Das Wunder von Marseille

Blu-ray Review

Tobis Film / Leonine Distribution

OT: Fahim

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„Ohne Papiere und Muslim“

Ebenso anrührende wie unterhaltsame Story über einen jungen Migranten mit Schachtalent.

Inhalt

Das Jahr 2011: Fahim lebt in ärmlichen Verhältnissen in Bangladesch. Seine Leidenschaft ist Schach. Ein Spiel, das er schon mal dazu nutzt, sich ein wenig Geld gegen Ältere zu erspielen. Sein Vater Nura allerdings will dem Land und seinem Elend entfliehen. Gemeinsam mit Fahim macht er sich auf und lässt den Rest der Familie zunächst zurück. Sie sollen nachkommen, sobald Nura eine Wohnung, Arbeit und Papiere hat. Ob das jemals passiert, steht jedoch in den Sternen. Als Fahim und Nura in Paris ankommen, muss der Vater schnell feststellen, dass es keine Jobs für ihn gibt und beim Asylantrag geht auch alles schief.
Einzig Fahims Talent wird erkannt und man vermittelt die Beiden an eine Schachschule in der Stadt. Dort trifft Fahim auf den zynischen Lehrer Sylvain. Doch so ruppig wie der mit seinen Schülern umspringt, so offen steht er Fahims Talent gegenüber. Kann Fahim so gut werden, dass er aufgrund seines Talents ein Bleiberecht bekommt …?

Eins vorweg: Das Wunder von Marseille ist kein Film über gelungene Integration. Wer in der Geschichte über den jungen Fahim ein Beispiel dafür sehen möchte, dass man auf diese Weise mit hunderttausenden von Flüchtlingen umgehen könnte, wird schnell merken, dass es hier um ein Einzelschicksal geht.
Wohlgemerkt eins, das rührt. Und eins, das zeigt, wie Toleranz gelebt werden kann. Eins, das klare Statements gegen Ressentiments setzt. Und eins, das wahr ist. Denn Fahim Mohammad gibt es wirklich. Der Junge kam wirklich mit seinem Vater aus Bangladesch nach Frankreich. Und Fahim ist wirklich ein Schachkönner, der von einem Schachlehrer zum Champion der unter 12-jährigen ausgebildet wurde.
Warum Regisseur Pierre-François Martin-Laval die Geschichte um drei Jahre nach hinten verlegte (der echte Fahim floh 2008 mit seinem Vater nach Frankreich), bleibt vermutlich sein Geheimnis. Es schadet dem Film und seiner Geschichte aber auch nicht.
Beginnend mit der Flucht, die Das Wunder von Marseille erstaunlich unaufgeregt schildert, die aber durchaus für einen Moment zeigt, wie gefährlich das Unterfangen gewesen ist, kommt das Vater-Sohn-Gespann nach 13 Minuten in Frankreich an.
Staunend stehen sie in einer fahrerlosen S-Bahn und ebenso vor dem Wahrzeichen von Paris: „Frankreich, Zidane, Eiffelturm“ – das sind die ersten Worte, die man auf französischem Boden hört.

Worte, die Hoffnung ausdrücken. Immerhin ist Zidane auch Sohn (algerischer) Einwanderer und hat es in Marseille zu Weltruhm gebracht. Wie Fahim auch, ist Zidane ein Einzelschicksal. Einer, der durch sein Talent erfolgreich und anerkannt wurde. Erneut keine Geschichte, die darstellen kann oder sollte, wie gut Frankreich mit Einwanderern umgeht. Im Gegenteil: Die Grande Nation bekommt durchaus ihr Fett weg, wenn Schachtrainer Sylvain (nicht nur aufs Spiel bezogen) irgendwann zu Fahim sagt, dass „Die Schwarzen nie gewinnen können“.
Sehr wohl gibt es aber freundliche Menschen. Mitarbeiter vom Roten Kreuz, zum Beispiel, die sich um die zwei kümmern, nachdem sie Nachts auf einer Bank entdeckt werden. Sie sind es auch, bei denen Fahim von anderen Migranten französisch lernt. Und dort stellt man auch den Kontakt zu einem Schachclub her.
Während Fahim und Nuran für sich genommen durchaus sympathisch und freundlich charakterisiert werden, verschließt der Film aber auch nicht die Augen vor gewissen autoritären Verhaltensweisen des Vaters – die Sylvains Figur dann gerne mal zynisch aufgreift.
Bitterkeit gibt’s eigentlich nur selten. Beispielsweise, wenn der Übersetzer beim Asylantrag bewusst falsch übersetzt.

Gekontert wird das mit der tollen Dynamik, die sich zwischen Fahim und Sylvain entfaltet. Während der Junge vom fantastisch aufspielenden Laiendarsteller Assad Ahemt zurückhaltend dargestellt wird, ist Depardieu entspannt und locker wie zuletzt selten. Nur er kann Zynismus so charmant rüberbringen wie kein anderer. Wenn er seine anderen Schachschüler runterputzt und dabei keinen Unterschied zwischen Männlein und Weiblein macht, zwischen Nationalität und Handicap macht, dann ist das bisweilen herrlich politisch unkorrekt, aber eben auch sehr gleichberechtigt. Zumal Das Wunder von Marseille vielleicht keine Geschichte über Einwanderer und deren Integration ist, sehr wohl aber eine Toleranzbotschaft vermittelt. Wenn Fahims Vater Nachts nicht mehr Zuhause ist und der Sohnemann woanders unterkommen muss, solidarisieren sich alle Mitschüler in der Schach-Gemeinschaft und stehen hinter ihrem kleinen Genie. Die Partien selbst sind bisweilen spannender inszeniert als zuletzt beim Netflix-Titel The Coldest Game – vor allem die Übung mit verbundenen Augen.
Am Ende mag Das Wunder von Marseille zwar wenig echte Highlights bieten, bewegt und unterhält aber auf durchweg kurzweilige Art.

Bild- und Tonqualität

Mit einem bestechend sauberen und rauscharmen Bild gefällt Das Wunder von Marseille von Beginn an (die Doku-Szenen ausgenommen) das Auge. Selbst Momente, die in Dunkelheit spielen, bleiben ohne Körnung oder Unruhen. Die Farben werden authentisch und warm wiedergegeben, solange das Ganze vor und während der Flucht geschildert wird. Obschon die Ereignisse dramatisch und bisweilen bedrückend sind, wirken die Szenen aus Bangladesch und Indien zuweilen wirklich idyllisch. In Frankreich werden Farben zwar neutraler, das ändert aber nichts an der hohen Bildruhe und der durchgehend ausgewogenen Schärfe – ein wirklich herausragend gutes Blu-ray-Bild.
Das Wunder von Marseille beginnt räumlich und mit erstaunlicher Tiefbassunterstützung während der dokumentarischen Bilder der Unruhen auf den Straßen von Bangladesch. Auch das landende Flugzeug nach 13’20 oder das Donnern Sylvains auf die Wand nach 20 Minuten werden druckvoll rüber gebracht.
Dialoge sind warm und vor allem Depardieus angestammter Synchronsprecher hat ein wunderbares Timbre. Umgebungsgeräusche sind authentisch und spiegeln bisweilen sehr realistisch die Straßenatmosphäre wider.

Bonusmaterial

Im Bonusmaterial von Das Wunder von Marseille gibt’s leider nur Trailer, Teaser und Programmtipps.

Fazit

Das Wunder von Marseille mag konventionell gefilmt und relativ überraschungsfrei inszeniert sein. Aber manchmal muss man das Rad auch nicht neu erfinden, um für Rührung und Unterhaltung zu sorgen. Gérard Depardieu spielt groß auf, obwohl er sich in den Dienst der Geschichte stellt. Sein zynischer Witz ist grandios und Assad Ahmed ist stark genug, um an seiner Seite nicht erdrückt zu werden. Dass sich der Film nicht so wichtig nimmt, eine Lösung für die Integration von Migranten zu finden, lässt ihn umso besser werden.
Timo Wolters


Bewertung

Bildqualität: 90%
Tonqualität (dt. Fassung): 85%
Tonqualität (Originalversion): 85%
Bonusmaterial: 10%
Film: 85%

Anbieter: Tobis Home Entertainment
Land/Jahr: Frankreich 2019
Regie: Pierre-François Martin-Laval
Darsteller: Assad Ahmed, Gérard Depardieu, Mizanur Rahaman, Isabelle Nanty, Sarah Touffic Othman-Schmitt
Tonformate: dts HD-Master 5.1: de, fr
Bildformat: 2,39:1
Laufzeit:108
Codec: AVC
FSK: 12

(Copyright der Cover und Szenenbilder liegt bei Anbieter Tobis Entertainment)

Trailer zu Das Wunder von Marseille

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