German Angst

Blu-ray Review

German Angst Blu-ray Review Cover
Alamode (Pierrot le Fou)/AL!VE, ab 15.05.2015

OT: –

 


Horror-Dreigestirn

Drei Regisseure, drei Geschichten – ein Genre und eine Stadt: Horror in Berlin.

Inhalt

Die junge Teenagerin lebt mit ihrem Meerschweinchen auf 2 1/2 Zimmer und erzählt gerne davon, wie ein Tierarzt mal einem ihrer kleinen Vierbeiner unnötig das ganze Bein amputiert hat. Sie selbst übt sich gerade darin, einem älteren Herren dessen wichtigstes Stück Fleisch per Geflügelschere zu entfernen …
Ein taubstummes Pärchen wird von einer Gruppe Nazis belagert, weiß sich jedoch mittels eines Amuletts zu wehren, das für den Besitzer die Kraft hat, Körper zu tauschen …
Die Partnerin von Fotograf Eden zickt gerade rum, weil der sich die Langeweile zuletzt mit irgendeiner anderen Braut vertrieben hat. Doch das wäre gar nicht so schlimm, wenn es lediglich ein Verhältnis wäre. Eden aber ist seinem Verlangen noch viel tiefer gefolgt und so in einem seltsamen Club gelandet, der nicht nur sehr strengen Aufnahmeritualen folgt, sondern in seiner sexuellen Freizügigkeit außerordentlich zu sein scheint. Allerdings erlebt Eden jedwedes Geschehen nur durch eine Augenbinde, dazu gezwungen, sie zu keiner Zeit abzunehmen- ein Schock, als er die Binde erstmals ablegt …

Buttgereit/Kosakowski/Marschall – drei anerkannte Untergrund- und Genreregisseure Deutschlands schmissen für German Angst ihr Talent und unterschiedliche Ideen zusammen, um einen Horror-Dreiteiler mit deutscher Note zu realisieren. Buttgereit, dessen Nekromantik bis heute kultisch verehrt wird und der so etwas wie der Blixa Bargeld des deutschen Horrofilms ist, konzentriert sich dabei auf eine Abhandlung zum Thema Kindesmissbrauch und verpackt das Ganze in ein anschauliches Gleichnis vom „zwangsgezähmten Meerschweinchen“, das nicht gestreichelt werden will. Dabei beschwört er mit extrem engem Kamerafokus und einem schmuddeligen Setting eine recht düstere, kammerspielartige Atmosphäre herauf, beschränkt sich auf ein paar wohldosierte und überraschenderweise nur einmal vordergründig exzessive Blutmomente und lässt ansonsten die Off-Stimme seiner Protagonistin wirken. Deren nur bedingt professionelle Sprachbetonung scheint gewollt, passt jedenfalls sehr gut zum intimen Szenario, das mit zwei Darstellern und einem Meerschweinchen auskommt. Zwar tappt Buttgereit bisweilen in ein/zwei Klischeefallen, erzählt seine Geschichte aber ebenso schlüssig wie kurz und knackig.

Michal Kosakowski, gebürtiger Pole, holt für German Angst seine Inspiration aus der Geschichte seines eigenen Landes und rächt sich filmisch in Make a Wish für das Unrecht, das die Nationalsozialisten den Polen im 2. Weltkrieg angetan haben. Dabei watet er zwar fast knietief im Neonazi-Stereotyp, beschwört allerdings ebenfalls eine unangenehme Atmosphäre herauf. Seine extrem extrovertiert agierenden Darsteller (im Falle der Nazibraut weit über die Grenzen des Erträglichen hinaus) funktionieren im Sinne der Geschichte sehr gut und profitieren vom Kniff, das zum Teil radebrechendes Englisch gesprochen wird – immerhin muss man dem angereisten britischen Faschokollegen ja zeigen, wie man in Deutschland mit Nicht-Deutschstämmigen umgeht. Vor allem Andreas Pape (Die Männer der Emden) liefert in dem begrenzten Szenario eine beeindruckende Vorstellung ab.

Andreas Marschall wird vielen Heavy-Metal-Fans durch seine Cover-Zeichnungen für Kreator oder auch die Guano Apes bekannt sein. Sein 2004er Regiedebut Tears of Kali wurde extrem positiv besprochen und gewann zahlreiche Preise. Für German Angst variiert er Kubricks Eyes Wide Shut und vertieft dessen mondän inszeniertes Werk ein wenig ins psychedelisch-gewalttätige. Dabei ist „Alraune“ der stilistisch hochglänzendste der drei Beiträge und liefert auch die geschliffensten Dialoge. Das mag allerdings auch daran liegen, dass die Hauptfigur ein englischsprachiger Fotograf ist und von Milton Welsh gespielt wird. Der ist zwar in Deutschland geboren, allerdings international ausgebildet (unter anderem ist er Absolvent der New Yorker Lee-Strasberg-Schule). Im Englischen wirken die Dialoge einfach feiner und akzentuierter, was dem sorgsam geschriebenen Drehbuch nur zu Gute kommt. Allerdings rückt dadurch auch die Tatsache, dass German Angst eigentlich von „deutschen Urängsten“ erzählen wollte, in den Hintergrund. Man erkennt zwar noch, dass auch „Alraune“ in Berlin spielt, das war’s dann aber auch schon. Dafür ist Marschalls Beitrag sichtbar der aufwendigste, präsentiert mehrer Schauplätze und läuft mit gut 50 Minuten auch am längsten. Seine durchkomponierten, sich immer mehr in einen Rausch steigernden Bilder sind für deutsches Kino überraschend opulent und ausschweifend. Opulent bis zum finalen Body Horror, der ein paar der gelungensten Masken der letzten Horror-Jahre aufbietet. Apropos Gewaltdarstellung: Anbieter Pierrot le Fou gelang ein kleines Kunststück: Nachdem German Angst im ersten Durchgang bei der FSK für eine 18er Freigabe scheiterte, legte man Berufung ein und … bekam Recht. Mit der Begründung, dass die Gewalt nicht selbstzweckhaft inszeniert sei, sondern als kritische Auseinandersetzung mit Brutalität gewertet werden kann. Auch folgte man der Argumentation, dass die Bilder zum Hinterfragen und nicht zum Nachahmen anregen.

Bild- und Tonqualität

Die Bildqualität von German Angst variiert von Geschichte zu Geschichte. Buttgereits Final Girl setzt auf erwähnten, sehr engen Fokusbereich und lässt das meiste drumherum in Unschärfe verschwinden. Kontrast- und Farbdarstellung gehen in Ordnung, sind aber bewusst etwas reduziert. In Make a Wish, der sich ausgewogener präsentiert, sind Schärfe, Detailauflösung und Kontrastumfang gut. Auch die Bildruhe kann sich sehen lassen. Stylisch, farbig und but präsentiert sich Alraune, der das dynamischste Bild der drei Beiträge hat.
Akustisch fällt keiner der ersten zwei Kurzfilme besonders auf. Ein paar Surroundeffekte hier, etwas Dynamik da. Selbst die 2. Weltkrieg-Elemente in Make a Wish nutzen nur bedingt die rückwärtigen Speaker oder gar den Subwoofer. Erst in Marschalls Alraune geht so richtig der Punk ab. Wenn Eden den Club Mabuse betritt wummert der Subwoofer wuchtige Beats ans Gehör und präsentiert den fiebrigen Underground-Techno extrem dynamisch und räumlich.

Bonusmaterial

Im Bonusmaterial von German Angst findet sich ein kurzes unkommentiertes Behind the Scenes wieder, das im Retro-Look gehalten ist und recht atmosphärisch rüberkommt.

Fazit

German Angst schafft etwas Außergewöhnliches: Selten gelingt es episodisch zusammengesetzten Filmen, dass die Qualität der einzelnen Werke gleichbleibend und das Gesamtbild deshalb absolut rund ist, obwohl – oder vielleicht WEIL sie so unterschiedlich sind: Buttgereits Werk ist schäbig und dreckig, unmittelbar und intim. Kosakowskis Beitrag ist politisch und glänzend gespielt. Marschalls Finale ist ein psychedelisch-erotischer Drogentrip in Hochglanzbildern. Für den deutschen Horrorfilm bedeutet German Angst aber vor allem, dass das Genre lebendig ist – wenngleich „nur“ im Untergrund.
Timo Wolters


Bewertung

Bildqualität: 60%
Tonqualität (dt. Fassung): 60%
Tonqualität (Originalversion): – %
Bonusmaterial: 20%
Film: 80%

Anbieter: Alamode(Pierrot le Fou)/AL!VE
Land/Jahr: USA 2014
Regie: Jörg Buttgereit, Michail Kosakowski, Andreas Marschall
Darsteller: Milton Welsh, Denis Lyons, Annika Strauss, Daniel Faust, Matthan Harris, Andreas Pape, Lucia Wolf, Rüdiger Kuhlbrodt
Tonformate: dts HD-Master 5.1: de, en
Bildformat: 2,35:1
Laufzeit: 111
Codec: AVC
FSK: 18 (ungeschnitten)

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