Blu-ray Review
OT: Carmilla
Blutsschwestern
Stimmungsvolle Verfilmung eines Klassikers der Vampir-Literatur.
Inhalt
Lara ist 15 und wächst ohne ihre verstorbene Mutter auf. Stattdessen kümmert sich die recht strenge Gouvernante Miss Fontaine um die Belange des Mädchens, während ihr Vater, auf dessen Anwesen Lara wohnt, sich nur selten blicken lässt. Derart alleine mit sich und ihrer „Erzieherin“ erfreut es sie besonders, dass Charlotte, eine Bekannte des Hauses zu Besuch kommen soll. Doch kurz vor ihrer Ankunft wird das Vorhaben abgesagt. Charlotte sei angeblich krank. Lara ist enttäuscht, wird kurz darauf aber abgelenkt. Denn ein Kutschenunfall führt ein junges Mädchen ins Haus, das vom Doktor untersucht wird und das Laras Vater fürs Erste aufnimmt. Vom ersten Moment an ist Lara fasziniert von der jungen rothaarigen Frau. Und die Faszination scheint auf Gegenseitigkeit zu beruhen. Denn als die Unbekannte aufwacht, entwickeln beide Mädchen früh eine ganz besondere Verbindung. Carmilla, wie Lara die Rothaarige nennt, erscheint so erwachsen und irgendwie erfahren. Außerdem ist sie bildhübsch. Und ehe sich die beiden Mädchen versehen, entwickeln sie mehr als nur platonische Gefühle füreinander. Das jedoch sehr zum Leidwesen der streng religiösen Miss Fontaine …
Gut 25 Jahre bevor Bram Stoker mit Dracula den Vampir zum Kultobjekt verliteralisierte, gab’s bereits einen wegweisenden Roman, bzw. eine Novelle, in der eine bissfeste Dame namens Carmilla in katzenartiger Gestalt ihr Unwesen treibt. Das Werk von Autor Sheridan Le Fanu galt, so sagt man, als Inspirationsquelle für Stoker, der seine Geschichte ursprünglich tatsächlich auch in der Steiermark verorten wollte, bevor er dann doch nach Transsilvanien wechselte.
Die Geschichte um die junge Lara, die die Bekanntschaft der mysteriösen Carmilla macht, wurde bereits mehrere Male verfilmt oder als Vorlage für Verfilmungen genommen. Regisseurin Emily Harris fokussiert sich nun auf Aspekte, die man in Le Fanus Werk stets hinein interpretierte, da sie – obschon nicht deutlich artikuliert – durchaus erkennbar im Subtext liegen. Denn die Tatsache, dass sich der weibliche Vampir der Geschichte weibliche Opfer sucht, war damals bereits als Indiz dafür genommen worden, dass Le Fanus Vampirin eine lesbische Sexualität lebt. Und das passt natürlich hervorragend in die aktuelle Zeit, in der homo- und transsexuelle Themen aktueller sind denn je.
Da Harris es sich allerdings nicht leicht macht, nimmt sie die Vorlage nicht einfach her, um ein vordergründiges Plädoyer für die Gleichbehandlung von homoerotischen Beziehungen zu halten. Vielmehr kombiniert sie die Elemente einer Coming-of-Age-Geschichte mit atmosphärischen Kameraeinstellungen, äußerst spannenden und mitunter ziemlich gruselig-blutigen Gothic-Horror-Elementen sowie faszinierender und ästhetisch wunderschöner Erotik. Das ist zu keiner Zeit zeigefingerwedelnd und nie bloßes Vehikel einer übertriebenen Genderdebatte. Auch in den Dialogen manifestieren sich die Sehnsüchte einer heranwachsenden Frau, die auf der Suche nach ihrer eigenen Sexualität ist – stets in einem inneren Konflikt mit der streng religiösen Erziehung und unter dem Druck von ihrer Gouvernante entlarvt zu werden. Die strenge Miss Fontaine steht auf der andere Seite der Geschichte. Auf jener Seite, die Gefühle offenbar schon lange unterdrückt und (vielleicht aus verletzenden Erfahrungen in der Vergangenheit) andere vor ähnlichen Situationen bewahren will. Natürlich versteht sie kaum, dass Erfahrungen gemacht werden müssen; dass Lara ihren Weg und auch ihre Sexualität finden muss – ganz ohne Beeinflussung von außen.
Aber auch Miss Fontaine findet im späteren Verlauf ein Ventil für ihre Gefühle, was sie allerdings dennoch nicht davon abhält, ihre Strenge zu überwältigen. Ganz im Gegenteil greift sie hernach zu drakonischen Maßnahmen biblischer Bestrafung. Szenen, die trotz eines leichten Hängers nach etwas mehr als einer Stunde nicht unbewegt lassen.
Was Carmilla zusätzlich zum Gelingen hilft, ist der ungewöhnlich hypnotische elektronische Score, der mit melancholischen Streicherarrangements ergänzt wird und irgendwo zwischen John Carpenter und Radiohead herum mäandert. Was wiederum nicht verwundert, denn der Komponist hinter den Tracks ist niemand anders als Philip Selway, der Schlagzeuger von Radiohead. Es wird Zuschauer geben, die den Score irgendwie unpassend finden, weil er vielleicht nicht ganz in die Zeit zu gehören scheint. Aber wer sich auf ihn einlassen kann, wird merken, dass es genau dieser Score ist, der den eigentlich relativ unspektakulär gefilmten Carmilla zu etwas Besonderem werden lässt.
Besonders im Übrigen auch deshalb, weil die beiden Akteurinnen perfekt besetzt sind. Die Britin Hannah Rae hatte man zuletzt im großartigen Fighting With My Family als Nebendarstellerin gesehen. Hier gibt sie nun die junge Lara auf überzeugende Weise. Ihr Gegenüber agiert die Deutsche Devrim Lingnau, die bisher in Fernsehrollen aufgefallen war und die Rolle der Carmilla direkt nach ihrem Abitur annahm. Sensibel und doch mit einer gewissen Dominanz gibt sie die Vampirin, die Laras inneres Begehren zum Ausbruch verhilft. Wie gut die Zwei miteinander harmonieren, wird vor allem in den erotischen Szenen deutlich, die nie peinlich oder unangenehm wirken, sondern zärtlich und echt rüberkommen.
Während Harris der Buchvorlage entsprechend ein paar beängstigende Träume integriert, verzichtet sie am Ende auf Verwandlungs-Mummenschanz, welcher der Vision der Regisseurin auch eher im Weg gestanden hätte und den Film ins Lächerliche hätte ziehen können. An dieser Stelle darf man also keine 1:1-Adaption der Novelle von Le Fanu erwarten.
- Carmilla
Bild- und Tonqualität
Um das viktorianische Zeitalter zu repräsentieren, hat man das Bild sehr deutlich stilisiert. Mit sehr reduzierten Farben und einer ebenso hellen Grundabstimmung wirken die Szenen zerbrechlich und ätherisch. Dazu kommt seitlich einfallendes Licht, das wie Nebel ausfranst und auch Kerzenschein überstrahlen lässt. Hautfarben sind fast weiß und weisen nur in dunkleren Szenen etwas mehr rosige Tönung auf. Die Bildruhe ist derweil sehr gut und offenbart selbst in Available-Light-Situationen keine Körnung oder Rauschen. Sehr annehmbar gelingt zudem das Encoding, das selbst im Schein einer Kerze als einziger Lichtquelle keine Neigung zu Banding aufweist. Erst später, wenn einzelne Kerzen im Fokus stehen, könnten deren Helligkeitsabstufungen besser sein (36’00). Ebenfalls im späteren Verlauf gibt es dann mal digitales Rauschen, weil vor hellen Hintergründen die ISO dann offenbar doch etwas weiter aufgerissen wurde, um den sehr hellen Look zu erzeugen (77’00).
Während der sanfte Score zu Beginn recht räumlich beginnt und auch das verstärkte Geräusch des Marienkäfers aus allen Speakern zu hören ist, bleiben die Dialoge etwas dünn auf dem Center. Auch das Gewitter nach 18 Minuten hätte etwas mehr Bums verdient gehabt. Schön indes das prägnante Einatmen von Carmilla nach 21 Minuten. Und auch die (erneut) verstärkten Geräusche der Ameisen werden effektvoll ins Heimkino transportiert. Richtig eklig wird’s in räumlicher Hinsicht, wenn hunderte Raupen nach 52 Minuten akustisch verstärkt aus allen Speakern grabbeln und wulsten. Dass der Sound auch mal Dynamik kann, zeigt er nach rund 85 Minuten, wenn ein Pferde hufstark von hinten heraneilt und durchs Heimkino galoppiert.
- Carmilla
Bonusmaterial
Das Bonusmaterial enthält (neben dem Originaltrailer) ein Hinter-den-Kulissen-Featurette, das mit knapp 30 Minuten recht lange läuft und komplett untertitelt ist. Neben einigen Interviews der Darsteller, der Regisseurin und der Produzentinnen am Set auch Einblicke in die Schauplätze und Dreharbeiten vor Ort gibt. Witzig gerät das Interview mit dem Kostümdesigner, das durch einen der Darsteller gestört wird, der plötzlich hereinplatzt und sich kurz hinzu gesellt. Ebenso nett wie interessant sind aber die Einblicke ins Set und damit verbunden die Arbeitsweise des sehr kleinen Teams. Da der Film mit sehr wenig Budget auskommen musste, wurde viel improvisiert und zahlreiche Aufgaben wurden von den immer gleichen Personen erledigt.
Fazit
Carmilla ist ungewöhnlich. Kein Film fürs Nebenher-Konsumieren. Keiner, der es sich und dem Zuschauer leicht macht – schon gar nicht, wenn man aufgrund des Covermotivs etwas fehlgeleitet wird. Noch unpassender ist hier der Untertitel, der rein gar nichts mit dem Inhalt oder gar der literarischen Vorlage zu tun hat. Der plakative Querverweis zum Vaterunser negiert gar die eigentliche Essenz des Films und reduziert Harris‘ atmosphärischen Genremix auf das fragwürdige Verhalten von Gouvernante Miss Fontaine. Erschreckend, dass dieser Untertitel schon im englischen Original genutzt wurde, um ihn griffiger zu vermarkten.
Carmilla dürfte indes all jenen Zuschauern gefallen, die Peter Jacksons Heavenly Creatures mögen. Denn mit diesem ist Emily Harris‘ Film thematisch und darstellerisch sehr verwandt.
Timo Wolters
Bewertung
Bildqualität: 70%
Tonqualität (dt. Fassung): 65%
Tonqualität (Originalversion): 70%
Bonusmaterial: 60%
Film: 70%
Anbieter: Busch Media Group
Land/Jahr: GB 2019
Regie: Emily Harris
Darsteller: Hannah Rae, Devrim Lingnau, Jessica Raine, Tobias Menzies, Greg Wise
Tonformate: dts HD-Master 5.1: de, en
Bildformat: 2,39:1
Laufzeit: 95
Codec: AVC
FSK: 16
(Copyright der Cover und Szenenbilder: © Busch Media Group – Fotos: Nick Wall)
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Trailer zu Carmilla
So testet Blu-ray-rezensionen.net
Die Grundlage für die Bild- und Tonbewertung von Blu-rays und Ultra-HD-Blu-rays bildet sich aus der jahrelangen Expertise im Bereich von Rezensionen zu DVDs, Blu-rays und Ultra-HD-Blu-rays sowie Tests im Bereich der Hardware von Unterhaltungselektronik-Komponenten. Gut zehn Jahre lang beschäftigte ich mich professionell mit den technischen Aspekten von Heimkino-Projektoren, Blu-ray-Playern und TVs als Redakteur für die Magazine HEIMKINO, HIFI TEST TV VIDEO, PLAYER oder BLU-RAY-WELT. Während dieser Zeit partizipierte ich an Lehrgängen zum Thema professioneller Bildkalibrierung mit Color Facts und erlangte ein Zertifikat in ISF-Kalibrierung. Wer mehr über meinen Werdegang lesen möchte, kann dies hier tun —> Klick.
Die technische Expertise ist aber lediglich eine Seite der Medaille. Um stets auf der Basis von aktuellem technischen Wiedergabegerät zu bleiben, wird das Testequipment regelmäßig auf dem aktuellen Stand gehalten – sowohl in puncto Hardware (also der Neuanschaffung von TV-Displays, Playern oder ähnlichem, wenn es der technische Fortschritt verlangt) als auch in puncto Firmware-Updates. Dazu werden die Tests stets im komplett verdunkelbaren, dedizierten Heimkino angefertigt. Den Aufbau des Heimkinos könnt ihr hier nachlesen —> Klick.
Dort findet ihr auch das aktuelle Referenz-Gerät für die Bewertung der Tonqualität, das aus folgenden Geräten besteht:
- Mainspeaker: 2 x Canton Reference 5.2 DC
- Center: Canton Vento 858.2
- Surroundspeaker: 2 x Canton Vento 890.2 DC
- Subwoofer: 2 x Canton Sub 12 R
- Heights: 4 x Canton Plus X.3
- AV-Receiver: Denon AVR-X4500H
- AV-Receiver: Pioneer SC-LX59
- Mini-DSP 2x4HD Boxed
Das Referenz-Equipment fürs Bild findet ihr wiederum hier aufgelistet. Dort steht auch, wie die Bildgeräte auf Norm kalibriert wurden. Denn selbstverständlich finden die Bildbewertungen ausschließlich mit möglichst perfekt kalibriertem Gerät statt, um den Eindruck nicht durch falsche Farbtemperaturen, -intensitäten oder irrigerweise aktivierten Bild“verbesserern“ zu verfälschen.
Ein Review zur 4K Blu-ray von Bram Stoker’s Dracula wäre auch mal ganz cool. Ist doch eigentlich ein Klassiker, oder?
Danke für die interessante Besprechung und die Berücksichtigung der Frage, ob die Extras untertitelt sind Ich habe die Blu-ray auch gleich über deinen Link geordert und bin gespannt auf einen originellen und atmosphärischen Film.