Churchill

Blu-ray Review

Churchill Blu-ray Review Cover
Universum Film, 29.09.2017

OT: Churchill

 


Operation Overlord

Exzellent gespieltes Biopic mit zwiespältigen Inhalts-Hypothesen.

Inhalt

Juni 1944: Winston Churchill kämpft seit fünf Jahren einen Krieg, den er zwar gewinnen möchte, jedoch nicht um den Preis hoher Verluste. Das Militär steckt seit Monaten in der Planung der „Operation Overlord“, die eine umfassende Landung der Alliierten in der Normandie vorsieht. Doch Churchill ist gegen diese Pläne. Er sieht die Gefahr ziviler Verluste und auch innerhalb der eigenen Reihen als zu hoch an und argumentiert leidenschaftlich dagegen, weil er den D-Day als kommende Tragödie bezeichnet. Vielmehr möchte er die Truppen aufteilen und ein Ablenkungsmanöver in der Ägäis abhalten, das Hitlers Konzentration von der französischen Küste weglenkt. Der Premier fühlt sich dabei zunehmend im Stich gelassen und an den Rand gedrängt, scheint auch nervlich nicht ganz auf der Höhe. Unterstützung hat er vor allem in seiner Frau Clementine, die ihm tatkräftig und mit dem nötigen entwaffnenden Humor das Rückgrat stärkt. Bis die Geschehnisse auch seine Ehe zu belasten anfangen …

Zigarre im Mund, Panama-Hut auf dem Kopf und der etwas grimmige Mund im runden Mondgesicht – viel mehr braucht es nicht, um den bis heute bekanntesten britischen Politiker aller Zeiten zu beschreiben und schon man hat ein Bild von ihm vor Augen. 2017/2018 schicken sich gleich zwei Filme an, erneut dessen Geschichte zu erzählen. Während der Anfang nächstes Jahr in den Kinos startende The Darkest Hour mit Gary Oldman in der Rolle etwas weiter angelegt ist und eine größere Zeitspanne umfasst, konzentriert sich Jonathan Teplitzky (Railway Man) in seinem Churchill auf die entscheidenden Tage im politischen Wirken des Staatsoberhauptes: Die Landung der Allierten an der französischen Küste des Ärmelkanals, der die schrittweise Eroberung der Normandie und die spätere Befreiung Paris‘ von den Nazis folgte. Dabei blickt der Film, der zunächst von Brian Welsh (The Rat Pack) inszeniert werden sollte, vor allem auf die Emotionen und den Charakter des Mannes, dessen Bemühungen entscheidend dazu beitrugen, den Zweiten Weltkrieg zu beenden. Das Drehbuch verfasste die junge Historikerin Alex von Tunzelman, die als Historikerin und Autorin eigentlich mit dem Stoff gut vertraut sein sollte. Allerdings ist sie keine Churchill-Biografin, was dazu führte, dass eben solche ihr (und damit dem Film) gewisse Fehler vorwarfen. Hauptkritik übte man beispielsweise daran, dass der britische Premierminister als antiamerikanisch dargestellt wird, vor allem aber daran, dass er bis zum letzten Tag strikt gegen die Landung in der Normandie gewesen sei. Tatsächlich war Churchill nicht nur Kind einer US-Amerikanerin, sondern hatte auch ein gutes Verhältnis zu Roosevelt. Dass er schon mal ein „those bloody Yankees“ fallen ließ, entsprang dabei eher der Enttäuschung, dass trotz seiner zahlreichen Briefe und Bitten die Amerikaner nicht in den Krieg eintreten wollten. Als sie es nach den Geschehnissen von Pearl Harbor dann endlich taten, war für Churchill endlich der „gewünschte“ Partner an Bord.

Was den D-Day angeht, so argumentiert Churchill, dass die Erfahrungen Winstons aus dem Ersten Weltkrieg und die Wunden, welche die Geschehnisse vier Jahre zuvor in Dünkirchen hinterlassen hatten, den Premier zu einem Gegner des Angriffs über den Ärmelkanal werden ließen – und zwar bis zum letzten Tag. Fakt ist, dass Churchill in der Tat mit den Gedanken an die Vergangenheit zu kämpfen hatte und England als „in dieses Abenteuer von den Amerikanern und Russen hineingezogen sah“. In seinen Memoiren ist zu lesen, dass er sich bewusst war, die Konfrontation über den Kanal würde ein „schweres und gefährliches Abenteuer“ werden. Dennoch war er immer gewillt, die USA in einem direkten frontalen Angriff über den Ärmelkanal zu unterstützen. Als er sich im Mai mit seinem Generalfeldmarschall Montgomery trifft, schreibt er später in dessen privates Buch, dass er „am Rand des größten Unterfangens … seine Überzeugung bezeugt, dass alles gut verlaufen wird.“. Diese Notizen, die man ebenfalls seinen Memoiren entnehmen kann, decken sich nicht wirklich damit, dass Churchill im Film gar um die Hilfe Gottes betet, der Allmächtige möge es doch stürmen lassen, damit die Operation nicht stattfinden kann. Umso erstaunlicher ist es dann, dass die Arbeit des Films dazu geführt hat, dass jeder einzelne Schauspieler im Bonusmaterial zu Protokoll gibt, dass er oder sie „keine Idee“ davon hatte, dass der Premierminister seinerzeit gegen die Operation war. Natürlich war er besorgt darüber, dass die Aktion zu einer hohen Anzahl an Opfern auf der eigenen Seite führen könnte, aber derart vehement wie es Churchill schildert und bis in die Konsequenz von Alkoholismus und Depression durchexerziert, war es nicht. Einige Churchill-Historiker werfen dem Film deshalb nicht ganz ohne Grund Revisionismus vor. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass Tunzelmann eine wöchentliche Kolumne im „Guardian“ schreibt und über historische Akkuratesse von Filmen aufklärt.

Inhaltlich muss man Churchill also zumindest mit einer gewissen Vorsicht betrachten, um ihm nicht bedingungslos alles zu glauben, was er postuliert. Dabei darf an Churchill durchaus Kritik geübt werden, denn als strammer Antikommunist, Gegner Gandhis („er dürfe bei seinem Hungerstreik ruhig sterben“), Vertreter einer pro-kolonialistischen Politik, der Eugenik und eines Sozialdarwinismus bieten seine Einstellungen zahlreiche Anlässe für leidenschaftliche Debatten. Was den Film dennoch sehenswert macht, sind seine Bilder und die Leistung der Darsteller. Brian Cox in der Hauptrolle gestikuliert leidenschaftlich, geifert seine emotionalen Argumente in Richtung seiner Gegner, lässt aber auch einen gewissen Humor aufblitzen, wenn er ein ums andere Mal gesundheitlich angeschlagen wirkt und im nächsten Moment entrüstet die Hilfe anderer ablehnt. Die innere Zerrissenheit des Staatsmannes in seiner schwierigsten Zeit lässt Cox lebendig werden. Miranda Richardson als Clementine kontert das energiegeladene Spiel ihres Kollegen mit abgeklärtem Pragmatismus und leichtem Sarkasmus. Dieser Sarkasmus trifft bald auf einen ebensolchen, wenn ihr Gatte in die Ecke gedrängt wie ein Märtyrer argumentiert und seine Ehe in Gefahr diskutiert. Doch Richardsons „Clemi“ bleibt resolut und gleichzeitig entschlossen. Ein ums andere Mal muss sie ihn maßregeln und ihn daran erinnern, was er als Premier zu tun habe – jedenfalls nicht seine Sekretärin anzuschreien. James Purefoy übernimmt die Rolle, für die Colin Firth in The King’s Speech den Oscar gewann und schlägt sich als vom Stottern halbwegs geheilter König sehr gut. Nach einer Dreiviertelstunde hat er gar einen herausragenden Moment, in dem er Churchill erklärt, warum beide nicht an Bord eines Schiffes während der Landung in der Normandie sein dürfen.

Bild- und Tonqualität

Das 2,35:1-Bild von Churchill glänzt mit weitläufigen Einstellungen der schottischen Küste zu Beginn und liefert dazu überragend gute Kontraste. Ein leichtes Korn darf sich dazu gesellen, weil’s thematisch hervorragend passt und die Zeit authentisch wiedergibt. Die dunklen Limousinen, die durch die Straßen Londons fahren, sind knackig und auch der schwarze Hut des Protagonisten kommt plastisch rüber. Die Schärfe ist durchweg gut, manchmal sogar exemplarisch hoch – gerade in Nahaufnahmen. Ebenfalls gut ist die Bildruhe, die trotz des leichten Korns nie zu Nachzieh-Effekten führt.
Akustisch gefällt das Rattern der Schreibmaschinen in der Zentrale mit authentischen Geräuschen. Allerdings reißt Churchill hier keine Bäume aus. Action oder Dynamik sucht man hier vergeblich. Die Konzentration wird auf die Sprachverständlichkeit und die Front gelegt. Der Subwoofer bleibt die meiste Zeit über inaktiv. Die in der Regel dezente Filmmusik liegt sich schon mal zart auf die rückwärtigen Speaker, kommt aber ebenfalls hauptsächlich von vorne.

Bonusmaterial

Im gut 20-minütigen Making-of von Churchill erzählen die Produzenten, dass sie einen neuen Ansatz verfolgten und hinter die „Ikone“ des Staatsmannes schauen wollten, den Mann dahinter betrachten wollten. Es sollte also ein intimes Porträt des Politikers werden. Auch Autorin Tunzelmann kommt zu Wort und redet darüber, wie sie dem Charakter in die Seele schauen wollte, seine inneren Kämpfe porträtieren wollte.

Fazit

Churchill liefert gleich mehrere herausragend Darsteller-Leistungen und ein emotionales Plädoyer gegen die Grausamkeiten des Krieges. Die postulierten Hypothesen sollte man allerdings mit Vorsicht genießen oder sie dazu nutzen, sich selbst ein wenig mit der Figur des Winston Churchill zu befassen.
Timo Wolters


Bewertung

Bildqualität: 80%
Tonqualität (dt. Fassung): 70%
Tonqualität (Originalversion): 70%
Bonusmaterial: 30%
Film: 60%

Anbieter: Universum Film
Land/Jahr: GB 2016
Regie: Jonathan Teplitzky
Darsteller: Brian Cox, Miranda Richardson, John Slattery, Ella Purnell, Julian Wadham, Richard Durden, James Purefoy
Tonformate: dts HD-Master 5.1: de, en
Bildformat: 2,35:1
Laufzeit: 106
Codec: AVC
FSK: 6

Trailer zu Churchill

Churchill - Trailer (deutsch/german; FSK 6)