Blu-ray Review
OT: Retfærdighedens ryttere
Zufälle? Gibt’s nicht!
Pechschwarze Komödie aus Dänemark – ein Highlight!
Inhalt
Bier und seine Ruhe. Oder auch mal seine Ruhe und Bier – viel mehr ist es doch gar nicht, wonach sich Markus sehnt. Der frisch aus einem Kriegseinsatz zurück gekehrte Soldat hat doch schon genug damit zu tun, dass seine Frau Emma starb, während er in Afghanistan war. Zumal die Trauerarbeit schon alleine deshalb nicht wirklich geleistet werden kann, weil da noch die jugendliche Tochter Mathilde ist, um die sich Markus nun kümmern muss. Doch mit Bier und Ruhe (oder Ruhe und Bier) ist es nun vorbei. Denn plötzlich stehen da Otto, Lennart und Emmenthaler vor seiner Tür. Otto ist Mathematiker und hält nichts von Zufällen. Und Otto war in derselben S-Bahn wie Markus‘ Frau, als diese durch einen angeblichen „Unfall“ verunglückte. Dass unter den elf Opfern dieses Ereignisses aber nicht nur Emma, sondern auch ein gewisser Rocker war, gibt Otto zu denken. Immerhin wollte just dieser Biker in Kürze vor Gericht gegen den Chef einer anderen Rockergang aussagen. Und da Otto um das Schicksal der jungen (und nun mutterlosen) Mathilde weiß, ist es dann auch kein Zufall, dass er vor Markus‘ Tür steht. Denn an Zufälle, das haben wir gelernt, glaubt Otto nicht. Und während die Polizei seinen Vermutungen – sorry: Berechnungen keinen Glauben schenkt, hofft Otto, dass Markus offenere Ohren hat. Und Markus hat …
Wer sich als Leser dieses Blogs schon mal bei meinen zehn Favoriten herumgetrieben hat, der weiß, dass da ein gewisser Film nicht drin steht. Oder auch nicht, denn er weiß ja nicht, was er nicht wissen kann – aber lassen wir die Sprach- und Gedankenakrobatik mal beiseite. Der Film, von dem die Rede ist, hat sich vorab wacker mit einigen Vertretern der Top Ten geschlagen. Es fiel mir am Ende schwer, ihn nicht doch noch mit reingenommen zu haben. Die Rede ist von Adams Äpfel. Die pechschwarze Komödie von Anders Thomas Jensen gehört zu den von mir am häufigsten geschauten Filmen. Und jedes Mal kann ich mich von vorne über die skurrile Truppe aus herzensgutem Pfarrer, Nazi, Kleptomane und arabischstämmigem Tankstellenräuber amüsieren. Wer ihn noch nicht gesehen hat: Nachholen! Jensen ist derweil nicht gerade das, was man einen Vielfilmer nennen kann. Seit dem 2005er Adams Äpfel hat er mit Men & Chicken gerade mal einen weiteren Film gedreht. Aber er ist keineswegs untätig und als Drehbuchschreiber sehr gefragt. Wer hätte ihn zum Beispiel als (Co-)Autor von Der dunkle Turm, Susanne Biers RomCom Love is all You Need mit Pierce Brosnan oder dem Tatsachenfilm 398 Tage vermutet, der die Geschichte des dänischen Fotografen Daniel Rye erzählt, welcher 2013 für eben diese 398 von ISIS in Syrien als Geisel gehalten wurde? Zweifelsohne ist Jensen einer, der sich in vielen Genres wohlzufühlen scheint.
Wenn er aber Regie führt, zieht es ihn doch immer wieder zur schwarzen bis pechschwarzen Komödie. Dann ist ihm nichts mehr heilig. Weder die Kirche, noch Nazi-Stereotypen oder Vorurteile gegenüber Ausländern – Jensen hält alles und jedem gekonnt und ultrakomisch den Spiegel vor. Schonungslos. Offen. Sarkastisch.
In Helden der Wahrscheinlichkeit besetzt er erneut seinen Lieblings-Protagonisten Mads Mikkelsen als Hauptfigur und macht sich schon direkt zu Beginn einen Spaß daraus, in reinster Hitchcock-Manier Andeutungen zu streuen, welche Wahrscheinlichkeit bereits dahinter steckt, dass man ausgerechnet Mathildes Fahrrad geklaut hat – frei nach Ottos kurz darauf formuliertem Grundsatz, dass alle Ereignisse das Ergebnis einer Reihe von vorangegangenen Begebenheiten sind. Hätte man ihr Fahrrad nicht geklaut, hätte Otto nicht seinen Sitz in der U-Bahn freigemacht – hätte, hätte, hätte …
Dass die Geschichte dieses Mal mit einem ziemlich drastischen Ereignis startet, hätte man von Jensen zunächst vielleicht gar nicht vermutet, aber es ist schon alleine deshalb stimmig, weil dadurch die Bindung an die Figuren entsprechend groß und das Motiv für die Racheaktion umso deutlicher und verständlicher wird. Helden der Wahrscheinlichkeit ist dabei (zunächst) nicht so offensiv witzig wie Adams Äpfel. Was nicht schlimm ist. Denn die unterliegende Dramatik von Schuld, Verlust und Entfremdung darf ihren Raum bekommen. Und Mikkelsen wäre nicht ein so fantastischer Schauspieler, wenn er den schroffen Kriegsheimkehrer, der sich keinen Kehricht um die eigene Trauer kümmern möchte und seiner Tochter dabei ebenfalls kaum eine Hilfe ist, nicht hervorragend darstellen könnte. Die junge Andrea Heick Gadeberg (ebenfals aus 398 Tage) bietet Mikkelsen gekonnt die Stirn und man möchte sie mehr als nur einmal in den Arm nehmen und ihr Trost spenden. Unglaublich, was es ausmachen kann, wenn Darsteller und die Chemie zwischen ihnen stimmen. Was das Drehbuch von Jensen so stark macht, ist die Tatsache, dass er wirklich hervorragend beobachtet und beschreibt, wie Markus nach bestem Wissen und Können für Mathilde da sein möchte. Das ist näher am Leben als man es vielleicht wahrhaben möchte, wenn er nach einer bestimmten Aktion zu ihr sagt: „Ich mach’s so gut ich kann“. In so einem Moment glaubt man Mikkelsen jede Silbe in den sechs Wörtern.
Witz entsteht zunächst hauptsächlich durch das Trio aus Otto (mit Bart kaum wiederzuerkennen: Nikolaj Lie Kaas aus den Jussi-Adler-Olsen-Verfilmungen), Lennart und Emmenthaler. Besonders Lennarts furztrockener Humor sorgt für zahlreiche Lacher, die gerade in der Dramatik zu Beginn für etwas Auflockerung sorgen. Und seine Streitigkeiten mit Emmenthaler könnten dereinst ziemlich kultig werden. Sensationell spielen tun sie alle. Schon erstaunlich, wie viel schauspielerisches Potenzial ein so kleines Land wie Dänemark bietet. Jeder der fünf Hauptakteure würde amerikanische Kollegen locker in den Schatten stellen.
Und dann, wenn man kurz mal nicht hinschaut, schlägt Helden der Wahrscheinlichkeit zu. Mit einer Konsequenz, bei der einem das Lachen im Hals stecken bleiben kann, zeigt Mikkelsen, dass er auch ganz anders kann – quasi die absolute Gegenposition zum Pfarrer aus Adams Äpfel. Wenn die Situation dann im Hause von Markus und Mathilde zu eskalieren beginnt, zeigt sich, wie schwarz und makaber Jensens Humor werden kann. Für Feingeister ist das nichts, so viel ist klar. Umso erstaunlicher, dass in all diesem Wust aus Verlust, Schuld und Rache genug Zeit bleibt, um allen Charakteren Hintergründe zu liefern; um auch einem Emmenthaler und seinen impulsiven Wutausbrüchen eine Erklärung an die Hand zu geben. Alle vier sind sie Figuren, die am Rande der Gesellschaft stehen. Kerle, die in ihrer Art seltsam, ihren Erlebnissen geschunden oder ihrer Intelligenz so überlegen sind, dass sie ohnehin keiner versteht. Das Herz, das Jensen für Randgruppen und Außenseiter hat, ist offenbar wirklich groß. Und zu keiner Zeit führt Helden der Wahrscheinlichkeit seine Figuren vor oder gibt sie der Lächerlichkeit preis. In all ihren verschrobenen Eigenschaften nimmt der Film sie ernst und ist emotional bei ihnen. Der Mix aus Drama und rabenschwarzem Humor bekommt nach 90 Minuten noch einmal eine folgenschwere Wendung, die für Markus als Katharsis dient und beim Zuschauer für aufklappende Kiefer sorgen wird. Vielleicht fehlt gegenüber Adams Äpfel ein wenig die Leichtigkeit, aber dafür werden schwere Themen sehr wahrhaftig und berührend behandelt.
Bild- und Tonqualität
Helden der Wahrscheinlichkeit ist sichtbar digital gefilmt und in aller Regel von überzeugender Laufruhe. Digitales Rauschen gibt’s während der besser ausgeleuchteten Szenen nur sehr selten. Lediglich in sehr dunklen Momenten wuselt es ein bisschen. Die Kontraste sind dann auch ein bisschen harsch und Gesichtsfarben werden dann etwas sehr rosig. Natürlich geht anders. Außerdem sieht man Rauschen in manchen Totalen (Wald bei 71’20). Bei hellerer Ausleuchtung bleiben Farben sehr natürlich und die Schärfe in Close-ups ist wirklich gut. Auch die Kontrastierung gefällt in den gut ausgeleuchteten Momenten. Schwarzwerte sind meist knackig und Überstrahlungen gibt’s keine. Leider gibt es allerdings einige Unschärfen in Halbtotalen – sicherlich auch kamera-/aufnahmebedingt. Insgesamt ein eher gemischter Eindruck, den das Bild hier hinterlässt.
Beim Ton von Helden der Wahrscheinlichkeit gibt’s verlustfreies DTS HD-Master fürs Deutsche und Dänische. Räumlich wird’s direkt zu Beginn, wenn die Szenerie in das Kriegsgebiet wechselt und man Hubschrauber überall hört. Doch dabei bleibt’s nicht alleine. Wenn nach etwas über acht Minuten der Unfall passiert, wird das überraschend druckvoll und sehr räumlich ins Heimkino transportiert. Für eine schwarze Komödie europäischer Produktion ist das schon beachtlich. So viel Dynamik und Anlass für entsprechende Tonattacken hätte man dem Film gar nicht zugetraut. Die Synchro ist zudem hervorragend – nicht nur qualitativ, sondern auch akustisch. Stimmen sind klar und deutlich und wenn’s ruckartig actionreich wird, fetzt das richtig gut (ab 62’00 und 73’00).
Bonusmaterial
Im Bonusmaterial von Helden der Wahrscheinlichkeit finden sich neben den Trailern noch ein Making-of und ein Interview mit Jensen und Otto-Darsteller Nikolaj Lie Kaas. Der Aufsager zum Kinostart lässt Jensen und Kaas dann in gebrochenem Deutsch eine Kino-Ankündigung machen. Witzig, wie sie sich bei „Wahrscheinlichkeit“ die Zungen brechen. Sicherlich auch nicht gerade die leichteste aller deutschen Vokabeln. Das Making-of läuft gerade mal vier Minuten und ist mit deutschem Voiceover eher als längerer Trailer zu sehen, denn als wirklich aufschlussreiches Featurette. Hier wären ein paar Interviews oder ein echtes Hintergrund-Featurette durchaus interessanter gewesen.
Fazit
Helden der Wahrscheinlichkeit ist mehr Drama als Komödie, mehr Außenseiterfilm als Rache-Actioner. Dass das trotzdem so gut funktioniert, liegt am glänzend aufgelegten Ensemble, einem tollen Drehbuch und Jensens Gespür für die Wahrhaftigkeiten von skurrilen Typen. Unbedingt empfehlenswert, wenn man skandinavisches Kino mag. Während das Bild dazu leider etwas hinter den Möglichkeiten zurückbleibt, schafft der Ton eine überraschend dynamische Stimmung.
Timo Wolters
Bewertung
Bildqualität: 70%
Tonqualität (dt. Fassung): 85%
Tonqualität (Originalversion): 85%
Bonusmaterial: 40%
Film: 90%
Anbieter: Splendid Film
Land/Jahr: DK 2020
Regie: Anders Thomas Jensen
Darsteller: Mads Mikkelsen, Nikolaj Lie Kaas, Nicolas Bro, Lars Brygmann, Gustav Lindh, Andrea Heick Gadeberg
Tonformate: dts HD-Master 5.1: de, sw
Bildformat: 2,39:1
Laufzeit: 116
Codec: AVC
FSK: 16
(Copyright der Cover und Szenenbilder liegt bei Anbieter Splendid Film)
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Trailer zu Helden der Wahrscheinlichkeit
So testet Blu-ray-rezensionen.net
Die Grundlage für die Bild- und Tonbewertung von Blu-rays und Ultra-HD-Blu-rays bildet sich aus der jahrelangen Expertise im Bereich von Rezensionen zu DVDs, Blu-rays und Ultra-HD-Blu-rays sowie Tests im Bereich der Hardware von Unterhaltungselektronik-Komponenten. Gut zehn Jahre lang beschäftigte ich mich professionell mit den technischen Aspekten von Heimkino-Projektoren, Blu-ray-Playern und TVs als Redakteur für die Magazine HEIMKINO, HIFI TEST TV VIDEO, PLAYER oder BLU-RAY-WELT. Während dieser Zeit partizipierte ich an Lehrgängen zum Thema professioneller Bildkalibrierung mit Color Facts und erlangte ein Zertifikat in ISF-Kalibrierung. Wer mehr über meinen Werdegang lesen möchte, kann dies hier tun —> Klick.
Die technische Expertise ist aber lediglich eine Seite der Medaille. Um stets auf der Basis von aktuellem technischen Wiedergabegerät zu bleiben, wird das Testequipment regelmäßig auf dem aktuellen Stand gehalten – sowohl in puncto Hardware (also der Neuanschaffung von TV-Displays, Playern oder ähnlichem, wenn es der technische Fortschritt verlangt) als auch in puncto Firmware-Updates. Dazu werden die Tests stets im komplett verdunkelbaren, dedizierten Heimkino angefertigt. Den Aufbau des Heimkinos könnt ihr hier nachlesen —> Klick.
Dort findet ihr auch das aktuelle Referenz-Gerät für die Bewertung der Tonqualität, das aus folgenden Geräten besteht:
- Mainspeaker: 2 x Canton Reference 5.2 DC
- Center: Canton Vento 858.2
- Surroundspeaker: 2 x Canton Vento 890.2 DC
- Subwoofer: 2 x Canton Sub 12 R
- Heights: 4 x Canton Plus X.3
- AV-Receiver: Denon AVR-X4500H
- AV-Receiver: Pioneer SC-LX59
- Mini-DSP 2x4HD Boxed
Das Referenz-Equipment fürs Bild findet ihr wiederum hier aufgelistet. Dort steht auch, wie die Bildgeräte auf Norm kalibriert wurden. Denn selbstverständlich finden die Bildbewertungen ausschließlich mit möglichst perfekt kalibriertem Gerät statt, um den Eindruck nicht durch falsche Farbtemperaturen, -intensitäten oder irrigerweise aktivierten Bild“verbesserern“ zu verfälschen.
Tolle Review und ein wirklich toller Film. Vielen Dank für die Empfehlung.
Schauspielerisch ein absolutes Highlight mit einer passenden Umsetzung, sowohl im Bild als auch im Ton.
Angenehm skandinavisch-schräg, aber eben ist erster Linie sehr einfühlsam. Habe mir einige Tränen verdrückt angesichts der „Leichtigkeit“ wie hier schwere Themen buchstäblich verarbeitet werden. Mehr als nur eine Perle.
Ich wurde richtig gut unterhalten. Immer wieder dieser trockene humor waren echte highlights im gesamten film. Wie du geschrieben hast ist der ton richtig gut. Als die schüsse beginnen stand ich erst mal im sessel und grinste über beide ohren. Erstaunlich blutig ist der film auch noch geworden. Wieder einmal danke für diese perle
Sehr gerne 🙂