Blu-ray Review
OT: The Boy Who Harnessed the Wind
Strom für das Dorf
Für sein Regiedebüt hat sich Schauspieler Chiwetel Ejiofor eine auf Tatsachen basierende Geschichte vom afrikanischen Kontinent ausgesucht.
Inhalt
Malawi zu Beginn der 2000er Jahre: Nachdem der Großvater von William auf dem Feld starb, leitet der älteste Sohn, Williams Onkel, die Geschicke der Landwirtschaft der Familie. William selbst ist 13 Jahre alt und ein aufgeweckter Kerl. In der Schule gehört er zu den Besten und privat tüftelt er gerne an alten Radios und elektronischem Gerät herum. Dann jedoch droht Unheil: Williams Vater Trywell kann das Schulgeld nicht mehr bezahlen und gleichzeitig verkauft der Onkel große Teile des Landes an Tabak-Industrielle. Die holzen die darauf stehenden Bäume direkt ab, was für eine Instabilität des Bodens sorgen könnte. Denn nach einer Dürre-Periode sind Regenfälle angekündigt, die den Boden erodieren und eine weitere Ernte zunichte machen könnten. Natürlich folgt auf den Regen erneut eine Trockenzeit und die Erträge reichen vorne und hinten nicht, um die Familie zu ernähren. Während Trywell sich aufgrund dessen auf die Seite der politischen Opposition schlägt, weil er sich von dieser Druck auf die Regierung erhofft, tüftelt William an einer Möglichkeit, Strom zu erzeugen. Dafür allerdings braucht er des Vaters Fahrrad. Und das gibt Trywell einfach nicht her …
Das Regiedebüt des auch in Hollywood erfolgreichen britischen Schauspielers (12 Years a Slave) mit dem Zungenbrecher-Namen Chiwetel Ejiofor ist etwas ganz Besonderes. Ähnlich wie Alfonso Cuarón mit Roma verweigerte sich Ejiofor mit seinem Film der Versuchung der Traumfabrik und produzierte ihn daheim in England unabhängig und mit Geldern des British Film Institutes. Netflix kaufte dann im Zuge der Produktion die Rechte für die weltweite Vermarktung. Allerdings erst, nachdem Der Junge, der den Wind einfing beim Sundance Filmfestival seine Premiere feierte. Dass es dem Regisseur, der das Drehbuch auf Basis des gleichnamigen Romans von William Kamkwamba und Bryan Mealer selbst schrieb, ernst mit seiner bewussten Entscheidung war, nicht durch große US-Studios finanzieren zu lassen, merkt man seinem Film durchweg an. Besetzt mit nicht einem einzigen weißen Darsteller läuft Ejiofors Werk nicht mal im Ansatz Gefahr, von einem weißen Charakter mit Retter-Syndrom korrumpiert zu werden (vgl. White-Savior-Narrative in Film).
Der Junge, der den Wind einfing erzählt vielmehr eine durch und durch afrikanische Geschichte und bleibt stets bei seinen authentischen Figuren. Maxwell Simba, der den Dreizehnjährigen William Kamkwamba spielt, hat zuvor noch nie vor einer Kamera gestanden und abgesehen von Ejiofor selbst gibt es auch nur wenig andere bekannte Gesichter.
Und das ist gut so. Denn die biografische Geschichte um den Jungen, der sich durch Besuche in der (kleinen) Bücherei selbst bildete, weil sein Vater das Schulgeld nicht mehr zahlen konnte, lebt von dieser Authentizität. Eine Authentizität, die (im Original) noch dadurch gesteigert wird, dass weite Teile innerhalb der Familie in Originalsprache aufgenommen wurden. Lediglich die Kommunikation mit Leuten aus der Stadt, in der Schule oder die Predigt bei der Beerdigung des Vaters werden in Englisch geführt. Ejiofor zeigt, dass auch hier, dass es ihm wirklich ernst war und er keineswegs den einfachen, massenkompatibleren Weg gehen wollte.
Deshalb sei hier ausdrücklich empfohlen, den Film im Original zu schauen – zumal dann das Zusammenspiel zwischen dem erfahrenen Ejiofor und dem unglaublich talentierten Simba noch besser zur Geltung kommt. Aber auch so sorgt die Dynamik der beiden Hauptfiguren für ein hohes Maß an Emotionalität. Während der praktisch ungebildete Vater für die Tradition steht, für das Konservative und in Teilen Rückschrittliche, setzt der Sohn alles daran, seine Schule abzuschließen und bildet sich auch in der Freizeit weiter. Er steht für die Progressivität und den unaufhaltsamen Drang nach Wissen. Seine Leidenschaft, an elektronischen Geräten zu spielen und sie wieder fit zu machen, ist seinem Papa deshalb ein Dorn im Auge und reizt ihn immer wieder zu rüden Ermahnungen. In den besten Momenten zwischen den beiden geht es aber um Vertrauen und darum, dass der Vater lernen muss, damit umzugehen, dass der Sohnemann einfach schlauer ist. Sicherlich ganz und gar nicht einfach für einen so stolzen Charakter wie Trywell.
Parallel zu den starken Performances der Darsteller nutzt Der Junge, der den Wind einfing Bilder von immens großer Kraft und Wirkung. Die Szenen auf den verdorrten Feldern, der große Regen, der einsetzt oder auch die in realistisch-nüchternen Räumen mit abblätternder Farbe abgehaltenen Unterrichtsstunden tragen viel zur Atmosphäre bei. Ehrensache, dass Ejiofor an Original-Schauplätzen in Malawi und nicht in irgendeinem Studio drehte. Schon alleine die Sitzung der lokalen Bauern, die ihren Chief gerufen haben, um über ein Angebot von Großgrundbesitzern abzuwägen, ist großes Kino. Und es stellt gleichzeitig dar, welche sozial- und wirtschaftspolitischen Probleme das Land seinerzeit hatte:
Nimmt man ein Angebot der Tabak-Industriellen an und verkauft für ein ordentliches Geld das Land und die Bäume, weil die Ernte ohnehin zu schwach ausfallen wird? Oder schlägt man es aus, weil die Bäume die einzige Barriere und Stabilität bieten, die der Boden nach den schweren Regenfällen noch hat?
In unserer Welt, in der wir über die Anschaffung des nächsten Smartphones für 1000€ nachdenken, sind Filme wie dieser wichtig. Sie erden. Und sie zeigen auf, was eigentlich wichtig ist (und das ist sicherlich nicht das intelligente Telefon). Wenn man in die traurigen Augen von William schaut, als dieser beobachtet, wie die Bäume gefällt werden, hat man einen ersten dicken Kloß im Hals – und das, obwohl es so richtig pathetisch glücklicherweise niemals wird.
Die Tatsache, dass sich Ejiofor wirklich Zeit nimmt, seine Geschichte zu erzählen, teils beiläufig wirkende Details verfolgt und arg lange braucht, bis die eigentliche „Heldengeschichte“ des Jungen ihren Weg nimmt, zeigt, dass ihm wirklich wichtig war, auch die historisch-politischen Hintergründe zu schildern – bis hin zu den schweren Unruhen, die das Land zu Beginn des neuen Jahrtausends erfuhr.
Selbst dabei beschreibt der Film aber meist nur und wertet nicht. Ihm sind seine Figuren wichtiger als eine „billige“ Dämonisierung derer, die durch ihr Verhalten die Armut und Hungersnot der Menschen noch unterstützen. Einfach macht es sich Ejiofor nicht, schwarz-weiß-Malerei ist nicht sein Ding.
Das ist zum Teil sicher etwas ungewöhnlich, weil man eben früher vermutet, dass William seine Erfindung auf den Weg bringt und das Dorf damit rettet. Aber mit allergrößter Wahrscheinlichkeit ist das der wahrhaftigere und realistischere Weg. Denn es wäre kaum denkbar, dass der Junge unter den vorherrschenden Bedingungen ausschließlich Zeit und Möglichkeit dazu gehabt hätte, sich um seine Erfindung zu kümmern. Mit Sicherheit einer der besten Exklusiv-Filme, die Netflix im Jahre 2019 zu bieten haben wird – egal, was da noch kommen mag.
Bild- und Tonqualität
Der Junge, der den Wind einfing liegt auf Netflix nicht in 4K, sondern nur in 1080p vor. Ebenfalls fügte man kein Dolby Vision hinzu. Das ist aktuell ungewöhnlich, könnte aber damit zusammenhängen, dass der Film nicht unter der Ägide von Netflix seinen Ursprung nahm, sondern der Streaminganbieter erst später die Rechte erwarb.
Der mit Arri Alexa Minis digital aufgenommene Film wurde stilistisch etwas auf grobkörnig getrimmt, was recht gut zur heißen Atmosphäre der Gegend passt. Auch sind Helligkeit und Kontrast etwas überhöht, was zu überstrahlenden Bereichen führt. Objektiv ist das zwar nicht sehr schön, aber stilistisch natürlich sehr passend. Hautfarben wirken etwas gelblich und dürften etwas natürlicher sein. Grundsätzlich ist das Bild nicht ganz neutral, sondern wird von diesen Gelb-/Orangetönen bestimmt. Die Schärfe ist in Close-ups sehr gut und kann dann trotz der Körnung überzeugen. Der Kontrastumfang ist ordentlich, ohne die allerbesten Schwarzwerte zu erzielen.
Der Ton liegt in Dolby Digital Plus für beide Sprachen vor – wobei die Originalsprache eigentlich bevorzugt werden sollte, um der Geschichte und ihrer Authentizität aufgrund der in weiten Teilen in Chichewa gesprochenen Dialoge gerecht zu werden.
Dennoch ist die Synchro hervorragend geworden und auch Ejiofor hat seine angestammte/bekannte Stimme. Räumlich wird es immer dann, wenn die Natur auflebt oder der feine Soundtrack die Regie übernimmt. Echte Actionszenen gibt’s freilich nicht, weshalb der Ton hier eher einer der feineren Gangart ist. Natürlich wäre auch eine Dolby-Atmos-Tonspur mit 3D-Sounds hier eher fehl am Platze gewesen. Was jedoch stets zu räumlichen Effekten führt, sind die Regenfälle und Gewitter. Plötzlich kommt Dynamik ins Spiel (14’20) und man fühlt sich mittendrin. Dennoch sind die DD+-Spuren keine Ausgeburt an Differenziertheit.
Fazit
Der Junge, der den Wind einfing ist ein beachtenswertes Regiedebüt von hoher Authentizität und Wahrhaftigkeit. Ejiofors erster Film als Regisseur kommt ohne hollywood’sches Pathos aus und zeigt einen beeindruckenden Maxwell Simba in der Hauptrolle. Dass sich die Geschichte nur sehr langsam entfaltet, ist zunächst gewöhnungsbedürftig, macht am Ende aber Sinn. Nur so kann man als Zuschauer nachvollziehen, unter welchen Umständen die Familie des noch heute tüftelnden William Kamkwamba lebte. Respekt an den Regisseur, dass er mit seinem Debüt alles andere als den sicheren Weg ging und weit abseits des Mainstream produzierte und realisierte – lohnt sich!
Timo Wolters
Bewertung
Bildqualität: 75%
Tonqualität (dt. Fassung): 70%
Tonqualität (Originalversion): 70%
Film: 80%
Anbieter: Netflix
Land/Jahr: GB 2018
Regie: Chiwetel Ejiofor
Darsteller: Maxwell Simba, Chiwetel Ejiofor, Aïssa Maïga, Joseph Marcell, Noma Dumezweni
Tonformate: Dolby Digital Plus: de, en
Bildformat: 2,35:1
Laufzeit: 113
Real 4K: Nein (1080p)
Datenrate: 7,15 Mbps
FSK: 12
(Copyright der Cover und Szenenbilder liegt bei Anbieter Netflix)