Ich seh, ich seh

Blu-ray Review

ich seh ich seh Blu-ray Review Cover
Koch Media, seit 22.10.2015

OT: Ich seh, ich seh

 


Nicht die Mama!

Österreich zeigt mal wieder, wie gutes Genrekino geht.

Inhalt

Lukas und Elias leben mit ihrer alleinerziehenden Mutter in einem abgelegenen Architektenhaus in der freien Natur. Während die beiden neunjährigen Zwillinge die umliegende Natur unsicher machen, hat sich die Frau Mama vor kurzem einer umfangreichen plastischen Gesichtsoperation unterzogen und trägt daher einen Komplettbandage ums Haupt, die nur ihre Augen und den Mund offenlegt. Lukas und Elias fallen nach und nach Seltsamkeiten auf. Zunächst nur kleine Details wie die Tatsache, dass sie beim „Wer bin ich“-Spiel nicht darauf kommt, dass sie sich selbst erraten soll. Auch das etwas herrische und dominante Verhalten der einstmals so einfühlsamen und lieben Mutter ist auffällig. Nachdem die zwei Jungs eine aufgenommene Katze tot im Keller auffinden, sind sie sich einig, dass die Mutter dafür verantwortlich war. Elias und Lukas sind sich einig: Das ist nicht ihre Mutter! Nur wie finden sie das heraus ..?

Österreichische Filmemacher lassen immer dann aufhorchen, wenn sie kleine und unabhängige Produktionen auf den Weg bringen, die sich von ihrer Stimmung her massiv von Genrewerken aus dem europäischen Umland unterscheiden. Das war natürlich so bei allen Filmen von Michael Haneke (Funny Games) und gelang zuletzt Markus Blunder in Autumn Blood. Ich seh, ich seh nutzt die gleiche Art der bedrohlichen Atmosphäre schon von dem Moment an, in dem die Kamera noch vermeintlich schöne und beschauliche Bilder einfängt. Denn selbst das Tauchen und Schwimmen auf der Luftmatratze zu Beginn hat etwas Unheimliches. Da der Film von Veronika Franz und Severin Fiala fast ausschließlich ohne Filmmusik auskommt und die Kühle des steril designten Hauses alleine schon für schaurige Momente sorgt, sitzt man absolut gebannt vor dem Bildschirm oder der Leinwand. Diese Spannung wird noch dadurch intensiviert, dass Kameramann Martin Gschlachts das Innere der Villa extrem effektiv zu nutzen weiß. Die Positionen, von der aus er das Geschehen filmt, sind oft beobachtend aus dem Hintergrund und nicht selten statisch. Ich seh, ich seh wirkt dadurch regelrecht gruselig. Ebenso gruselig wie die Bandagen am Kopf der Protagonistin, die hinter den Verbänden noch viel mehr versteckt als der Zuschauer zunächst ahnt. Wenn im letzten Drittel dann die drastischen Szenen zunehmen und in einem emotional unangenehmen Finale gipfeln, hält man bisweilen den Atem an. Ich seh, ich seh hält seine Spannung auch deshalb, weil man als Zuschauer beständig hin- und hergerissen ist, ob man den Zwillingen oder der (falschen?) Mutter glauben soll. Spätestens wenn die Zwillinge der Frage nach der Identität mit Gewalt nachgehen und ein Verhör abhalten, dass selbst hartgesottenen Genrekennern den Atem stocken lassen dürfte, bleibt wohl niemand von diesem Film mehr unberührt.

Die Tatsache, dass Unschuld sich hier nach und nach in Schuld verwandelt und kleine Kinder zu Tätern werden, bleibt unangenehm im Magen liegen. Da ist’s dann auch nur ein kleines Manko, dass sich die finale Wendung schon ein wenig länger ankündigt und Genrefans nicht ganz unbekannt sein dürfte. Ein Kritikpunkt, der letztlich nahezu alleine dasteht, denn ansonsten macht Ich seh, ich seh (fast) alles richtig. Bemängeln könnte man lediglich, dass die beiden Rot-Kreuz-Mitarbeiter darstellerisch gegenüber dem Hauptcast drastisch abfallen. Abgesehen von diesen Aspekten erinnert die Stimmung wie bereits erwähnt an Funny Games. Das liegt auch daran, dass dort wie auch hier eine Familie mit dem Bösen konfrontiert wird. Im Gegensatz zu Hanekes Meisterwerk dringt dieses bei Ich seh, ich seh aber nicht von außen ein, sondern entsteht aus dem Inneren – eine nicht minder beklemmende Situation. Der minimalistisch angehauchte Mix aus Drama und Thriller wäre aber nur halb so gut, wenn Lukas und Elias Schwarz, die beiden Zwillingsbrüder und Darsteller der gleichnamigen Filmjungs ihre Rollen nicht so sensationell wahrnehmen würden. Als Eineiige Geschwister haben sie von Natur aus eine extrem enge Bindung, was man ihrem Wirken zu jeder Zeit ansieht. Wenn sie als Team ohne Kompromisse zueinander stehen und sich gegen ihre Mutter vereinen, wirkt das absolut authentisch und nachvollziehbar. Vielleicht agieren sie bisweilen etwas zu erwachsen, doch gerade das Herausarbeiten des Führungscharakters Lukas‘ ist sehr gut gelungen. Susanne Wuest in der Rolle der Mutter verliert zwar von dem Moment des Ablegens der Bandagen ein wenig an Schrecken, verursacht bei ihren aggressiven Handlungen den Jungs gegenüber aber eine unangenehme Gänsehaut. Storybedingt MUSS sie dann an einem bestimmten Punkt die Verbände (und damit den Gruselaspekt) fallen lassen, damit der Zuschauer die Wendung entsprechend mitmacht.

Bild- und Tonqualität

Das Bild bleibt durchweg ein wenig zu hell und kontrastarm. Sowohl die Außenaufnahmen als auch das Innere des Hauses könnten etwas mehr Tiefe vertragen. Wenn’s dann etwas dunkler wird, fehlt es an Durchzeichnung und Schwarz ist auch nicht so richtig knackig. Die Schärfe bleibt ebenfalls dauerhaft auf mittelmäßigem Niveau – zumal auch noch Randunschärfen im unteren Bereich dazukommen.
Akustisch gibt’s zu Beginn von Ich seh, ich seh eine sehr räumliche Szene, wenn Lukas und Elias durch das Maisfeld rennen. Im Anschluss bleibt es auf den Rears fast dauerhaft still, da der Mangel an Filmmusik und die Reduktion auf Geräusche im Haus erst gar keinen Anlass mehr für Surroundräumlichkeit geben. Im Ausgleich dazu werden die drei Frontlautsprecher mit den Dialogen und zahlreichen Stereoeffekten bedient. Aufgrund des österreichischen Dialekts könnte der eine oder andere Gebrauch von den deutschen Untertiteln machen müssen – gerade wenn die Jungs im Dorf unterwegs sind und auf den Messdiener treffen oder die beiden Herrschaften vom Roten Kreuz auftauchen.

Bonusmaterial

Das knapp neunminütige Making-of von Ich seh, ich seh beschäftigt sich vor allem mit den praktischen (Ekel)Effekten des Films, zeigen aber auch die Darsteller-Zwillinge bei der Arbeit (und beim Rülpsen). Das „Casting“ widmet sich dann ebenfalls den beiden jungen Nachwuchsschauspielern. Zirka acht Minuten an entfernten Szenen sowie ein längeres Interview mit den beiden Regisseur

Fazit

Von der Qualität von Ich seh, ich seh können sich deutsche Genrefilmer eine ganz dicke Scheibe abschneiden. Atmosphärisch, erzählerisch, schauspielerisch und vor allem in Sachen Kameraarbeit liegt der Film vom Regieduo Fiala/Franz ganz weit vorne. Wer Funny Games mochte, sollte hier auf jeden Fall zugreifen!
Timo Wolters


Bewertung

Bildqualität: 60%
Tonqualität (dt. Fassung): 65%
Bonusmaterial: 40%
Film: 80%

Anbieter: Koch Media
Land/Jahr: Österreich 2014
Regie: Severin Fiala, Veronika Franz
Darsteller: Susanne Wuest, Lukas Schwarz, Elias Schwarz, Hans Escher, Elfriede Schatz
Tonformate: dts HD-Master 5.1: de, en
Bildformat: 2,35:1
Laufzeit: 94
Codec: AVC
FSK: 16

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