Höhere Gewalt

Blu-ray Review

Höhere Gewalt Blu-ray Review Cover
Alamode/AL!VE, seit 24.04.2015

OT: Turist

 


Fünf Tage

Was, wenn eine Beinahe-Katastrophe eine Familie zu trennen droht?

Inhalt

Endlich mal wieder Urlaub: Tomas und seine Frau Ebba sowie die Kids Harry und Vera sind für eine Woche in die Alpen gefahren, um gemeinsam Skiferien zu machen. Während sie am ersten Tag gemeinsam die wunderbaren Pisten unsicher machen, sitzen sie am zweiten Tag gerade beim Lunch, als eine vermeintlich kontrollierte Lawine über die Terasse des Restaurants hereinbricht. Während Ebba ihre Kids zu schützen versucht, nimmt Tomas seine Beine in die Hand und flüchtet ins rettende Innere des Gasthauses. Trotzdem die Lawine keinen Schaden anrichtet und niemand verletzt wird, ist danach nichts mehr, wie es vorher war: Die Kids verstehen nicht, warum ihre Eltern über die Situation streiten und es beginnt eine unangenehme Schweigephase. Als seine Frau ihn Abends vor Bekannten bloßstellt und vorwirft, einfach weggelaufen zu sein, leugnet Tomas, beginnt aber nach und nach darüber zu verzweifeln, dass er seiner Funktion als Schutzpatron der Familie nicht nachgekommen ist.

Ausgedehnt lange Einstellungen und deutliche Konzentration auf seine Schauspieler, die innerhalb des fünftägigen Urlaubs mehr und mehr durch die Hölle gehen, sind die Stilelemente des für den letzten Auslandsoscar eingereichten schwedischen Films (der letztlich dann nicht berücksichtigt wurde). Höhere Gewalt beschreibt anhand von fünf Kapiteln (die fünf Reisetage), wie ein unerwartetes Ereignis, das einerseits ohne Verletzungen abgeht, andererseits tiefe seelische Narben verursachen kann. Von den unausgesprochenen Vorwürfen der Mutter an ihren Mann über die Ängste der Kids, die Eltern könnten sich scheiden lassen, bis hin zu den Selbstzweifeln eines Mannes, der davongelaufen ist und deshalb seinem typischen Rollenbild nicht nachkam. Hier setzt auch eine deutliche Gesellschaftskritik an, denn Höhere Gewalt behandelt auch die Frage, ob das jahrhundertealte Männerbild nicht überholt sein könnte. Seine stärksten Momente hat Östlunds Film, wenn er das Thema Scham in den Mittelpunkt stellt. Gerade bei Ebbas zweiter Schilderung gegenüber einem bekannten Pärchen schauen diese betreten zur Seite und Tomas schweigt, als erneut die Sprache darauf kommt, dass er einfach weggegangen ist. Ebba schildert, dass sie sich in ihrer Haut überhaupt nicht mehr wohl fühlt und dem Zuschauer geht’s in dem Moment kaum anders. Die Intensität in dieser Szene ist unangenehm und vermittelt ein ähnliches Gefühl wie ein Unfall, den man als Außenstehender beobachtet. Man weiß um das Tragische, kann aber nicht wegsehen.

Höhere Gewalt bleibt dabei stets authentisch, realistisch und ehrlich. Der rothaarige Mats antwortet im Anschluss an Ebbas Schilderungen, dass Menschen im Anblick des Todes vor Furcht und Panik Dinge tun, die im Nachhinein unerklärbar und rational nicht nachvollziehbar sind – nur Erklärungsversuche eines Artgenossen (Mann) oder tatsächliche Entschuldigung für Tomas‘ Verhalten? Der Film wird darauf keine echte Antwort liefern – was er aber auch nicht muss, denn ein großer Teil sollte sich weiterhin im Kopf des Betrachters abspielen. Da ist es, neben den teilweise etwas arg gedehnt-anstrengenden Szenen (insbesondere die Familien-Heul-Momente) auch ein wenig schade, dass die Wieder-Mann-Werdung des geplagten Tomas arg plakativ ausfällt. Eine Kritik, die im Anschluss von einer erstaunlich spannenden Sequenz im Finale abgelöst wird – und das, obwohl es nur um eine Busfahrt geht.

Bild- und Tonqualität

Die anfänglichen Naturaufnahmen der Berggipfel vor dem blauen Himmel sind unfassbar gut kontrastiert, die Auflösung in einigen Aufnahmen (Informationsbord zu Beginn) ist herausragend und wirkt trotz Filmkameras wie digitales Video. Danach lässt das Bild von Höhere Gewalt allerdings spürbar nach. Deutliche Randunschärfen im oberen und unteren Bereich stören bisweilen sehr und in den weniger gut ausgeleuchteten Szenen gesellt sich ein sichtbares Rauschen hinzu.
Beim Ton gelangt hält die Lawine dynamisch ins Heimkino und schlägt wuchtig ein, ebenso wie die kontrolliert ausgelösten Sprengungen. Das war’s bis auf ein paar direktionale Sounds der Liftanlage aber letztlich schon in Sachen Räumlichkeit und Dynamik. Der Rest spielt sich fast hauptsächlich auf den Frontlautsprechern und vor allem dem Center ab. Stimmen gelangen derart allerdings sehr gut verständlich ans Ohr – ein Teil des Films ist übrigens englisch gesprochen, und zwar immer dann, wenn das Filmpaar mit Angestellten des Hotels oder anderen Gästen auf Englisch kommuniziert.

Bonusmaterial

Im Bonusmaterial von Höhere Gewalt finden sich neben dem Trailer auch ein viertelstündiges Interview mit dem Regisseur und ein Making-of. Dazu kommt das Feature „Wenn Männer weinen“, das Regisseur und Produzent in einem Hotel in New York zeigt, wie sie die Verkündung der Nominierungen für den besten ausländischen Film abwarten. Da dies für Höhere Gewalt nicht gut ausging, muss man so viel Selbstironie erst einmal aufbringen, sich bei diesem enttäuschenden Ereignis auch noch filmen zu lassen und das auf die Disk zu packen – Respekt! Das Making-of selbst läuft knapp 12 Minuten gleicht aber eher einem erweiterten Behind the Scenes mit ein paar Kommentaren von Östlund.

Fazit

Höhere Gewalt kommt in seinen zwei Stunden Laufzeit mit wenigen Schauplätzen aus, konzentriert sich ganz auf seine Geschichte und die ihr innewohnenden Fragen und überzeugt durch glaubwüdige Darsteller und ein realistisches Szenario. Ein großer Teil des Films findet im Kopf statt und bleibt auch nach dem Ende noch dort.
Timo Wolters


Bewertung

Bildqualität: 65%
Tonqualität (dt. Fassung): 65%
Tonqualität (Originalversion): 65%
Bonusmaterial: 30%
Film: 75%

Anbieter: Alamode/AL!VE AG
Land/Jahr: S/DK/F 2014
Regie: Ruben Östlund
Darsteller: Johannes Kuhnke, Lisa Loven Kongsli, Clara Wettergren, Vincent Wettergren, Kristofer Hivju, Fanni Metelius
Tonformate: dts HD-Master 5.1: de, en
Bildformat: 2,35:1
Laufzeit: 120
Codec: AVC
FSK: 12

Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest
0 Kommentare
Inline Feedbacks
Alle Kommentare anschauen!