Blu-ray Review
OT: –
Im Saft liegt die Kraft
Roland Reber hat mal wieder zugeschlagen …
Inhalt
Nikki findet Schwänze geil. Und weil das so ist, hat sie einen VLOG. Dort filmt sie sich wie sie Männern einen bläst oder hört sich an, was die Frauen von der Straße zu sagen haben. Manchmal ist das banal, manchmal tiefgründig. Als feste Rubrik hat Nikki auch noch die „Fi(c)ktion des Monats“. In der tritt unter anderem der „Pimmelfürst“ auf.
Alle haben sie ihre Geschichten zu erzählen. Und fänden es ganz dufte, wenn man den Menschen zur Abwechslung mal als Mensch sieht …
Sperma ist Leben. Und es schmeckt am besten von der Penis-Spitze. So sagt es Nikki, während sie aus einem Glas trinkt, das dem männlichen Glied nachempfunden ist. Nikki hat einen VLOG, also einen Video-Blog. Über diesen publiziert sie ihre sexuellen Erlebnisse. Und um diese so reichhaltig wie möglich zu erleben, fährt sie mit ihrem alten Land Rover die Umgebung ab. Ab und an nimmt sie weibliche Anhalter mit, die ihr etwas vom Leben erzählen. Denn Nikki interessiert sich für das, was die Menschen auf der Straße erzählen, nicht für das, was im Fernsehen läuft – und seien es Geschichten über das Backen von Zimtsternen.
Was skurril klingt, ist es auch – zumindest für jene, die bisher noch keine Berührung mit den Filmen von Roland Reber (Illusion) hatten. Der stets innerhalb seines Kollektivs von Darstellern und Beteiligten arbeitende Regisseur, der mit seinem langen Bart und der Lederkluft eine Art Easy Rider des Independent-Films ist, hat mit Der Geschmack von Leben erneut zugeschlagen.
Waren es in Illusion schon die Geschichten (teils frustrierter) Menschen über Sex und Ängste, die ein Beobachter per Handy abfilmte und einer sozialen Plattform zugängig machte, geht Reber nun einen Schritt weiter und lässt den VLOG seiner Protagonisten zum Hauptplatz des Geschehens werden. Teils mit Bildern beginnend, die durch die Kamera Nikkis gefilmt werden, sucht der Regisseur die Meta-Ebene. Er sucht auch so etwas wie eine kritische Auseinandersetzung mit der Öffentlichkeit von allem im Generellen und mit der bewussten Provokation im engeren Sinn. Schon lange ist Sexualität nichts Privates mehr und kann überall kostenfrei konsumiert werden. Und was so mancher Vlogger/Influencer/It-Girl/It-Man von sich gibt, entbehrt ebenso jeder Beschreibung.
In einer dem klassischen Bild der Evolution des Menschen nachempfundenen Titel-Sequenz geht Hauptdarstellerin Antje Nikola Mönning zuerst in einem tief gebückten, dann leicht vornübergebeugten, schließlich aufrechten Gang, bis sie sich das Handy auf dem Selfie-Stick gegenüberhält und damit den „finalen“ Schritt der Evolution geht – die komplette Zurschaustellung von Allem. Nackt versteht sich.
Diese Analogien sowie einige absurd-witzige Szenen (Jesus findet das alles ziemlich bescheuert und verlässt genervt den Saal) sind es, die aus Der Geschmack von Leben herausstechen. Dass die Bilder selbst nicht mehr so richtig provozieren (selbst wenn ein nackiger Gottes-Sohn am Kreuz hängt und den Doktorspielen des Paares vor sich zusehen muss), liegt sicher an der theatralischen Darstellung und Inszenierung, die alle Reber-Filme begleitet. Theater war schon immer nackter und provokanter als der Film. Und so merkt man auch hier, dass die Provokation bewusst kalkuliert ist. Den Mut zur Offenheit muss man allen Darstellern zusprechen, ihnen entsprechenden Respekt zollen.
Was leider nicht funktioniert, ist der durch Vloggerin Nikki eigentlich gewollte Feminismus, Sexualität doch einfach zu leben. Die Lust dann zu nehmen, wenn man sie verspürt und zur Lust zu stehen. Wenn Nikki erzählt, dass ihr Jesus ein lieber Kerl ist, der sich freut, wenn sie Schwänze lutscht, dann kommt das aus ihrem Mund zwar selbstbewusst, ist aber am Ende doch nur eine Männerfantasie in den Mund einer Frau gelegt. Dass die Kamera gleich mehrfach mitten ins Zentrum von Mönnings gespreizten Beinen filmt, befriedigt ebenfalls nur den Voyeurismus der Herren. Wenn Nikki dann einem Blowjob-„Opfer“ im Wald auf dominant-herablassende Art die Meinung geigt, weht dann doch noch ein Hauch Satire durch die Szenerie. Ebenso wie beim Sado-Maso-Song „Schlag mich“, der dann tatsächlich charmant-dilettantisch visualisiert wurde.
Fehlt noch die Moral von der G’schicht: Männer, esst mehr Ananas!
Bild- und Tonqualität
Der Geschmack des Lebens liefert in den hell ausgeleuchteten Szenen recht eindrucksvolle Kontraste und Farben. Allerdings sieht man in den unterschiedlichen Szenen auch die qualitativen Differenzen. Je dunkler es wird, desto unruhiger wird’s. Das Korn nimmt zu und auch im Hintergrund rauscht es dann. Die Schärfe ist in Naheinstellungen mit guter Ausleuchtung recht anständig.
Akustisch bleibt es bei einer DD-2.0-Spur natürlich auf den Vordergrund beschränkt. Dort spielt sich letztlich alles – inklusive der Dialoge – ab. Effekte, Räumlichkeit oder ähnliches gibt es nicht und will der Film auch gar nicht. Die Stimmen lassen sich allerdings gut verstehen – mal abgesehen von den Szenen im fahrenden Land Rover.
Bonusmaterial
Im Bonusmaterial von Der Geschmack des Legens gibt’s ein Making Of sowie einige Deleted Scenes, mehrere Interviews und Bilder von der Kinotour.
Fazit
Inszenatorisch und darstellerisch professioneller und besser als der Vorgänger Illusion muss man auch bei Der Geschmack des Lebens ein Faible für die Filme des Regisseurs haben. Oder aber man diskutiert gerne kontrovers – denn das kann man nach den 88 Minuten des Films vortrefflich.
Beachtet auch das GEWINNSPIEL zum Film, bei dem fünf Blu-rays von Der Geschmack des Lebens verlost werden.
Timo Wolters
Bewertung
Bildqualität: 60%
Tonqualität (dt. Fassung): 60%
Bonusmaterial: 60%
Film: 60%
Anbieter: WVG Medien / wtp international
Land/Jahr: USA 2017
Regie: Roland Reber
Darsteller: Antje Nikola Mönning, Andreas Pegler, Wolfgang Seidenberg, Iris Boss, Agnes Thi-Mai, Norman B. Graue, Marina Anna Eich, Mira Gittner, Antonio Exacoustos,
Tonformate: dts HD-Master 5.1: de, en
Bildformat: 2,35:1
Laufzeit: 88
Codec: AVC
FSK: 18 (ungeschnitten)
(Copyright der Cover und Szenenbilder liegt bei Anbieter WVG Medien)