Blu-ray Review
OT: Pahanhautajo
Personifizierung des Bösen
Wunderschöner Alltag in einer finnischen Familie.
Inhalt
Tinja ist zwölf Jahre alt und fleißige Turnerin. So richtig Spaß macht ihr das Ganze allerdings nicht. Denn eigentlich möchte nicht Tinja so sportlich sein, sondern vor allem ihre Mutter. Die ehemalige Eiskunstläuferin betreibt einen beliebten Blog, in dem sie die heile Welt einer Durchschnittsfamilie, ihrer Familie, porträtiert. Als Tinja eines Nachts das Krächzen einer Krähe hört, die zuvor durch ein Fenster ihres Hauses gedonnert war, folgt sie dem Geräusch bis in den Wald. Dort findet sie ein mysteriöses Ei, das sie mit nach Hause nimmt und zum Brüten unter ein Kissen legt. Als Tinja beim Training etwas nachlässt, lockt ihr Trainer mehr Eifer aus ihr heraus, indem er von einem nahenden Wettbewerb spricht, an dem sie teilnehmen könnte. Derweil ist Tinjas neue Nachbarin Reetta auch beim Gymnastiktraining und erweist sich als sehr talentiert. Das wiederum missfällt Tinjas Mutter, die nun Druck auf ihre Tochter ausübt, bessere Leistungen zu erbringen. Tinja trainiert so hart, dass ihre Hände blutig werden. Als sie am Abend über eine Nachricht der Mutter traurig ist, sucht sie Trost an dem immer noch wachsenden Ei. Es fließen Tränen auf die Schale, die daraufhin plötzlich aufbricht. Heraus kommt ein seltsames Wesen. Ein Wesen, das nicht gerade mit freundlichen Eigenschaften ausgestattet ist …
Das finnische Kino hat prinzipiell eine lange Geschichte, die bis ins Jahr 1907 (Die Schwarzbrenner) zurückreicht, zwischendurch aber durch den finnischen Bürgerkrieg lange Zeit ausgebremst wurde, während im Rest von Europa die goldene Stummfilm-Ära für Furore sorgte. In den 30er bis 50er Jahren holten die Finnen aber wieder auf, bis dann die 60er durch die Popularität des Fernsehens wieder für eine Flaute an finnischen Kinoproduktionen sorgten. Im Laufe der 80er begann das finnische Kino wieder aktiver zu werden – vor allem der exzentrische Film wurde ein Exportschlager. Die Filme der Brüder Aki und Mika Kaurismäki (Leningrad Cowboys go Amerikka, Helsinki Napoli)sorgten hier vor allem für internationale Aufmerksamkeit. Ab den 2000er Jahren drang dann auch mehr und mehr der fantastische Film Finnlands in den Fokus – 2012 beispielsweise mit Timo Vuorensolas Iron Sky. Aber auch im Horrorgenre ging’s bunt zu – nicht selten mit schwarzhumoriger Note, wie in Rare Exports. In sehr guter, weil spannender Erinnerung dürfte vielen auch noch Lake Bodom sein. Noch vor Kurzem hatte das nordeuropäische Kino einen ebenso erwachsenen wie beunruhigenden Film hervorgebracht: The Innocents. Und in eine nicht ganz unähnliche Kerbe schlägt nun auch Hanna Bergholm mit ihrem ersten Langfilm Hatching. Waren es bei den „Unschuldigen“ Kinder, die ihre Superkräfte mit kindlicher Grausamkeit auslebten, ohne dass es einen offensichtlichen familiären Hintergrund dafür gegeben hätte, kommentiert Bergholm wesentlich vordergründiger die toxische Beziehung von Eltern zu ihren Kindern.
Eltern, die ihren Kids die eigenen Ideen überstülpen und die eigenen Ideale einpflanzen, stehen auf der einen Seite, während Tinja als überangepasstes Kind viel zu wenig Recht auf Individualität eingeräumt wird. Durch das aufzwingende Verhalten ihrer Mutter lernt Tinja nicht, Grenzen zu ziehen und diese zu schützen – geschweige denn, auch mal ihre düstere Seite zu zeigen. Die Tatsache, dass die Mutter das Leben der Familie auch noch im Internet inszeniert; dass alles schön, sauber und konfliktfrei ist, übt weiteren Druck auf das heranwachsende Mädchen aus. Um der Außenwelt die heile Familie zu zeigen, muss in Tinjas Heim alles adrett und pedantisch aufgeräumt sein. Die Follower dürfen, ja sollen gerne mit ein wenig Ehrfurcht auf das blicken, was von der Mutter hier als „authentisch“ inszeniert wird. Wie in jedem guten Horrorfilm brodelt es natürlich unter dieser klinisch-sauberen Oberfläche. Die Mutter sucht sich Abwechslung bei einem anderen Mann, der Vater übernimmt nicht mal für den Hauch eines Momentes die Verantwortung und der Sohn kompensiert seine Defizite durch Missgunst und Verrat. Und dann schlüpft da dieser groteske, skelettartige Vogel aus dem Ei, der der Familie die hässliche Fratze entgegenstreckt und als Spiegel dessen dient, was im Hause an Gefühlen und Empfindungen unterdrückt wird.
Bergholm inszeniert ihren Film einerseits mit einem anfänglich noch sarkastischen Unterton, andererseits mit konsequent-überraschender Gnadenlosigkeit – vereint in der Intro-Szene, wenn die Mutter der Krähe den Hals umdreht. Unbequem wird’s aber spätestens, wenn Tinja selbst zur Tat schreiten muss. Hier wirkt vor allem das Fehlen eines Scores und intensiviert das unangenehme Gefühl im Magen.
Dass Hatching nach etwa 25 Minuten noch einmal eine ganz andere Stimmung erzeugt und hinzufügt, gehört zum Besonderen des Films. Die liebevolle Beziehung, die Tinja und die Kreatur gemeinsam entwickeln, wird zärtlich inszeniert und bereitet darauf vor, dass man nachvollziehen kann, welcher Art diese Verbindung in der Folge ist. Die Entscheidung, die Kreatur nicht per CGI, sondern als animatronische Puppe zum Leben zu erwecken, kann bei dem einen oder anderen für kurze Verwunderung oder sogar Belustigung sorgen, doch im Zusammenspiel mit Tinja und ihren Gefühlen hätte ein computergeneriertes Wesen wie ein Fremdkörper gewirkt. Die Beziehung zwischen Tinja und Allie (wie das Mädchen die Kreatur nennt) dient als Allegorie auf das Familienleben und die Umstände, unter denen Tinja groß wurde. Themen wie Liebe, Einsamkeit, Ekel und Fürsorge werden aufgenommen. Aber eben auch das unterdrückte Böse, das Tinja nie rauslassen konnte; das sie immer unterdrücken musste, um ihrer Mutter zu gefallen. Das Finale darf man dann sogar als konsequenten Coming-of-Age-Moment bezeichnen. Optisch hat das schon mal Züge einer Groteske und schaut auch mal im Surrealen vorbei – Anleihen beim Body Horror sind ebenfalls unübersehbar. Darstellerisch überzeugt Hatching in Gestalt der jungen Siiri Solalinna. Die Hauptdarstellerin schafft es gut, die demütigen Momente ihrer Mutter gegenüber mit einer gewissen Sanftheit zu spielen, während sie bereits latente Aggressivität vermittelt, nachdem sie nicht mit ihren Freundinnen losziehen konnte. Auch die sanftmütigen und gütigen Momente gegenüber dem geschlüpften Wesen bringt sie überzeugend rüber. Einzig die Rolle des Bruders Matias nervt kolossal – sowohl in den teils unangemessenen Dialogen als auch im Verhalten des Jungen. Was dem erfreulich kurzen und zielstrebigen Film am Ende etwas fehlt, ist die Spannung in den entscheidenden Szenen. Auch das zwischenzeitliche Intermezzo beim neuen Freund der Mutter hätte man noch konsequenter mit in das Gefühlsleben Tinjas einflechten können. Dennoch ein sehenswerter, weil erfrischend bebilderter Gruseltrip nach Finnland.
Bild- und Tonqualität
Hatching wurde mit der ARRI Alexa Mini volldigital aufgenommen – mit einer Auflösung von 3.2K. Das führt zu einer sehr glatten, rauscharmen Vorstellung, die hier und da schon mal etwas flach erscheint. Vor allem bei Close-ups des einen oder anderen Gesichts. Auffallend ist, dass der Film nicht mit Vollbildern, sondern in 1080i/50, also mit Halbbildern abgelegt wurde. Je nachdem, wer das De-Interlacing übernimmt (Player oder TV), kann man schon mal leichte Unruhen an diagonalen Objektverläufen während der Kameraschwenks ausmachen – bspw. am Rand von Vaters Brille, dem Schilf im Garten oder den Schindeln am Dach des Elternhauses. Die 1080i/50 sind übrigens auch dafür verantwortlich, dass der Film „nur“ 87 Minuten läuft und nicht (wie bei 24 Vollbildern) 91 Minuten, was der „offiziellen“ Kinofilmlänge entspricht. Auf Rückfrage kam heraus, dass man Hatching tatsächlich mit 25 Bildern produziert hat. Die Blu-ray spiegelt das also nativ wider. Zu Beginn sind Farben fast pastellartig und eher blass gehalten. Eher blass sind auch die Schwarzwerte, die nie absolut satt sind. Gerade die nächtliche Szene im Wald hätte etwas mehr Punch vertragen. Die Sequenzen in der Turnhalle sind kontrastreicher und kräftiger – auch wenn hier vornehmlich die braune Vertäfelung dominiert. Farben sind allerdings durchweg relativ warm gehalten, was vor allem in den Innenraumszenen zur Geltung kommt.
Die mit dem Handy aufgenommenen Szenen für den Video-Blog fallen qualitativ bewusst zurück, wirken gröber aufgelöst. Leider gesellen sich später auch noch mal schwere Banding-Probleme hinzu, was in der Szene leider sehr auffällig ist (28’47). The Hatching kommt mit DTS-HD-Master-Spuren fürs Deutsche und den Originalton in Finnisch. Die beiden Tonfassungen könnten allerdings etwas mehr Pfund haben und ein bisschen dynamischer agieren. Zudem sind nicht alle Soundeffekte harmonisch vertont. Während die Krähe zu Beginn sehr eindrucksvoll über sämtliche Speaker fliegt und krächzt, umkreist das Geflatter und Geschnatter den Zuschauer. Schade hingegen, dass die dynamischeren Sounds wie das Herabfallen des Kronleuchters dagegen arg dünn vertont wurden. Effektiv und gruselig gestaltet sich wiederum der Score, wenn das Wesen aus dem Ei schlüpft. Die Rearspeaker werden atmosphärisch einbezogen und das klackernde Geräusch der Kreatur sorgt für leichte Schauer auf dem Rücken. Auch die Jumpscares werden angemessen unterstützt – hier wird es dann auch schon mal etwas dynamischer. Allerdings fehlen ohnehin echte Actionszenen für entsprechende Dynamiksprünge. Sobald die Kreatur sich physisch weiterentwickelt, kommen auch hochfrequente Schreie hinzu, die vom Tonsektor passend und durchaus bewusst unangenehm wiedergegeben werden.
Bonusmaterial
Leider findet sich im Bonusmaterial von The Hatching lediglich ein Trailer zum Film sowie Programmtipps des Anbieters. Gerade ein Featurette über die animatronische Realisierung des Vogelwesens wäre wirklich spannend gewesen.
Fazit
The Hatching ist überraschend konsequent in seiner Erzählung und visuell recht einzigartig. Finnisches Flair weht hier durchaus durch den Film und wird vor allem bei Genrefreunden mit Sinn fürs Über-den-Tellerrand-schauen Freude erzeugen. Die Kürze des Films ist am Ende aber auch ein wenig sein Stolperstein. Denn man hätte die zahlreichen angerissenen Themen durchaus noch etwas vertiefen können. Das Bild leidet etwas unter seiner 1080i/50-Herkunft und damit verbundenen De-Interlacing-Schwierigkeiten sowie ein paar Momenten unschöner Artefakte. Der Ton hätte insgesamt dynamischer sein dürfen.
Timo Wolters
Bewertung
Bildqualität: 60%
Tonqualität (dt. Fassung): 65%
Tonqualität (Originalversion): 65%
Bonusmaterial: 10%
Film: 70%
Anbieter: Capelight Pictures
Land/Jahr: Finnland 2020
Regie: Hanna Bergholm
Darsteller: Siiri Solalinna, Sophia Heikkilä, Jani Volanen, Reino Nordin, Ida Määtännen
Tonformate: dts HD-Master 5.1: de, fi
Untertitel: de
Bildformat: 1,85:1
Laufzeit: 87 (da 1080i/50)
Codec: AVC
FSK: 16
(Copyright der Cover und Szenenbilder liegt bei Anbieter Capelight Pictures)
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Trailer zu Hatching
So testet Blu-ray-rezensionen.net
Die Grundlage für die Bild- und Tonbewertung von Blu-rays und Ultra-HD-Blu-rays bildet sich aus der jahrelangen Expertise im Bereich von Rezensionen zu DVDs, Blu-rays und Ultra-HD-Blu-rays sowie Tests im Bereich der Hardware von Unterhaltungselektronik-Komponenten. Gut zehn Jahre lang beschäftigte ich mich professionell mit den technischen Aspekten von Heimkino-Projektoren, Blu-ray-Playern und TVs als Redakteur für die Magazine HEIMKINO, HIFI TEST TV VIDEO, PLAYER oder BLU-RAY-WELT. Während dieser Zeit partizipierte ich an Lehrgängen zum Thema professioneller Bildkalibrierung mit Color Facts und erlangte ein Zertifikat in ISF-Kalibrierung. Wer mehr über meinen Werdegang lesen möchte, kann dies hier tun —> Klick.
Die technische Expertise ist aber lediglich eine Seite der Medaille. Um stets auf der Basis von aktuellem technischen Wiedergabegerät zu bleiben, wird das Testequipment regelmäßig auf dem aktuellen Stand gehalten – sowohl in puncto Hardware (also der Neuanschaffung von TV-Displays, Playern oder ähnlichem, wenn es der technische Fortschritt verlangt) als auch in puncto Firmware-Updates. Dazu werden die Tests stets im komplett verdunkelbaren, dedizierten Heimkino angefertigt. Den Aufbau des Heimkinos könnt ihr hier nachlesen —> Klick.
Dort findet ihr auch das aktuelle Referenz-Gerät für die Bewertung der Tonqualität, das aus folgenden Geräten besteht:
- Mainspeaker: 2 x Canton Reference 5.2 DC
- Center: Canton Vento 858.2
- Surroundspeaker: 2 x Canton Vento 890.2 DC
- Subwoofer: 2 x Canton Sub 12 R
- Heights: 4 x Canton Plus X.3
- AV-Receiver: Denon AVR-X4500H
- AV-Receiver: Pioneer SC-LX59
- Mini-DSP 2x4HD Boxed
Das Referenz-Equipment fürs Bild findet ihr wiederum hier aufgelistet. Dort steht auch, wie die Bildgeräte auf Norm kalibriert wurden. Denn selbstverständlich finden die Bildbewertungen ausschließlich mit möglichst perfekt kalibriertem Gerät statt, um den Eindruck nicht durch falsche Farbtemperaturen, -intensitäten oder irrigerweise aktivierten Bild“verbesserern“ zu verfälschen.
Sehr interessant gemacht und durchaus etwas fürs köpfchen.
Anfangs dachte ich an die Mutter das sie als Rabenmutter dargestellt werden soll, aber es baute sich immer weiter auf. Wirklich toll wenn man sich selber fragen muss was gemeint ist und seine eigene phantasie spielen lassen kann. Sollte man sich zumindest einmal ansehen
Wer hat es eigentlich verbockt mit den 25 Bildern/Sekunde? Capelight?
Offenbar wurde der Film mit 25 Bildern produziert. Capelight hat also nativ veröffentlicht.