Blu-ray Review
OT: Crimes of the Future
Schmerzen
David Cronenberg meldet sich (endlich) wieder zurück.
Inhalt
Irgendwann in der Zukunft: Staatliche Kontrolle beherrscht das Geschehen und Maschinen „leben“ mitunter fast in symbiotischer Beziehung zu Menschen. In dieser Welt lebt Saul Tenser. Tenser ist Performance-Künstler. Wenn man es denn so nennen will, dass er sich vor Publikum von seiner Partnerin Caprice zuvor im Körper zusätzlich ausgebildete und von Caprice tätowierte Organe aus dem Leib schneiden lässt. In einer Welt, in der Schmerz keine Rolle mehr spielt, wird die Herausforderung, Menschen zu unterhalten eben größer. Eine faszinierende Beobachterin dieses Schauspiels ist Timlin, eine Ermittlerin des National Organ Registry, die als solche Organe katalogisiert und registriert. Timlin hält das Operieren für die neue Entdeckung der Lust, nachdem Menschen wie Saul den „alten“ Sex schon lange verloren haben. Sie nähert sich Saul an, um Antworten auf ihren Fetisch zu bekommen. Derweil will Lang Dotrice, der Anführer einer Untergrundorganisation, die die nächste Stufe der menschlichen Evolution einleiten möchte, die Bekanntheit von Saul ausnutzen. Der jedoch bekommt es bald mit der Polizei in Verkörperung des Beamten Cope zu tun, der seine ganz eigenen Interessen hat …
Nachdem zuletzt sein Sohn Brandon in Possessor demonstrieren durfte, dass er ziemlich gut bei den Filmen seines Vaters aufgepasst hat, tritt der Meister nach acht Jahren der Abstinenz vom abendfüllenden Film selbst wieder an. Betrachtet man es nach Erfolg, ist es sogar schon länger her, dass David Cronenberg relevant Spuren hinterlassen hat. Denn der letzte von Publikum UND Kritikern gemochte Film war Tödliches Versprechen von 2007. Seinerzeit mit Viggo Mortensen in der Hauptrolle, der seit dem 2005er A History of Violence so etwas wie Cronenbergs Muse geworden ist und in Crimes of the Future nun zum vierten Mal mit dem Regisseur zusammenarbeitete. Offenbar verbindet die beiden eine ähnliche schicksalshafte Sicht auf die Welt sowie der gleiche Humor. Fragt man Cronenberg, so gibt er zu Protokoll, dass Mortensen nach all den Jahren einfach „billiger“ geworden sei. Das Vertrauen der beiden geht soweit, dass sie zuletzt die Rollen in Mortensens Regiedebüt Falling tauschten. Mit Crimes of the Future kehrt der massiv an der Psychologie und Psychotherapie interessierte Filmemacher nun ganz klar zu den Wurzeln seiner Body-Horror-Filme zurück, für die er jahrelang Paradebeispiel gediente hatte. Werke wie Videodrome, Scanners oder seine geniale Neuinterpretation von Die Fliege lassen dem Horrorfan das Herz aufgehen. Fragt man Cronenberg selbst, kann er mit der Bezeichnung des Body Horror allerdings wenig anfangen und distanziert sich sogar von ihr. Offenbar ist er ein bisschen beleidigt, dass man ihn gerne darauf reduziert (Quelle). Dennoch: Visuell und auch vom Inhaltlichen her ist Crimes of the Future stark mit Werken wie Scanners, Crash oder Die Fliege verbunden. Ging es in Ersterem vor allem um die Zerstörung des menschlichen Körpers, betrachtete Cronenberg in Die Fliege die Transformation – die Metamorphose und Verwandlung in ein leistungsfähigeres, besseres, mithin aber zerstörerischeres Selbst. In Crash hingegen erotisierte er die Welt des Schmerzes, was hier erneut zum Thema gemacht wird – nur, dass Schmerz als solcher bereits transzendiert wurde.
Crimes of the Future ist weniger zerstörerisch, sondern vielmehr eine Vision. Ein Blick in eine Welt, die Schmerz nicht mehr kennt, der aber die Lust abhanden gekommen ist. In der Mutation des menschlichen Körpers findet Cronenberg die Lust wieder – Operieren ist der neue Sex sagt Timlin irgendwann und hält einer Gesellschaft den Spiegel vor, die sich aufgrund der Überverfügbarkeit von sexuellen Inhalten mehr und mehr enterotisiert. Wie treffend, dass Cronenberg diesen Film erst nun, 20 Jahre nachdem er die Idee dazu entwickelt hatte, inszenierte. Nicht übersehbar zudem, dass der Filmemacher mit seinem jüngsten Werk auch darauf anspielt, dass Performance-Kunst schon lange am Körper stattfindet und man dadurch neue Formen der Erotik sucht. Schon der Kult um die Body-Modification, die mit dem Tätowieren begann und über das Piercing bis zu den Body-Implants oder der Entfernung ganzer Körperteile geführt hat, veranschaulicht das sehr plakativ – und wird durch Caprices Tätowierkunst entsprechend filmisch verewigt. Dabei spart er erneut nicht mit schwer zu verdauenden Szenen. Und er wäre auch nicht der Regisseur so vieler schockierender Filme, wenn er nicht mit einem Knall eröffnen würde. Schon die Situation im Badezimmer kommt bedrückend rüber. Wenn die Mutter dann aber die Konsequenz zieht, stößt Cronenberg den Zuschauer erstmalig offensiv vor den Kopf. Dabei gibt der Kanadier an, dass es ihm überhaupt nicht darum gehe, das Publikum zu schockieren. Selbst diese Szene sei nur eine Abbildung der Realität, wenn man ständig in der Zeitung von ähnlichen Dingen lesen würde. Worum es ihm geht, ist vielmehr die Beschäftigung mit der Evolution des Menschen. Cronenberg nennt es das „beschleunigte Evolutionssyndrom“, das hier dafür sorgt, dass der menschliche Körper immer neue unglaubliche Stadien erreicht.
Dem Zuschauer wird dabei schnell auffallen, wie schwer es ist, einen Film zu mögen, in dem das Thema Liebe durch Abwesenheit glänzt. Sämtliche Figuren bleiben kühl. Während der eine im Entfernen seiner zusätzlichen Organe eine Art Erlösung aus dem Alltag empfindet, in dem er lediglich durch seltsame biomechanische Vorrichtungen überleben kann, sieht die andere in den Mutationen eine Art Bedrohung, die es auszurotten gilt – immerhin seien es quasi Tumore. Zwischen den beiden Performance-Künstlern besteht zwar eine Beziehung. Liebe kann man das aber kaum nennen
Die Tatsache, dass auch noch eine Kriminalgeschichte erzählt wird, die Cronenberg mit einer rätselhaften Untergrundorganisation unterfüttert, sorgt beim Zuschauer für reichlich Hirnschmalz-Aktivität. Es sei aber gesagt, dass man Crimes of the Future nicht zwingend allumfassend verstehen muss. Schon gar nicht bei oder nach der ersten Sichtung. Interessanter sind vielmehr die Gefühle, die er auslöst – ob nun positiv oder negativ, abstoßend oder anziehend. Die Darsteller sind dabei die Vermittler dieser Emotionen. Viggo Mortensen als Saul wirkt ein wenig wie Cronenbergs Alter Ego, wenn er als Künstler sein Innerstes nach außen kehrt. Das macht er durchaus überzeugend, wenngleich der Moment, in dem er sich während einer Operation lustvoll die Lippen leckt, grenzwertig albern wirkt. Kristen Stewart darf hier mal die hektische Persönlichkeit geben und vermittelt die Gedanken ihrer Figur glaubwürdig. Léa Seydoux als Caprice bringt unterkühlte Erotik ins Spiel – und sei es, um ihr Ziel zu erreichen. Eine überzeugende, fast durchtrieben wirkende Darbietung. Erwähnt werden darf und muss auch der Score von Howard Shore, mit dem Cronenberg für Crimes of the Future bereits zum 16! Mal zusammenarbeitete. Dessen Elektroklänge erzeugen eine sogartige Wirkung, die dem Film eine zweite Ebene verpassen – von den leicht jubilierenden höheren Tönen bis hin zu den tieferen Frequenzen, die grummelig in den Magen fahren.
- Dieser Artikel hat Deutsche Sprache und Untertitel.
Bild- und Tonqualität
David Cronenberg und sein Kameramann Douglas Koch nahmen Crimes of the Future mit der ARRI Alexa Mini vollständig digital auf. Deren Ausgangsauflösung von 3.4K wurde über ein 4K DI gemastert, sodass die Blu-ray ein Downscale davon ist. Das Bildformat liegt im Seitenverhältnis von 1,85:1 vor. Der Film beginnt mit äußerst klaren, sehr kontrastreichen Bildern der blauen Wasseroberfläche vor sandfarbenem Vordergrund. Selbst während der darauf folgenden Aufnahmen im Dunklen bleibt das Bild quasi komplett rauschfrei. Man könnte fast annehmen, dass hier etwas gefiltert wurde, doch wenn man genau hinsieht, ist das ganz dezente Digitalrauschen des Sensors dann doch sichtbar. Etwas auffälliger wird’s auf der Wand bei 8’52. Dennoch ein sehr laufruhiges, rauscharmes und für Cronenberg überraschend cleanes Bild. Die Farbgebung ist fast durchgängig sehr warm und angenehm, mit erdigen Tönen bei den Oberflächen und gesundem, braunem Teint. Nicht ganz unüblich für eine Blu-ray mischt sich ein sichtbarer Gelbanteil bei den Hauttönen dazu. Allerdings nichts, was störend oder übertrieben wirkt. Hier und da kommt etwas Grün ins Spiel, wenn Wände mit entsprechender Farbe aufwarten oder das Licht leichte Reflexionen erzeugt. Die Auflösung ist in Close-ups wirklich hervorragend – und zwar unabhängig davon, ob es sich um Einstellungen in dunkler Umgebung oder bei helllichtem Tage handelt (25’04, 82’47). Die Kontrastgebung ist durchweg hervorragend gelungen. Im Schwarz säuft nichts ab, alle Details bleiben sichtbar und dennoch ist Schwarz richtig knackig und satt – bspw. Sauls Umhang bei 28’50. Helle Szenen überstrahlen derweil nur minimal und bleiben ebenfalls gut durchzeichnet. Aufnahmen, die dynamische Farben und Helligkeiten ins Spiel bringen, sehen richtig klasse aus. Außer dem manchmal etwas softer wirkenden Einstellungen in Halbtotalen und Totalen gibt’s hier kaum etwas zu mäkeln.
Zwei DTS-HD-Master-Spuren sorgen für den guten Ton von Crimes of the Future. Dieser ist zwar nicht über die Maßen dynamisch, will es aber auch gar nicht sein. Die Konzentration liegt auf der guten Verständlichkeit der Stimmen, die fast zu jeder Zeit gegeben ist. Nur selten sind Umgebungsgeräusche im Verhältnis mal etwas zu laut. Aus dem Geschehen heraus ragt der Score von Howard Shore, der die Räumlichkeit der Lautsprecher ausnutzt. Das tun auch die immer mal wieder zu hörenden Fliegenschwärme, die schwirrend die Rears bevölkern.
- Dieser Artikel hat Deutsche Sprache und Untertitel.
Bonusmaterial
Im Bonusmaterial von Crimes of the Future warten insgesamt 15! Interviews sowie eine B-Roll und ein vierminütiges Featurette. Letzteres hält leider nicht viel mehr als ein paar Charakterisierungen der Figuren sowie einige Kommentar zur Story bereit. Die tonlose B’Roll läuft elf Minuten und Zeigt die Crew am Set in Griechenland. Die Interviews haben eine unterschiedliche Laufzeit und lassen sich leider nicht „am Stück“ abspielen. Man muss also stets zurück ins Menü. Zudem sind alle Extras nicht deutsch untertitelbar.
Fazit
Crimes of the Future ist nicht Cronenbergs bester Film. Vielmehr eine Kumulation einiger seiner früheren Werke, in der er die Verstümmelung des Körpers und den physischen Zugriff auf sein Inneres zur Kunstform erhebt. Atmosphärisch und darstellerisch ist das ebenso überzeugend wie in den praktischen Effekten (die digitalen hingegen fallen ab) und der musikalischen Untermalung. Allerdings hat er auch seine Länge und wird nicht jedem durchweg gefallen. Dafür ist er am Ende auch zu sperrig. Die Blu-ray liefert dazu ein hervorragendes Bild.
Timo Wolters
Bewertung
Bildqualität: 85%
Tonqualität (dt. Fassung): 75%
Tonqualität (Originalversion): 75%
Bonusmaterial: 40%
Film: 70%
Anbieter: Weltkino
Land/Jahr: CA/F/GR/GB 2022
Regie: David Cronenberg
Darsteller: Léa Seydoux, Kristen Stewart, Viggo Mortensen, Scott Speedman, Tanaya Beatty, Denize Capezza, Don McKellar, Welket Bungué
Tonformate: dts HD-Master 5.1: de, en // dts HD-Master 2.0: de
Untertitel: de
Bildformat: 1,85:1
Laufzeit: 108
Codec: AVC
FSK: 16
(Copyright der Cover und Szenenbilder liegt bei Anbieter: Weltkino / © 2022 SPF (Crimes) Productions Inc. & Argonauts Crimes Productions S.A., Photo Credit Nikos Nikolopoulos)
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Trailer zu Crimes of the Century
So testet Blu-ray-rezensionen.net
Die Grundlage für die Bild- und Tonbewertung von Blu-rays und Ultra-HD-Blu-rays bildet sich aus der jahrelangen Expertise im Bereich von Rezensionen zu DVDs, Blu-rays und Ultra-HD-Blu-rays sowie Tests im Bereich der Hardware von Unterhaltungselektronik-Komponenten. Gut zehn Jahre lang beschäftigte ich mich professionell mit den technischen Aspekten von Heimkino-Projektoren, Blu-ray-Playern und TVs als Redakteur für die Magazine HEIMKINO, HIFI TEST TV VIDEO, PLAYER oder BLU-RAY-WELT. Während dieser Zeit partizipierte ich an Lehrgängen zum Thema professioneller Bildkalibrierung mit Color Facts und erlangte ein Zertifikat in ISF-Kalibrierung. Wer mehr über meinen Werdegang lesen möchte, kann dies hier tun —> Klick.
Die technische Expertise ist aber lediglich eine Seite der Medaille. Um stets auf der Basis von aktuellem technischen Wiedergabegerät zu bleiben, wird das Testequipment regelmäßig auf dem aktuellen Stand gehalten – sowohl in puncto Hardware (also der Neuanschaffung von TV-Displays, Playern oder ähnlichem, wenn es der technische Fortschritt verlangt) als auch in puncto Firmware-Updates. Dazu werden die Tests stets im komplett verdunkelbaren, dedizierten Heimkino angefertigt. Den Aufbau des Heimkinos könnt ihr hier nachlesen —> Klick.
Dort findet ihr auch das aktuelle Referenz-Gerät für die Bewertung der Tonqualität, das aus folgenden Geräten besteht:
- Mainspeaker: 2 x Canton Reference 5.2 DC
- Center: Canton Vento 858.2
- Surroundspeaker: 2 x Canton Vento 890.2 DC
- Subwoofer: 2 x Canton Sub 12 R
- Heights: 4 x Canton Plus X.3
- AV-Receiver: Denon AVR-X4500H
- AV-Receiver: Pioneer SC-LX59
- Mini-DSP 2x4HD Boxed
Das Referenz-Equipment fürs Bild findet ihr wiederum hier aufgelistet. Dort steht auch, wie die Bildgeräte auf Norm kalibriert wurden. Denn selbstverständlich finden die Bildbewertungen ausschließlich mit möglichst perfekt kalibriertem Gerät statt, um den Eindruck nicht durch falsche Farbtemperaturen, -intensitäten oder irrigerweise aktivierten Bild“verbesserern“ zu verfälschen.
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In Italien gibt es übrigens eine bildmäßig sehr gelungene 4K UHD Bluray als Sonderedition. Allerdings nur mit italienischem und englischem O-Ton. Englische Untertitel gibt es leider auch nicht. Trotzdem sei diese Edition jedem einigermaßen gut Englischsprechendem von mir empfohlen. Der Preis ist auch moderat….
die ITA ist aber nur 4K SDR, aber es gibt noch eine bessere aus USA mit HDR + DV 😉