#Zeitgeist

Blu-ray Review

#zeitgeist Blu-ray Review Cover
Paramount Home, ab 30.04.2015

OT: Men, Women & Children

 


Hashtag Kommunikationsprobleme

Jason Reitmans neue Dramödie berührt ein höchst modernes Thema.

Inhalt

#Tim ist der Star-Footballer an seinem College, hat aber gerade eine persönliche Krise und verliert sich deshalb in einem Online-Adventure-Game.
#Hannah hat schon mit einem weitaus älteren Typen geschlafen und ihn dabei ihn ihren Mund kommen lassen, was ihre beiden Schulfreundinnen natürlich irgendwie widerwärtig finden, dies aber nur per Handy-App austauschen und Hannah nie eingestehen würden. Hannahs Mutter protégiert dafür eine Homepage, auf der ihre Tochter sich in knappen Modeklamotten darstellt.
#Brandy ist so etwas wie die Schulaußenseiterin und wird von ihrer Mutter, gleichsam Lehrerin an Brandys Schule, permanent über sämtliche Möglichkeiten kontrolliert. Was soweit führt, dass Frau Mama das Handy täglich konfisziert und auch schon mal facebook-Freundschaften der Tochter löscht. Sie weiß allerdings nichts von Brandys Tumblr-Account, auf dem sie jemand ganz anderes ist und ihre unterdrückte Seite zeigen kann.
#Don lässt seinen sexuellen Ehefrust an Internetpornographie aus und wundert sich darüber, was er auf dem PC seines Sohnes so alles findet.
#Allison hat einen Zugang in einem Forum für Magersüchtige, auf dem sie anonym Bilder von ihrem runtergehungerten Körper zeigt und über den sie Rat sucht, wenn ihr Dad mit dem Hackbraten ins Zimmer tritt.
#Helen fühlt sich von ihrem Mann Don mittlerweile unverstanden und sucht über eine Partnerbörse ein Abenteuer.

Es ist kein neuer Gedanke, dass die modernen Kommunikationsformen wie Facebook, Twitter, Tumblr oder einfach nur per Handy-App gewisse Gefahren bergen. Es ist nicht neu, dass pessimistische Sozialwissenschaftler im Wandel des miteinander „Redens“ eine Art Untergang des menschlichen Kontakts sehen und es ist auch nicht neu, dass Eltern mehr und mehr die Verbindung zu ihren Kids verlieren, deren Art von Kommunikation nicht verstehen und die Kluft größer wird. Darüber einen Film zu drehen, ist ebenfalls nicht innovativ – es gab schon andere vor Jason Reitman (Juno), die sich (erfolgreich) damit auseinandergesetzt haben. Dennoch ist auch #Zeitgeist ein sehr guter Beitrag zu diesem Thema geworden und für einen US-Film überraschend kritisch und tiefgründig geraten. Reitman bringt gut rüber, dass die Menschen heute zunehmend Angst davor zu haben scheinen, Nähe zu Anderen zu erlauben, weshalb sie den unkomplizierten und anonymen Weg über das Internet suchen, dort Kontakt aufbauen und sich selbst einen Avatar verpassen, der nicht einmal annähernd dem entspricht, was man eigentlich selbst darstellt. So kann man die unbegrenzte Verfügbarkeit von Information gleichzeitig kombinieren mit einer Flucht vor dem eigenen Ich. Dass die Thematik real ist und die Gesellschaft verändert hat, zeigt auch die deutsche FSK-Freigabe, die #Zeitgeist mit einem 12er Siegel belegte. Anhand der verwendeten Sprache und den gezeigten Bildern sowie dem Verweis auf real existierende und frei zugängliche Pornografie-Seiten wäre eine derart niedrige Einstufung noch vor 15 Jahren undenkbar gewesen. Heute sind sämtliche Themen des Films allgegenwärtig und haben die Hemmschwelle so weit runtergefahren, dass ein angehender Teenager offensichtlich damit konfrontiert werden darf. Gerade an diesem Punkt liegt die Crux der gesamten Thematik: Ist der Wandel zur Internetkultur und der damit verbundenen frühen Entwicklung der Jugend nur ein weiterer Evolutionsschritt, den die ältere Generation einfach nicht versteht und mitmachen kann (selbst der Buchdruck war ja mal Teufelswerk) oder sollte man diese Entwicklung tatsächlich so argwöhnisch betrachten, das Internet für seinen Nachwuchs zensieren und Handykommunikation kontrollieren?

In den weniger guten Momenten von #Zeitgeist konzentriert sich Reitman auf eine sehr konservative Einstellung und verliert sich in Klischees. In den besseren Szenen nimmt der Film seine Figuren und deren Probleme durchaus ernst. Vor allem dann, wenn Ansel Elgort, der zuletzt in Das Schicksal ist ein mieser Verräter überzeugte, mit melancholischem Blick eine lange und ehrliche Facebook-Mitteilung an Brandy verfasst, nur um sie dann zu löschen und durch ein schnödes „war schön, heute mit dir zu reden“ zu ersetzen. Oder auch wenn Allison das erste Mal ihrem Verlangen nachgibt und in einen Schokokuchen beißt, dann aber gleichzeitig mit schlechtem Gewissen zu ihrem Schwarm drei Tische weiter rüberschaut – mithin ja ein Grund, sich so runterzuhungern. Selbst ein Adam Sandler, der sich normalerweise in Albernheiten verliert, überzeugt als sexuell frustrierter Ehemann, der gerne mehr an der Entwicklung seines Sohnes teilhaben würde. Und auch Jennifer Garner, normalerweise abonniert auf die Rolle der liebenden Hausfrau, kann mal aus sich rausgehen – wenngleich sie als kontrollsüchtige Hyperkonservative kaum die Sympathien auf ihrer Seite hat. Während die Darsteller in diesem Ensemblefilm allesamt überzeugen, verliert #Zeitgeist zwischendurch immer mal wieder den roten Faden. Richtiggehend störend ist der Off-Kommentar, den im Original Emma Thompson spricht und der Dinge erzählt, die entweder auf der Hand liegen oder keinen interessieren. Er ist weder witzig, noch erklärend, noch vertieft er die Charaktere – er ist schlicht überflüssig. Darüber hinweg rettet tatsächlich vor allem die Geschichte zwischen Tim und Brandy, über die Reitman sicherlich ganz locker einen eigenen und großartigen Film hätte drehen können. Immer wieder sind es die sensiblen Szenen zwischen den Heranwachsenden, die bewegen und berühren und die dann urplötzlich doch so gar nichts mehr mit Facebook, Handy-App & Co. zu tun haben. Was das Thema Internet und moderne Kommunikation sowie das Problem menschlicher Nähe in der heutigen Zeit angeht, so plädiert Reitman am Ende für einen gesunden Mittelweg. Stellvertretend für diese Sichtweise stellt er mit Donna und Patricia zwei Figuren gegenüber, die unterschiedlicher kaum mit der Nutzung sozialer Netwerke und dem Internet umgehen könnten. Auf der einen Seite eine Mutter, die alles vollständig reglementiert, kontrolliert und darüber selbst zur (Kontroll)Süchtigen wird und auf der anderen Seite eine Mutter, die blauäugig eine Seite installiert, auf der sie Fotos ihrer Tochter in knappen Textilien einstellt und diese sogar zum Verkauf anbietet. Beide Extreme gehen am Ende aufeinander zu und Reitmans Film schließt mit einem symbolischen Bild der Ent-Überwachung.

Um #Zeitgeist auch optisch entsprechend seines Themas zu gestalten, nahmen sich Reitman und sein Visual-Effects-Mann Smith einige schon bekannte Elemente des Einblendens von digitaler Kommunikation auf dem Bildschirm und trieben dies auf die Spitze. Durch ihren exzessiven Gebrauch von Computer- und Handyeinblendungen wird die Leinwand/der Fernseher selbst praktisch zum Deskop auf dem die Maus in Drop-Down-Menüs auswählt, die Textnachrichten farbig erscheinen oder ganze Bildergalerien verschoben werden. Highlight dieses Experiments ist sicher eine Szene, in der Tim den Gang seiner Schule entlangläuft und ihm mehrere Dutzend Mitschüler begegnen, die alle gerade irgendeiner virtuellen Kommunikation nachgehen und über ihren Köpfen das entsprechende Interface abgebildet haben. Das ist vielleicht beim Anschauen hin und wieder anstrengend und ein wenig arg frontal, führt aber dazu, dass man sich durchaus Gedanken darüber macht, wie unpersönlich menschlicher Kontakt heutzutage mitunter ist und wie sehr Kommunikation nicht gesprochen oder unmittelbar erfahren wird, sondern in Datenpaketen durch den virtuellen Raum gesendet wird. Was #Zeitgeist ebenfalls authentisch macht: Die im Film vorkommenden Homepages und sozialen Netzwerke sind echt. Hier wird nicht um den heißen Brei geredet, das Gezeigte ist praktisch nachvollziehbar. Zwar existieren einzelne URLs nicht exakt so, doch Pornostarlet Tori Black gibt’s in der Tat. Und auch das Online-Rollenspiel „Guild Wars“ existiert. Schön, dass man hier nicht den sonst so oft üblichen Fehler begangen hat, die harten Fakten durch irgendwelche Fakes zu ersetzen. Selbst bei der deutschen Übersetzung der eingeblendeten Textmessages hat man versucht, möglichst nahe am Leben zu bleiben und deshalb bewusst Flüchtigkeitsfehler eingebaut. Hier und da fehlt ein Satzzeichen, ist mal ein Buchstabe verdreht oder ein Hauptwort klein geschrieben.

Bild- und Tonqualität

Das Bild im regulären 1,78:1-Format glänzt mit klaren Farben und einem sehr ruhigen Bild. Selbst in dunkleren Szenen ist die Laufruhe extrem hoch und die Kontrastdarstellung liefert jederzeit bestechende Bilder. Die Schärfe in #Zeitgeist präsentiert sich jederzeit ausgewogen und hinterlässt einen sehr plastischen Eindruck. Dass die Grundstimmung eher warm ist, passt sehr gut zum Geschehen. Lediglich heller könnte es durchgängig etwas sein.
Akustisch geht es, typisch für Anbieter Paramount, zweigeteilt zu: Die deutsche Dolby-Digital-Spur ist nur bedingt dynamisch, deutlich weniger offen und vor allem viel leiser. Zwar ist das Original in dts-HD-Master kein Musterbeispiel an Räumlichkeit und Dynamik, doch immerhin wird das Geschehen in #Zeitgeist luftiger und frischer. Der meist extrem sanft eingesetzte Soundtrack bleibt eher frontbezogen und die Stimmen kommen gut vernehmlich aus dem Center.

Bonusmaterial

Im Bonusmaterial von #Zeitgeist finden sich neben einigen entfernten Szenen zwei Featurettes: „Virtuelle Intimität“ offenbart, dass die Schauspieler tatsächlich verstanden haben, worum es im Film geht und welche Gefahren/Probleme die neuen Kommunikationswege bergen. In „Lückenloses Interface“ kommt kommt Gareth Smith zu Wort, der sich um die virtuellen Effekte von #Zeitgeist kümmerte, um den speziellen Look der Darstellung sämtlicher virtueller Kommunikation on Screen.

Fazit

#Zeitgeist ist ein hervorragend gespielter Ensemblefilm, der zwar mit dem Thema moderne Kommunikation spielt und kritische Ansätze zeigt, dann aber ein wenig unentschlossen zwischen Beziehungsproblemen und Coming-of-Age-Drama schwankt. Vielleicht sind die zahlreichen Geschichten am Ende etwas zu viel und überfrachten den Film mit Ballast. Konzentriert man sich jedoch auf die guten Momente, kann man aus Reitmans jüngstem Werk sehr wohl Lehren ziehen und Emotionen mitnehmen.
Timo Wolters


Bewertung

Bildqualität: 80%
Tonqualität (dt. Fassung): 60%
Tonqualität (Originalversion): 65%
Bonusmaterial: 40%
Film: 75%

Anbieter: Paramount Home
Land/Jahr: USA 2014
Regie: Jason Reitman
Darsteller: Ansel Elgort, Adam Sandler, Jennifer Garner, Judy Greer, Kaitlyn Dever, Dean Norris, Dennis Haysbert, J.K. Simmons
Tonformate: dts HD-Master 5.1: de, en
Bildformat: 1,78:1
Laufzeit: 119
Codec: AVC
FSK: 12

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