Die Unsichtbaren – Wir wollen leben

Blu-ray Review

Die Unsichtbaren - Wir wollen leben Blu-ray Review Cover
Universum Film, 27.04.2018

OT: –

 


Flitzen

Ebenso eindrucksvoller wie spannender Film über 7000 Juden, die während des Nazi-Regimes in Berlin untertauchten.

Inhalt

Berlin war in den 30ern das Zentrum für die meisten in Deutschland lebenden Juden. Etwa 160.000 der 270.000 deutschen Juden lebten in der Hauptstadt. Als Goebbels am 10.06.1943 für jedenfrei erklärt, nachdem zuvor selbst die Zwangsarbeiter deportiert worden waren, hatten es gut 7000 der oft jüngeren jüdischen Berliner geschafft, unterzutauchen. Unter ihnen sind Cioma Schönhaus, dessen Talent, Pässe zu fälschen, ihn vor dem Zugriff rettet. Hanny Lévy trennt sich von ihren braunen Haaren und wird frisch blondiert zur Arierin Hannelore Winkler. Eugen Friede wird gar zum Untergrund-Widerständler und verteilt Flugblätter gegen Regime und Krieg. Im Lichte des Tages zieht er sich eine HJ-Uniform an und überlebt bei einer deutschen Familie, die Hitler ablehnt. Ruth Gumpel hingegen erfindet sich eine Geschichte als Kriegswitwe. Dabei bleibt sie sogar in stetigem Kontakt mit NS-Mitgliedern, denen sie als Dienstmagd im Haushalt eines Wehrmachtsoffiziers geschmuggelten Alkohol serviert. Alle vier versuchen nur eins: Überleben …

Claus Räfle ist eigentlich Dokumentarfilmer. Und als solcher kommt man irgendwann fast zwangsläufig mit dem Thema Nationalsozialismus in Berührung. Bereits 2004 hatte Räfle ein Thema der Zeit aufgegriffen und mit „Salon Kitty – Ein Nazibordell und seine Geschichte“ einem Thema der damaligen Zeit nachgespürt.
Nun mixt er nachgefilmte Schauspielszenen mit Zeitzeugenberichten, um in Die Unsichtbaren – Wir wollen leben die Geschichte der Juden zu erzählen, die während des Dritten Reichs mitten in der Hauptstadt untertauchten und mit viel Geschick, Glück und Hilfe anderer – vor allem nicht-jüdischer – Bewohner der Stadt dem Nazi-Regime zu entkommen. Erstaunlich ist dabei, dass sowohl die gefilmten Sequenzen als auch (und vor allem) die Interviews mit den Überlebenden packend sind. Bisweilen weiß man gar nicht, welchem Teil man lieber folgen möchte. Glücklicherweise fügen sich beide erzählerischen Elemente zu einem harmonischen Ganzen zusammen, sodass man gar nicht wirklich wählen muss.
Räfle erzählt dabei nicht die Geschichte aller 7000 Juden, die damals in Berlin untergetaucht zu überleben versucht haben. Er konzentriert sich auf vier Einzelschicksale, von denen jenes von Cioma Schönhaus sicher am spektakulärsten ist, hatte der sich doch als genialer Pass-Fälscher erwiesen. Doch auch Eugen Friedes Geschichte bewegt. War er doch eigentlich unpolitisch und wurde von den Ereignissen überholt, die ihn sogar in die Arbeit für den Widerstand im Untergrund trieben.
Nicht minder unglaublich die Erlebnisse von Ruth Gumpel, die als Kriegswitwe getarnt sogar direkten Kontakt mit NS-Offizieren hatte oder jene von Hanny Lévy, die sich die Haare blondiert, um als Arierin durchzugehen.

Wirklich beeindruckend ist die Nahtlosigkeit der beiden Elemente. Oft schildern die Zeitzeugen im Hintergrund auf der Tonspur, während man im Vordergrund die inszenierten Bilder sind und ganz fließend die Schauspieler die Dialoge übernehmen, als würden sie diese von ihren realen Vorbildern einfach weiter erzählen.
Die Unsichtbaren liefert dabei durchaus bedrückende Bilder. Zum Beispiel direkt zu Beginn, wenn Cioma in die Mühlen der emotionslosen Räder der Berliner Verwaltung gerät, die Juden einteilt in zu Deportierende oder aber zurückgestellte Mitarbeiter. Aber auch die scheinbar alltäglichen Dinge wie Busfahren (das den Juden praktisch untersagt war) oder der Gang zu einem Friseur werden zum spannenden Thriller. Die Schilderungen der realen Vorbilder, die im Hintergrund erzählen, wie vorsichtig man sich bewegen musste, wie sehr man aufpassen musste, was man sagt und wie man sich verhält. Das alles macht die Mischung fast schon zu einem Thriller.
Herausragend sind dabei vor allem die weniger bekannten Schauspieler, die das Geschehen begreifbarer und authentischer machen. Da wirkt ein Florian Lukas in einer Nebenrolle fast wie eine Ablenkung, weil er einfach zu prominent ist. Zumal er zu sehr agiert wie ein Schauspieler und zu viel künstlerisches Verhalten an den Tag legt.
Doch auch das wird nebensächlich, wenn belegte Figuren auftauchen wie Stella Goldschlag. Die Jüdin wurde von der Gestapo unter Druck gesetzt, andere, noch in Berlin lebende Juden zu verraten. Hier weist Die Unsichtbaren die stärksten Spielfilm-Elemente und dramatischen Zuspitzungen auf und fesselt umso mehr.
Leider konnte Cioma Schönhaus den fertigen Film nicht mehr sehen. Seine Interviews sind auch die ältesten, während die Erzählungen der anderen Drei (allesamt zwischen 92 und 96 Jahre alt und noch richtig fit) noch jüngeren Datums sind.

Bild- und Tonqualität

Das Bild von Die Unsichtbaren teilt sich, wie der Film auch, in zwei Teile auf. Während die Filmszenen optisch auf analog getrimmt wurden und deshalb deutliches Korn zeigen (je dunkler, desto stärker), sind die Dokumentar-/Interviewszenen ruhiger. Allerdings auch recht weich und in Bewegungen schmieren/verwischen sie sichtbar.
Die Realsequenzen weisen einen harmonischen Kontrast auf und sind in Naheinstellungen sogar recht scharf. Ebenfalls eingestreute zeitdokumentarische Bilder sind qualitativ natürlich schwächer, erhöhen aber die Authentizität.
Beim Ton werden die Effektkanäle vornehmlich genutzt, um die Atmosphäre der Umgebung aufzunehmen. Ein paar krähende Vögel auf dem Friedhof, die belebte Innenstadt, das Gemurmel in einem Café – das alles wird recht angenehm und räumlich wiedergegeben. Die Stimmen – gerade jener der Erzähler – kommen deutlich und mit warmem Timbre aus dem Center. Die dezent eingesetzte Filmmusik wird zwar nicht dynamisch, belegt aber ebenfalls alle Speaker.

Bonusmaterial

Neben neun Interviews mit Darstellern, Zeitzeugen und Regisseur Claus Räfle gibt’s noch eine B’Roll, eine Bildergalerie und ein Featurette im Bonusmaterial von Die Unsichtbaren. Dieses läuft aber lediglich 3:45 und hätte etwas üppiger ausfallen dürfen.

Fazit

Nicht Film und nicht Dokumentation – und dennoch spannend und so dramatisch, wie nur das Leben sein kann. Die Unsichtbaren liefert teils derart unglaubliche Geschichten, dass man sie nicht glauben würde, wenn sie nicht wahr wären. Ein ebenso packender wie aus historischer Sicht wichtiger Film über den unbedingten Willen zu Überleben, wo es eigentlich unmöglich schien.
Timo Wolters


Bewertung

Bildqualität: 65%
Tonqualität (dt. Fassung): 70%
Bonusmaterial: 50%
Film: 80%

Anbieter: Universum Film
Land/Jahr: Deutschland 2017
Regie: Claus Räfle
Darsteller: Max Mauff, Alice Dwyer, Ruby O. Fee, Aaron Altaras, Victoria Schulz, Florian Lukas, Andreas Schmidt, Laila Maria Witt, Sergej Moya, Lucas Reiber, Rick Okon,
Tonformate: dts HD-Master 5.1: de, en
Bildformat: 2,35:1
Laufzeit: 110
Codec: AVC
FSK: 12

Trailer zu Die Unsichtbaren – Wir wollen leben

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