Im hohen Gras / In the Tall Grass – Netflix

Blu-ray Review

Netflix, 04.10.2019

OT: In the Tall Grass

 


Gras ist Fleisch

Netflix hält ein kleines, feines und exklusives Horror-Highlight für Stephen-Kings-Fans bereit.

Inhalt

Am Rande des großen Grasfeldes

Becky und Cal DeMuth sind Geschwister und bei sengender Hitze im Auto unterwegs. Der schwangeren Becky bekommt das nur bedingt gut, da sie mit ihrer Übelkeit zu kämpfen hat. Als sie deshalb kurz an Rand einer kleinen Landstraße anhalten, liegt neben ihnen ein großes Feld mit hohem Grasbewuchs. Sich unterhaltend, machen sie plötzlich Notiz von einem Hilferuf. Offenbar hat sich ein kleiner Junge irgendwo im dichten Bewuchs verirrt und findet nicht mehr hinaus. Cal und Becky nehmen ihren Mut zusammen und betreten das hohe Gras. Früh sind sie voneinander getrennt und können sich gerade noch akustisch miteinander in Verbindung setzen. Doch schon bald wird es mysteriös. Eben noch an einem Ort, scheint einer der beiden im nächsten Moment ganz woanders zu sein. Dazu hören sie Stimmen von überall und während Cal auf Tobin, den Jungen trifft, macht Becky die Bekanntschaft mit dessen Vater. Der scheint auch schon länger im Gras umher zu irren und wirkt etwas verstört. Noch merkwürdiger wird es aber, als sie vor einem großen schwarzen Monolithen stehen, der die Dinge zu beeinflussen scheint …

Im hohen Gras warten böse Überraschungen

Stephen King und sein Sohn Joe Hill hatten schon 2009 die erste gemeinsame Geschichte geschrieben (Throttle/Vollgas) und taten sich 2012 erneut zusammen, um mit In the Tall Grass eine Kurzgeschichte zu verfassen, die im Sommer des gleichen Jahres im amerikanischen Männer-Magazin Esquire veröffentlicht wurde.
Bereits 2015 hatte Regisseur Vincenzo Natalie (Cypher) die Idee und Motivation, die Story für einen Film zu adaptieren, allerdings kam das Projekt nicht so richtig in Gang. Wie so oft in letzter Zeit, wenn es um brachliegende Filmvorhaben geht, meldet sich dann irgendwann Streaming-Anbieter Netflix. Viele Drehbücher, die große Studios nicht anpacken wollten, weil es zu riskant schien, kommen dann hier unter und werden doch noch realisiert. Vincenzo Natalie übernahm das Drehbuch gleich selbst und ließ all seine Erfahrung fantastischer TV-Serien (unter anderem inszenierte er Episoden von The StrainHelmlock Grove, Hannibal oder Westworld) in den Film fließen. Seine Premiere hatte der fertige Film dann am 20. September auf dem Fantastic Fest in Austin/Texas und kommt nun ab dem 04. Oktober weltweit auf die Netflix-Plattform.
Das Erstaunliche am Film selbst: Mit Ausnahme des Schauplatzes einer verlassenen Kirche spielt Im hohen Gras praktisch komplett begrenzt auf das große Wiesenfeld – und wird dabei zu keiner Zeit langweilig. Das begrenzte Szenario sorgt für ein überraschend beklemmendes Gefühl. Und wer sich schon mal in einem Maisfeld verirrt hat, kann nachvollziehen, wie es den Protagonisten hier gehen muss. King und sein Sohn Joe haben es geschafft, den Horror auch aus Grashalmen zu generieren und der Film spielt geschickt mit den Erwartungshaltungen.

Kann man Tobins Vater Ross trauen?

Dass sich der Film dabei mitunter deutlich von der Vorlage der Kings entfernt, werden Leseratten bemängeln. Für die Adaption bedeutet dies in der Praxis, dass er gewalthaltige Elemente durch surreale Sequenzen ersetzt. Im hohen Gras dringt bisweilen erstaunlich weit auf eine Meta-Ebene von Tod und Wahnsinn vor. Dazu integriert die Geschichte fantastische, ja vielleicht sogar außerirdische Elemente. Weshalb man eine erzählerische Verwandtschaft zu Kings Tommyknockers oder Der Nebel durchaus attestieren kann. Düster ist es fast durchweg, was durch eine grandiose Kameraführung und einen herausragend guten Schnitt aber kompensiert wird. Außerdem nutzt der Film visuelle Stilmittel, wenn er bisweilen die Farben von Grün nach Rot wechselt, um damit auch zu unterstreichen, was mit den Protagonisten passiert.
Die sind nicht nur durch Hauptdarsteller Patrick Wilson überzeugend dargestellt. Auch Will Buie jr. als Tobin ist klasse und wirkt schon dann spooky, wenn er einfach nur schmuddelig und unbewegt von der Kamera eingefangen wird.
Einzig der Splatter-Horrorfan wird hier nur bedingt glücklich. Im hohen Gras hat zwar ein paar gewalttätige Szenen, bleibt aber vornehmlich ein Erzählfilm, der sich auf die Figuren und die Dynamiken zwischen ihnen fokussiert. Dabei spart er nicht mit Wendungen und lässt Raum für Interpretationen – und das ist schon weit mehr als der größte Teil von King-Verfilmungen der letzten Jahre von sich behaupten kann.

Bild- und Tonqualität

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Der Moment, in dem alles begann

Im hohen Gras liegt bei Anbieter Netflix in 4K mit Dolby Vision vor. Nimmt man die anfänglichen Tageslichtszenen des Grases, wird deutlich, dass die Auflösung wirklich sehr gut ist. Schon die Vogelperspektive auf die Szenerie offenbart keine Unruhen im sich sanft wiegenden Feldbewuchs. Auch die Szenen vor dem Eintritt der beiden in das Gras zeigen die Pflanzen mit hoher Detailvielfalt und klarer Abgrenzung. Wird es dunkler, bleibt zwar die Bildruhe erstaunlich hoch, aber Hintergründe und auch Gesichter bekommen Probleme in der Farbtiefe. Das Feld im Hintergrund sieht auf einem kalibrierten OLED-TV dann aus wie ein gemaltes Aquarell – nicht schön (16’32). Zwar bekommt man das mit einer Korrektur der Helligkeit (nach oben) in den Griff – jedoch mit dem Resultat, eines zunehmend gräulichen Schwarzwertes – hier bewegt sich das gestreamte Bild auf einem grenzwertigen Niveau zwischen Durchzeichnung und Artefakt. Auf einem LC-Display bleibt zwar das Clipping aus, aber Schwarz ist schlicht zu grau. Ebenfalls nicht schön sind die Zuckungen im Gras bei der Kamerafahrt nach einer Dreiviertelstunde – hier sieht man dann doch, dass 15.25 Mbps (inkl. Ton) keine hohe/ausreichende Datenrate darstellen, um jede Situation in den Griff zu bekommen (44’15). Im Übrigen sollte man den Film nicht bei Tageslicht schauen. Und das nicht nur, weil der Horror im Finsteren besser funktioniert, sondern weil 80% des Streifens in krasser Dunkelheit spielen und der Film dort praktisch nur aus Grautönen besteht.

Im hohen Gras kommt für die deutsche Fassung (wie üblich) mit einer Dolby-Digital-Plus-Spur zum Zuhörer, während der O-Ton in Dolby Atmos vorliegt. Zwar geht der Synchronfassung mit einem etwas dünnen Bassfundament die richtige Sound-Gewalt ab, doch in puncto Räumlichkeit und Direktionalität weiß auch der deutsche Ton bereits zu überzeugen. Das feine Zirpen der Zikaden zu Beginn, die umherirrenden Stimmen, das Gewitter nach gut 70 Minuten und die rhythmischen dämonischen Sprechgesänge werden sehr griffig über die fünf Lautsprecher verteilt. Selbst wenn’s hier ein bisschen an Tiefbass fehlt, macht das alleine aufgrund der sehr fein differenzierten Geräuschkulisse schon eine Menge Spaß. Allerdings ist der Original-Ton hier einfach noch mal deutlich offener und stellt eine hörbar breitet Bühne auf. Auch die Ortbarkeit der Stimmen im Gras ist besser, selbst wenn es auch der englischen Fassung bis auf wenige Ausnahmen an echtem Tiefbass fehlt. Beziehen wir die Höhen-Ebene hinzu, beginnt Im hohen Gras mit dem atmosphärischem Zirpen der Zikaden und einigen Fliegen, die um die Köpfe der beiden Hauptfiguren (und um jene des Zuschauers) herum schwirren. Auch Windgeräusche gesellen sich nach knapp fünf Minuten hinzu und man hört in der Ferne auch mal eine Krähe krächzen. Schon früh nutzt der Sound die Möglichkeit, das unheimliche Element zu integrieren. So nimmt man ganz leise und sanft Stimmen wahr. Das geschieht zunächst noch fast unterbewusst, wird aber von den Deckenlautsprechern klasse begleitet. Im weiteren Verlauf wird klar, dass ein guter Teil des Horrors von Im hohen Gras genau durch diesen Sound erreicht wird. Kreischende Geräusche, tausende Fliegen, die hoch stieben, das Gras, das um den Zuschauer peitscht – all das setzt die Atmos-Spur faszinierend um. Wenn es dann später auch mal Schreie sind, die man rundherum hört und sich unangenehme Geräusche beim Entdecken des Monolithen zu einem lauten Ganzen summieren, bekommt man wahrlich eine Gänsehaut. Noch „schlimmer“ wird es, wenn sich Stimmen, Rascheln und Geräusche nach etwas über 35 Minuten zu einem schaurigen Mix vereinen – ein krasser 3D-Toneffekt (37’40). Immer wieder gibt es zudem Jumpscares aus den Heights, wenn die Protagonisten beispielsweise Flashbacks oder Visionen haben. Jedes Mal gereicht das, um wirklich aufgeschreckt aus dem Sessel zu fallen. In der zweiten Hälfte gibt’s dann auch noch bizarre Score-Momente und Blutspritz-Effekte aus den Höhen-Speakern. Nach 72 Minuten setzt es obendrauf noch ein heftiges Gewitter, das mit zahlreichen direktionalen Effekten aus allen Speakern kommt und kurz darauf von den schreienden Seelen abgelöst wird. Eines ist nach dem Schauen des Films im O-Ton klar: Die Atmos-Spur hat es wirklich in sich!

Fazit

Im hohen Gras gehört zu den echten Exklusiv-Highlights von Netflix. Denn während so einige Eigenproduktionen des Streaming-Anbieters zuletzt ziemlich mau ausfielen (vgl. The Red Sea Diving Resort), überzeugt Natalis Film durch Atmosphäre, großartige Kameraarbeit, beklemmende Spannung und ziemlich gut aufgelegte Darsteller. Dass man auch noch ein bisschen was zu Knobeln hat, lässt den Film nachwirken – selbst wenn es im Finale ein wenig zu konventionell zugeht.
Für die Technikfans unter den Zuschauern gibt’s außerdem eine sehr aktive Atmos-Fassung – zumindest für den Original-Tonspur-Gucker. Das Bild ist nicht in jeder Situation erhaben und leidet bisweilen unter Artefakten.
Timo Wolters


Bewertung

Bildqualität: 70%

Tonqualität BD (Originalversion): 70%

Tonqualität UHD 2D-Soundebene (Originalversion): 80%
Tonqualität UHD 3D-Soundebene Quantität (Originalversion): 75%
Tonqualität UHD 3D-Soundebene Qualität (Originalversion): 90%

Film: 80%

Anbieter: Netflix
Land/Jahr: Kanada 2019
Regie: Vincenzo Natali
Darsteller: Avery Whitted, Laysla De Oliveira, Rachel Wilson, Patrick Wilson, Will Buie Jr.
Tonformate: Dolby Atmos (DD+-Kern): en // Dolby Digital Plus: de
Bildformat: 2,35:1
Laufzeit: 102
Real 4K: Ja
Datenrate: 15,25 Mbps
FSK: 16

(Copyright der Cover und Szenenbilder liegt bei Anbieter Netflix)

Trailer zu Im hohen Gras

Im hohen Gras | Offizieller Trailer | Netflix

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