Boy Missing

Blu-ray Review

Boy Missing BD Cover
OFDB Filmworks/Koch Media, 22.03.2018

OT: Secuestro

 


Mit Netz und doppeltem Boden

Mal wieder ein guter Thriller aus Spanien.

Inhalt

Patricia de Lucas ist Anwältin und hat gerade wieder einem Unternehmer eine drohende Strafe erspart. Ihr Erfolg vor Gericht lässt sich nicht immer mit der notwendigen Zeit für ihren kleinen Sohn Victor vereinbaren. Als sie am frühen Abend eines Tages von der Polizei kontaktiert wird, dass man den Jungen blutverschmiert auf einem Waldweg aufgelesen hat, staunt sie nicht schlecht – zumal sie ihn noch selbst zur Schule gebracht hatte. Offenbar wurde Victor für einen kurzen Zeitraum entführt und tauchte dann wieder auf. Der Polizei konnte er nichts sagen, was auch daran liegt, dass er taubstumm geboren wurde und sich für seine laute Aussprache schämt. Nur langsam öffnet sich Victor der Mutter und erzählt ihr, wie er von einem Unbekannten entführt wurde, dann aber fliehen konnte. Auch der vermeintliche Entführer wird bald gefunden. Victor identifiziert ihn. Doch das ist offenbar nicht die ganze Wahrheit …

Nein, Guillermo del Toro war dieses Mal nicht mit von der Partie – auch wenn man das bei spanischen Produktionen gerne annimmt (und oft richtig liegt). Boy Missing wurde indes von Oriol Paulo geschrieben (Regie bei The Body) und von Langfilm-Debütantin Mar Targarona (Ko-Produzentin von Julia’s Eyes und Das Waisenhaus) inszeniert. Was den Film von Beginn an auszeichnet, ist sein starkes Schauspiel. Für einen Film „mal eben“ Gebärdensprache zu integrieren ist für alle Beteiligten sicherlich nicht einfach. Um hier möglichst authentisch zu bleiben, fand man in Marc Domènech einen talentierten Darsteller, der tatsächlich taubstumm ist, gleichzeitig aber in der Lage war, mit nuancierter Mimik zu glänzen. Da er den Film und seine geheimnisvolle Story über zahlreiche Strecken schultern muss, hätte es mit einem unnatürlich erscheinenden Jungdarsteller auch schnell dazu führen, können, dass man von der Story abgelenkt worden wäre. Die Geschichte ist neben dem Schauspiel dann auch die zweite Bank des spanischen Thrillers.

Nur selten beginnen Filme damit, dass ein Entführter schon vor der Zeit, in der er vermisst werden könnte, wieder auftaucht und der Film dann nach und nach aufdröseln muss, welche Begleitumstände zum Kidnapping geführt haben. Als Zuschauer ahnt man zwar frühzeitig, dass hier nicht alles mit rechten Dingen zugeht, doch was GENAU sich hinter allem verbirgt, bleibt ein bis zum Finale wendungsreiches und überraschendes Spiel. Die Spannung allerdings könnte noch etwas packender zugreifen. Nach etwas unter 40 Minuten wird es erstmals bedrohlich, wenn sich auf dem Grundstück der Lucas ein Fremder einfindet. Allerdings scheint sich dieses Thema schnell aufzulösen, wenn Boy Missing plötzlich eine Wendung zum Mobbing-Thriller erfährt und sich Victors Mutter ganz tief in die sprichwörtliche Schei*e reitet. Leider verliert man dann nach und nach das Gefühl, dass sich der Film ein wenig verliert. Denn die ursprüngliche Richtung wird auf sehr deutliche Art verlassen. Von nun an hat man es mehr mit der Tatsache zu tun, dass das Leben einer erfolgreichen Anwältin ziemlich schlagartig verändert wird und sie sich zunehmend irrational zu verhalten beginnt. Das ist zwar menschlich nachvollziehbar, aber aus ihrer eigenen strafrechtlichen Position heraus nur bedingt verständlich.

Bild- und Tonqualität

Boy Missing hat ein relativ ruhiges Bild mit geringer Körnung – und zwar sowohl in den gut ausgeleuchteten als auch in den dunkleren Szenen. Die Schärfe geht in Ordnung, ohne extrem plastisch zu werden. Auch der Kontrastumfang dürfte noch ein wenig höher sein und etwas knackigeres Schwarz liefern. Gesichtstöne sind angenehm warm, übertreiben es aber nicht und bleiben auch während der dunkleren Szenen noch genießbar.
Bewusst extrem räumlich beginnt der Ton von Boy Missing. Während die Kamera dem geschwächten Victor folgt, hört man dessen Atmen laut und deutlich von den Rearspeakern und wird auf diese Weise bereits emotional mit der Figur verbunden. Die Dialoge der Synchronfassung könnten etwas offener und feiner klingen. Zwar sind sie voluminöser als die dünne Originalfassung, aber auch ein wenig dumpf – vor allem im Vergleich zur ansonsten recht räumlichen Umgebungsatmosphäre.
Was wirklich gut gelingt, ist das Spiel mit der Schwerhörigkeit Victors. Oft, wenn der Junge im Fokus steht,

Bonusmaterial

Im Bonusmaterial von Boy Missing wurden sieben entfernte Szenen sowie ein gut 17-minütiges Making-of abgelegt, das mit einigen Hintergrundinfos aufwartet und Bilder aus der Hinter-der-Kamera-Position liefert.

Fazit

Boy Missing beginnt spannend und vor allem interessant was das Miträtseln angeht. Wird dann nach etwa einer Stunde klar, in welche Richtung die Reise geht, verliert sich der spanische Thriller leider zunehmend in Klischees und das überraschende Ende ist im Nachhinein auch ein wenig konstruiert – dennoch: solide Genre-Unterhaltung.
Timo Wolters


Bewertung

Bildqualität: 70%
Tonqualität (dt. Fassung): 70%
Tonqualität (Originalversion): 65%
Bonusmaterial: 40%
Film: 65%

Anbieter: OFDB Filmworks/Koch Media
Land/Jahr: Spanien 2016
Regie: Mar Targarona
Darsteller: Blanca Portillo, Antonio Dechent, Vicente Romero, Marc Domènech, Nausicaa Bonnín, Andrés Herrera, José Coronado
Tonformate: dts HD-Master 5.1: de, sp
Bildformat: 2,35:1
Laufzeit: 105
Codec: AVC
FSK: 16

Trailer zu Boy Missing

Boy Missing (deutscher Trailer)

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