Die neue Wildnis – Große Natur in einem kleinen Land

Blu-ray Review

Die neue Wildernis - Große Natur in einem kleinen Land Blu-ray Review Cover
Busche Media/AL!VE, seit 16.10.2015

OT: De nieuwe wildernis

 


Mitten in Europa

Erstmals durfte ein Kamerateam eine von Menschen unberührte Region filmen. Herausgekommen ist ein wunderschöner Naturfilm.

Inhalt

Deutschland von oben, die Nordsee von oben, der Mikrokosmos des Waldes, unsere Erde, unsere Ozeane, der Grand Canyon, die Galapagos-Inseln – es gibt so viele herausragende (manchmal leider auch bedeutungslose) Naturdokumentationen aus aller Welt, dass der niederländische Regisseur Mark Verkerk sich nicht ganz zu Unrecht fragte, warum noch nie mit großem Aufwand fürs Kino von seinem eigenen Land berichtet wurde. Gemeinsam mit Produzent Ton Okkerse hat er dies nun geändert und mit Die neue Wildnis seiner Heimat ein Naturdenkmal gesetzt. Seine Konzentration gilt dabei den Oostvaardersplassen, einem Stück Land, das einst als Industriegebiet geplant war und noch vor vier Jahrzehnten unter dem Meeresspiegel lag. Diese Tatsache erklärt auch den feuchten, bisweilen moorigen Boden, der für eine industrielle Nutzung nicht geeignet war. Man überließ das gut 5600 Hektar große Stück Land konsequenterweise sich selbst und ließ der Natur freien Lauf. Bisher war es noch keinem Kamerateam erlaubt worden, überhaupt dort zu drehen. Umso beeindruckender, was Verkerk und sein Kameramann Ruben Smit an den 600! Drehtagen für Bilder einfangen konnten. Von fohlenden Wildpferden über jagende Krähen und Graugansküken, die nur mit Mühe dem Zugriff vor dem Fuchs entkommen bis hin zu scheinbar unspektakulären Szenen des Paarungsverhaltens von Dungfliegen auf Pferdekompost, die jedoch durch großartige Zeitlupeneinstellungen aufgepeppt werden.

Besonders toll geraten die Weitwinkelaufnahmen, die oft dann eingesetzt werden, wenn das Drehteam nahe an ihre Zielobjekte herankommen konnten. Manchmal wirkt Die neue Wildnis viel größer als sein deutscher Untertitel Große Natur in einem kleinen Land vermuten lassen würde, denn gerade die Aufnahmen der wilden Hengste und Stuten machen den Eindruck, als wäre man in der wilden Prärie der USA. Dass dem nicht so ist, wird bei den Aufnahmen Richtung Herbst/Winter deutlich. Das diesige, feuchte während dieser Momente macht unmissverständlich klar, dass man sich in einem nicht allzu warmem Landstrich befindet. Dass auch das seinen Reiz hat, wird bei den fantastischen Wolkenformationen deutlich, die bei der Ankunft der Weißwangengänse zu sehen sind. Wechselt das Wetter nochmals, beginnt es zu schneien. Der Frost lässt das Wasser gefrieren (klasse Zeitlupenaufnahmen) und die Pferde tänzeln ungeschickt auf dem Eis – Einstellungen, die fesseln und bestens unterhalten. Während des Schneetreibens bei heftigem Wand hat man beinahe das Gefühl, man befindet sich in der sibirischen Tundra. Scheinbar sind die Temperaturen dann so kalt, dass viele der einheimischen Tiere den Winter nicht überstehen. Auch solche Aufnahmen zeigt Die neue Wildnis, verschließt davor nicht die Augen. Das sind dann allerdings auch die Momente, in denen der von Hannes Jaennicke eingesprochene Kommentar ein wenig pathetisch wird – es klingt einfach ein wenig überzogen, wenn man im Angesicht eines im Winter verendeten Pferdes mit fester Stimme berichtet, dass die Herde nun weiterziehe, denn „nur die Stärksten überleben“. Trotz solcher kleinen verbalen Ausrutscher bleibt am Ende das Gefühl, einem rundum gelungenen Naturfilm beigewohnt zu haben.

Bild- und Tonqualität

Da häufig mit großen Zooms gearbeitet wurde (Bsp.: pirschender Fuchs), wirken jene Einstellungen in Die neue Wildnis sehr soft und wenig krisp. Die weitwinkligen Nahaufnahmen klotzen hingegen mit tollen Kontrasten und kräftigen Farben. Auch Bilder zur blauen Stunde geraten wunderschön. Da man häufig bei durchschnittlichem Wetter drehte, wirken viele Bilder etwa schroffer, rauer und grauer. Während einiger Aufnahmen kommt zudem ein Ruckeleffekt hinzu, was bei den Bewegungen der Tiere dann sichtbar auffällt. Ein leichtes Korn lässt sich ebenfalls wahrnehmen, stört allerdings nicht weiter.
Akustisch haben die Sounddesigner von Die neue Wildnis alles gegeben, um die Naturbilder mit entsprechend authentischen Geräuschen zu untermalen. Die Tier“stimmen“ gelangen klar ans Ohr und werden immer wieder genutzt, um Räumlichkeit zu erzeugen. Auch Wind- und Wassergeräusche sowie Gewitterdonner werden effektvoll platziert. Das warme Organ von Hannes Jaennicke ist dazu die perfekte Ergänzung – zumal dessen gesprochene Informationen durchweg interessant sind. Vom klassischen, bisweilen etwas überdramatisierenden Soundtrack muss man allerdings Fan sein. Hinlänglich räumlich ist dieser aber allemal.

Bonusmaterial

Neben dem Originaltrailer hält das Bonusmaterial von Die neue Wildnis noch Interviewschnipsel mit Regisseur und Produzent bereit, liefert ein Making-of sowie Aufnahmen von der Premiere in der Lichtburg/Essen, bei der die Aufführung von einem großen Orchester live musikalisch unterlegt wurde. Im knapp viertelstündigen Making-of wird beispielsweise beeindruckend klar, wie viel Aufwand betrieben werden musste, um den passenden Ton zu den Bildern und andersherum zu bekommen. Leider ist der holländische Kommentar nur unzureichend untertitelt und lässt viele interessante Details aus – hier hätte man sich deutlich mehr Mühe geben dürfen.

Fazit

Wer hätte gedacht, dass in den Niederlanden so viel wildes Naturleben möglich ist? Die neue Wildnis – Große Natur in einem kleinen Land zeigt eindrucksvoll, das mitten in Europa eine erstaunlich artenreiche und vielfältige Flora und Fauna gedeiht, die von Menschen (dankenswerterweise) unberührt bleibt.
Timo Wolters


Bewertung

Bildqualität: 70%
Tonqualität (dt. Fassung): 75%
Bonusmaterial: 30%
Film: 80%

Anbieter: Busch Media/AL!VE
Land/Jahr: Niederlande 2015
Regie: Mark Verkerk
Sprecher: Hannes Jaennicke
Tonformate: dts HD-Master 5.1: de
Bildformat: 2,35:1
Laufzeit: 102
Codec: AVC
FSK: 0