Blu-ray Review
OT: The Grand Budapest Hotel
Ein hochherrschaftliches Haus
Wenn Wes Anderson einen neuen Film macht, horcht die Arthouse-Fangemeinde auf – zu Recht, wie Grand Budapest Hotel eindrucksvoll beweist.
Inhalt
Das Grand Budapest Hotel – gelegen irgendwo in der Republik Zubrowka zirka 1968: Vom dereinstigen Glamour der pittoresken Einrichtung ist nicht mehr viel übrig, die Zahl der Gäste ist beständig niedrig und der Putz bröckelt vor sich hin. Als ein schreibblockierter Autor dort auf einen älteren Herrn namens Zéro Mustafa trifft, erzählt dieser ihm eine unglaubliche Geschichte: In der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen habe er dort als Page angefangen und unter dem Concierge Monsieur Gustave gearbeitet. Ein jederzeit zuvorkommender, korrekter, aber auch strenger Service war Gustave wichtig und doch entwickelte sich eine Freundschaft zwischen Zéro und seinem Vorgesetzten. Gustave selbst wusste jederzeit, seinen makellosen Service auch zu seinem Vorteil einzusetzen – gerade gegenüber der älteren weiblichen Klientel. Als eine der Damen eines Tages stirbt, kümmert Gustave das konsequenterweise auch mehr als die Hauptschlagzeile der Zeitung, die von einem drohenden Krieg spricht. Nicht ganz umsonst, wie sich herausstellt, denn die Frau Gräfin vererbt dem Concierge (sehr zum Leidwesen der gierigen Familie) ein wertvolles Gemälde namens „Jüngling mit Apfel“. Gustave selbst macht im Auge des unermesslichen Vermögens seinen jungen Lobby Boy zum Alleinerben – ein Testament, das Zéro bald reich machen wird …
In Grand Budapest Hotel erzählt der großartige Wes Anderson (Royal Tenenbaums, Darjeeling Limited) die Geschichte des letzten echten Conciergen des Grand Budapest Hotel (angelehnt an das echte Hotel Gellért in Budapest) vor dem Zweiten Weltkrieg – und zwar aus der Sicht des neuen Lobby-Boys Zero, der für Monsieur Gustave, den Concierge arbeitete. Gleich vier Zeitebenen nutzt Anderson, der den Film formal noch dazu in fünf Kapitel einteilt. Ein jedes erzählt seine eigene kleine Geschichte, bremst aber keinen der anderen Teile aus, sondern fügt sich am Ende zu einem harmonischen und stimmigen Gesamtbild – gerade hier wird klar, was für ein erzählerischer und inszenatorischer Künstler Anderson ist. Doch nicht nur das:
Wer den Regisseur kennt, der weiß, wie wichtig ihm die Bildersprache ist. In Grand Budapest Hotel perfektioniert er das, was er schon in seinen vorherigen Filmen andeutete. Mit häufig wechselnden Bildformaten, extrem kräftigen Farben im Inneren des Gastbetriebes, Einstellungen, die wie ein Stillleben eines Kunstwerks wirken (Gustave und Zéro im Aufzug: 10’57) sowie nüchtern-grauer Ausstattung in Kapitel drei surft Anderson stets stilsicher auf einer Welle unterschiedlicher Tempi und Optiken. Ganz Anderson ist auch der typische, sensationelle Humor des Regisseurs. Keiner kann Slapstick so hintergründig und treffend inszenieren wie er. Alleine der erste Auftritt Edward Nortons als Inspector Albert Henckels ist zum Brüllen komisch – wie im Übrigen die komplette Szene der Zugkontrolle. Die Momente in der Inhaftierungsanstalt – vor allem die Planung des Ausbruchs – sind von brillanter Dialogpräzision und großartiger Komik. Alleine schon durch das standhaft-höfliche Verhalten Monsieur Gustaves gegenüber den schwersten der Schwerverbrecher. Und wenn er in Kapitel vier eine Reminiszens an die grandiose Sarg-Verfolgungsjagd aus Tanz der Vampire leistet und dabei vollkomen irrsinnige und cartoonartige Zeitraffer nutzt, bleibt kein Auge trocken.
Und dann ist da die Besetzung von Grand Budapest Hotel. Alleine durch die unterschiedlichen Zeitebenen und die zahlreichen Gäste des Hotels bietet sich ein wahres Who-is-Who der schon aus seinen Filmen bekannten und teils neuen Gesichter: Jude Law als junge Version des Schriftstellers, F. Murray Abraham (den man viel zu lange nicht mehr gesehen hat) als älterer Zéro, Jason Schwartzman als Angestellter am Empfang, Harvey Keitel als glatzköpfiger Gefängnisinsasse mit Ausbruchsstrategie und Zeichentalent, Willem Dafoe als wortkarger Killer im Gestapo-Look sowie der großartige Jeff Goldblum als Gesandter des Hotelbesitzers. Alleine dessen Finger-Gestik macht den Film schon sehenswert – wenngleich er im späteren Verlauf gleich vier der Gliedmaßen verlustig geht. Leider spricht er im Deutschen nicht mit seiner gewohnten Synchronstimme. Ein absolute Entdeckung und im Zusammenspiel mit Ralph Fiennes sensationell agierend, ist Tony Revolori. Der junge Mime, der zuvor lediglich in TV-Produktionen zu sehen war, agiert höchst professionell, in seiner zunächst devot-ergebenen Weise aber mit hintergründigem Witz und während der späteren selbstbewussteren Momente mit einer riesigen Portion Charme – klasse! Ebenso klasse, wie Fiennes selbst, der eine Oscar-Nominierung mehr als verdient gehabt hätte, denn er spielt teilweise wie entfesselt auf.
All das macht Grand Budapest Hotel zu einem ebenso großartigen wie originellen Meisterwerk.
Bild- und Tonqualität
„Bitte stellen Sie ihren Monitor auf 16:9 ein!“ – Der Hinweis zu Beginn von Grand Budapest Hotel ist ernst gemeint, denn das Bildformat wechselt (je nach erzählerischer Zeitperiode) zwischen 1,78:1 inklusive rundherum verlaufender Balken, 4:3 und 2,35:1. Das Bild selbst ist jederzeit kräftig, mit lebhaften Farben versehen und einem hohen Kontrastumfang gesegnet. Die Schärfe ist im Prinzip grundsätzlich gut, allerdings arbeitet Anderson häufig mit Weitwinkeln. Diese krümmen den Raum sichtbar, was er zusätzlich durch schwarze Abschattungen in den Ecken des Bildes unterstützt – leichte Randunschärfen bleiben da nicht aus. Die späteren schwarz-weiß-Szenen weisen ebenfalls einen hohen Kontrastumfang aus und fallen qualitativ nicht ab. Der deutsche dts-5.1-Sound von Grand Budapest Hotel gelingt sehr offen und räumlich. Der treibende Score aus mit Besen gespielter Snare-Drum und Triangel vermittelt eine wunderbare Atmosphäre im Hotel, die Stimmen gelangen hervorragend verständlich aus dem Center und das alte Moped von Willem Dafoe knattert satt durch’s Heimkino.
Bonusmaterial
Im Bonusmaterial von Grand Budapest Hotel finden wir ein charmantes „Unterwegs in Görlitz mit Bill Murray“, dazu drei Featurettes sowie ein Hinter den Kulissen-Feature und eine Bildergalerie. Die genannten Featurettes unterteilen sich in einen Autorenvortrag eines älteren Herren, der Hintergrundinfos zum Film selbst in Form von kommentierten Dias gibt. Dazu kommt die kurze Fake-Doku über „Die Gesellschaft“ der gekreuzten Schlüssel, in der sich Bill Murray ziert, etwas preiszugeben sowie das Backrezept für die Herstellung von Mendl’s Courtesan au Chocolat – kaum ein Wunder: Das Bonusmaterial ist ebenso skurril wie der Film selbst. Der Hinter den Kulissen-Bereich teilt sich ebenfalls in mehrere Glieder auf, bietet ein Making-of sowie Features über die Darsteller und den Regisseur von Grand Budapest Hotel.
Fazit
Grand Budapest Hotel ist ein fantastisches Potpourri aus skurrilen Figuren, großartigem Slapstick, sensationeller Darstellerleistungen und präziser Regie. Die überbordende Fantasie reicht anderen für fünf Filme, hier ist sie in einem kleinen Meisterwerk vereint.
Timo Wolters
Bewertung
Bildqualität: 80%
Tonqualität (dt. Fassung): 75%
Tonqualität (Originalfassung): 75%
Bonusmaterial: 70%
Film: 90%
Anbieter: 20th Century Fox
Land/Jahr: USA/Deutschland 2013
Regie: Wes Anderson
Darsteller: Ralph Fiennes, F. Murray Abraham, Mathie Amalric, Adrien Brody, Willem Dafoe, Jeff Goldblum, Harvey Keitel, Jude Law, Bill Murray, Edward Norton, Saoirse Ronan, Jason Schwartzman, Tilda Swinton, Owen Wilson, Tom Wilkinson
Tonformate: dts HD-Master 5.1: en // dts 5.1: de
Bildformat: 1,85:1
Laufzeit: 100
Codec: AVC
FSK: 12