu Wort kommen zu lassen.
Fazit
Peter Berg weiß, wie man authentische Action inszeniert und lässt wie schon bei Deepwater Horizon auch bei Boston Hurra-Patriotismus weitgehend beiseite, was seinen Film über die Schilderung der Ereignisse rund um die Bombenattentate zu einem immens spannenden und fesselnden Werk werden lässt. Dass er die Hauptfigur hinzu erfindet, kann man dann gerne verzeihen. Beim nächsten Mal aber vielleicht ohne Mr. Wahlberg, der einem in diesen Rollen mit seinem Ego langsam auf die Nerven geht. Die UHD hat nicht das dynamischste Bild, der Sound unterstützt den Film allerdings prächtig.
Timo Wolters
Bewertung
Bildqualität BD: 75%
Bildqualität UHD: 70%
Tonqualität BD/UHD (dt. Fassung): 85%
Tonqualität BD/UHD (Originalversion): 85%
Bonusmaterial: 60%
Film: 80%
Anbieter: Studiocanal
Land/Jahr: USA 2016
Regie: Peter Berg
Darsteller: Mark Wahlberg, Kevin Bacon, John Goodman, J.K. Simmons, Michelle Monaghan, Rhet Kidd
Tonformate BD: dts-HD-Master 5.1: de, en
Tonformate UHD: dts-HD-Master 5.1: de, en
Bildformat: 2,35:1
Laufzeit: 133
Codec BD: AVC
Codec UHD: HEVC
Real 4K: Nein (2K DI)
FSK: 16
Das Ende des Filmes ist ziemlich schwach. Habe MEHR erwartet.