Every Thing Will Be Fine

Blu-ray Review

Every Thing Will Be Fine Blu-ray Review Cover
Warner Home, seit 15.10.2015

OT: Every Thing Will Be Fine

 


Schuld und Erlösung

Wim Wenders‘ erster Spielfilm seit 2008 ist ein glänzend gespieltes Drama über die schwere Zeit nach einem schrecklichen Unfall.

Inhalt

In einem Moment sagt der unter einer Schreibblockade leidende Autor Tomas seiner Freundin Sara noch, dass sie ihre Beziehungsprobleme wieder in den Griff bekommen, im nächsten trennt er sich von ihr. Der Grund ist der Unfall, den er soeben hatte. Ein Junge auf einem Schlitten fährt ihm wie aus dem Nichts unters Auto – ein Ereignis, das Tomas‘ Leben von Grund auf ändert. Obwohl ihm keiner die Schuld für das Geschehene gibt, versinkt er in einer Depression, versucht sich gar das Leben zu nehmen. Dies allerdings nur halbherzig, was ihm den Vorwurf einbrigt, dass er offenbar „nie etwas richtig machen kann“. Während aber auch der zweite Versuch scheitert, mit Sara etwas aufzubauen, stürzt sich der Autor wieder ins Schreiben. Dies gelingt ihm plötzlich wieder besser und ist seine Art, mit seinem Seelenleben ins Reine zu kommen. Zwei Jahre nach den Ereignissen besucht er die Mutter des verunfallten Kindes und findet so etwas wie Linderung. Doch die restlose Aufarbeitung wird noch Zeit und Kraft kosten …

Wim Wenders, der große deutsche Kinovisionär hat neben großartigen Werken in den letzten 20 Jahren nicht nur künstlerische Hits gedreht, sondern ging (wie bei Million Dollar Hotel) auch schon mal baden. Dass er mit seinen letzten Filmen (meist Dokumentationen) einen zweiten Regie-Frühling erlebt, liegt vor allem daran, dass er seine Geschichten ganz unaufgeregt und entspannt angeht. In Every Thing Will be Fine nimmt er sich nun des Themas Schuld an und kumuliert seine Aussagen auf den Kern, dass der Spruch, Zeit heile alle Wunden, eben nicht ins Schwarze trifft, wenn man nicht selbst bereit ist, sich mit den eigenen Problemen der Gegenwart und Vergangenheit zu konfrontieren. Dabei nutzt Wenders immer wieder bewusst Auslassungen und überlässt es dem Zuschauer selbst, sich die einzelnen Details zusammen zu puzzlen. Scheinbar unmotiviert kurze Ein- und Überblendungen sowie schnelle Wechsel zwischen dem Leben der Mutter und dem von Tomas‘ wirken zunächst gewöhnungsbedürftig, ergeben am Ende aber Sinn. Trotz der teils weitläufigen Schauplätze bleibt Every Thing Will be Fine oft ein Kammerspiel. Intensive und lange Einstellungen der Protagonisten haben eine soghafte Wirkung, wenn man sich auf die betont langsame Inszenierung einlassen kann. Bisweilen hat man das Gefühl, Wenders verlöre sich etwas in Belanglosigkeiten, doch am Ende wird klar, dass jede Szene exakt so sein musste, um sämtliche Motive der einzelnen Figuren über die insgesamt zwölf Jahre verlaufende Geschichte zu vermitteln.

Every Thing Will be Fine lebt aber nicht nur von Wenders‘ inszenatorischer Qualität und dem hervorragenden Drehbuch, sondern auch und insbesonders von seinen Darstellern. Dass James Franco auch anders kann, als in platten Komödien wie Das ist das Ende den albernen Sonnyboy zu geben, hat er schon mehrfach bewiesen. Gerade sein Engagement in Independentfilmen (zuletzt in Color of Time) zeugt davon und auch seine Leistung in Danny Boyles 127 Hours zeigte das auf eindrucksvolle Weise. Dass Wim Wenders dieses Talent für eine ernste und nachdenkliche Rolle in seinem Protagonisten sah, offenbart dessen Gespür, das ihn nicht trügte. Francos agiert als Tomas sensibel, zurückhaltend und nachvollziehbar aber eben auch emotional, wenn die Geschichte es verlangt. Der Moment, in dem er realisiert, dass auf dem Schlitten zwei Jungens saßen, bewirkt beim Zuschauer auch aufgrund seines Schauspiels augenglicklich einen dicken Kloß im Hals. Die Szene, in der er erstmals an den Ort des Geschehens zurückkehrt und dort auf die trauernde Mutter trifft, ist nicht nur intelligent und ausgewogen geschrieben, sondern eben auch herausragend gespielt. Wenders setzt aber nicht nur bei seiner Hauptrolle auf Typen, die er gegen den Strich besetzt, sondern tut Gleiches bei einigen seiner Nebenrollen. Rachel McAdams, bisher oft auf die Rolle der niedlichen Braut oder des oberflächlichen Girlies abonniert, überzeugt als On-Off-Freundin Tomas‘ und mit Peter Stormare gibt’s die größte Überraschung gleich noch obendrauf. Der ansonsten entweder für extrovertierte Schurken- oder wahlweise B-Movie-Knallchargen-Rollen gebuchte Charakterkopf darf hier mal ganz hemdsärmelig und „normal“ den Verleger mimen – steht ihm gut. Charlotte Gainsbourgh (Heute bin ich Samba), von der man aufgrund ihrer bisherigen Rollen hätte annehmen können, dass sie in eine hysterisch-trauernde Mutter voller Wut verfällt, agiert so dezent und einfühlsam, so vergebend und offen wie man es kaum erwarten konnte.

Bild- und Tonqualität

Das Bild von Every Thing Will be Fine überzeugt mit klaren und klaren, sehr ruhigen Einstlelungen und einer guten Abgrenzung der Objekte im Vordergrund – möglicherweise ein Tribut an die ursprüngliche Umsetzung in 3D. Abgesehen von dem sichtbaren Korn auf den Schneeoberflächen zu Beginn bleibt gerade die Laufruhe ein Merkmal des Films. Akustisch ist es vor allem der wütende Schneewind zu Beginn, der aus allen Lausprechern rauscht und pfeift. Dazu gesellt sich der orchestral-dezente Filmscore von Alexandre Desplat. Ansonsten gibt es kaum Auffälligkeiten. Die Stimmen sind exzellent verständlich und perfekt eingebettet, kommen greifbar aus dem Center und wenn Stille herrscht, dann konsequent. Die englische Tonspur ist leider nur mit nicht ausblendbaren deutschen Untertiteln anwählbar.

3D-Effekt

Every Thing Will be Fine wurde in stereoskopischem 3D gedreht und im Kino auch entsprechend ausgewertet. Leider stand mir zu Rezensionszwecken lediglich die 2D-Fassung zur Verfügung, weshalb eine entsprechende Bewertung entfallen muss. Anhand der 2D-Version lässt sich ablesen, dass Wenders den dreidimensionalen Eindruck vor allem während der zahlreichen Raumverzerrungsaufnahmen nutzte. Dieser Kameraeffekt, den Sam Raimi in Schneller als der Tod etablierte, verleiht eine gans besondere Sogwirkung, die bei einer 3D-Umsetzung sicher noch deutlicher auffällt. Etwas nervig könnten dagegen die häufigen Szenen werden, in denen Wenders seine Protagonisten hinter Fenstern oder Glasscheiben filmt. Zwar gewinnt er dadurch die bewusste Distanz, in 3D könnte dies aufgrund der starken Spiegelungen und extremen Abgrenzung der Ebenen zu Schieleffekten führen.

Bonusmaterial

Extrem ärgerlich ist das Bonusmaterial von Every Thing Will be Fine. Da hat man es mit einem deutschen Regisseur und seinem Werk zu tun, bekommt ein vierzigminütiges Hintergrundfeature, das qualitativ weit über dem Standard liegt (viele Einblicke hinter die Kamera und Aussagen von Regisseur und Drehbuchautor enthält) und erhält nicht einmal deutsche Untertitel unter das für die internationale Auswertung in Englisch gedrehte Making-of. Das wird weder dem tollen Film, noch dem Majorstudio Warner gerecht. Die zehn entfernten Szenen enthalten auch ein längeres Ende, das dort ansetzt, wo die Kinofassung aufhört.

Fazit

Every Thing Will be Fine ist rein gar nichts für die Unterhaltungs- und Blockbusterfraktion! Wim Wenders‘ jüngstes Werk richtet sich ausnahmslos an aufgeschlossene Kinofans, die einer langsamen Erzählweise und intensiven Darstellerleistungen aufgeschlossen gegenüberstehen. Wenders-Fans werden den Film ohnehin mögen.
Timo Wolters


Bewertung

Bildqualität: 75%
Tonqualität (dt. Fassung): 75%
Tonqualität (Originalversion): 75%
Bonusmaterial: 40%
Film: 75%

Anbieter: Warner Home Video
Land/Jahr: Deutschland/Kanada/Schweden/Norwegen 2015
Regie: Wim Wenders
Darsteller: James Franco, Charlotte Gainsbourg, Rachel McAdams, Marie-Josée Croze, Robert Naylor, Patrick Bauchau, Peter Stormare, Lilah Fitzgerald
Tonformate: dts HD-Master 5.1: de, en
Bildformat: 2,35:1
Laufzeit: 119
Codec: AVC
FSK: 6