Der Junge muss an die frische Luft

Blu-ray Review

Warner Home, 22.08.2019

OT: –

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Sahnetorte mit Sahne

Filmisches Kleinod über den heranwachsenden Hape Kerkeling.

Inhalt

Das Recklinghäuser Umland Anfang der 70er Jahre. Hans-Peter Kerkeling wächst im Kreise seiner Eltern und Großeltern auf – behütet und geliebt. Nur der Vater, ein Tischler, ist oft auf Montage. Als sie vom Land in die Stadt zu den Eltern der Mutter ziehen, vergrößern sie ihre Bleibe und ermöglichen den Kindern eine direktere Schulanbindung. Während Hans-Peter früh durch Parodien der älteren Damen der Gegend auffällt und seine Familie damit unterhält, scheint seine Mama zunehmend darunter zu leiden, für alles sorgen zu müssen. Sie wird immer trauriger und leidet bald an schweren Depressionen. Nur Hans-Peter schafft es bisweilen, ihr zeitweise ein Lächeln zu entlocken. Aber ob er sich wirklich genug anstrengt, das weiß er nicht …

Wenn ein deutscher Film von den im Jahr 2018 gestarteten Filmen mit 3,7 Mio. Besuchern nur knapp auf Platz zwei landet (hinter: Phantastische Tierwesen: Grindelwalds Verbrechen), dann muss schon was dran sein, an diesem Werk – zumal es sich weder um einen Til-Schweiger-Output handelt, noch um irgendeine Fortsetzung.
Vielmehr adaptiert Der Junge muss an die frische Luft die gleichnamige und in Romanform gebrachte Vorlage von Hape Kerkeling. In der geht es (fast) ausnahmslos um die Kindheit des beliebten Autoren/Komikers/Sängers/Schauspielers (sagen wir doch einfach: Multitalents). Darum, wie er auf dem Land zum Jungen heranwächst und dann in die Stadt nach Recklinghausen zieht. Wie er dort lernt, seine etwas unsportliche Figur und gewisse Lästereien mit entwaffnendem Selbsthumor zu kontern. Und darum, wie er die Traumata des Verlusts von Oma Änne und seiner Mutter verwindet.
Der Junge muss an die frische Luft erzählt dabei im Grunde keine richtige Geschichte mit klassischen Höhepunkten, sondern beschreibt den Alltag der beginnenden 70er im Ruhrpott. Den Alltag in einer Familie, die zwar bedingungslos zusammen hält, aber nicht frei von tragischen Momenten bleibt. Während Hans Peters Mutter immer stärker unter ihren Depressionen leidet, muss sich der Junge früh von der „Krawall“-Oma Hänne verabschieden. Der Freitod der Mutter lässt ihn dann wahrhaft traumatisiert zurück.

Dennoch verliert Hans Peter eines nicht: Seinen Humor. Mit dem unterhält er auch Oma Bertha und Opa Hermann, die sich nach dem Tod um ihn kümmern. Es sind diese Momente, in denen der junge Julius Weckauf (was für eine Entdeckung) nicht nur eine unglaublich professionelle Vorstellung abgibt, sondern tatsächlich wirkt, als hätte man den jungen Hape Kerkeling vor sich. Unglaublich, wie gut der Jungmime im Zuschauer das Gefühl erweckt, dass man dort wahrhaftig dem jungen Kerkeling zuschaut.
Dass sich Caroline Link mit der Inszenierung ihrer Adaption der Buchvorlage bewusst zurück nimmt und die leisen Zwischentöne anschlägt, mag jene überraschen, die eine Comedy-Show erwartet haben. Aber spätestens wenn am Ende der echte Künstler und sein junger Darsteller in einer gemeinsamen Szene vereint werden, ist klar, dass es genau diese melancholische Atmosphäre braucht, um das Wesen Kerkelings nachvollziehen zu können. Es braucht keine übertrieben komischen Momente, um die Geschichte der Jugend eines Mannes zu erzählen, der zu den ganz großen Entertainern des Landes zählt.
Und weil Caroline Link dabei von unglaublich guten Setdesignern unterstützt wurde, lebt Der Junge muss an die frische Luft auch von einer unglaublichen Authentizität. Die Straßen Recklinghausens, das kleine Zeitungsbüdchen, die an den Gehwegen geparkten Autos mit den authentisch alten Kennzeichen. Dazu originalgetreue Zeitungs- und Magazin-Cover, Limonadenflaschen und Klamotten – sensationell. Ganz abgesehen von der eingefangenen Ruhrpott-Sprache.
Und so ist Der Junge muss an die frische Luft trotz teils etwas episodenhafter Inszenierung ein wunderbar eingefangener Streifen voller Lokalkolorit und bewegender Story.

Bild- und Tonqualität

Damit’s möglichst authentisch 70er Jahre ist, hat man dem Bild von Der Junge muss an die frische Luft ein wenig Körnung hinzugefügt. Diese bleibt dauerhaft und konstant auf einem bestimmten Niveau, ohne Überhand zu nehmen. Selbst wenn der Blu-ray damit der glatte und perfekte Look fehlt, sorgt es für ein ziemlich realistisches Abbild. Die Schärfe ist homogen über die gesamte Bildfläche verteilt, ohne im Zentrum Referenzwerte zu erreichen. Farben sind ebenfalls im 70er-Jahre-Look abgestimmt und werden von Braun- und Orangetönen dominiert. Wo sie vielfältiger auftreten, werden sie kräftig wiedergegeben.
Beim Ton bleibt Der Junge muss an die frische Luft unauffällig. Die Front dominiert das Geschehen und die wenigen Szenen mit räumlicher Öffnung (Ausflug in die Berge) werden auch nur dezent genutzt. Stimmen könnten etwas deutlicher über den Center kommen, manchmal wirkt der Ruhrpott-Slang zusätzlich nuschelig, was schon mal ein paar Worte zu verschlucken droht.

Bonusmaterial

Im Bonusmaterial von Der Junge muss an die frische Luft wurden insgesamt drei Featurettes abgelegt. In „Julius und Hape“ wird die Beziehung zwischen Original-Figur und Schauspieler gezeigt – vom Casting bis zu dem, was die beiden voneinander denken. Hinter den Kulissen läuft ebenfalls nur knapp vier Minuten und erzählt ein bisschen, was die verschiedenen Darsteller über die Dreharbeiten sagen und wie Caroline Link die Buchvorlage umgesetzt hat. In „Vom Buch zum Film“ werden noch mal die Charaktere vorgestellt und erzählt, wie man die Vorlage auf einen Film kondensierte.
Insgesamt ist das – angesichts des großen Kinoerfolgs – eher dünn geraten.

Fazit

Der Junge muss an die frische Luft liefert nicht den Krawallhumor, den man von Horst Schlämmer vielleicht erwarten würde. Caroline Links Verfilmung schlägt leise Töne an und konzentriert sich auf die Figuren. Herausgekommen ist ein absolutes Highlight der deutschen Filme der letzten Jahre – und das nicht nur für Freunde Hape Kerkelings oder Fans des Ruhrpotts.
Timo Wolters


Bewertung

Bildqualität: 70%
Tonqualität (dt. Fassung): 60%
Bonusmaterial: 40%
Film: 90%

Anbieter: Warner Home Video Germany
Land/Jahr: Deutschland 2018
Regie: Caroline Link
Darsteller: Julius Weckauf, Sönke Möhring, Luise Heyer, Hedi Kriegeskotte, Ursula Werner, Joachim Król
Tonformate: dts HD-Master 5.1: de
Bildformat: 2,35:1
Laufzeit: 100
Codec: AVC
FSK: 6

(Copyright der Cover und Szenenbilder liegt bei Anbieter Warner Home Video Germany)

Trailer zu Der Junge muss an die frische Luft

DER JUNGE MUSS AN DIE FRISCHE LUFT - Trailer #1 Deutsch HD German (2018)

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3 Kommentare
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ondy

Der film hat uns ein filmabend gezaubert wo wie noch stunden nach dem film drüber gequasselt haben.det kleene jung is ne janz große schauspieler. Wir waren begeistert

Cora Heiland

Hallo,
schöne Rezension. Allerdings ist es nicht ganz richtig, dass Weckauf hier den im Ruhrpott vorherrschenden Slang spricht. Vielmehr geht es manchmal etwas ins Köllsche über. Ein Aspekt, der auch im Vorfeld von einigen Kritikern moniert worden ist. Ansonsten trifft es die Kritik auf den Punkt.