Blu-ray Review
OT: Captain Fantastic
Auszug aus dem Paradies
Der Liebling vom Sundance Festival bietet ein kleines Refugium in einer Welt der Actionfilme und Comicadaptionen.
Inhalt
Ben Cash und seine Frau leben mit ihren sechs Kindern ein zurückgezogenes Leben mitten in der Natur des Waldes. Die Zivilisation, wie sie sie kannten, haben sie verlassen und ernähren sich autark von dem was sie anpflanzen und erjagen. Das bedeutet jedoch nicht, dass man hinter dem Mond lebt, denn Ben lehrt seine Kinder nicht nur, wie sie in der Wildnis überleben und sich im Notfall verteidigen können, sondern auch die Leeren der Quantenphysik und fragt sie über die große Literatur der Geschichte ab. Und welches Kind von sechs Jahren kennt schon Pol Pot? Der älteste Sohn Bo ist gar dermaßen klug, dass seine im Geheimen abgeschickten Bewerbungen an sämtliche Universitäten des Landes allesamt positive Reaktionen erhalten haben. Doch das Leben hält zunächst einen anderen Plan für sie bereit. Die Mutter, schon seit Monaten schwer krank und deshalb im Krankenhaus untergebracht, nimmt sich das Leben. Die hatte allerdings einen letzten Wunsch, den ihr die Familie nun erfüllt. Gemeinsam reisen sie dafür durch halb Amerika, um die Großeltern zu besuchen. Gerade diese Großeltern geben dem Witwer aber die schuld für den Tod der Tochter und wollen ihn verhaften lassen, sobald er aufkreuzt. Dennoch treten sie die Reise an. Ein Trip durch die Zivilisation, der Ben und seine Kids vor Prüfungen stellt, für die sie abseits der Menschen kaum trainieren konnten und der sie verändern wird …
Nein, kein weiterer Superheldenfilm – auch wenn es der Titel Captain Fantastic vermuten lassen könnte. Obwohl, wenn man es genau betrachtet, ist Ben Cash schon eine Art Held. Einer, der sich was traut und doch nicht vor der Realität die Augen verschließt. Und wer hätte die Rolle des Ben Cash besser spielen können als Aragorn Viggo Mortensen. Mit einer Mischung aus Güte und Strenge lehrt er seine Kids, wie sie in der Wildnis überleben und ist ihnen trotz mancher Konfliktsituation immer ein liebender Vater. Mit langem Bart nimmt man ihm das harte körperliche Training ebenso ab wie das bekümmerte Verhalten seiner Kinder gegenüber. Neben Mortensen agieren sensationelle Kinder- und Jugenddarsteller, die allesamt in ihren Rollen überzeugen können. Allen voran George MacKay (11.22.63), der als Bo an der schwierigen Schwelle zum Erwachsenwerden steht und sich für einen Weg entscheiden muss. Auch Nicholas Hamilton als schwer pubertierender Rellian ragt heraus, ganz zu Schweigen von Shree Crooks und Charlie Shotwell, die als Nai und Zaja die jüngsten Figuren repräsentieren und mit ihrer Unbekümmertheit sofort sämtliche Sympathien auf ihrer Seite haben. Es ist aber vor allem der subtile oder manchmal auch geradezu offene Humor sowie der großartige, oft sarkastische Blick auf die verfettete, konsumgeile Zivilisation. Der Humor in diesen Szenen ist bisweilen beißend, gleichzeitig aber entkrampfend. Gerade wenn die kleine Zaja im Bus ihren Dad über Vergewaltigung und Geschlechtsverkehr ausquetscht oder wenn Ben auf die Frage, was Cola sei mit „giftiges Wasser“ antwortet. Captain Fantastic begeht dabei dennoch nicht den Fehler, alles zu verteufeln und abzulehnen, was mit Zivilisation zu tun hat. Ben klärt seine Kids auf, allerdings nicht dogmatisch und ersatzfaschistisch. Und wenn er ihnen teure Geschenke macht (okay, es sind Armeemesser und ein Profi-Bogen), dann sieht man auch, dass er nicht einfach nur ein weltfremder Hippie ist. Sein Credo ist eben auch nicht Verdrängung und Betäubung, sondern Realismus und Authentizität.
Oft ist es geradezu entwaffnend ehrlich, wenn Ben seinen Kids Fragen über Drogen oder Sexualität geradeheraus beantwortet. Seiner Auffassung nach ist Ehrlichkeit der Schlüssel zum Leben. Er sagt seinen Kindern auch, wie die Mutter gestorben ist, was noch für eine bemerkenswerte Szene sorgt, als Bens Schwester und deren Ehemann ihre eigenen Zöglinge (beide durchaus alt genug) vor der Wahrheit bewahrt und um den heißen Brei herum redet, damit die Kinder ja nicht die erfahren, was wirklich geschehen ist. Großartig wird hier herausgearbeitet, wie das zivilisatorische Element die Menschen einerseits vor Dingen bewahren will, während im nächsten Moment beide Stadtkids im Videogame ihren virtuellen Widersachern die Kehle durchschneiden. Manchmal ist das vielleicht etwas plakativ, wenn man den beiden Kindern von Bens Schwester nachweist, dass die schulische Bildung praktisch nichts vermittelt, während die achtjährige Zaja die Bill of Rights auswendig kennt und auch ihren Sinn erklären kann. Manchmal wird der urromantische Gedanke der amerikanischen Gründer ein wenig überstrapaziert. Aber das alles erfolgt mit dem Herz am rechten Fleck. Inhaltlich kommt es im Verlaufe, wie es kommen muss: Großvater Jack hält rein gar nichts von Bens Methoden und geht eine offene Konfrontation ein. An Rellian, dem zweitältesten Sohn, der schon lange gegen seinen Vater rebelliert, statuiert er ein Exempel und nutzt dessen Aufbegehren dafür aus, seinem Schwiegersohn Missbrauch an den Kids vorzuwerfen. Im nächsten Moment verschlimmert sich die Situation noch und Catain Fantastic stellt erstmals die Frage, ob Bens Lebensentwurf wirklich der richtige ist. Dass im Anschluss kräftig auf die Tränendrüse gedrückt wird, gesteht man dem Film durchaus zu – immerhin hat man gut 90 Minuten lang mit den Figuren mitgefühlt und -gelitten. Bis zum (ein bisschen zu versöhnlichen) Finale halten sich Humor und Tragik dennoch die Waage.
Nicht zu vergessen übrigens ist der Soundtrack, der die Bilder kongenial begleitet – ganz egal, ob es melancholische Synthesizerklänge, Chorgesänge oder punkrockige Dudelsacknummern sind – und wenn die Kids ihre Mutter zu einer großartigen Interpretation von Guns’n’Roses‘ „Sweet Child o‘ Mine“ verabschieden, dürfen auch die harten Herren im Publikum mal eine Träne verdrücken.
Bild- und Tonqualität
Kräftige Farben unterstützen die Bilder der Natur zu Beginn von Captain Fantastic und eine recht hohe Bildruhe vermeidet Korn oder Rauschen. In dunklen Szenen säuft der Schwarzwert etwas ab und färbt sich leicht grünlich. Die Schärfe ist auf gutem, aber nicht herausragenden Niveau, während der Kontrastumfang in helleren Szenen durchaus angenehm ist.
Zu Beginn von Captain Fantastic lebt der Ton von den äußerst authentisch wirkenden Naturgeräuschen im Wald. Der Bach fließt rauschend im Hintergrund, die Vögel zwitschern lebhaft aus allen Richtungen und das Rascheln des kleinen Hirsches belebt die Front. Das wird in dem Moment jäh unterbrochen, da Bo das Wild tötet, was mit wuchtigem Sound unterstützt wird. Dialoge sind jederzeit gut verständlich, insgesamt bleibt das Geschehen aber doch etwas frontlastig.
Bonusmaterial
Im Bonusmaterial von Captain Fantastic wurden neben dem Trailer ein Making-of und eine B’Roll abgelegt. Das Making-of ist mit 3’52 allerdings nicht viel mehr als ein langer, um ein paar Kommentare angereicherter Trailer. Die B’Roll, also der unkommentierte Blick hinter die Kamera hat eine Laufzeit von knapp neun Minuten und zeigt Schauspieler und am Set arbeitende Beteiligte in unbeobachteten Momenten. Trotz hoher Konzentration bei den Arbeiten in der Wildnis scheint die Atmosphäre ziemlich entspannt gewesen zu sein.
Fazit
Ehrlich, alternativ, witzig, bewegend, anrührend und glänzend gespielt – Captain Fantastic spielt herausragend auf der Klaviatur der Gefühle, erzählt eine höchst moderne Geschichte und kann sich dabei auf vorzügliche Darsteller verlassen. Spielt in einer Liga mit Little Miss Sunshine.
Timo Wolters
Bewertung
Bildqualität: 65%
Tonqualität (dt. Fassung): 65%
Tonqualität (Originalversion): 65%
Bonusmaterial: 30%
Film: 85%
Anbieter: Universum Film
Land/Jahr: USA 2016
Regie: Matt Ross
Darsteller: Viggo Mortensen, George MacKay, Samantha Isler, Annalise Basso, Nicholas Hamilton, Shree Crook, Charlie Shotwell, Trin Miller, Kathryn Hahn, Steve Zahn, Erin Moriarty, Missi Pyle, Frank Langella
Tonformate: dts HD-Master 5.1: de, en
Bildformat: 2,35:1
Laufzeit: 120
Codec: AVC
FSK: 12