Erschütternde Wahrheit – Concussion

Blu-ray Review

Erschütternde Wahrheit Blu-ray Review Cover
Sony Pictures, seit 30.06.2016

OT: Concussion

 


Boxer-Syndrom

Will Smith schlägt in Erschütternde Wahrheit ein unbequemes Kapitel des US-Sports auf.

Inhalt

„Ich denke mehr darüber nach, wie ein Mensch stirbt als die meisten darüber nachdenken, wie sie leben“ – Der Neuropathologe Dr. Bennet Omalu mag zwar aus Nigeria kommen und damit in den USA durchaus nicht vorurteilsfrei aufgenommen sein, doch seine medizinischen Analysen haben sogar schon einen Todeskandidaten vor dem Stuhl gerettet. Als er eines Wochenenddienstes den berühmten Mike Webster auf dem Obduktionstisch hat, klärt ihn sein wenig freundlicher Kollege darüber auf, dass dies einer der besten Center war, den die NFL je gesehen hat – ein Heiliger Pittsburghs. Omalu sieht jedoch schnell, dass hier merkwürdige Umstände vorliegen. Warum sieht der 50-jährige tote aus wie ein 70-jähriger? Warum hat er sich die Zähne selbst gezogen und mit Sekundenkleber wieder eingesetzt? Warum hat er sich umgebracht und war dem Wahnsinn verfallen, obwohl das Gehirn vollkommen intakt scheint? Bennet untersucht gegen den Willen seines Kollegen auf eigene (finanzielle) Faust weiter und stellt einen vollkommen neuen Zusammenhang her – einen höchst unpopulären noch dazu. Websters Nervendegeneration hängt ganz offensichtlich mit traumatischen Kopfverletzungen während dessen Profikarriere zusammen. Die zahlreichen Gehirnerschütterungen und stumpfen Aufpralle (mehr als 70.000) während seiner Football-Laufbahn führten zu einer chronisch traumatischen Enzephalophatie und damit in die Depressionen und den Freitod. Als Omalu mit diesen Ergebnissen an die NFL herantritt, reagieren die Verantwortlichen mit barscher Ablehnung und infolgedessen mit Druck, den sie auf den Wissenschaftler und seine Frau ausüben. Unerwarteterweise bekommt er dann aber Schützenhilfe von einem Ex-Mannschaftsarzt, der mehr weiß als die NFL zugeben will …

Wirkliche Freunde hat sich der forensische Pathologe Dr. Bennet Omalu ab 2004 in den USA nicht gemacht. Der nigerianischstämmige Mediziner hatte bei der Untersuchung der Gehirne zweier ehemaliger NFL-Spieler festgestellt, dass diese ähnliche Degenerationen aufwiesen, wie man sie von schwer dementen Boxern kennt. Die mitunter zahlreichen Gehirnerschütterungen und weniger schweren Kopfstößte der Sportler führten auf Dauer zu traumatischen Verletzungen im Hirn, die physisch und psychisch zu massiven Problemen führen können. So wies man in einer Studie von 2007 nach, dass von knapp 600 ehemaligen NFL-Spielern, die drei oder mehr Gehirnerschütterungen während ihrer aktiven Laufbahn hatten, über 20% an Depressionen litten. Weil Omalu damit eine nationale Institution angriff, wurde von seiten der NFL und deren Funktionäre massiv Druck auf ihn ausgeübt. Erst 2016 erkannte ein hochrangiger NFL-Offizieller einen Zusammenhang zwischen American Football und Chronisch traumatischer Enzephalopathie (CTE) an. Peter Landesmann (Parkland – Das Attentat auf J.F. Kennedy) hat aus dem realen Stoff in Erschütternde Wahrheit einen packenden Film gemacht, dessen kämpferische Einstellung durchweg mitreißt – zumal man aus hiesiger Sicht etwas unvoreingenommener an das Thema herangehen kann. Immerhin wird hier keine deutsche, sondern eine amerikanische heilige Kuh geschlachtet. Ginge es um König Fußball, sähe das vermutlich anders aus. Ob Erschütternde Wahrheit trotz Starbesetzung deshalb in den USA nur bedingt erfolgreich lief? Vielleicht will sich die US-Gesellschaft, deren Football-Leidenschaft nunmal von der Kindheit an gepflegt wird, nicht unbedingt mit einem schmerzhaften Thema auseinandersetzten. Dabei macht Landesmann (fast) alles richtig: Akribisch schildert er die Arbeit des Neuro-Pathologen, arbeitet dessen Kampf für die Wahrheit im Stile eines Thriller auf und schildert glaubwürdig, wie verdutzt Bennet war, als die NFL ihn nicht mit dankbar-offenen Armen, sondern mit Drohungen und harscher Ablehnung empfing. Ganz besonders erstaunlich an Landesmans Film ist die Tatsache, dass der Regisseur mit dem Nationalsport der Amerikaner nicht gerade zimperlich umgeht. Wenn Omalu seine ersten Schlüsse zieht und dabei Archivaufnahmen krasser Zusammenstöße beim American Football sieht, dann kommt man als neutraler Beobachter nicht umhin, zu denken, dass man seinen Kinder niemals aufs Feld schicken würde.

Das ist für US-Amerikaner sicherlich die titelgebende „Erschütternde Wahrheit“ und das möchte man über seinen Lieblingssport sicher weder sehen, noch hören. Der Anteil an Pathos entfällt demnach überraschend gering aus. Das ist vor allem deshalb schön, weil Hollywood-Football-Filme meist davor triefen. Schade ist ein wenig, dass der Film mit 123 Minuten etwas gedehnt ausfällt und man gerade die romantischen (und dramatischen) Entwicklungen zwischen Omalu und Prema deutlich hätte straffen können. Abgesehen von diesem Manko kann Erschütternde Wahrheit vor allem auf einen Hauptdarsteller vertrauen, der mit Will Smith nicht besser hätte besetzt werden können. Nicht nur war es dem Familienvater ein Anliegen, diesen Film zu drehen (siehe Bonusmaterial), fügt er seiner Vita eine absolut herausragende Leistung hinzu. Mit bisher von ihm nie gesehener Mimik erweckt er den echten Omalu zum Leben. Wer den Pathologen in den Interviews des Extramaterials sieht, kann das entsprechend nachvollziehen. Auch weicht seine typische Coolness einer Mischung aus respektvollem Understatement und einer gewissen Schüchternheit gepaart mit durchaus vorhandenem Selbstbewusstsein, was das Können seiner portraitierten Figur angeht. Man nimmt Smith den emotionalen Anteil seiner Rolle jederzeit ab, fühlt mit ihm, wenn er daran zweifelt, der Richtige für diese, seine Entdeckung zu sein. Alec Baldwin, der den ebenfalls real existierenden Dr. Julian Bailes spielt, agiert erneut hervorragend und flankiert Smith mit einer ebenso glaubwürdigen Rolle. Die beiden Wissenschaftler, die vor zehn Jahren gemeinsam für die Akzeptanz ihrer Untersuchungsergebnisse stritten, mögen nicht immer vollständig einer Meinung gewesen sein, sind sich aber heute sicher, dass ihre Arbeit dazu beigetragen hat, dass der American Football ein wenig sicherer und kontrollierter geworden ist. Nicht weniger wünscht sich auch Landesmanns Film, der die wahre Geschichte noch einmal in den Fokus rückt und dadurch einen wichtigen Teil zur Aufklärung beiträgt.

Bild- und Tonqualität

Die Close-ups und Inneraumaufnahmen von Erschütternde Wahrheit überzeugen mit hoher Laufruhe, stabilem Bildstand und herausragender Schärfe. Wechselt die Szenerie nach draußen und wird aus der Entfernung mit Zooms gearbeitet, wirken die Bilder hingegen etwas verwaschen. Außerdem wurden Außenaufnahmen mit deutlichen Blaufiltern belegt, was die Atmosphäre kühl wirken lässt. Die Kontrastgebung inklusive der Schwarzwerte ist bisweilen famos (70’30)
Der Sound von Erschütternde Wahrheit lebt immer dann auf, wenn Szenen aus dem Football-Stadion oder ein Diskothekenbesuch das Geschehen bestimmen (45’30). Bei letzterem werden nicht nur die Effektlautsprecher aktiv, auch der Sub meldet sich ein wenig zu Wort. Weniger schön sind die teilweise etwas übersteuerten Dialoge der Synchronfassung. Vor allem in Außenszenen mit Umgebungsgeräuschen zerren die Stimmen etwas. Die Original-Tonspur macht das besser.

Bonusmaterial

Im Bonusmaterial von Erschütternde Wahrheit findet sich ein Audiokommentar von Regisseur Landesman sowie neun entfallene Szenen. Dazu gibt’s zwei Featurettes. Im ersten, das unter „Die wahre Geschichte“ firmiert, geht’s um die realen Hintergründe zum Thema. Will Smith gibt zu Protokoll, dass er den Film genau deshalb machen wollte, weil er von den Untersuchungen Omalus nicht das Geringste wusste – und das wo einer seiner eigenen Söhne als Football-Spieler unterwegs war. Smith fühlte sich also schon aus familiären Gründen verpflichtet, den Film zu machen. Natürlich kommt auch der echte Bennet Omalu zu Wort, der äußerst packend schildert, wie er seinerzeit auf die Idee kam, dass da etwas nicht ganz stimme. In „Die Entstehung von Concussion“ geht es dann um die Umsetzung der Geschichte, die Arbeit am Drehbuch sowie die Besetzung von Regisseur und Cast. Beide Featurettes laufen jeweils knapp 12 Minuten.

Fazit

Erschütternde Wahrheit (im Übrigen mal ein sehr passender deutscher Titel) bringt auf packende Art und Weise ein Thema an den Zuschauer, das von den Verantwortlichen lange geleugnet wurde und deshalb im Nachhinein umso schwerer wiegt. Eindringlich gespielt und entlarvend geschildert ist die Story um den Einfluss von Kopftraumata auf die spätere Verfassung der Football-Spieler vor allem für Fans von Polit- und Gesellschaftsthrillern eine Empfehlung.
Timo Wolters


Bewertung

Bildqualität: 75%
Tonqualität (dt. Fassung): 70%
Tonqualität (Originalversion): 75%
Bonusmaterial: 40%
Film: 75%

Anbieter: Sony Pictures
Land/Jahr: USA 2015
Regie: Peter Landesman
Darsteller: Will Smith, Alec Baldwin, Gugu Mbatha-Raw, Arliss Howard, Luke Wilson, Paul Reiser, David Morse, Adewale Akinnuoye-Agbaje, Albert Brooks
Tonformate: dts HD-Master 5.1: de, en
Bildformat: 2,35:1
Laufzeit: 123
Codec: AVC
FSK: 12

Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest
0 Kommentare
Inline Feedbacks
Alle Kommentare anschauen!