Hüter der Erinnerung – The Giver

Blu-ray Review

OT: The Giver

 


Kraft der Erinnerungen

Eine weitere Dystopie basierend auf einer Romanvorlage erblickt das Licht der Filmwelt.

Inhalt

„Spreche eine präzise Sprache!“, „Trage die zugewiesene Kleidung!“, „Nimm‘ deine Morgenmedizin ein!“, „Achte auf die Sperrstunde!“ – die Welt, in der Jonas lebt, ist eine Welt klarer Regeln aber auch eine der Gleichheit und des Friedens. In dieser fühlt Jonas mehr und mehr, dass er irgendwie anders ist. Als ob er von offizieller Seite dafür Bestätigung findet, wird er bei der „Zeremonie“, dem gefeierten Übergang von der Kindheit zum vollwertigen Mitglied in der Gesellschaft, als „Auserwählter“ deklariert, der alle vier Eigenschaften aufweist. Als solcher muss er nun beim „Hüter der Erinnerung“ in die Schule gehen. Eben jenem alten Mann, der als einiger weiß, warum die Welt so geworden ist, wie sie ist und der Kenntnis davon hat, wie es zuvor war. Von nun an lernt er kennen, was Bücher sind, erfährt vom derzeitigen Hüter etwas über Musik, Tanz, Kultur – ja, er darf sogar lügen. Doch je mehr er über diese bunte Vergangenheit erfährt, desto mehr wird er aufgrund seines Verhaltens zur Gefahr für die geordnete Welt der Chefin des Ältestenrates und für sich selbst …

Während der ersten Viertelstunde von Hüter der Erinnerung hat man gleich mehrfache Déjà-vu’s an Die Bestimmung – Divergent. Von den Regeln über die vermeintliche Harmonie bis zur Zeremonie, in der jeder seine Bestimmung erfährt. Doch während in Divergent oder auch der anderen erfolgreichen Dystopie Panem die Zeichen auf Revolution stehen, konzentriert sich The Giver auf die innere Welt des Protagonisten Jonas. Auf dessen Andersartigkeit und seine Reflexionen im Umgang mit der „guten“ alten als auch der „bösen“ alten Welt. Basierend auf einem 20 Jahre alten Roman von Lois Lowry könnte man Hüter der Erinnerung gar als Mutter der aktuell hippen Verfilmungen düsterer Zukunftsvisionen bezeichnen. Immerhin sind sowohl Panem als auch Divergent deutlich jünger. Jeff Bridges, Darsteller des Hüters, war es eine Herzensangelegenheit, in diesem Film mitzuspielen, immerhin gab es vor knapp 20 Jahren schon mal eine innerfamiliäre Lesung des Romans, in der Vater Lloyd Bridges die Rolle des Hüters übernommen hatte (siehe Bonusmaterial). So gibt er den weisen Bewahrer der Vergangenheit als eine Mischung aus seinem entspannten Dude Leboswki und dem knorrigen Rooster Cogburn aus True Grit.
Was Hüter der Erinnerung filmisch ebenfalls komplett von seinen erfolgreichen Pendants unterscheidet, ist der extrem reduzierte Einsatz von Action und Effektreichtum. Natürlich sind Gebäude und Umwelt tricktechnisch (meist) beeindruckend umgesetzt, doch das sind nur die Rahmenbedingungen für einen Film, dem es eher um die sanften Töne geht und der versucht, philosophische Fragen zu stellen, auf die es für Jonas zunächst nur verwirrende Antworten gibt. Wie im Buch auch, stellt Regisseur Phillip Noyce die Entwicklung von Jonas optisch dar, indem er zunächst vollkommen schwarz-weiß beginnt und langsam Sepiatöne untermischt, ein paar Farbkleckse einstreut und – je mehr Erinnerungen in Jonas wach werden, je mehr er diese „neue Welt“ umarmt – dann vollkommen farbig wird.

Man kann Hüter der Erinnerung im positivsten Fall als ein flammendes Plädoyer für Individualität und Freiheit interpretieren, was Noyce allerdings mit bisweilen arg klischeehaften Bildern (Elfenbein-Wilderer, Vietnamkrieg) torpediert. So bleiben die bedenkenswerten Ansätze immer mal im oberflächlichen Ansatz stecken und Kritik an der gewaltvollen früheren Welt wird durch die Mummenschanz-Darstellung der „Schönen Neuen Welt“ als totalitär-religiöses System im Keim erstickt. Zum Teil gilt diese Kritik auch für die Romanvorlage selbst, die immer wieder mal in Logiklöcher stolpert. Als Kenner des Buchs kann man sich zusätzlich noch daran stören, dass Fiona von der Altenpflegerin zur Babybetreuerin wird und Asher nicht Direktor für Sport und Spiele wird, sondern im Sicherheitsteam mit Überwachungsdrohnen arbeitet. Allerdings wirkt gerade Letzteres in sich stimmig und letztlich aktueller.

 

Bild- und Tonqualität

Hüter der Erinnerung – The Giver nutzt eine Mischung aus schwarz-weiß-Bildern, sanfter Kolorierung und echtem Farbmaterial. Zu Beginn herrscht das monochrome vor, das zwar noch etwas kontrastintensiver sein dürfte, aber praktisch rauschfrei ist und eine sehr gute Schärfe aufweist – allerdings nur im Zentrum, denn die Randbereiche bleiben oft unfokussiert. In bewusst stilisierten Szenen (Vietnamkrieg) wird das Korn dann harsch und die Bewegungen verwischen.
Akustisch hat Hüter der Erinnerung einen wunderbar offenen Charakter. Die technologisierte Welt stellt immer wieder über direktionale Effekte Kontakt zum Zuschauer her. Ob das nun die überall stationierten Drohnen sind, die berichten, dass die offizielle Abendfreizeit nun beendet sei oder der kathedrale Sound im Versammlungsraum während der Zeremonie. Das Klatschen der Besucher versetzt den Zuschauer unmittelbar selbst auf einen Sitz in der Kuppel. Während der kurzen Vietnam-Sequenz gibt’s dann erstmalig richtig Pfund auf die Ohren und auch der Subwoofer darf kräftig zulangen. Bei Jonas‘ Flucht rauschen die elektrifizierten Zweiräder und die Luftdrohne dann beachtlich effektvoll durchs Heimkino.

Bonusmaterial

Im Extramaterial von Hüter der Erinnerung finden sich insgesamt sechs Featurettes: In „Jeff Bridges präsentiert: Höhepunkte der Buchlesung“, dem vermutlich intimsten Extra im Bonusmaterial dürfen wir tatsächlich Einblicke eines Privatvideos von Bridges bekommen, das ihn und große Teile seiner Familie und Freunde bei einer Lesung des Romans zeigen – vor 20! Jahren im Haus der Bridges.  „Vom Buch auf die Leinwand“ ist das knapp 20-minütige Hauptfeature über die filmische Realisierung der fantastischen Romanvorlage. Die auf knapp neuneinhalb Minuten erweiterte Szene: „Jonas qualvolle Reise“ offenbart noch dramatischer, welchen Weg der Protagonist gehen musste. Dazu kommt noch eine PK mit Filmemachern und dem Cast in New York sowie das Featurette: „Ordinary Human“ mit Ryan Tedder von OneRepublic. Hier geht’s einfach nur darum, wie die Band dazu kam, den Titelsong zu schreiben. In „Lois Lowry über „The Giver““ letztlich kommt die Autorin des Romans zu Wort. Sie erzählt, dass die Ursprünge für ihre Geschichte aus der Familie und vornehmlich von ihrem Vater her kamen.

Fazit

Die Hüter der Erinnerung hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck. Einerseits sind die Motive der Vorlage auch im Film erkennbar und ehrenwert, andererseits wird man das Gefühl nicht los, dass man dies auch mit mehr Tiefe und etwas mehr Anspruch hätte umsetzen können.
Timo Wolters


Bewertung

Bildqualität: 75%
Tonqualität (dt. Fassung): 80%
Tonqualität (Originalversion): 80%
Bonsumaterial: 80%
Film: 60%

Anbieter: Studiocanal
Land/Jahr: USA 2014
Regie: Phillip Noyce
Darsteller: Jeff Bridges, Meryl Streep, Brenton Thwaites, Alexander Skarsgård, Katie Holmes, Odeya Rush, Taylor Swift
Tonformate: dts HD-Master 5.1: de, en
Bildformat: 2,35:1
Laufzeit: 98
Codec: AVC
FSK: 12

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