Dämonen und Wunder – Dheepan

Blu-ray Review

Dämonen und Wunder - Dheepan Blu-ray Review Cover
Weltkino, seit 24.06.2016

OT: Dheepan

 


Nur eine Zweckgemeinschaft?

Hier kommt der Gewinner der Goldenen Palme von Cannes 2015.

Inhalt

Dheepan kam als Flüchtling aus Sri Lanka nach Frankreich. In seinem Heimatland hatte er Frau und Kinder durch den Bürgerkrieg verloren – einem Krieg, den er früher als Mitglied der Tamil Tigers mitgeführt hatte, um für die Unabhängigkeit des Nordens und Ostens der Insel zu kämpfen. Dabei ging er selbst nie zimperlich vor, was ihn bein seinem Oberst eine gewisse Bekanntheit einbrachte. Um nach Frankreich zu gelangen, gab er vor, als Familie einzureisen. Die fremde Frau mit Namen Yalini und deren ebenfalls nicht eigenes Kind hatte er auf der Flucht kennengelernt. Jetzt, wo man in Paris angekommen ist, würde Yalini gerne zu ihrer Schwester nach England weiterreisen – natürlich ohne das Kind, das ihr nur ein Klotz am Bein wäre. Glücklicherweise überstehen sie die Einreiseformalitäten und bekommen eine (nicht gerade hübsche) Wohnung in den Banlieus vor Paris. Dheepan kann als Hausmeister arbeiten, gerät deshalb aber auch schnell in Kontakt mit den anderen Einwanderern sowie den perspektivlosen einheimischen Franzosen, die ihr „Glück“ im Drogenhandel suchen – und dieser Kontakt endet beinahe in einer Tragödie …

Der französische Film (Originaltitel: Dheepan gewann bei den 68. Filmfestspielen von Cannes die Goldene Palme, was vor allem daran liegt, dass Jacques Audiard (Der Geschmack von Rost und Knochen) sich extrem zurückhält und sein Werk so weit wie möglich für sich alleine sprechen lässt. Apropos Sprache: Der deutsche Anbieter Weltkino, der Dämonen und Wunder auch ins Kino gebracht hatte, begeht nicht den Fehler, den zweisprachigen Film komplett zu synchronisieren. Übersetzt wurden nur die Dialoge zwischen den Einwanderern aus Sri Lanka. Das Französische ließ man unangetastet (die Untertitel sind ausblendbar), was viel stärker vermittelt, wie fremd sich Dheepan, Yalini und Illayaal vor Ort fühlen. Gerade auch in der Konfrontation der kleinen Illayaal mit der neuen Situation in der Schule wird deutlich, dass Flüchtlinge zwar einem Bürgerkrieg entfliehen können, deshalb aber noch lange kein angenehmes oder einfaches Leben führen. Natürlich ist es schön, dass Wasser aus der Leitung einfach ohne Bedenken trinken zu können, doch mit brüchigen Sprachkenntnissen, allerlei kulturellen Unterschieden und einer nahezu vollständigen Perspektivlosigkeit liegt das Glück eben doch in weiter Ferne. Die Tatsache, dass in Dämonen und Wunder keine emotional aneinander gebundene Familie beobachtet wird, sondern eine Zweckgemeinschäft, verstärkt diesen Eindruck noch. So ist jeder der Drei mit seinen Gefühlen alleine und muss mit Traurigkeit, Verzweiflung und Angst leben, ohne sich untereinander (zunächst) unterstützen zu können. Nicht ganz leicht, in einer Gegend, die schon für einen Einheimischen gefährlich und trostlos ist. Praktisch allgegenwärtig ist die Kriminalität und schon ein Gang durch die dunklen Treppenhäuser der riesigen Wohnblocks gerät zum schaurigen Erlebnis. In all dieser feindlichen Umgebung sind die zarten Gefühle, die sich zwischen Dheepan und Yalini entwickeln ein kleiner Lichtblick. Auch die sensiblen Szenen, in denen sich der Sohn des alten Mannes, den Yalini betreut, mit ihr unterhält, ohne dass sich beide wirklich verstehen, schüren ein wenig Hoffnung auf ein besseres Leben. Doch dass dieses nicht zwingend in den Banlieus gefunden wird, bekommt der Zuschauer in einer schmerzhaft intensiven Sequenz zu spüren, wenn die Dämonen des Bürgerkriegs Dheepan und Yalini heimsuchen. Nicht nur demonstriert Dämonen und Wunder hier, wie dramatisch es in den kriminell strukturierten Vororten von Paris aussieht, sondern vermittelt durch intensive Bilder (die Gewalt geschieht meist nicht frontal, sondern außerhalb des Blickwinkels der Kamera), dass man der Brutalität nicht immer entfliehen kann, sondern sie manchmal auch zu einem kommt – egal, wie sehr man es vermeiden möchte.

Bild- und Tonqualität

Das Bild von Dämonen und Wunder ist bisweilen extrem dunkel und verhindert dort eine akzeptakble Durchzeichnung – das ist sicher bewusst so gewählt, macht es aber teils etwas anstrengend, den Ereignissen zu folgen. In den gut ausgeleuchteten Szenen geht die Kontrastierung in Ordnung. Auch die Schärfe ist okay, leidet allerdings unter leichtem Verwischen in dezenten Bewegungen der Gesichter. Ein sichtbares aber nicht störendes Korn liegt über dem Geschehen und die etwas reduzierten Farben veranschaulichen das triste Leben in den Wohnblocksilos authentisch. Akustisch muss man sich mit einer vornehmlich frontbezogenen Atmosphäre anfreuden, die die Dialoge sehr gut wiedergibt (französische Teile bleiben unsynchronisiert und werden mit – ausblendbaren – Untertiteln geliefert) und immer dann etwas räumlich wird, wenn mal ein Moped seine Runden im Hof dreht. Im den Moment der gewaltsamen Auseinandersetzung der Gangs werden Schüsse realistisch ins Heimkino transportiert und verhallen effektvoll und direktional korrekt vom jeweiligen Lautsprecher. Die Brutalität gelangt auf diese Weise absolut authentisch ans Gehör und vermittelt eine unmittelbare Nähe – gerade während der Schüsse im Treppenhaus. Das ist umso eindrucksvoller, da diese Szenen bisweilen von dumpfer Taubheit oder Stille unterbrochen werden – hier wird Dämonen und Wunder dann fast gespenstisch intensiv.

Bonusmaterial

Im Bonusmaterial von Dämonen und Wunder gibt es fünf entfernte Szenen sowie eine Abfolge des Artworks für den Film. Diverse Künstler gaben dafür ihre Entwürfe ab, die allesamt sehenswert (und sehr unterschiedlich) sind.

Fazit

Dämonen und Wunder – Dheepan ist trotz seiner relativ simplen Geschichte kein einfach zu konsumierender Film. Regisseur Audiard fordert den Zuschauer zur Auseinandersetzung und Urteilsbildung auf, scheit dabei nicht, seine Hauptfigur auch mal unsympathisch rüberkommen zu lassen und zeichnet kein klischeehaftes schwarz-weiß-Bild. Getragen von intensiven Schauspielerleistungen und herausragender Kameraarbeit, ist der Gewinner der Goldenen Palme von Cannes eine packende cineastische Erfahrung.
Timo Wolters


Bewertung

Bildqualität: 65%
Tonqualität (dt. Fassung): 80%
Tonqualität (Originalversion): 80%
Bonusmaterial: 30%
Film: 85%

Anbieter: Weltkino
Land/Jahr: Frankreich 2015
Regie: Jacques Audiard
Darsteller: Jesuthasan Antonythasan, Kalieaswari Srinivasan, Claudine Vinasithamby, Vincent Rottiers, Marc Zinga
Tonformate: dts HD-Master 5.1: de, en
Bildformat: 2,35:1
Laufzeit: 115
Codec: AVC
FSK: 16

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