Blu-ray Review
OT: Doctor Strange
Gedanken formen Realität
Hier kommt der psychedelischste aller bisherigen Marvel-Filme.
Inhalt
Begnadeter Chirurg und arroganter Arsch – beides Attribute, die auf Dr. Stephen Strange zutreffen. Der geniale Mediziner gefällt sich in der Rolle des Chirurgen, der auf Abruf die schwersten Fälle übernimmt, um sich im Licht des Ruhms zu sonnen. Dann jedoch landet er selbst auf dem Tisch seines Krankenhauses. Abgelenkt von einer Bildnachricht donnert er mit seinem Sportflitzer aus voller Fahrt einen Abhang hinunter und hat Glück, dass er überlebt. Weniger Glück haben seine Hände, die nach dem Unfall durch zwei Dutzend Fixateure zusammengehalten werden müssen. An ein Operieren ist fortan nicht mehr zu denken – selbst Rasieren oder Schreiben ist ihm praktisch unmöglich. Natürlich gibt er seinen Kollegen die Schuld an deren angeblich stümperhafter Operationstechnik. Voller Wut und Verzweiflung stürzt er sich auf eine alte Krankenakte, nach der ein Querschnittsgelähmter angeblich wieder laufen lernte. Von ihm bekommt er die Information, dass er Heilung im Kamar-Taj fand, einem Ort in Kathmandu, Nepal. Dort trifft er auf „Die Älteste“, die Strange etwas von spiritueller Heilung erzählt – ihm, dem atheistischen Wissenschaftler. Doch die glatzköpfige Dame hat ziemlich schlagkräftige Argumente, die den Chirurgen überzeugen. Gemeinsam mit deren Schützling Mordo bildet die mythische Bewacherin der Welt Stephen Strange zum großen Zauberer aus. Als solcher steht ihm bald schon ein großer Kampf bevor, denn Kaecilius, ein Ex-Schüler der Ältesten, hat mit einigen Seiten eines alten Manuskripts vor, Kontakt zu einem Wesen herzustellen, dass jedes Universum einnehmen möchte – allen voran die Erde …
Schaut man sich die Entstehungsgeschichte von Doctor Strange an, grenzt es schon fast an ein Wunder, dass der Film nun doch noch realisiert werden konnte. Seit 1986 zogen sieben Studios und mehrere Drehbuchautoren ins Land, bevor es nun endlich im Marvel-Kosmos von Disney so weit war. Vielleicht glücklicherweise, denn aus technisch-visueller Sicht hätte der Film, wie er jetzt zu sehen ist, seinerzeit nicht gleichwertig umgesetzt werden können – dazu aber später mehr. 2013 stand nach vierjähriger loser Planungsphase fest, dass der Film um den verunfallten und zu Superkräften gekommenen Chirurgen in die Phase 3 des Marvel-Cinematic-Universe fallen sollte. Vielleicht dauerte es auch deshalb so lange, weil Film und Titelfigur aus dem bisherigen Kosmos der Comic-Schmiede deutlich herausragen. Und als ob man diese Außergewöhnlichkeit bestätigen wollte, besetzte man Doctor Strange nach zahlreichen naheliegende(re)n Kandidaten wie Tom Hardy, Ethan Hawke, Jared Leto, Matthew McConaughey oder Jake Gyllenhaal (die allesamt mal in Verbindung mit der Hauptrolle gebracht wurden) ausgerechnet mit dem britischen Sherlock-Darsteller Benedict Cumberbatch – ein Wagnis?
In der Tat. Aber eben eins, das sich gelohnt hat. Denn der britische Schauspieler, der durch seine TV- und Theaterrollen zu internationaler Bekanntheit gelangte, ist perfekt besetzt. Er kann die überhebliche Arroganz und er kann das Nachdenklich-Introvertierte. Und wie man hier sehen kann: Er kann sogar das Physische, präsentiert er sich doch erstaunlich austrainiert und überzeugt auch in den Kampfszenen. Der Humor, sonst typischer Begleiter der Marvel-Filme, wird ein wenig zurückgenommen, wenngleich es den einen oder anderen sarkastischen Spruch gibt. Außerdem versagt Stephen zu Beginn seiner Ausbildung herrlich und sein Umhang führt ein köstliches Eigenleben. Insgesamt ist Doctor Strange aber durchaus etwas dunkler geraten und integriert fürs Marvel-Universum ungewohnte spirituelle Elemente. Treffenderweise fuhr man tatsächlich nach Kathmandu in Tibet, um dort diese Szenen möglichst authentisch einzufangen. Die Drehorte sind es auch, die die ansonsten etwas metaphysischer angelegte Story erden und einen Konterpunkt zu den vollständig am Rechner entstandenen Szenarien der Multiversen und Raumfaltungen setzen. Womit wir am zuvor angesprochenen Punkt sind, dass man den Film vor 20 Jahren in der Form nicht hätte umsetzen können.
Christopher Nolan ebnete mit Inception die Optik, die Scott Derrickson (der mal mit dem „Meisterwerk“ Hellraiser V: Inferno debütierte) nun perfektionieren konnte. Wenn sich ganz Manhattan ineinander faltet oder die Protagonisten in der Spiegeldimension stehen, hätte ein gewisser M.C. Escher seine wahre Freude daran. Visuell ist das absolut beeindruckend, wenngleich nach Nolans Traum-Thriller nicht mehr innovativ. Aber da Doctor Strange eben auch die Parallelen zum Marvel-Kosmos herstellt, läuft man nicht Gefahr, beide Filme miteinander zu verwechseln. Spätestens, wenn sich Kaecilius zu erkennen gibt und auf direkten Konfrontationskurs mit Strange geht, übernehmen dann auch die Actionelemente. Und die Choreografien sind wirklich klasse. Gerade die erste Auseinandersetzung zwischen den beiden zündet im wahrsten Sinne des Wortes. Man muss allerdings eine gewisse Bereitschaft fürs Fantastisch-Absurde mitbringen, wenn Stephen und Lucian sich einen Astralkörper-Fight im OP liefern. Effektvoll ist das sicherlich, aber eben auch ein klitzekleines bisschen albern. Macht aber nichts, liefert der Film doch neben den psychedelischen Aspekten auch eine wirklich tiefgründige Figur. Strange macht während der zwei Stunden nicht nur eine physische, sondern auch eine psychische Wandlung durch und geht der Wahrhaftigkeit der Dinge auf den Grund. Diese Vielschichtigkeit gild auch für Kaecilius‘ Charakter, der keinesfalls ausschließlich hirnlos böse ist. Seine Motivation lässt sogar Strange selbst für einen kurzen Moment zweifeln. Mad Mikkelsen ist hierfür die beste Wahl, wenngleich seine von Dormammu beeinflusste Augenmaske ein bisschen drüber ist.
Bild- und Tonqualität
Wow! Was Walt Disney in Doctor Strange visuell bietet, sucht im Realfilmbereich aktuell seinesgleichen. Absolut ruhig und rauschfrei präsentiert sich das messerscharfe und äußerst plastische Bild. Farben sind stets natürlich und der Kontrastumfang ist sehr gut. Atmosphärisch bedingt lässt beides ein wenig nach, wenn Strange Unterricht bei „Der Ältesten“ erhält. Dort herrschen Braun- und Grautöne vor, die allerdings während der psychedelischen Trips des Titelhelden wiederum von äußerst lebhafter Colorierung abgelöst werden. Lediglich Schwarz könnte noch einen Hauch knackiger sein. Absolut herausragend wiederum ist die Detailtiefe des Films, die keinerlei Unruhen in Schwenks offenbart und bei Totalen bis in den letzten Winkel Zeichnung liefert (10’17). Auch Aufnahmen in dunklen Innenräumen bestechen durch ihre hohe Laufruhe und Close-ups von Tilda Swinton sind so gut, dass man ihr heftiges Make-up Schicht für Schicht erkennen kann. (Bild)Qualitativ einer der besten Realfilme der letzten Monate.
Akustisch liegt Doctor Strange in zwei unterschiedlich kodierten Fassungen mit ebenfalls unterschiedlicher Anzahl an Tonspuren vor. Während der Fan von Originalfassungen die volle dts-HD-Master-Dröhnung in 7.1 erhält, reduzierte Anbieter Walt Disney die deutsche Version (wie schon fast traditionell) auf 5.1 und das leicht datenreduzierte dts-HD-High-Resolution. Den Unterschied zwischen dts-HD-HR und dts-HD-MA kann man wahrnehmen, mann muss aber schon genau hinhören und eine Szene oft im A-B-Vergleich anschauen. Zu Beginn lassen sich weder beim Funkenzischen der Energiekreisel, noch beim dynamischen Zupacken der Lichtfesseln Unterschiede festmachen – beide Sprachversionen klingen hier fantastisch. Während Marvel/Disney bei Avengers: Age of Ultron die deutsche Tonfassung noch in den Sand gesetzt hatte (hier nachzulesen), leistet sich Doctor Strange keine Fehler. Wenn Tilda Swinton zu Beginn allerdings die Dimensionen verdreht und Häuser umfaltet, malmen die Steine auf der englischen Fassung noch etwas druckvoller aufeinander und ab und an beschleicht einen das Gefühl, dass der hiesigen Version hier und da ein paar Informationen fehlen. Dennoch differenziert auch die deutsche Fassung die feinen und hohen Frequenzen der Energiesicheln erstaunlich gut aus dem druckvollen Häuserfalten heraus. Und auch sonst kann sich der deutsche Sound hören lassen. Der Unfall von Strange tut zwar jedem Autofan weh, der ungerne hinschaut, wenn die italienische Sportflunder mit dem Stier auf der Haube kaltverformt wird, doch in Sachen Sound bekommt man hier aus anderen Grünen eine (positive) Gänsehaut. Was die Räumlichkeit und Dynamik angeht, setzt der Film aber noch einen drauf. Wenn Swinton unseren Protagonisten durch die Dimensionen schickt, legt sich ihre (Synchron)Stimme direktional auf die Rearspeaker, sodass man sich als Zuschauer unvermittelt umdreht und schaut, ob da jemand steht (29’30). Derart effektvoll bleibt es während der Actionszenen praktisch dauerhaft und wenn Strange am Ende Dormammu gegenübersteht, tönt dessen Organ dermaßen voluminös, dass man selbst ein wenig Angst vor dem fluiden Wesen bekommt. Stimmen sind übrigens dauerhaft vorzüglich eingebettet – sowohl in der deutschen als auch in der englischen Tonfassung.
3D-Effekt
Wie die meisten Realfilme der letzten Jahre, so ist auch Doctor Strange nicht mit stereoskopischen Kameras in nativem 3D gedreht, sondern im Nachhinein konvertiert worden. Nachträgliche Konvertierungen gelingen mal gut und mal … eher suboptimal. Im Falle von Srange lassen sich die Bedenken allerdings zerstreuen – zumindest was die Tiefe und Plastizität angeht. Die Szenen, in denen die reale Welt aus den Angeln gehoben und die Gravitation keine Rolle mehr zu spielen scheint, nutzt der Film dies, um eine extreme Tiefendarstellung zu realisieren. Die Gebäude scheinen auch dem Zuschauer unter den Füßen weggezogen zu werden und die funkensprühenden Energie-Chakren stehen absolut dreidimensional im Raum. Schon die Eröffnungsszene zwischen Tilda Swinton und Mads Mikkelsen wird so zum Augenschmaus. Allerdings muss man hier auch kritisch anmerken, dass die visuell überbordende Technik in 3D noch mal ein höheres Videospiel-Feeling verursacht. Fast ist man geneigt, ein Gamepad in die Hand zu nehmen, um Kaecilius im Stile von Super Mario 3D über die Hindernisse hüpfen zu lassen. Ein dezentes Ruckeln in Schwenks vermittelt Kino-Feeling, ist in der 3D-Fassung aber noch mal ein Stückchen auffälliger. Die Realszenen bleiben von den artifiziellen Anwandlungen befreit und liefern bisweilen eine sehr natürliche und griffige Räumlichkeit (Strange im Spiegel 43’28). Da gerade im Mittelteil viele Szenen in dunklen Innenräumen spielen, sollte der zum Einsatz kommende TV oder Beamer nicht von der lichtschwächsten Sorte sein, ansonsten wird’s arg düster. Darüber und auch über das Artifizielle lässt sich allerdings hinwegsehen, wenn beim Zusammenfalten von Manhattan die Münder herunterklappen – auch deshalb, weil es in 3D nochmals beeindruckender ist (78’52).
Bonusmaterial
Im Bonusmaterial von Doctor Strange finden sich neben fünf entfernten Szenen und einem Audiokommentar von Scott Derrickson auch herrlich amüsante Outtakes, die zeigen, dass Benedict Cumberbatch für jeden Scherz zu haben ist und ziemlich gut tanzen kann. In „Marvel Phase 3“ schildert Produzent Kevin Feige, wie sich der Kosmos der Comic-Verfilmungen seit dem ersten Iron Man langsam zusammengefügt hat und etwas entwickelt hat, was es so bisher noch nicht gegeben hat. Außerdem wird verortet, welche Bedeutung gerade Doctor Strange, der kommende Guardians of the Galaxy 2 sowie der ebenfalls in Produktions befindliche Thor: Ragnarök haben. Final gibt’s auch einen Ausblick auf Avengers: Infinity War, der die Phase 3 zu einem Ende führen wird. „Team Thor: Teil 2“ zeigt unseren den Hammergott, wie er in Australien eine neue Bleibe bei Darryl gefunden hat, mit dem er „Vier gewinnt“ spielt und den einen oder anderen irdischen Konflikt ausfechten muss – ein erneuter Beweis, dass das Marvel-Universum sich eben auch nicht allzu ernst nimmt und dafür herausragend selbstironische Akteure gewonnen hat. Kern der Extras sind allerdings die fünf Featurettes, die sich auch „am Stück“ abspielen lassen. In insgesamt 60 Minuten Spielzeit geht’s um den Film an sich, die Besetzung von Doctor Strange sowie die Kostüme, Sets und Drehorte. Ebenfalls einen großen Teil räumt man den Spezialeffekten und den Stunts ein. Vor allem die tänzerische Kampfchoreografie bekommt ihren verdienten und interessanten Raum. Die letzten zehn Minuten zeigen dann Komponist Michael Giacchino und sein klassisches Ensemble bei der Arbeit am Score, der sich (wie der Film selbst) sehr von den bisherigen Marvel-Verfilmungen unterscheidet.
Fazit
Doctor Strange ist zwar der bisher ungewöhnlichste Film im Marvel-Cinematic-Universe, was ihn aber gerade deshalb so stark werden lässt. Seine psychedelischen Bilder präsentieren im Finale den wohl ungewöhnlichsten Widersacher und Benedict Cumberbatch sorgt mit süffisant-selbstironischem Humor für kleinere Auflockerungen – ganz großes Kino auf technisch sehr guter Blu-ray.
Timo Wolters
Bewertung
Bildqualität: 90%
Tonqualität (dt. Fassung): 90%
Tonqualität (Originalversion): 85%
Bonusmaterial: 75%
Film: 85%
3D-Effekt: 80%
Anbieter: Walt Disney
Land/Jahr: USA 2016
Regie: Scott Derrickson
Darsteller: Benedict Cumberbatch, Chiwetel Ejiofor, Tilda Swinton, Benedict Wong, Mads Mikkelsen, Michael Stuhlbarg, Scott Adkins
Tonformate: dts HD-Master 7.1: de // dts HD-High-Resolution 5.1: de
Bildformat: 2,39:1
Laufzeit: 115
Codec: AVC/HEVC
Real 3D: Nein (konvertiert)
FSK: 12
Trailer zu Doctor Strange