Blu-ray Review
OT: The Turning
Aus bestem Hause
Neuauflage einer über hundert Jahre alten Geschichte.
Inhalt
Kate Mandell ist eine beliebte Lehrerin. Dennoch gibt sie diesen Job eines Tages auf, um sich auf ein ganz bestimmtes Kind zu konzentrieren. Flora Fairchild ist Erbin eines riesigen Anwesens und eine Vollwaise. Ebenso wie ihr Bruder Miles, der aktuell in einem Internat zur Schule geht. Kate soll Flora Unterricht in dem großen Haus geben, da das Mädchen das Grundstück nach dem Tod der Eltern nicht verlässt. Flora ist traumatisiert, seit sie den Tod von Mutter und Vater miterleben musste. Als Kate vor Ort eintrifft, wird sie von der alten Hausdame Mrs. Grose empfangen. Von ihr erhält sie entsprechende Anweisungen und Verhaltensregeln. Mit Flora kommt sie von Beginn an gut zu Recht. Nicht aber mit Miles, der vom Internat geworfen wurde und Kate gegenüber mehr als merkwürdig auftritt. Und je mehr Zeit Kate im Haus verbringt, desto seltsamere Dinge geschehen. Sind die verstorbenen Angestellten Jessel und Quint daran schuld …?
122 Jahre hat die Story zu Die Besessenen nun schon auf dem Buckel. Man könnte sagen, das Drehbuch habe lange in irgendeinem Giftschrank vor sich hin gemodert, wenn’s nicht anders wäre. Denn es handelt sich natürlich nicht um irgendein Drehbuch, sondern um die Schauernovelle „The Turn of the Screw“ von keinem Geringeren als Henry James. Erstmals in einem Wochenmagazin zwischen Januar und April 1898 veröffentlicht, gilt die Geschichte als eine der am häufigsten und stärksten von Literaturkritikern und Psychologen interpretierten überhaupt – und zu den am häufigsten adaptierten. Ob es Theaterfassungen waren oder Verfilmungen. Von Letzteren ist die bekannteste zweifelsohne Schloss des Schreckens von 1961. Die mit Deborah Kerr in der Hauptrolle besetzte Kinoadaption basiert auf dem Drehbuch von keinem Geringeren als Truman Capote und ließ seinerzeit den Zuschauern das Blut in den Adern gefrieren.
Nun, gut 60 Jahre später, war es offenbar mal wieder an der Zeit, den Stoff dem heutigen Publikum zu präsentieren und bei diesen ebenfalls für Schrecken zu sorgen. Und weil man das Ganze einer möglichst jungen Zielgruppe vorsetzen wollte (also jung im Sinne von „ab 16 Jahren aufwärts), hat man es mit den aktuell angesagtesten Darstellern versucht. Finn Wolfhard ist kein Geringerer als der Hauptdarsteller aus Stranger Things und Stephen Kings Es und als „Gouvernante“ tritt auf Mackenzie Davis, die zuletzt dem Terminator ordentlich in den Hintern trat.
Musikvideo-Regisseurin Sigismundi verortet (nach einem Skript von Chad Hayes und Carey W. Hayes) das Geschehen im Jahr 1994 (Der Tod von Kurt Cobain verrät’s), bleibt aber ein wenig die Antwort schuldig, warum gerade in diesem Jahr. Zumal Mode, Make-up und Frisuren kaum Rückschlüsse auf die Mitte der 90er geben. Für die Generation Netflix sind die 90er aber vermutlich schon so weit entfernt, dass der Film schon deshalb als oldschool-Grusler durchgeht. Was für die Kinder der 70er die Schauerfilme der 50er und 60er waren, sind für die heutigen Teenager eben die 90er – Zeiten ändern sich.
Die Besessenen gibt sich durchaus Mühe, seine Vorlage innerhalb des altehrwürdigen Anwesens stimmungsvoll umzusetzen. Der Film findet immer wieder schöne und atmosphärische Kameraeinstellungen und das Setting des alten, etwas runtergewirtschafteten Hauses hat schon mal was von The Shining. Auch die Gartenanlagen tragen zur Atmosphäre bei. Schade, dass im Gegensatz zum Filmischen das Inhaltliche nicht ganz so überzeugend gerät. Während Mackenzie Davis durchaus eine solide und sympathische Performance hinlegt, ist es (leider) Finn Wolfhard, dessen Miles nicht überzeugt. In Stranger Things ein absoluter Gewinn, wirkt er als Möchtegern-Frühreifer Teenie mit dunklem Geheimnis etwas überfordert. Außerdem lässt der Film (mit Ausnahme der ersten halben Stunde) die Spannung weitgehend vermissen. Die Geschichte scheint auf der Stelle zu treten und es dauert etwas zu lange, bis Kate entsprechende Nachforschungen anstellt. Die der Originalgeschichte zugrunde liegenden Geister-Motive bleiben fast unangetastet. Und auch die Frage nach Kates Geisteszustand kommt nicht so recht in Fahrt. Zu Beginn spielt Die Besessenen noch mit den möglichen unbekannten Figuren, die in ein Zimmer huschen oder vor dem Fenster auftauchen. Dann jedoch verliert der Film scheinbar die Lust an diesen und beginnt, den roten Faden zu verlieren. Zum Finale hin scheint ihm dann auch noch die Zeit auszugehen und er endet mit einer Einstellung, die zu den unbefriedigendsten „Auflösungen“ im Horror-Genre überhaupt gehören dürfte – und die mit dem Ende der Vorlage rein gar nichts mehr zu tun hat.
Bild- und Tonqualität
Digital gefilmt zeigt sich Die Besessenen mit einem sehr sauberen, kaum körnigen Bild, das seine Stärken in den Naheinstellungen ausspielt. Dort präsentiert es sich knackscharf und sehr dreidimensional. Vor allem das hagere Gesicht der 73-jährigen Barbara Marten lässt jede Falte erkennen. Farblich reduziert sich das Geschehen weitgehend auf Grün- und Grautöne. Wenn Kate allerdings mit ihrem roten Mantel durch das Anwesen stolziert, sticht die Farbe förmlich heraus. Leichte Randunschärfen sind objektivbedingt, bleiben aber relativ selten. Umso schöner, dass Totale (wie jene von der Gartenanlage nach 15’07) flächendeckend sehr scharf und gut aufgelöst sind, sowie nicht unter sichtbaren Artefakten leiden – ein insgesamt sehr sauberer Transfer. Allerdings auch einer, der im Schwarz ein paar Probleme mit der Durchzeichnung hat. Hier ist es von Vorteil, den Film nicht gerade an einem sonnigen Nachmittag zu schauen.
Die Besessenen kommt im für Universal Pictures sehr ungewöhnlichen Tonformat von Dolby Digital Plus fürs Deutsche und True HD fürs Englische. Und zwar wirklich NUR True HD – also nicht True HD als Kern von Dolby Atmos. Gerade die DD+-Fassung dürfte aber eine DER, wenn nicht DIE erste auf diese Art kodierte Tonspur von Universal für die deutsche Synchro sein – zumal sie auch noch relativ drastisch komprimiert ist und nur mit 0.7 Mbps läuft. Der Räumlichkeit tut das allerdings keinen Abbruch. Schon der Hall in der leeren Schwimmhalle kommt sehr authentisch und realistisch vertont rüber. Stimmen könnten zwar etwas lauter eingebettet sein, dafür fächert sich der Score schon weiträumig auf. Die zahlreichen dynamischen Momente (Jumpscares wie eine los ratternde Nähmaschine gibt’s ja genug) werden entsprechend voluminös ins Heimkino geschickt. Allerdings könnte das Ganze noch etwas mehr Wucht im Bassbereich vertragen – jedenfalls bis zum Gewitter-Donnern nach 23’46, das für eine DD+-Spur mit geringer Datenrate erstaunlich kräftig zupackt.
Bonusmaterial
Das Bonusmaterial von Die Besessenen beginnt mit einem alternativen Ende, das zwar immer noch von der Novelle abweicht, aber weitaus näher dran ist und dem Film wesentlich besser gestanden hätte. Schade, dass man auch das aber nicht konsequent zu Ende geschrieben hat. Drei unveröffentlichte Szenen schließen sich neben einem zehnminütigen Behind-the-Scenes-Featurette an. Letzteres bietet zumindest ein paar aufschlussreiche Details, wie die Regisseurin ihre Geschichte sieht und verstanden wissen möchte.
Fazit
Die Besessenen wirkt wie ein Film, der seine Fühler in unterschiedliche Richtungen ausstreckt, aber keinen Weg wirklich verfolgen möchte. Sei es das Motiv der Geisteskrankheit, jenes der Geister oder das einer unterdrückten Sexualität der Hauptfigur, die auf eine toxische Maskulinität (in Form von Miles‘ Macho-Verhalten) trifft. Garniert mit einem Ende, das kein Ende ist (und besser durch den alternativen Schluss aus dem Bonusmaterial ersetzt worden wäre) bleiben einzig die schöne Atmosphäre des Anwesens in Verbindung mit den stimmungsvollen Kameraeinstellungen sowie Mackenzie Davis‘ überzeugende Darstellung der Kate.
Timo Wolters
Bewertung
Bildqualität: 70%
Tonqualität (dt. Fassung): 80%
Tonqualität (Originalversion): 80%
Bonusmaterial: 40%
Film: 55%
Anbieter: Universal Pictures Germany
Land/Jahr: USA 2019
Regie: Floria Sigismondi
Darsteller: Mackenzie Davis, Finn Wolfhard, Brooklynn Prince, Joely Richardson, Barbara Marten
Tonformate: Dolby True HD: en // Dolby Digital Plus: de
Bildformat: 2,39:1
Laufzeit: 94
Codec: AVC
FSK: 16
(Copyright der Cover und Szenenbilder liegt bei Anbieter Universal Pictures)