Das Märchen der Märchen

Blu-ray Review

Das Märchen der Märchen Blu-ray Review Cover
Concorde HE, seit 10.03.2016

OT: Il racconto dei racconti

 


Von Zwillingen und Riesenflöhen

Ein Märchenfilm jenseits der Gebrüder Grimm.

Inhalt

„Fangt ein Seeungeheuer, reißt ihm das Herz heraus, lasst es von einer Jungfrau kochen und verzehrt es anschließend“ – Die Voraussetzung dafür, dass die Königin von Longtrellis schwanger wird, scheinen nur auf den ersten Blick unlösbar, denn ihr König schafft es tatsächlich, das Riesenvieh zu erlegen. Allerdings nicht, ohne dabei selbst tödlich verletzt zu werden. Der Plan allerdings gelingt – mit dem Nebeneffekt, dass die kochende Jungfrau gleichzeitig schwanger wird …
Derweil stellt der König von Strongcliff allem nach, was weiblich ist – und wenn es zwei alte Wachteln sind, die ihn allein durch ihre Stimmen um den Finger wickeln. Im dritten Königreich, jenem von König Highhills geht es gar noch bizarrer zu, als der seiene Regierungsgeschäfter zu vernachlässigen beginnt, weil er sich um einen ziemlich starken und bald schon gigantisch großen Floh zu kümmern beginnt. Als der riesige Blutsauger dann stirbt, macht Highhills aus der Vermählung seiner jungen Tochter und dem Werben der Anwärter ein Ratespiel. Der erste, der die große abgezogene Haut des Tiers errät, darf seine Viola zur Frau nehmen. Dumm, dass ausgerechnet der hässlichste Bewerber richtig tippt …

Nein, mit den süßen Geschichten der Grimm’schen Brüder hat dieser dreiteilige Film nach einer Vorlage aus der Sammlung von Giambattista Basiles Märchenkompendium so gar nichts zu tun. Hier wird bluttriefend ein Ungeheuer erledigt und dessen pulsierendes Herz verspeist. Frauen und Könige huren nach Liebeslust herum und ohnehin erinnert Das Märchen der Märchen eher an einen Pasolini als an Disneys Cinderella. Für Kinder ist Matteo Garrones Film also schon mal gar nichts. Für Erwachsene allerdings bietet Das Märchen der Märchen mit ungewohnten Bildern und opulenter Ausstattung drei fantastische Geschichten, die zugleich unheimlich und unterhaltsam, ungewöhnlich und witzig sind. Garrone verschachtelt die drei Geschichten ein wenig ineinander, sodass der Zuschauer mehr Abwechslung verspürt als würde jede einzelne „am Stück“ erzählt. Da die optische Ähnlichkeit gegeben ist, sind die Übergänge fließend und nicht abrupt, was der Atmosphäre zugute kommt. Erstaunlich gut gelungen sind die für einen Film mit fantastischen Aspekten notwendigen Maken und visuellen Effekte. Schon das Seeungeheuer sieht wirklich gut aus und wenn sich die beiden alten Vetteln gegenseitig die runzlige Haut straffen, ist der Anblick ebenso bizarr wie überzeugend. Auch die aggressive Höhlenfledermaus, die Jonas und Elias nach dem Leben trachtet gefällt und betont den angemessen düsteren Charakter, der das Visuelle von Das Märchen der Märchen bestimmt. Die Detailverliebtheit in der Kostümierung, die farbenfrohen Accessoires und das süffisante Spiel der Darsteller sind es auch, die darüber hinwegtrösten, dass die Figuren größtenteils nur bedingt sympathisch sind und arg kühl rüberkommen. Vincent Cassel kompensiert das mit viel Witz und Sarkasmus, wenn sein König bemerkt, dass neben ihm eine alte Runzel im Bett gelegen hat. Auch Toby Jones als König von Highhills überzeugt, wenn er wie ein alberner Junge um seinen Riesenfloh herumhüpft. Salma Hayek, die mit Abstand die ernsteste Rolle geben muss, darf nicht nur (wie immer) gnadenlos gut aussehen, sondern auch voller Inbrunst ein gigantisches Herz verspeisen – ein wenig Erinnerung an From Dusk till Dawn ist nicht zu leugnen. Wo gerade von den Schauspielern die Rede ist: Freunde von Originalfassungen sollten auf jeden Fall den englischen Ton aktivieren, um die unterschiedlichen Dialekte (das Mexikanisch von Hayek, das Französisch von Cassel, das Britische von Toby Jones) zu genießen. Die unterschiedlichen Sprachvarianten machen Das Märchen der Märchen zu einem wahrlich internationalen Werk. Dass am Ende die Geschichte um den König von Highhills am überzeugendsten gerät, liegt vornehmlich an der überraschenden Entwicklung der Beziehung zwischen dessen Tochter und dem hässlichen Oger. Mehr als die anderen beiden Geschichten liegt hier eine subtile Note unter der Fassade, die es zu entdecken lohnt.

Bild- und Tonqualität

Der teils satte Kontrastumfang von Das Märchen der Märchen sorgt dafür, dass Salma Hayeks Verspeisung des Herzen zu einer äußerst farbenprächtigen Geschichte wird. Auch Außenaufnahmen von weitläufiger Landschaft sind knackig und episch (36’14). Hinzu kommt eine sehr gute Detailauflösung in Close-ups oder bei Halbtotalen. In Innenraumszenen, die nicht perfekt ausgeleuchtet sind, gibt’s schon mal ein bisschen Korn. Dennoch sind auch hier die detailreichen Verzierungen im Gemäuer und auf den Wänden hervorragend auszumachen. Es gibt einige etwas milchige Szenen, die allerdings aufgrund ihrer Umgebung so aussehen. Da wäre zum einen der Unterwasserkampf mit dem Seeungeheuer und zum anderen auch die Sequenz, in der die Königin von Longtrellis den Sohn der Dienstmagd in der Fleischhalle zu stellen versucht (52’10).
Akustisch hätte man aus dem fantastischen Szenario von Das Märchen der Märchen noch mehr rausholen können. Atmosphärische Umgebungsgeräusche werden nur selten auf den Effektlautsprechern platziert und dynamische Wucht gibt’s auch nicht zu hören. Die Dialoge sind hinreichend verständlich und homogen ins Gesamtgeschehen eingebettet. Die Filmmusik bleibt ebenso eher frontal. Gut gelungen ist die authentisch wirkende Umsetzung in Innenräumen, deren Hall realistisch klingt.

Bonusmaterial

Im Bonusmaterial von Das Märchen der Märchen kann man auf das kurze Behind the Scenes noch am ehesten verzichten (wenngleich man sieht, dass sich Salma Hayek vor dem Verzehr des Fleischklopses doch etwas ekelte). Die vier Interviews mit Cassel, Reilly, Jones und Martin sind da schon aufschlussreicher. Richtig gut gelungen ist das fast einstündige Making-of, das zwar auch von Kommentaren und Interviews unterbrochen wird, allerdings vor allem die akribische Detailarbeiten an Sets, Kostümen und Dekorationen zeigt.

Fazit

Das Märchen der Märchen erinnert optisch an Tarsem Singhs The Fall und wirkt formell wie ein Pasolini-Film mit poetischer Fantasynote. Aufgeschlossene Kinofans gehen auf Entdeckungsreise und werden nicht enttäuscht.
Timo Wolters


Bewertung

Bildqualität: 80%
Tonqualität (dt. Fassung): 70%
Tonqualität (Originalversion): 70%
Bonusmaterial: 70%
Film: 70%

Anbieter: Concorde HE
Land/Jahr: IT/F/GB 2015
Regie: Matteo Garrone
Darsteller: Salma Hayek, Vincent Cassel, John C. Reilly, Toby Jones, Shirley Henderson, Hayley Carmichael, Bebe Cave, Christian Lees, Jonah Lees, Stacy Martin
Tonformate: dts HD-Master 5.1: de, en
Bildformat: 2,35:1
Laufzeit: 134
Codec: AVC
FSK: 12

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