Blu-ray Review

OT: Brawl in Cell Block 99

“Ich heiße Bradley und ich bin Psychopath”
Der brettharte Thriller mit Vince Vaughn erscheint ungeschnitten im Mediabook.
Inhalt

Bradley Thomas war mal ein passabler Boxer. Nun lebt er von Gelegenheitsjobs, die ihn und seine Frau mehr schlecht als recht durchbringen. Seine jüngste Arbeitsstelle hat er soeben wieder verloren. Und als er zu früh nach Hause kommt, bekommt er auch noch mit, dass seine Holde jemand anderen kennen gelernt hat. Nachdem sich Bradley abreagiert hat, schlägt er vor, dass man es noch einmal probiert und ein neues Leben anfängt. Das jedoch beinhaltet, dass er als Drogenkurier zu arbeiten beginnt. Etwas, das ihm schnell Geld einbringt und das gemeinsame Leben mit der Frau verbessert. Doch wie es immer ist, geht ein Job schief. Zwar versucht Bradley noch, seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen, doch am Ende landet er im Knast – sieben Jahre lang. Als wäre das nicht schlimm genug, bekommt er schon am zweiten Tag Besuch von einem Fremden. Der offenbart ihm, dass sein Ex-Auftraggeber Bradleys schwangere Frau entführt hat und das man am ungeborenen Kind Gliedmaßen entfernen würde, wenn Bradley nicht einen anderen Knast-Insassen umbringt. Da der in einem Hochsicherheits-Gefängnis einsitzt, muss Bradley aber erst einmal dorthin – und das geht nur mit Gewalt …

Erinnert sich noch jemand an den 2016er Western mit Splatter-Elementen, Bone Tomahawk? Wenn das so ist, dann zu Recht. Denn das, was Craig S. Zahler damals an Blut und Atmosphäre ablieferte, war ebenso erstaunlich wie ungewöhnlich – ein ziemlich bemerkenswerter Genre-Zwitter.
Vor knapp einem halben Jahr legte Zahler nach -zunächst noch in einer um gut 70 Sekunden geschnittenen FSK-18-Fassung.
Jetzt kommt über Anbieter Capelight die Uncut-Version im Mediabook mit einer ksJ-SPIO-Einstufung.
Und die zeigt den Film dann in seiner absolut rohen Pracht. Was Zahler in Brawl in Cell Block 99 abzieht, ist manchmal derart roh und brutal, dass man sich verwundert die Augen reibt. Verwundert ist ein gutes Stichwort. Denn wenn man hört und liest, dass Vince Vaughn die Hauptrolle spielt, glaubt man es zunächst kaum. Doch dann schaut man sich die ersten Szenen an, sieht diesen kahlrasierten Schädel mit der tätowierten Rune auf dem Hinterkopf und beobachtet, wie dieser Mann mit bloßen Fäusten ein Auto zu Schrott klumpt. Eben jener Vince Vaughn, den man eigentlich aus Komödien (vorwiegend mit Ben Stiller und Owen Wilson) kennt. Dass es funktioniert, liegt aber nicht nur an der ungewohnten “Frisur”, sondern an Vaughn selbst. Unglaublich, dass man ihm die Rolle des harten Kerls so ohne Weiteres abnimmt. Aber seine unterkühlte und fast pragmatische Art, den Bradley zu spielen, fasziniert. Als Gegenspieler hat man ihm nach 75 Minuten einen absoluten Überraschungsgast vor die Nase gesetzt, der den Wärter Warden Tuggs im Hochsicherheitsgefängnis spielt und mit eiskaltem Zynismus agiert.

Wo Bone Tomahawk ein Genre-Mix aus Splatterhorror und Western war, beginnt Brawl in Cell Block 99 zunächst als gemächlich inszenierter Drogenthriller mit dezenten Drama-Elementen. Man schaut dem Treiben, das sich (ziemlich abrupt) entwickelt, nachdem Bradley von Neuanfang spricht, eine Weile lang zu.Es wird ausgiebig geschildert, wie unser Protagonist mit zwei mexikanischen Kollegen ein Drogen-Versteck auf offenem Wasser aufsucht, leerräumt und dann von der Polizei umstellt wird. Die sich daraus entwickelnde Schießerei wird ebenso in Quasi-Echtzeit geschildert, wie der Einzug Bradleys in den Knast. In ziemlich quälenden Einstellungen schildert Craig S. Zahler die Verhältnisse im Gefängnis, konzentriert sich auf die Verhaltensweisen der Insassen und begleitet in langen Kamerafahrten den Hauptdarsteller. Das könnten viele, die eine dauerhafte Action-Tour-de-Force erwarten, zunächst abschrecken. Und vielleicht will Zahler das auch. Die erste Nacht, die Bradley im Knast verbringt, wurde auf eine ähnliche Weise noch nicht geschildert. Während er auf seiner Pritsche liegt, hört er nebenan das blecherne Geräusch, als einer der Zellennachbarn in sein Metallgefäß uriniert, das die Anstalt wohl Toilette nennt. Man spürt förmlich die Einsamkeit, die einem Insassen entgegen strömt.

Und dann bricht es plötzlich auch Bradley und dem Film heraus. Mit ungeschönter Gewalt drischt Vaughns Figur auf seinen Gegner ein – und während andere Knast-Filme irgendwie zu vermitteln versuchen, dass man dem Hauptdarsteller Unrecht tut, damit man sich auf dessen Seite stellt, bleibt Brawl in Cell Block 99 ungewöhnlich kalt und unemotional. Gerade das sorgt aber für einen Gänsehaut-Faktor. Inszenatorisch ist der Film so ungewöhnlich und gegen die üblichen Sehgewohnheiten, dass man sich bisweilen wirklich wundert. Aber nicht nur über die Inszenierung wird sich so manch einer wundern, auch über den Gewaltgehalt, der im späteren Verlauf drastische Formen annimmt. So drastisch, dass Anbieter Universum Film für eine FSK-18-Fassung leider gezwungen war, etwas über eine Minute heraus zu kürzen. Aber auch ohne diese fehlenden Szenen verfehlt das Szenario seine Wirkung nicht – auch weil Filmmusik praktisch ausbleibt und im Hochsicherheits-Trakt nur ein leichtes Rauschen zu vernehmen ist. Interessanterweise erscheinen die Kampfszenen im Gegensatz zu durchgestylten Actionern manchmal fast plump. Allerdings wirken sie gerade über ihre körperliche Rohheit und urtümliche Gewalt. Wenn Vaughn wie eine Zwei-Meter-Kampfmaschine scheinbar ohne Schmerzempfinden durch seine Widersacher pflügt, fühlt man den Schmerz als Zuschauer praktisch im eigenen Magen (und allen anderen Gliedmaßen).
Unterschied FSK-18-Fassung zur Uncut-Version
VORSICHT: SPOILER!
Bild- und Tonqualität BD

Brawl in Cell Block 99 nutzt ein massiv stilisiertes und im Kontrast deutlich überhöhtes Bild. Bei Fotografien spricht man vom HDR-Effekt, wenn man derartig krasse Kontraste herstellt. Im laufenden Film sorgt das von Beginn an für eine schwüle, hitzige und atmosphärisch äußerst dichte Atmosphäre. Die Schärfe geht dabei in Ordnung – nicht mehr und nicht weniger. Da die Laufruhe dauerhaft hoch bleibt und eine Körnung nur auf Oberflächen wie dem Himmel zu beobachten ist, sorgt die Auflösung dennoch für einen homogenen Eindruck. Die Farben wirken ein wenig kränklich, was an ihrer teils grünen, teils gelben Einfärbung liegt. Aufgrund des steilen Kontrasts versumpfen in vielen schwarzen Bereichen dazu die Details und es gibt leider auch relativ häufig Banding-Effekte auf uniformen Hintergründen.
Akustisch beginnt Brawl in Cell Block 99 mit brabbelnden V8-Motoren, die ziemlich massiv und druckvoll rüberkommen, wenn die Muscle Cars durch die Straßen fahren. Auch der Schiffs-Diesel von Bradleys altem Kahn blubbert nett vor sich hin und wenn sich hinter Bradley die Zellentür krachend schließt, reicht das schon für eine ziemlich effektvolle und kräftige Szene. Da es ansonsten eher ruhig bleibt und auch nur geringfügig Filmmusik integriert wird, hört man oft nur ein leichtes Hintergrundrauschen, was die Atmosphäre im Knast intensiv werden lässt. Leider sind Dialoge etwas flach und leise abgemischt.
Bild- und Tonqualität UHD

Brawl in Cell Block 99 wurde mit Red-Digital-Cinema-Kameras aufgenommen und weist vom 6K-Master offenbar ein Digital-Intermediate in 4K auf. Dass der Film auf einem solchen nativen 4K-DI basiert, sieht man ihm in Sachen Auflösung durchaus an. Abseits all der Stilmittel, überhöhten Kontraste und ausreißenden hellen Flächen, ist die Detailvielfalt in Close-ups absolut hervorragend (5’40, 118’52). Auch feine Details wie die Decke über dem Sofa, auf dem Lauren sitzt, kommen sehr ruhig und dreidimensional rüber. Richtig gut ist auch die Tiefe der Details im Gefängnis-Zwischenraum (70’15). Geblieben ist natürlich auch die hohe Laufruhe der Scheibe, die sich kaum ein Körnchen erlaubt – es sei denn, es wird im Hintergrund mal sehr dunkel (87’52).
Aber noch mal zurück zum generellen Look des Films. Was über die Blu-ray schon brutal stilisiert aussieht, ändert sich bei der UHD praktisch nicht. Der Grund: Es wurden weder eine höhere Bilddynamik, noch ein erweiterter Farbraum integriert. Die Ultra-HD bietet also nur SDR mit BT.709-Farbraum. Glaubt man Zitaten, die man bei Recherchen findet, haben die Macher den Film in der Postproduktion auch deshalb so überhöht und stilisiert, um den HDR-Effekt bereits auf der Blu-ray zu erzielen. Und weil man das so gemacht hat, hielt man es vielleicht nicht mehr für nötig, in Richtung HDR oder Rec.2020 zu mastern. Die UHD transportiert diesen optischen Stilmix aus Überkontrastierung, teils entsättigten, teils übertriebenen Farben mit bisweilen starker Farbfilterung (mal grün, mal blau) zwar 1:1 und authentisch zum Betrachter – technisch schöner, wird das aber deswegen nicht.
Neben der etwas besseren Schärfe (sichtbar allerdings erst bei größeren Bilddiagonalen) gibt es einen weiteren Grund für die UHD: Die höhere Farbtiefe. Die liefert die UHD nämlich ungeachtet der Tatsache, dass sie nur in SDR vorliegt. Und was 10 Bit gegenüber 8 Bit ausmachen, sieht man wunderbar auf diversen uniformen Hintergründen wie der grünen Wand im Telefonzimmer des Gefängnisses. Wo die BD unter sichtbarem Banding leidet, ist das über die UHD Geschichte (siehe Bildvergleich unten).


UHD SDR (Slider ganz nach links): Die UHD bietet praktisch das gleiche Bild. Keine Differenz im Color Grading oder der Dynamik.


UHD SDR (Slider ganz nach links): Die UHD bietet praktisch das gleiche Bild. Keine Differenz im Color Grading oder der Dynamik.


UHD SDR (Slider ganz nach links): Die UHD kann sich hier nicht absetzen.


UHD SDR (Slider ganz nach links): Die UHD liefert 10 Bit Farbtiefe und eliminiert damit den unschönen Effekt völlig – ein vor allem bei großen Bildbreiten lohenswertes Attribut der Ultra-HD.
Bonusmaterial

Im Bonusmaterial der Doppeldisk der UHD von Brawl in Cell Block 99 findet sich neben dem bekannten Behind the Scenes der bisherigen Blu-ray, das gut 15 Minuten läuft und Interviews vom Regisseur und den Produzenten sowie den Darstellern integriert, noch ein Q&A mit Crew und Cast beim Beyond Fest. Dieses läuft gut über eine halbe Stunde und lässt insgesamt sechs Damen und Herren von ihren Erfahrungen während des Drehs berichten.
Beide Extras liegen auf der BD sowie auch auf der UHD vor.
Obendrauf gibt’s natürlich noch das schicke Mediabook selbst sowie das darin enthaltene 24-seitige Booklet mit einem Text zum Film von Dr. Marcus Stiglegger.
Fazit
Sichert euch diesen Film im Mediabook, solange es noch geht und er nicht (möglicherweise) auf dem Index landet. Denn in seiner um 70 Sekunden längeren Uncut-Fassung tritt Vince Vaughn noch weitaus wuchtiger zu und es bleibt einem auch aufgrund der gezeigten grafischen Gewalt die Spucke weg.
Die UHD hat zwar den gleichen stilisierten Look wie die Blu-ray, merzt aber aufgrund der größeren Farbtiefe sämtliche Quantisierungsprobleme der BD aus.
Timo Wolters
Bewertung
Bildqualität BD: 65%
Bildqualität UHD: 70%
Tonqualität BD/UHD (dt. Fassung): 70%
Tonqualität BD/UHD (Originalversion): 70%
Bonusmaterial: 60%
Film: 85%
Anbieter: Capelight Pictures
Land/Jahr: USA 2017
Regie: S. Craig Zahler
Darsteller: Vince Vaughn, Jennifer Carpenter, Don Johnson, Udo Kier, Marc Blucas, Dion Mucciacito
Tonformate BD/UHD: dts-HD-Master 5.1: de, en
Bildformat: 2,35:1
Laufzeit: 132:33
Codec BD: AVC
Codec UHD: HEVC
Disk-Kapazität (UHD): BD-66
Real 4K: Ja (4K DI)
High Dynamic Range: –
Maximale Lichtstärke: Keine Angabe
FSK: SPIO/JK ksJ
(Copyright der Cover, Szenenbilder und vergleichenden Screenshots liegt bei Anbieter: Capelight Pictures)
Schade, dass bei Capelight meist keine englischen Untertitel geboten werden – so auch hier. Der Film ist leider nicht so meine Sache, die UHD ist bis auf die Tatsache, dass Teile des Bildes wirklich stark im Schwarz versumpfen, aber gut und kann empfohlen werden. Toll finde ich, dass Capelight auch hier wieder ein schönes Booklet mit Infos und Hintergründen zusammengestellt hat.
Beim dritten UHD vs. BR-Vergleich hast du versehentlich UHD HDR10 anstatt UHD SDR geschrieben.
Ansonsten, wie immer, schöne Kritik. 🙂
Jep. Besten Dank für die Info. Ist korrigiert.