Hereditary – Das Vermächtnis

Blu-ray Review

hereditary - das vermächtnis blu-ray review cover
Splendid Film, 26.10.2018

OT: Hereditary

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König der Hölle

Einer der ungewöhnlichsten Horrorfilme der letzten Jahre erwartet uns.

Inhalt

hereditary - das vermächtnis blu-ray review szene 1
Charlie legt durchaus merkwürdige Verhaltensweisen an den Tag

Abseits der großen Städte wohnt die Familie Graham ziemlich abgeschieden in einem Holzhaus am Waldrand. Soeben ist Großmutter Ellen gestorben. Zurück bleiben Tochter Annie, Schwiegersohn Steve und die beiden Enkel Peter und Charlie. Annie empfand ihre Mutter stets als verschlossen und fürchtet, ihr auf der Grabrede nicht gerecht zu werden. Sollte sie stärker trauern?
Trost und Ablenkung findet sie in ihrer Arbeit, dem Erschaffen von Miniaturmodellen. In etwas über sechs Monaten will sie mit diesen eine Ausstellung unter dem Titel „Small World“ eröffnen. Doch dann mehren sich plötzlich seltsame Geschehnisse. Annie und Tochter Charlie sehen Ellen als Geistererscheinung. Annie beginnt zu schlafwandeln. Und dann passiert das Unfassbare …

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Annie macht eine schreckliche Entdeckung

Nach wie vor ist es erstaunlich, wie erfolgreich das Horrorgenre in den letzten Jahren vor allem auch im Kino war. Gerade weil es immer wieder Geschichten gab, die sich abseits vom Klischee-Grusel à la Haunted House/Mockumentary/Torture oder Found Footage bewegten.
So war es bei Get Out oder auch vor einigen Monaten beim genialen A Quiet Place. Mit Hereditary gesellt sich nun ein weiterer Kandidat hinzu, der mit ungewöhnlicher Story und noch ungewöhnlicherer Optik punktet. Das Kinofilmdebüt vom bisherigen Kurzfilm-Regisseur Ari Aster begeisterte nicht nur die Kritiker, sondern lief auch schon erfolgreich auf dem Sundance- und auf dem South-by-Southwest-Festival.
Wie ungewöhnlich Hereditary ist, zeigt er schon zu Beginn: Da wird eine Todesanzeige eingeblendet, die genauso auch in einer Zeitschrift abgedruckt hätte erscheinen können. Keine großen Bilder von der verstorbenen Mutter Ellen, sondern vollendete Tatsachen. Das Bild der Anzeige wird untermalt von einem langsam anschwellenden Gruselgeräusch, das bei der Einblendung der ersten Realszene schlagartig abgelöst wird. Dumpfe Geräusch dringen ans Ohr, während man die Miniatur-Modell-Werkstatt von Annie gezeigt bekommt. Dunkel klingende Streichinstrumente setzen ein, ein rhythmisches Klacken und die Kamera taucht in eins der Miniaturzimmer eines der maßstabsgerechten Häuser ein. Scheinbar unmerklich wird der kleine Raum zur Realität. Steve tritt in dieses Zimmer und weckt seinen Sohn Peter.

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Peter gibt sich die Schuld

Man merkt schon in dieser ersten Sequenz, dass Hereditary auf verschiedenen Ebenen spielt. Dass er diese Miniaturwelt nicht nur als Objekt schildert, sondern als Inhalt. Oft wirkt es, als fühle sich Annie ebenso statisch und unbeweglich wie die Puppen, die sie für die kleinen Räume anfertigt. Und weil die Kamera-Optiken geschickt genutzt werden, verschwimmen die Grenzen immer wieder auf erstaunliche Weise. Dabei geht es dem Film merklich um die Psychologie der Figuren, nicht um vordergründige Schockeffekte. Wenn Jumpscares genutzt werden, sind diese wirkungsvoll platziert und dienen der Story. Einer Story, die als schauriges Familiendrama beginnt und dann immer rätselhafter, mystischer wird. Nach gut 20 Minuten hat man das Gefühl, man ahnt, wohin die Reise geht, wenn Annie in einer Selbsthilfe-Gruppe ihr Leid klagt. Doch Hereditary überrascht immer wieder. Und das auf so intensiv-ungewöhnliche oder auch schockierende (33’35) Weise, dass auch nur bloße Andeutungen zu viel vorweg nehmen würden – es fällt entsprechend schwer, eine inhaltliche Analyse des Films zu schreiben, ohne massive Spoiler einzubauen.
Wenn man sich die Spannung also erhalten will, dann sollte man nicht allzu viel bohren oder nach Antworten suchen. Vielmehr sollte man sich auf die Fragen einlassen.

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Die Familie droht auseinander zu brechen

Auf Fragen wie: Was hat es letztlich mit den Miniaturen auf sich? Was mit den Krankheiten innerhalb der Familie? Warum verhält sich Charlie so bizarr? Und warum macht sie andauernd dieses Klack-Geräusch mit der Zunge? Was bewirken Schmerz und Trauer? Was macht aufgestaute Wut mit einem und zu was kann ein derart tiefes Trauma führen, wie es die ganze Familie Graham erlebt? Warum wollte Annie nie, dass ihre Mutter Ellen zu nahe an Peter herankommt?
Die Antworten auf diese Fragen muss man sich selbst zusammen sammeln. Der Film gibt sie (weitgehend) nicht und entlässt mit durchaus verstörenden Bildern.
Verstörend ist auch die Leistung Collettes, die die Trauer, den Schmerz, die Qual und Aggression ihrer Figur dermaßen aus sich herauspowert, dass man als Zuschauer nicht nur mit dem Charakter der Annie, sondern auch mit Collette mitzuleiden beginnt.
Leiden ist übrigens ein gutes Stichwort. Denn mit Einstellungen, die manchmal so lang und ausdauernd quälend sind, dass man sich den Szenenwechsel herbeisehnt, weil man sich selbst so verwundet und verletzt fühlt, muss auch der Zuschauer Leidensfähigkeit mitbringen.
Und dann ist da noch dieser Score. Diese häufig unterschwelligen Kompositionen aus bohrenden, dröhnenden oder quietschenden Geräuschen, die manchmal wirken wie ein pulsierender Herzschlag, manchmal wie ein enervierendes Industrie-Geräusch. In Verbindung mit den teils schockierenden und oft immens intensiv-schmerzhaften Bildern wird Hereditary zu einem derart heftigen Erlebnis, wie zuletzt Aronofskys mother!

Bild- und Tonqualität

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Was geschieht nur mit Peter?

Was bei Hereditary sofort auffällt, ist sein ungewöhnliches Bildformat von 2,00:1. Das passt aber sehr gut zum Inhalt, denn es sorgt ebenfalls für ein besonderes Flair und stellt etwas mehr Intimität her als ein Cinemascope-Format. Die Farben sind größtenteils warm gehalten. Gerade in Innenräumen dominieren Brauntöne. Ab und an sieht man auf schwarzen Inhalten allerdings auch eine leichte Grün-Tendenz. Die Schärfe in Close-ups stellt sowohl Toni Collettes als auch bspw. das Gesicht der verstorbenen Oma mit fantastischer Detaillierung dar. Die Bildruhe ist meist sehr gut. Allerdings zeigen sich in schwierigen Mustern leichte Artefakte (Schiefer-Dach 6’16). Während der ruhigen Einstellungen in Innenräumen sind solche Probleme allerdings kein Thema.
Beim Sound von Hereditary fällt direkt zu Beginn die Präsenz der Filmmusik auf. Von den sägenden Geräuschen über das sonore Brummen erzeugen die Speaker jederzeit eine packende Atmosphäre. Dazu werden die Surrounds während der Naturgeräusche und sogar bei der Stimmwiedergabe mit einbezogen, wenn eine der Figuren hinter der Kamera positioniert ist und dort spricht. Da Schockeffekte nur spärlich gesät sind, gibt es kein Dauerfeuer in Sachen direktionaler Sounds. Allerdings sind die Klackgeräusche, die man nach etwas über 90 Minuten räumlich verteilt hat, ziemlich schaurig (97’30) und auch das Feuer entfacht wuchtig. Dialoge sind zudem ohne Fehl und Tadel.

Bonusmaterial

Im Bonusmaterial von Hereditary wurde ein Making-of of sowie ein Bereich mit „gelöschten“ Szenen abgelegt. Letztere liefern rund 17 Minuten an entfernten Seqmenten, die weitgehend gruselfrei daherkommen und den Fokus auf Sohnemann Peter legen. Das Making-of läuft exakt 20 Minuten und schildert zu einigen der Szenen die entsprechende Erklärung. Außerdem kommen die Darsteller und Ari Aster zu Wort. Sie schildern, worum es ihrer Meinung nach im Film geht. Aster stellt fest, dass es vor allem ein Familiendrama ist, der die Grenze zum Horrorfilm überschreitet. Besonders witzig ist es, wenn Toni Collette erzählt, dass sie eigentlich keine schweren und intensiven Filme, sondern vielmehr leichtfüßige und witzige Sachen machen wollte. Sie hasste ihren Agenten dafür, dass er ihr dieses („leider“ geniale) Drehbuch zukommen ließ – mit einer eben ziemlich intensiven Rolle.

Fazit

Hereditary gehört zu den besten Psycho-Horror-Thrillern nicht nur der letzten Jahre, sondern überhaupt. Was Langfilm-Debütant hier bisweilen an Überraschungen und Verknüpfungen parat hält, ist ebenso faszinierend wie manchmal brutalst schockierend. Ein Film, bei dem es schwer fällt, lobende Worte zu finden, ohne zu viel zu verraten. Ein Film, der zwar nichts für Horror-Mainstream-Gucker ist, aber jeden absolut überzeugen wird, der sich gerne auch mal abseits gängiger Genre-Klischees aufhält. Und vor allem für all jene, die nach dem Abspann noch weiter rätseln wollen.
Timo Wolters


Bewertung

Bildqualität: 85%
Tonqualität (dt. Fassung): 80%
Tonqualität (Originalversion): 80%
Bonusmaterial: 30%
Film: 90%

Anbieter: Splendid Film
Land/Jahr: USA 2018
Regie: Ari Aster
Darsteller: Toni Collette, Gabriel Byrne, Alex Wolff, Milly Shapiro, Ann Dowd
Tonformate: dts HD-Master 5.1: de, en
Bildformat: 2,00:1
Laufzeit: 127
Codec: AVC
FSK: 16

(Copyright der Cover und Szenenbilder liegt bei Anbieter Splendid Film)

Trailer zu Hereditary

Hereditary - Das Vermächtnis - Trailer Toni Collette Deutsch HD - Ab 14.06.2018 im Kino!

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3 Kommentare
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dc_coder_84

Schon komisch. Der Film hat grandiose Kritiken bekommen, aber ich bin überhaupt nicht mit ihm warm geworden. Warum weiß ich auch nicht… Konnt mit „The Visit“ oder „It Follows“ deutlich mehr anfangen.

Simon2

Wirklich grandios!!

Ich wusste absichtlich fast nichts über den Film im Vorfeld (keine Trailer, Reviews, …gesehen) und er hat mich echt umgehauen.
Sehr ruhig und intensiv.
Hat mich an Killing of a sacred Deer, It Follows, Babadook und ein wenig The Witch erinnert.
Lediglich der Ton hat mich ein wenig enttäuscht. Klar, der Film braucht kein Effektfeuerwerk, aber in Sachen Surround/Atmo (3D-Sound? :-O :-O ) wäre noch mehr drin gewesen und hätte den Film auch noch nach vorne gebracht.

Wird noch öfter gesehen!

PatrickB

Das war tatsächlich der beste Horror-Film bislang… zumindest für mich!