Camp X-Ray – Eine verbotene Liebe

Blu-ray Review

Camp X-Ray - Eine verbotene Liebe Blu-ray Review Cover
Koch Media, seit 23.04.2015

OT: Camp X-Ray

 


Willkommen in Guantanamo

Kristen Stewart ist in der Nach-„Twilight“-Zeit angekommen – und wie …!

Inhalt

„Sie sind hier, um sie vom Sterben abzuhalten“ – Die Ansage des Corporals ist klar und deutlich. Ebenso wie der gehandelte Status der Häftlinge, die nicht Gefangene genannt werden, da sie sonst unter die Genfer Konventionen fallen würde. Die junge Cole mag sich das Leben bei der Army anders vorgestellt haben, doch jetzt ist sie mittendrin im Krieg gegen den Terror und beaufsichtigt die Inhaftierten in Guantanamo Bay. Nicht dass es als Frau nicht schon schwer genug wäre in einem Job unter lauter kräftigen Typen, wird ihr von den vermeintlichen Terroristen im Gefängnis erst Recht kein Respekt entgegengebracht. Einzig Ali, der begeisterte Harry-Potter-Leser, verhält sich freundlich. Eine Freundlichkeit, die Cole zunächst nervt und irritiert. Hatte sie sich doch extra ein kaltherziges Fell aus Abweisung und Coolness zugelegt. Doch nach und nach öffnet sie sich und beginnt sich auf die Gespräche mit dem Mann in der Zelle vorzubereiten, ja sogar zu freuen. Das wiederum sehen nicht alle ihre Kollegen mit Freude …

Sieh‘ mal einer an: Kristen Stewart schwimmt sich nach und nach aus ihrer Vampir-Liebschafts-Vergangenheit frei und beginnt mit richtigem Schauspiel. Gelang ihr schon mit Adventureland ein entsprechender Schritt raus aus ihrem Klischee, ist sie in Camp X-Ray ganz weit entfernt von ihrer Rolle als liebreizende junge Frau. Mit zunächst fast unglaublicher Härte spielt sie ihre Soldatenrolle und dient damit vor allem in den ersten 30 Minuten einem Werk, das von Beginn an kaum Zweifel daran lässt, dass auf beiden Seiten Menschen stehen, deren Westen nicht unbedingt blütenweiß sind. Peter Sattlers Film begeht nicht den naheliegenden Fehler, über billige Emotionen Hass zu schüren, sondern bemüht sich um kritische Töne gerade gegenüber der US-Haltung und dem Umgang mit den Insassen von Guantanamo Bay. Während die US-Soldaten, ob weiblich oder männlich, als testosterongesteuert oder wahlweise ziellos und nur mittelmäßig schlau charakterisiert werden, ist es Ali, der Cole etwas von westlicher Kultur erzählen kann. Auch begegnet Camp X-Ray dem muslimischen Glauben respektvoll, zeigt die Männer in einer fast poetischen Stimmung beim Gebet und offenbart immer wieder, dass der Unterschied zwischen dem Gruppenverhalten beider Seiten so groß gar nicht ist. Zwar macht Sattler es sich hier und da etwas leicht, wenn er sich einen US-Soldaten als Arschloch (Corporal Ransdell) herauspickt und diesem einen ziemlich klischeehaften Grund als Motivation für sein Verhalten an die Hand gibt, doch knapp 14 Jahre nach dem 11. September 2001 ist das Thema gerade in den USA immer noch sensibel, sodass es logisch erscheint, wenn die Kritik am US-Verhalten nicht auf allen Ebenen offen stattfindet.

Dafür macht der Film an anderer Stelle alles richtig: Die Dialogszenen zwischen Cole und Ali sind hervorragend geschrieben und intensiv gespielt, fesseln auf psychologischer Ebene ebenso wie auf gesellschaftskultureller. Es gibt eine eine Schlüsselszene, in der Cole von ihm gefragt wird, was sie während ihrer Zeit als Wärterin gelernt habe – die Antwort darauf gefällt weder ihr noch den ach so zivilisierten Menschen im Westen. Gerade während der letzten halben Stunde entfaltet sich ein exzellent agiertes Kammerspiel zwischen den beiden Protagonisten, das unbedingt fesselt – und das gerade weil der Film so langsam und beschaulich inszeniert ist. Denn Camp X-Ray ist alles, aber kein Actionfilm. Er versucht erst gar nicht, rasante Szenen zu integrieren. Vielmehr ist es die exakte Beschreibung und Beobachtung des Alltags von Gefangenen und Wärtern in einem Gefängnis, das eigentlich gar nicht existieren dürfte. Coles erste Wachrunden werden in all ihrer Simplizität geschildert: Im Hafttrakt umherlaufen und immer wieder Blicke in die Zellen werfen, ob auch keiner der Inhaftierten Mist baut. Das ist stupide, eintönig und Dauer sicherlich nervenraubend – gerade dann, wenn man die Ohren auf Durchzug stellen muss. Neben dem inszenatorischen Talent des Regie-Neulings Sattler ist es das beeindruckende Spiel von Stewart und Peyman Moaadi (Nader und Simin), das Camp X-Ray zu einem trotz seiner 120 Minuten Laufzeit äußerst intensiven und bewegenden Film werden lässt. Um das Ganze komplett abzurunden, ist die genutzte Filmmusik stets vortrefflich passend, begleitet oft mit melancholischen Alternativ-Songs das Geschehen und berührt zusätzlich.

Wirklich ärgerlich ist der deutsche Untertitel des Films, denn er legt nahe, dass sich hier zwei verlieben, die sich nicht lieben dürfen –  falscher könnte man mit der Interpretation des Verhältnisses zwischen Cole und Ali kaum liegen.

Bild- und Tonqualität

Das körnige Bild von Camp X-Ray passt hervorragend zum Thema und wirkt ausgesprochen filmisch. Der Kontrastumfang ist nicht der höchste und bisweilen hinterlässt der Film einen etwas zu hellen Eindruck. Die Schärfe liegt auf mittlerem Niveau, reißt keine Bäume aus, lenkt aber auch nicht vom Look ab, fügt sich entsprechend harmonisch ins Gesamtgeschehen ein.
Der Ton von Camp X-Ray gelingt äußerst authentisch, und das ohne großartige Effekteskapaden oder dynamische Höhenflüge. Gerade während der Wachgänge liefert das ständige Sirren der Neonröhren bereits eine realistische Atmosphäre. Dies wird noch intensiviert durch die im Raum wandernde Stimme Alis, der aus jedem Lautsprecher direktional zu hören ist, wenn Cole um ihn herum die Zellen abläuft und ihre Position dabei verändert. Die Synchronisations ist dabei nicht nur qualitativ, sondern auch akustisch sehr gut gelungen.

Bonusmaterial

Im Making-of, das sich im Bonusmaterial von Camp X-Ray findet, geht es den Filmemachern vor allem darum, darzulegen, dass es ihnen ebenso um Aufklärung ging, was Guantanamo Bay wirklich war, aber auch um eine persönliche Geschichte jenseits politischer Aspekte und Machtspielchen. Zudem schwärmen alle Beteiligten von der Zusammenarbeit mit Peyman Moaadi.

Fazit

Camp X-Ray dürfte einer der besten Beiträge zum Thema Guantanamo sein und öffnet die Pforten für eine kritische Auseinandersetzung der USA mit ihrer jüngeren Geschichte. Zwar ist die Geschichte vordergründig verpackt in ein Psychogramm zweier einsamer Seelen, doch im Hintergrund wirken kritische Kommentare zum Thema ebenso lange nach, wie es der Abspann tut, der erneut den mechanischen Alltag der Wächter in Szene setzt. Camp X-Ray ist unbedingt sehenswert und im Prinzip ist es ein Skandal, dass er in den USA gerade einmal 10.000 Dollar in den Kinos umsetzen konnte!
Timo Wolters


Bewertung

Bildqualität: 70%
Tonqualität (dt. Fassung): 70%
Tonqualität (Originalversion): 70%
Bonusmaterial: 30%
Film: 85%

Anbieter: Koch Media
Land/Jahr: USA 2014
Regie: Peter Sattler
Darsteller: Kristen Stewart, Peyman Moaadi, Nawal Bengholam, Lane Garrison, Anoop Simon
Tonformate: dts HD-Master 5.1: de, en
Bildformat: 2,35:1
Laufzeit: 117
Codec: AVC
FSK: 12

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