Blu-ray Review
OT: Christopher Robin
Schwimmen oder Untergehen?
Wenn Winnie Puuh auf einen erwachsenen Christopher Robin trifft …
Inhalt
Christopher Robin, der Junge, der im Hundert-Morgen-Wald einst mit seinen Freunden Winnie Puuh, Tigger und Co. die Zeit verbrachte, ist dreißig Jahre später ein erwachsener Mann geworden. Er arbeitet bei einem großen Haus als Effizienz-Steigerer und arbeitet ausnahmslos jeden Tag länger als nötig. Seine Frau und die gemeinsame Tochter vernachlässigt er zusehends und als der Firmen-Juniorboss auch noch mit drastischen Kürzungen droht, soll Christopher noch mehr Zeit bei der Arbeit verbringen, damit das „Schiff nicht untergeht“. Als er ein Wochenende durcharbeiten soll, während seine Familie auf einen Kurzurlaub geht, sitzt plötzlich Puuh auf einer Parkbank hinter ihm. Während Christopher an seinem Verstand zweifelt, weiß Puuh es besser. Den es wird Zeit, dass Christopher sich an die alten Ideale und die Fantasien der Kindheit erinnert, damit er als Erwachsener nicht den Blick für das wirklich Wichtige verlernt …
Ein Hauch von Hook weht durch den Film, wenn der im Erwachsenenalter veränderte Robin von seinen alten Freunden besucht wird, um an die alten Zeiten und Ideale erinnert zu werden. Nur albern ist er nicht geworden, der Film vom deutschen Regisseur Marc Forster. Vielmehr wehmütig und sentimental.
Und damit nicht ganz so weit entfernt vom kurz zuvor in den Kinos gestarteten Goodbye, Christopher Robin, der allerdings die Entstehungsgeschichte der Kinder-Erzählungen beschreibt und nicht wesentlich später ansetzt, wie es Forsters Christopher Robin tut.
Die Disney-Produktion (der Mauskonzern erwarb die Rechte an der Figur 1961) ist außerdem insgesamt etwas familiärer und süßer geworden. Der Mann, der einst diese putzigen Kuscheltiere erfand und sie in allerlei Geschichten zu heldenhaften Taten antrieb, hat im Alter die Fantasie ein wenig (bzw. ein wenig mehr) verloren – bis sie ihn eben wieder besuchen, die Figuren aus der Zeit seines kreativen Schaffens. Alan Alexander Milne, der Erfinder der Kinderbücher (und übrigens ein Schüler von H.G. Wells) hatte seine 1928er Fortsetzung „Pu baut ein Haus“ mit eben jener Feier beenden lassen, in der die Stofftiere Abschied von Christopher nehmen, weil er in ein Internat gehen wird.
Wo diese Buchvorlage also endet, beginnt der Film und spinnt die Geschichte von da an weiter. Basierend auf einem Skript von Alex Ross Perry, Tom McCarthy und Allison Schroeder skizziert Christopher Robin in kurzen Kapitel-Abrissen (erzählt von der dt. Synchronstimme Tom Sellecks) das Erwachsenwerden Robins: Wie er seine spätere Frau kennen lernt, in den Krieg zieht (übrigens eine Analogie zum Leben von A. A. Milne) und nach seiner Rückkehr als Effizienzexperte bei Winslow Luggages arbeitet. Hier beginnt die eigentliche Erzählung des Films. Wir sehen, wie Robin mehr und mehr von seinem Job vereinnahmt wird und darüber seine Frau und seine Familie vernachlässigt. Seine kleinen Kuscheltier-Freunde hat er da schon lange aus dem Gedächtnis verbannt. „Von nichts kommt nichts“ und „Träume erfüllen sich nicht von selbst“ sind die Sprüche, die er seiner kleinen Tochter Madeline erzählt, um sie zu vertrösten – ein trauriger Mann und eine frustrierte Tochter sind das Resultat.
Traurig sind auch diese Szenen. Selbst der Anflug von Humor wird (fast) im Keim erstickt, wenn Christopher erfährt, dass Evelyn seinen Koffer für einen Wochenend-Ausflug nicht mal gepackt hatte. Begleitet von getragenen Klavierklängen hat man schon bald einen dicken Kloß im Hals. Ewan McGregor spiegelt diese Traurigkeit im ersten Drittel des Films bewegend wider, schafft es aber gleichzeitig, in den gemeinsamen Szenen mit den Kuscheltieren zu überzeugen. Tatsächlich harmoniert er sogar prächtig mit Puuh, Tigger und I-Aah, die man fast fotorealistisch im Rechner erzeugte und somit dem guten alten Roger-Rabbit-Prinzip folgt.
Während die Geschichte um das Erinnern an die gute alte Zeit, an das Hervorrufen des Kindes und der Fantasie im (gestressten) Manne wunderbar funktioniert und zu Herzen rührt, sorgen die tapsigen Späße der Kuscheltiere für den Humor. Vor allem die naiv-kindlichen Kommentare/Fragen des „Bären von sehr geringem Verstand“ sowie sein unbändiger Hunger nach Honig sorgen für Witz.
Einzig dessen arg weinerliche Synchro geht bisweilen etwas auf die Nerven – was im Englischen indes nicht ganz unähnlich ist.
Marc Forster zeigt, dass er sich neben dem Actionfach (Ein Quantum Trost, World War Z) eben immer noch im Drama wohlfühlt – gerade im romantisch-bewegenden Drama, das er mit Wenn Träume fliegen lernen erstmals erkundete. Sein Christopher Robin funktioniert durch die Dynamik zwischen den kindlichen Puuh und dem so vernünftig-erwachsenen Christopher, der nur nach und nach merkt, wie entwaffnend die scheinbar dummen Fragen und Lebensweisheiten Winnies sind. Richtig schwungvoll wird’s, wenn die anderen Figuren dazu kommen und man gemeinsam auf Heffalump-Jagd geht. Vor allem i-Aah und Ferkel machen mit ihren einzigartigen Charakteren richtig Spaß.
Und weil das so gut gespielt und so berührend inszeniert ist, fühlt man sich als Zuschauer stets an die eigenen Versäumnisse erinnert. Jene Dinge, die man nicht mehr tut, weil man sie als kindisch abcancelt und die doch so wichtig wären, um nicht vollkommen unter die Mühlenräder des Erwachsenen-Alltags zu geraten.
Schön, dass Forster hier aber nie auf ein albernes Niveau abdriftet und seine Figuren stets ernst nimmt – eben nicht so wie beim oberflächlichen Hook, dessen Peter-Pan-Geschichte durch den visuellen Overkill übertüncht wurde.
Bild- und Tonqualität
Nostalgisch wie den Film hat man auch das Bild von Christopher Robin gehalten. Die Farben sind ganz bewusst etwas entsättigt, der Kontrastumfang etwas reduziert worden, was vor allem den Schwarzwert etwas beschränkt. Dazu liegt über dem Geschehen ein dezenter Sepiafilter, der die Stimmung warm wiedergibt. Das durchweg sichtbare Korn resultiert aus der Verwendung der hauptsächlich genutzten analogen Kameras. Forster drehte in 35mm und teils sogar in 65mm. Allerdings wirkt das Filmkorn nie störend oder über Gebühr heftig. Vielmehr vermittelt es einen sehr authentisch analogen Look, der hervorragend zur Geschichte und der Zeit, in der sie spielt, passt. Ein paar Randunschärfen hat es im unteren Bereich. Allerdings sind diese nicht so stark auffällig wie bei anderen (negativen) Beispielen. Außerdem gibt es schon mal deutlichere Unruhen auf kritischen Mustern, in denen es plötzlich keinerlei Schärfe mehr gibt (Jacke 91’20).
Der Ton liegt, disneytypisch, in Dolby Digital Plus fürs deutsche Publikum vor. Beschränkt auf 0.8Mpbs bemüht der sich dennoch von Beginn am um Räumlichkeit. Der Wald, in dem Puuh und seine Freunde am Tisch sitzen, lebt durch Windgeräusche, Vogelgezwitscher und allerlei Getier auf. Die Stimmen kommen dazu klar und griffig, manchmal vielleicht einen kleinen Hauch überbetont über den Center. Etwas brummelig präsentieren sich die LF-Elemente des Films. Wenn der Score mal etwas in die Tiefe hinabreicht, könnten die Mitten- und Höhenanteile etwas ausgeprägter sein. Dafür gibt’s aber für eine warmherzige Dramödie durchaus mal aktive Subwoofer-Einlagen wie beispielsweise auf dem Bahnhof. Und eben viel Räumlichkeit. Auch die Zugfahrt selbst präsentiert viele Umgebungsgeräusche, die eine Menge Atmosphäre herstellen. Qualitativ lassen sich zwischen englischem dts-HD-Sound und deutscher DD-Plus-Spur nur geringe Unterschiede feststellen. Die Lautstärke ist auf ähnlichem Niveau und selbst in den dynamischeren Szenen (Regal bricht zusammen) ist die Dynamik- und Feinzeichnungs-Differenz nur gering.
Bonusmaterial
Im Bonusmaterial von Christopher Robin finden sich insgesamt vier Featurettes. Diese erzählen davon, wie man die Geschichte auf Film bannte und wie die Darsteller mit den Plüschtieren agierten, damit es am Ende auch im Zusammenspiel mit den animierten Kuscheltieren glaubhaft wirkt. „Puuh findet seine Stimme“ stellt Jim Cummings vor, der den Teddy seit langer Zeit schon spricht. „Puuh und Walt werden Freunde“ kümmert sich dann um das Verhältnis zwischen Walt Disney und dem Bären. Und in „Puuh und seine Freunde werden lebendig“ geht es dann um die visuelle Umsetzung der Teddybären und Tiger – vom Dreh mit den Puppen bis zur Computer-Animation.
Fazit
Christopher Robin ist ein melancholischer Film geworden. Einer, der berührt und trotz der nicht unbekannten universellen Geschichte zu Herzen geht. Vorgetragen von hervorragenden Darstellern und in den Interaktionen mit den animierten Kuscheltieren fließend und elegant, sollten Freunde der Originalgeschichten und von Dramen voll auf ihre Kosten kommen.
Timo Wolters
Bewertung
Bildqualität: 75%
Tonqualität (dt. Fassung): 75%
Tonqualität (Originalversion): 75%
Bonusmaterial: 50%
Film: 80%
Anbieter: Walt Disney Company
Land/Jahr: USA 2018
Regie: Marc Forster
Darsteller: Ewan McGregor, Hayley Atwell, Bronte Carmichael, Mark Gatiss, Oliver Ford Davies, Ronke Adekoluejo
Tonformate: dts HD-Master 7.1: en // Dolby Digital Plus 7.1: de
Bildformat: 2,35:1
Laufzeit: 104
Codec: AVC
FSK: 0
(Copyright der Cover und Szenenbilder: © 2018 Disney)
„Christopher Robin“ ist in wunderbar gemachter Film der das Winnie Puh Haupt-Thema aufgreift. Es geht um den Blick auf die eigentlich wichtigen Dinge im Leben wie Liebe, Freundschaft und die kindliche Fähigkeit Abenteuer zu erleben. Christopher Robin hat als Erwachsener (erfundenerweise, denn die wahre Biographie von A.A. Milnes Sohn verlief anders) eine verantwortungsvolle Funktion (in einer großen, mit Absatzproblemen belasteten Firma) den Kontakt zu seiner eigenen Kindheit im Alltagsstreß fast völlig verloren. Selbst die Beziehung zu seiner kleinen (zauberhaften) Familie ist in Gefahr, da er sich kaum noch Zeit für diese nimmt. Als plötzlich Puh bei ihm vor der Tür steht und um seine Hilfe bittet, nimmt sein Leben einen ganz anderen Verlauf.
Der Film ist im London und in Sussex der Nachkriegszeit angesiedelt. In Ausstattung, Requisite und Tricktechnik (was sich auf die Kullissen und die Animation der Stofftiere bezieht) wirklich excellent gemacht. Die Schauspieler sind sehr gut, die Handlung ist intelligent und detaillreich und zeigt viel Humor und Menschlichkeit. „Christopher Robin“ hat die Qualität einer guten Disneyproduktion und taugt so als beste Unterhaltung für die ganze Familie. Ist man ein Liebhaber und Kenner des hundert morgen Waldes und seiner Bewohner, läßt sich die Geschichte als ein würdiger Epilog begreifen.
Wer das Leben des wahren Christopher Robin aus einer weniger märchenhaften Perspektive betrachten möchte, dem sei auf jeden Fall auch der 2017 erschienene Film: „Goodby Christopher Robin“ auf das Wärmste empfohlen.